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Die Sabbathfrage in Sudminster.

 

I.

In Sudminster herrschte Sturmesstimmung; nicht auf dem Meere, das den dort lebenden Juden zu ihrem Lebensunterhalte verhalf, aber in der Brust eben jener Ladenbesitzer, die in ihren Magazinen alles feilboten, dessen die Seeleute zu ihrem Berufe benötigten. Es war nämlich plötzlich ein Konkurrent unter ihnen erschienen, ein fremder Immigrant, der mit keinem der in Sudminster ansässigen Juden verwandt war oder irgendwelche Beziehungen zu ihnen hatte. Simon Samuels war nicht nur kapitalkräftig und unternehmungslustig – das große prahlerische Spiegelglas seines Ladens verriet eine verlockende Auswahl von Waren aller Art –, er war auch kühn und machte sich nichts daraus, die Vorschriften seiner Religion zu übertreten. Er schloß sein Geschäft nicht am Freitag abend und öffnete es am Samstag morgen wie an jedem andern Tage.

Am ersten Freitagabend war das Gerücht dieses Frevels noch nicht durch ganz Sudminster bekannt geworden, aber am Sabbathmorgen sprachen alle Gläubigen in der Synagoge davon. Es machte die Herzen der Gemeindemitglieder vor Schrecken beben, zog sie von ihren Gebeten ab und erfüllte sie alle mit einem unheimlich beängstigenden Gefühle. Die jüdische Gemeinde in Sudminster hatte schon drei Generationen emporwachsen sehen. Sie hatte sich tapfer gehalten im fremden Lande, und obwohl man gezwungen war, auch Sonntags die Geschäfte zu schließen, hatte man den Sabbath heilig gehalten, und der Gott ihrer Väter hatte die Glaubenstreue nicht unbelohnt gelassen. Denn die jüdischen Kaufleute machten sehr gute Geschäfte, und wenn dies nun schon seit achtzehnhundert Jahren aus Palästina vertriebene Volk immer noch wie einst den Herrn anflehte, das Land mit seinem Regen zu segnen, so war dies nur eine hergebrachte Gebetsformel, denn ohne Regen füllten sich ihre Keller mit vollen Wein- und Ölfässern und die Speicher mit Korn. Es gab nur sehr wenig arme Gemeindemitglieder in Sudminster, für die gut gesorgt wurde. Selbst die einst auf die Synagoge aufgenommene Hypothek konnte abbezahlt werden. Da kam nun plötzlich dieser » Epikuräer« in die Stadt und störte die allgemeine behagliche Stimmung, indem er den Sabbath entweihte, den heilig zu halten schon Moses von dem Berge Sinai herab geboten hatte. Es war daher kaum zu verwundern, daß viele der in der Synagoge versammelten Andächtigen, besonders solche, die, als sie am Freitag abend vom Gottesdienst heimkehrten, mit Entsetzen die offenen Fenster seines Magazins gesehen, förmlich überrascht waren, daß die Erde sich nicht öffnete, diesen sündigen Sohn Korahs zu verschlingen.

»Sogar der Mann, der es wagte, am Sabbath Holz zu suchen, wurde gesteinigt,« flüsterte der untersetzte Salomon Barzinsky dem überschlanken Ephraim Mendel zu, der wie auch er ein Geschäft für Marineartikel hatte.

»Ach! das würde man uns leider in diesem heidnischen Lande nicht gestatten,« seufzte Ephraim Mendel, den Gebetschal höher über die Schulter ziehend. »Aber man sollte ihm wenigstens die Fenster einwerfen.«

Salomon Barzinsky lächelte bei dem Gedanken, wie das Glas zersplittern würde. »Ja,« seufzte er, »und man sollte die einen Matrosen darstellende Wachsfigur, die in dem einen seiner Schaufenster steht, vernichten zur Strafe dafür, daß dieser Gotteslästerer es wagt, mit uns zu beten: ›Heilig, heilig, heilig ist der Herr Zebaoth, und die Erde ist voll seines Ruhmes.‹ Diesen letzten Satz rief Salomon plötzlich in hebräischer Sprache und in antiphonaler Beantwortung der Worte des Vorsängers; dann erhob er sich dreimal auf den Fußspitzen und neigte fromm das Haupt. »Kein Wunder, daß er Goldlitzen zu dem Preise anbietet, zu dem wir Silberlitzen verkaufen,« schloß er bitter.

»Er verkauft neue wertlose, aus Lumpenwolle fabrizierte Ware und sagt, daß es gutes altes Tuch sei, das er an Zahlungsstatt angenommen habe,« klagte Lazarus Levy, der S. Cohns' Geschäft übernommen hatte, als er dessen Tochter Deborah geheiratet hatte. »Dabei läßt er sich von den Sudminsterer Dummköpfen höhere Preise bezahlen, wie wir für wirklich gutes Tuch fordern.«

Wenn man vom Teufel spricht, dann kommt er, sagt das Sprichwort. In diesem Augenblicke erschien Simon Samuels, spät, aber mit vollkommener Seelenruhe, in der Synagoge.

Wenn der wirkliche hörnertragende Asmodeus selbst hereingekommen wäre, hätte die allgemeine Aufregung nicht größer sein können. Es war immer ein kleines Ereignis, wenn ein neu zugezogener Jude zum erstenmal in die Synagoge kam, aber daß dieser Sabbathbrecher überhaupt den Mut hatte, in harmlosester Weise in der Gemeinde zu erscheinen, war eine geradezu aufregende Begebenheit! Von dem unterwürfigen und unbewegten Küster geführt, schritt Simon Samuels dem Platze zu, den er sich vorher gesichert zu haben schien – jenem dem Stande des Vorsitzenden gegenüberliegenden so hoch geschätzten Sitze, der seit dem Tode Teveles, des Pfandverleihers, leer geblieben war. Dann umhüllte er sich ehrfurchtsvoll mit dem Gebetschal und versenkte sich in seine Andacht. Sein glänzender hoher Zylinderhut gab ihm das Ansehen makelloser Rechtgläubigkeit, das noch durch den langen schwarzen Bart erhöht wurde, und die Hingebung, mit der er dem Gottesdienste folgte, schien ein direkter Vorwurf gegen seine über ihn klatschenden Nachbarn zu sein.

Ein gewisses unbehagliches Gefühl verbreitete sich in der Synagoge. Sollte er das Opfer böswilliger Verleumdung sein? Selbst die, die ihn gestern abend mit eigenen Augen zu einer Zeit hinter dem Ladentische gesehen hatten, wo er den Sabbathwein an seinem Tische hätte weihen müssen, fragten sich, ob sie sich von einer Halluzination hätten täuschen lassen.

Als darauf, wie die jüdische Etikette dies verlangt, der Neuangekommene mit Namen aufgerufen wurde, um die Gesetzesrolle zu verlesen: »Simon, Sohn des Nehemiah, tritt vor«, da erschien die ruhige Würde, mit der er aufstand und auf den mittleren Vorbeterpult zuging, die Vertrautheit, mit der er seine religiösen Pflichten erfüllte und den Segen sprach, ein vernichtendes Urteil des über ihn ausgesprengten Gerüchtes zu sein. Als er herabkam und der Parnaß der Präsident der Gemeinde. ihm die Hand reichte, um ihm zu dem frommen Ehrenamt, zu dem er berufen worden, Glück zu wünschen, da streckten sich ihm auch die Hände aller andern Gemeindemitglieder, an denen er auf dem Wege zu seinem Platze vorüber kam, mit warmem Gruße entgegen, und so ward Simon Mitglied der Gemeinde Israels in Sudminster. Als dann seine ihm nun ganz vertrauenden Glaubensgenossen auf dem Heimgange an seinem Geschäfte vorbei kamen – und viele machten einen bedeutenden Umweg, um dies zu tun –, da sahen sie mit Staunen und Grauen, daß kein einziges der großen schimmernden Ladenfenster geschlossen oder verhangen war. Die große, einen Matrosen darstellende Wachsfigur pries »unverschleißbare Hosen« an; die verführerisch ausgebreiteten Goldlitzen waren mit überraschend niedrigen Preisen ausgezeichnet. Die Kunden zogen in Scharen hinein und heraus, und die Sonne leuchtete über all dem hell und freundlich, als habe sie Wohlgefallen an solcher Gotteslästerung.

 

II.

Am Sonntagabend saßen Salomon Barzinsky und Ephraim Mendel in frommen schwarzen Samtkäppchen mit ihren dicken Frauen, die mit Goldketten und Diamantohrringen geschmückt waren, in der guten Stube des Parnaß und spielten eine Partie Whist miteinander. Sie alle fühlten sich in ihrem religiösen Empfinden gekränkt und konnten eine gedrückte Stimmung nicht überwinden. Obwohl der Parnaß im Grunde ebenso verletzt war wie sie selbst, so ließ er es sich doch nicht so merken und versuchte, die ganze Affäre unparteiisch und mit dem ihm eigenen trockenen Humor zu behandeln. Seine Autorität basierte hauptsächlich auf dem Umstande, daß er der einzige Ladenbesitzer der Gemeinde war, der sich von dem Geschäfte zurückgezogen hatte, und sein Übergewicht wurde bedeutend erhöht durch die langsame, bedeutsame Art, mit der er bei kritischen Fällen eine Prise zu nehmen pflegte. »Mein lieber Mendel,« bemerkte der alte Herr, den Rest des Tabaks mit einem blauen Taschentuch wegwischend, »Simon Samuels hat bereits seinen jährlichen Beitrag gezahlt, und Sie haben es noch nicht getan.«

»Mein Geld ist sicher,« erwiderte Mendel errötend.

»Es ist gar kein Wunder, daß er so flott bezahlen kann,« sagte Salomon Barzinsky, wild die Karten mischend.

»Wie er es verdient, das geht mich nichts an,« sagte der Parnaß gewichtig. »Jedenfalls hat er seinen Beitrag bezahlt, und wenn ich ihn nun, wie Sie zu wünschen scheinen, aus der Gemeinde ausstoßen würde, könnte er die Hilfe des Gesetzes für sich in Anspruch nehmen.«

»Des Gesetzes!« erwiderte Salomon. »Können wir es nicht beweisen, daß er das Gesetz Mosis übertreten hat?«

»Was soll das?« sagte der Parnaß, ruhig seine Karten aufnehmend. »Wir wollen doch unsre schmutzigen Talysim (Gebetschals) nicht auf der Straße waschen.«

»Er hat recht, Salomon,« sagte Frau Barzinsky. »Wir würden uns dadurch bei den Heiden lächerlich machen.«

»Ich glaube nicht, daß er sich an die christlichen Gerichtshöfe wenden würde,« meinte der kleine Mann. »Ich passe –«

Die Partie wurde schweigend zu Ende gespielt. »Ein Mann, der am Sabbath seinen Laden offen hält, ist zu allem fähig,« sagte der lange Mendel, mit düsterer Miene seinen Gewinn einsteckend.

Der Parnaß nahm nachdenklich eine Prise. »Es ist außerdem gar nicht unmöglich, daß er einen christlichen Geschäftsteilnehmer hat, der das am Sabbath einkommende Geld annimmt.«

»Das ist ebenso verboten,« sagte Barzinsky und teilte die Karten aus.

»Aber dein Vetter David,« erinnerte ihn seine Frau, »verkauft den Christen am Passahfeste seine Kolonialwaren.«

»Das ist erlaubt. Es würde unvernünftig sein, mehr als hundert Pfund Sauerteig verderben zu lassen. Aber es ist nicht erlaubt, sich für am Sabbath abzuschließende Geschäfte einen christlichen Partner zu halten.«

»Vielleicht ist diese Frage bisher nicht aufgeworfen worden,« sagte der Parnaß.

»Ich habe mich genug mit heiligen Dingen befaßt, um es entscheiden zu können,« erwiderte Barzinsky.

»Ich ziehe es doch vor, darüber einen wirklichen Sachverständigen zu befragen,« antwortete der Parnaß.

Barzinsky warf wütend die Karten hin. »Gehen Sie zum Teufel,« rief er zornig.

»Aber schäme dich doch, Salomon,« sagte seine Frau. »Störe doch das Spiel nicht.«

»Zum Teufel mit dem Spiele. Der Parnaß ist es, der sich schämen sollte; er spricht ja wie ein Epikuräer.«

Der Parnaß putzte sich geräuschvoll die Nase. »Es steht im Talmud geschrieben: ›Um des Fluchens willen sind die schädlichen Tiere in die Welt gekommen.‹ Wenn – –«

»Der Psalmist sagt,« so unterbrach Barzinsky ihn, »das Gesetz deines Mundes ist mehr wert als Silber und Gold.«

»Im Perek steht, daß der Weise die Rede seines Gefährten nicht unterbricht,« sagte der Parnaß sehr ernst.

»Im Schulchan Aruch heißt es,« schrie Barzinsky, »daß die Heilighaltung des Sabbaths …«

»Der Talmud sagt,« überschrie ihn Wendel mit bei ihm ungewohnter Lebhaftigkeit, »daß man nicht einmal eine Nuß anbieten dürfe, um die Kunden anzuziehen, also –«

Eine ruhige, leise Stimme ertönte durch den Redesturm der erregten Männer: »Simon Samuels hat keinen christlichen Partner,« sagte Frau Mendel.

Es entstand eine etwas verlegene Pause.

»Seine Frau ist die einzige, die ihm hilft,« fuhr sie fort. »Ich weiß es, weil ich am Freitag morgen unter dem Vorwande, nach dem Preise einer Kuckucksuhr zu fragen, in dem Laden war.«

»Aber in einem Geschäfte für Seeleute hält man keine Kuckucksuhren feil,« bemerkte die Frau des Parnaß schüchtern. Es war das erste, was sie zur Belebung der Unterhaltung beitrug, denn sie war immer ganz überwältigt von der Größe ihres Mannes und wagte in seiner Gegenwart kaum den Mund aufzutun.

»Sei nicht so einfältig, Hanna,« sagte der Parnaß. »Das war doch eben der Grund, weshalb Frau Mendel danach frug.«

»Ja, aber unglücklicherweise hatte Simon Samuels Kuckucksuhren,« beichtete Frau Mendel, »und ich bin nicht aus dem Laden herausgekommen, ohne eine zu kaufen.«

Alle brachen in herzliches Lachen aus.

»Das nenne ich eine halsabschneiderische Konkurrenz,« brummte Salomon Barzinsky, nachdem die allgemeine Fröhlichkeit sich gelegt hatte.

» Sie verkaufen aber doch keine Uhren,« sagte der Parnaß.

»Eben darum, er schnappt uns die Kundschaft dadurch weg, daß er ihr alles mögliche zum Kaufe anbietet. Das im Talmud stehende Handelsverbot, das Mendel vorhin erwähnte, bezieht sich auf solche Fälle.«

»Dann bin ich doch nicht so einfältig gewesen,« warf die Frau des Parnaß ein, die sich gerechtfertigt fühlte.

Ohne Notiz von ihren Worten zu nehmen, wandte er sich an Frau Mendel: »Nun, und Sie haben also seine Frau gesehen? Das ist mehr, wie ich behaupten kann, denn in der Synagoge ist sie nicht gewesen, vielleicht ist sie die christliche Partnerin?« Diese Vermutung erfüllte die ganze Spielgesellschaft mit heiligem Abscheu.

»Nein, nein,« sagte Frau Mendel beruhigend. »Ich habe selbst gesehen, daß sie in der Küche Fische kochte.«

Dieser Beweis ihres Judentums schien unanfechtbar.

»Aber trotz des Fisches,« sagte Herr Mendel, »hat sie die Kunden im Laden bedient, während ihr Mann in der Synagoge war?«

»Ja,« zischte Barzinsky, »und trotzdem er am Sabbathmorgen in der Synagoge war, ist er selbst nachher im Laden gewesen. Es gibt kaum eine größere Gotteslästerung.«

»Das wohl nicht, das nicht,« sagte der Parnaß kritisch, »Wenn ein Mann ein Gebot übertritt, so ist das kein Grund, zwei zu übertreten.«

»Aber er übertritt zwei,« rief Salomon zornig, mit der Faust auf den grünen Tisch schlagend. »Er stielt mir die Kundschaft dadurch weg, daß er sein Geschäft offen hält, während ich das meine schließen muß.«

»Sachte, sachte! Sie werden meine Teller zerbrechen,« beruhigte ihn der Parnaß. »Bitte, nehmen Sie ein belegtes Brötchen.«

»Danke Ihnen, Sie haben mir den Appetit verdorben.«

»Das tut mir sehr leid, indessen die Butterbrötchen würden Ihnen auch den Appetit verdorben haben. Sehen Sie, ich kann wirklich einen anständigen Mann, der seinen Sitz bezahlt hat, nicht so ohne weiteres aus der Gemeinde ausschließen, ehe ich weiß, ob er wirklich ein Sünder in Israel ist. Denn es steht geschrieben: ›Du sollst fragen und die Wahrheit erforschen und sorgfältig ergründen.‹ Es ist gar nicht unmöglich, daß er sein Geschäft nur für das eine Mal offengehalten hat als eine Art von Reklame. Jedem Hunde ist es erlaubt, einmal zu beißen.«

»Nun, dann würde es ja auch nichts ausmachen, Schinkenbutterbrote zu essen – nur für einmal,« sagte Salomon mürrisch.

»Sie wollen doch nicht behaupten, daß ich Sie einen Hund genannt hätte,« lachte der Parnaß.

»Bitte zum Abendessen,« sagte die Wirtin schnell. »Es ist die Sache des Allmächtigen und nicht die unsre –«

»Nein, es ist unsre Sache,« bestand Salomon.

»Ja,« gab der Parnaß trocken zu, »es ist Ihre Sache.«

 

III.

Die Woche ging vorüber, ohne daß der alle Gemüter erregende Sturm sich beruhigt hätte. Die großen Ladenfenster von Spiegelglas mit allen dahinter aufgestapelten Herrlichkeiten lockten das Publikum an, und man wollte beobachtet haben, daß Simon Samuel die Gewohnheit habe, in der Ladentür zu stehen und zögernde Kunden mit höflichen Redensarten heranzulocken. Wie am vorhergehenden Sabbath wurden die Rolläden nicht heruntergelassen.

Man war bestürzt und geradezu entsetzt. Dazu kam, daß die Erde sich nicht öffnete, den Sünder zu verschlingen, daß kein vernichtender Blitzstrahl ihn traf und alles seinen gewöhnlichen Fortgang nahm. Niemals war in dieser Gemeinde eine solche Gotteslästerung vorgefallen; sie forderte die direkte Strafe des Himmels auf das Haupt des Gotteslästerers, und jeder erwartete eine Katastrophe. Es ist ja wahr, daß ein Pferd mit dem Wagen in Pelegs, des Pfandleihers, Fenster hereinlief. Peleg behauptete, daß das Pferd sich so davor entsetzt hatte, daß vor Simon Samuels Laden sich hin und her bewegende Wachsleinwand ausgehangen war; aber da nicht er, sondern nur die schwachnervige Frau Peleg, die sehr fromm war, und die Nase des Pferdes unter diesem Unfalle litten, so war es nicht ganz das, was man erwartet hatte. Salomon Barzinsky machte sich zum Anwalt der allgemeinen Unzufriedenheit, und die spitzen Bemerkungen, mit denen er nach dem Sabbathgottesdienste den Geistlichen überschüttete, klangen beinahe so, als ob dieser ehrwürdige Herr kontraktbrüchig geworden wäre.

Der ehrwürdige Elkan Gabriel zitierte die Worte der heiligen Schrift: »Der Herr ist geduldig, langmütig und von großer Güte, er will nicht das Verderben des Sünders – –«

»Aber unterdessen verdient der Sünder ein schönes Stück Geld,« sagte Salomon grimmig. »Der Samstag ist Zahltag, und es fällt den Heiden gar nicht ein, darauf zu warten, bis die drei Sterne am Himmel erschienen sind und wir unsre Läden aufmachen können. Es ist Ihre Pflicht, Herr Gabriel, dieser Profanierung der Sabbaths ein Ende zu machen.«

Der Geistliche geriet in die größte Verlegenheit. Er war in den mittleren Jahren, sah ziemlich schäbig gekleidet aus, hatte in Deutschland studiert, hatte einen deutschen Akzent und eine große Familie. Er bekleidete das Amt des Predigers an dieser Gemeinde seit fünf Jahren, und es war zum erstenmal, daß von ihm gefordert wurde, einem Gemeindemitglied gegenüber seine Autorität geltend zu machen. Da er von der Gemeinde durch Stimmenmehrheit gewählt worden, behandelte sie ihn wie ihren Diener, dessen Pflichten genau vorgeschrieben, und der seine religiösen Anschauungen nach den ihrigen zu richten hatte. Es war daher nicht verwunderlich, daß er sich nicht gleich dazu aufschwingen konnte, diktatorisch gegen ein Gemeindemitglied vorzugehen. Wenn er zu Hause war, dann vertrat Frau Gabriel die Stelle der Gemeinde. Aber als die Woche sich ihrem Ende näherte, fand er, daß Barzinsky nicht der einzige war, der ihn für den stattgefundenen Skandal verantwortlich machte.

Die ganze Gemeinde war der Meinung, daß es seine Aufgabe sei, dem Skandal ein Ende zu machen; die sieben Inhaber der Marinewarenhäuser waren ernstlich auf ihn erzürnt, und die Pfandleiher und Leinenhändler gaben ihnen wenig nach.

»Er entweiht den Namen des Allerhöchsten,« sagten sie einstimmig, »und bedenken Sie nur das schlechte Beispiel, das er unsern Armen gibt!«

»Er wird nicht auf mich hören wollen,« protestierte der arme Geistliche. »Sie sollten doch lieber selbst mit ihm sprechen –«

»Ich?« sagte der Klagende empört. »Nein, ich würde mich nie so tief erniedrigen. Er würde denken, daß ich eifersüchtig auf seinen Erfolg wäre.«

Es schien wirklich, als ob Simon Samuels ein Mann sei, mit dem man nicht so leicht fertig würde. Unbeirrt und ruhig ging er seinen eigenen Weg, die Mitglieder der Gemeinde sah er nur in der Synagoge, wo er sich stets gleich freundlich und ein wenig von oben herab benahm.

Endlich erhielt der Geistliche von dem Präsidenten den Befehl, die Angelegenheit in seiner nächsten Predigt zu besprechen.

»Aber,« protestierte er, »ich kann es durchaus nicht an den Text anknüpfen, wir sind noch in der Genesis.«

»Bah,« erwiderte der Parnaß ungeduldig. »Jeder Text kann so gedreht werden, daß sich eine Moral damit verbinden läßt. Sie müssen am nächsten Sabbath in der Predigt den Skandal angreifen.«

»Wir lesen die Geschichte Josefs, wie wollen Sie es bei dem Texte anbringen, gegen die Entweihung des Sabbaths zu sprechen?«

»Das ist nicht meine Sache. Ich bin ein einfacher Kaufmann. Aber was nützt uns ein Prediger, wenn er nicht aus jedem Texte etwas anderes machen kann?«

»Nun, natürlich, jeder Text läßt sich gewöhnlich benützen,« sagte der Prediger. »Es ist ja meist noch ein tieferer Sinn hinter den einfachen Worten verborgen. Aber der Text von Josef und seinen Brüdern ist eigentlich nur eine historische Erzählung. Der Sabbath war, obgleich er im zweiten Kapitel der Genesis erwähnt wird, zu jener Zeit noch nicht offiziell eingeführt.«

»Wie wäre es mit Potiphars Weib?«

»Das betrifft das siebente Gebot, nicht das vierte.«

»Danke für die gütige Belehrung! Wollen Sie mir vielleicht sagen, Sie könnten nicht geschickt von einem Gebot zum andern gleiten?«

»Nun gut.« – Der Prediger überlegte sich die Sache.

 

IV.

»Und Josef war ein gut aussehender Jüngling und fand Gnade vor Gott und den Menschen. Es geschah, daß seines Herrn Weib ihr Auge auf Josef warf.«

Die Gemeinde sah ganz erschrocken drein. Wirklich, das war kein Text, den sie näher von dem Prediger beleuchtet wissen möchten! Es gab gewisse Stellen in der Bibel, über die man am besten in hebräischer Sprache weglas, besonders wenn die Frauen dabei waren. Der Blick der Gläubigen wanderte unruhig zu den hinter den Gittern der Galerie sichtbar werdenden Frauengestalten.

»Aber Josef blieb standhaft –«

Salomon Barzinsky hustete. Peleg, der Pfandleiher, putzte sich mit protestierendem Geräusch die Nase. Die Augen der Versammlung blickten nun auf den Parnaß. Er nahm wie gewöhnlich ruhig seine Prise.

»Meine Brüder,« begann der Prediger eindrucksvoll, »die Versuchung tritt an uns alle heran –«

Eine protestierende Bewegung ging durch die Synagoge. Einige der Mitglieder der Versammlung erröteten tief.

»Freilich tritt diese Versuchung nicht immer in der Gestalt an uns heran, wie sie es bei Josef tat. In dieser Versammlung, in der wir durch den Segen des Allmächtigen fast frei von jeder gröberen Sünde sind, gibt es doch eine Art der Versuchung, die mächtig genug sein könnte, uns zu Falle zu bringen – die Versuchung, durch Entweihung des Sabbaths unerlaubten Gewinn zu machen.«

Ein großer Seufzer der Erleichterung hob die Brust der Andächtigen. Simon Samuels war plötzlich der Zielpunkt aller Augen. Er blickte ruhig zum Prediger hin, und sein Antlitz hatte, wie stets, wenn er in der Versammlung war, einen gleichmütig ehrerbietigen und heiteren Ausdruck.

»O, meine Brüder, wenn man doch immer von jedem unter uns sagen könnte: Aber Josef blieb standhaft!«

Endlich also hatte der Prediger das rechte Wort gefunden! Der Himmel selbst offenbarte sich durch den Mund des Verkündigers seiner Gesetze.

Der ehrwürdige Elkan Gabriel schien sichtlich neu belebt durch die warme Aufnahme, die seine Worte fanden. Es war, als wüchse er ordentlich, und mit fließender Beredsamkeit führte er seine Predigt zu Ende. Die ganze Versammlung begrüßte ihn dann mit einem herzlichen » Noscher Koach« (»Möge deine Kraft wachsen«).

Der Prediger stieg von den Stufen der Bundeslade herab und schritt feierlich an seinen Platz zurück. Als er an Simon Samuels vorbeikam, streckte dieser dem Manne Gottes die Hand entgegen und drückte sie herzlich; seine Nachbarn sagten, daß sein Gesicht den Ausdruck tiefer Zerknirschung und wahrer Bußfertigkeit gezeigt habe.

 

V.

Wieder nahte sich der Sabbath, aber ach, er brachte der Gemeinde keinen Frieden, erhöhte vielmehr die allgemein – Unruhe. Die Spiegelglasscheiben blieben unverhüllt, und der gottlose Eigentümer der dahinter ausgestellten Herrlichkeiten verlockte den Strom der Kunden, bei ihm einzutreten.

»Er verweigert es nicht einmal, selbst das Geld anzunehmen,« sagte Barzinsky zu Peleg, dem Pfandleiher, als sie am Freitagabend nach dem Gottesdienste an dem Geschäfte Samuels vorbeikamen.

»Nun, was hätte er denn auch davon, den Laden offen zu halten, wenn er kein Geld dafür bekäme?« frug Peleg naiv.

»Behemah!« (dummes Tier!) rief Salomon ungeduldig, »Wissen Sie es denn nicht, daß es verboten ist, am Sabbath Geld zu berühren?«

»Natürlich weiß ich das. Aber wenn man den Laden offen hält – –«

»Einerlei! Selbst dann läßt sich ein Kompromiß finden. Man könnte ja schließlich den Kunden das geben, was sie nötig haben, denn es steht geschrieben: ›Öffne deine Hand dem, der deiner bedarf!‹ Aber man dürfte dann erst Samstag abend die Bezahlung annehmen.«

»Wenn sie aber dann nicht bezahlten? Wenn sie bis dahin ihr Geld vertrinken?« fragte der Pfandleiher.

»Das ist wahr; aber sie könnten vielleicht im voraus bezahlen.«

»Wie denken Sie sich das denn?«

»Sie müßten eine gewisse Geldsumme deponieren und daraufhin die Waren aufnehmen.«

»Nicht bei mir,« Peleg machte eine Grimasse. »Das geht in Ihrer Branche vielleicht, aber nicht in der meinen. Es würde keinem einfallen, Freitag abend Pfandstücke zu deponieren und bis Samstag abend mit der Abrechnung zu warten. Außerdem, wie sollte man sich alles merken? Man müßte ja auch den Sabbath entweihen, wenn man alles aufschreiben müßte.«

»Schreiben? Gott möge. uns davor bewahren,« rief Salomon Barzinsky. »Aber Sie könnten sich vielleicht ein andres System ausdenken, um sich die Ausgaben zu merken. Sie müßten sich ein Register der Namen Ihrer Kunden machen und könnten zum Beispiel eine Nadel einstecken, um ein Pfand zu bezeichnen, oder Sie könnten Marken aufkleben. Es ließen sich da allerlei Wege finden, wenn man sich nur die Mühe geben wollte, sie zu suchen,« schloß er.

»Aber es steht im Buche Hiob geschrieben: ›Er zerstörte die Pläne der Hinterlistigen, so daß ihre Hände ihre Unternehmungen nicht auszuführen vermochten.‹ Lernen Sie von Hiobs Geduld und vertrauen Sie darauf, daß der Herr den Sünder verderben wird. Wir werden es noch erleben, daß Simon Samuels Bankerott macht.«

»Das hoffe ich nicht! Der Schurke! Ich möchte ihn vollständig ruiniert sehen.«

»Das meine ich ja. Überlassen wir ihn der Strafe Gottes, des Herrn.«

»Der Herr ist zu langmütig,« sagte Salomon. »Ach, da kommt ja unser Parnaß! Guten Schabbos (Sabbath), Parnaß! Da haben wir einen schönen Skandal in unsrer gottesfürchtigen Gemeinde. Ich gratuliere Ihnen dazu!«

»Ist der Laden wieder offen?« fragte der Parnaß, dessen Ruhe diesmal wirklich erschüttert schien.

»Sind meine Augen offen?« gab Barzinsky höhnisch zurück. »Ihr Prediger erzielt wirklich glänzende Resultate.«

»Sie waren es, der seine Wahl durchgesetzt hat,« erinnerte ihn der Parnaß. Barzinsky war zurückgeschlagen.

»Nun, wir können hier wirklich keine Fremden wie Ihren Rochinsky gebrauchen,« murmelte er.

»Aber Simon Samuels ist ein Engländer,« kicherte der Parnaß, der es nie ganz überwunden hatte, daß es ihm nicht gelungen war, bei der Wahl des Predigers seinen Kandidaten durchzubringen.

»Ich glaube nicht. Ein Engländer würde so etwas nicht tun,« erwiderte Barzinsky. Er betrachtete sich selbst in vollem Ernste als einen Vollblut-Engländer und hielt seine Naturalisationspapiere für rückwirkend. »Wir kommen gerade an Seiner Ehrwürden Herrn Gabriels Wohnung vorbei. Laßt uns einen Augenblick auf ihn warten; er wird gleich des Weges kommen. Dann wollen wir ihm mal ordentlich die Wahrheit sagen.«

»Ich kann meine Familie nicht auf den Kiddusch (Hausgottesdienst) warten lassen,« sagte Peleg.

»Komm nach Hause, Vater; ich bin hungrig,« protestierte Peleg junior, der mit verschiedenen Jungen Barzinskys hinter den Vätern her trottete.

»Still, du frecher Bengel,« fuhr Barzinsky ihn an. »Wenn ich dein Vater wäre – ach, hier kommt unser Herr Prediger. Guten Schabbos, Herr Gabriel! Ich gratuliere Ihnen zu dem Erfolge Ihrer letzten Predigt.«

Das Auge des Predigers leuchtete freudig auf. »Ist der Laden geschlossen?«

»Ist Ihr Mund geschlossen?« erwiderte Salomon höhnisch. »Ich bezweifle, ob er morgen überhaupt wieder in die Schul (Synagoge) kommen wird.«

Der Mund des Predigers blieb vor Schrecken offen stehen, aber er brachte kein Wort hervor.

»Ich fürchte, Sie werden doch endlich eine etwas deutlichere Sprache zu führen gezwungen sein,« sagte der Parnaß.

»Aber wenn er nicht da ist, um es zu hören?«

»O, hören Sie nicht auf das, was Barzinsky sagt. Er wird ganz gewiß dort sein. Aber dann müssen Sie es ihm ordentlich geben.«

»Ihre Predigt war zu allgemein gehalten,« fügte Peleg hinzu, der noch geblieben war, obwohl sein Sohn nach Hause gegangen war. »Damit hätte jeder von uns gemeint sein können!«

»Aber,« protestierte der Geistliche, »wir dürfen doch unsern Glaubensbruder nicht öffentlich beschämen. Es steht im Talmud, daß, wer das tut, kein Teil am Himmelreiche haben wird.«

»Nun, Sie haben uns aber alle beschämt,« gab Barzinsky zurück. »Ein Fremder hätte glauben können, daß wir eine Gemeinde von Sabbathschändern wären.«

»Es waren keine Fremden unter uns,« sagte der Prediger.

»Doch, Simon Samuels ist ein Fremder, vielleicht hat er aus Ihrer Predigt den Glauben gewonnen, daß er nur einer von den vielen sei, und das hat ihn beruhigt und in seinem gottlosen Treiben noch hartnäckiger gemacht.«

»Sie haben es doch selbst gewollt, daß ich gegen die Entheiligung des Sabbaths sprechen sollte,« sagte der arme Geistliche.

»Gegen den Sabbathbrecher,« korrigierte ihn der Parnaß.

»Sie haben ihn nicht besonders bezeichnet!« fügte Barzinsky hinzu. »Sie haben es nicht einmal klargemacht, daß Sie mit Josef nicht mich meinten.«

»Ich sagte, daß Josef ein guter Mensch und überall wohlgelitten sei,« verteidigte sich der gequälte Geistliche.

Der Parnaß nahm eine Prise, und sein Niesen klang wie ein höhnisches Lachen.

»Nun, nun,« sagte er dann etwas freundlicher, »Sie müssen es eben morgen noch einmal versuchen.«

»Ich habe mich nicht verpflichtet, jeden Samstag gegen ihn zu sprechen,« murrte der Geistliche etwas kühner werdend.

»Solange, wie Simon Samuels offen hält, können Sie nicht Schluß machen,« sagte Samuel gereizt.

»Es ist ein Duell zwischen ihm und Ihnen,« fügte Peleg hinzu.

»Außerdem kommt der Name Simon tatsächlich in der morgigen Sedra (Abschnitt) vor,« erinnerte ihn Barzinsky entzückt. »Es heißt: ›Er nahm Simon von ihnen und band ihn vor ihren Augen.‹ So lauten die Textesworte. Sie müssen Simon unter uns herausnehmen und ihn binden, damit er den Sabbath heilig hält.«

»Oder Sie könnten sagen, der Satan habe Simon von ihnen genommen und gebunden,« fügte der Parnaß hinzu. »Sie haben die Wahl – Sie selbst – oder der Satan.«

»Dann wäre es vielleicht am besten, Sie predigten selbst«, sagte der Geistliche mißmutig. »Ich kann es nicht verstehen, was dieser Text mit der Heilighaltung des Sabbaths zu tun hat.«

»Er hat gerade so viel damit zu tun wie Potiphars Weib!« schrie Salomon Barzinsky.

 

VI.

»Und Jakob, ihr Vater, sagte zu ihnen: ›Ihr habt mich beraubt. Josef ist nicht mehr, und Simon ist nicht mehr, und nun wollt Ihr auch Benjamin von mir nehmen.‹«

Als das Wort Simon von des Predigers Lippen fiel, ging eine Bewegung durch die Synagoge. Selbst Simon Samuels schien davon berührt zu sein, denn er zog mit nervöser Hast den Gebetschal fester um seine Schultern.

»Meine Brüder! Diese Worte Israels, des großen Ahnherrn unsrer Stämme, klingen noch heute in unsern Ohren. Heute noch klagt Israel mehr als je zuvor. Josef ist nicht mehr – das Heilige Land ist uns verloren gegangen. Simon ist nicht mehr – der Tempel des Herrn ist von der Erde verschwunden. Nur eins ist uns geblieben – ein Segen, mit dem der allmächtige Vater uns gesegnet hat – unser heiliger Sabbath. Ihr aber wollt Benjamin von uns nehmen!« Der Pathos seiner Worte rührte jedes Herz. Viele der anwesenden Frauen weinten, Simon Samuels putzte leise die Nase.

Nachdem er einmal in Zug gekommen war, fuhr Se. Ehrwürden Elkan Gabriel fort, ein rührendes Bild der Liebe zwischen Israel und Benjamin zu malen. Der Sabbath! Er war der einzige Trost, der Israel in der Verbannung geblieben war! Er wußte geschickt die folgenden Bibelworte zu zitieren: »Wenn ihm ein Unfall auf dem Wege begegnete, den ihr mit ihm gehet, würdet ihr meine grauen Haare mit Herzeleid in die Grube bringen.« »Ja, es würde den Untergang Israels bedeuten,« fuhr er fort, »wenn der Sabbath nicht mehr geheiligt werden sollte. Wehe den Söhnen Israels, die es wagen sollten, das Leben Benjamins in Gefahr zu bringen! Von Ruben und Simon bis herab zu Gad und Asser sollen alle verantwortlich für sein Leben sein.« O, es war wirklich eine sensationerregende Predigt, und Salomon Barzinsky konnte sich nicht enthalten, sich vorzubeugen und dem Parnaß zuzuflüstern: »Hatte ich nicht wirklich recht, gegen Rochinsky zu stimmen?«

Aber diese Erinnerung an die Niederlage des von ihm aufgestellten Kandidaten war Wermut für den Parnaß, er vergällte ihm die Befriedigung, die er über diese Predigt empfand. Er verwies den Sprecher mit einem geräuschvollen »Schaa« zur Ruhe.

Die Versammlung vermied es zartfühlend, auf den Sünder hinzublicken; es würde zu schmerzlich sein, seine Seelenschmerzen zu beobachten. Seine Nachbarn sahen, wie wenn sie es untereinander verabredet hätten, nach einer andern Richtung. Der einzige, der diesem Beispiele nicht gefolgt war, Nankele, der Sohn des armen Glasers, erzählte nachher, daß Simon Samuels ganz unbewegt erschienen sei, sich behaglich den Bart gestreichelt habe und aufmerksam von einem zum andern geblickt habe, als ob er die Wirkung der Predigt bei den Gemeindemitgliedern studieren wolle. Über sein Verhalten, nachdem die Predigt vorüber, konnte kein Zweifel entstehen, denn jeder sah, wie er den Parnaß beim Austritt aus der Synagoge anredete, und viele hörten, wie er mit herzlichem Tone sagte: »Ich muß Ihnen wirklich zu der glücklichen Wahl Ihres Predigers gratulieren, Herr Parnaß.«

 

VII.

»Sie haben sein Herz so zu rühren gewußt,« schrie Salomon Barzinsky eine Stunde später Sr. Ehrwürden Elkan Gabriel entgegen, »daß er direkt aus der ›Schul‹ (Synagoge) in seinen Laden ging.« Salomon war gleich, nachdem er kaum seinen Frühstücksfisch verspeist hatte, ausgegangen, um den Prediger zu besuchen.

»Das ist nicht meine Schuld,« sagte der Geistliche niedergeschlagen.

»Ja, das ist es doch – wenn sie sich nur an meinen Text gehalten hätten! Aber wenn Sie sich so über alle unsre Wünsche wegsetzen – –«

»Sie sagten mir, ich solle Simon vorbringen, und ich gehorchte.«

»Ja, Sie haben ihn vorgebracht, aber wie haben sie ihn genannt? Den heiligen Tempel! Eine schöne Sache bei meiner Seele.«

»Aber das – das war doch nur eine Analogie!«

»Eine Apologie? Ach so, das ist wohl so eine Art von Entschuldigung? Das wird ja immer besser!«

»Nein, nein. Ich meine ein Vergleich!«

»So, also ein Vergleich! Mich haben Sie nicht mit dem heiligen Tempel verglichen. Und ich heiße Salomon – Salomon hat den Tempel erbaut.«

»Salomon war weise,« murmelte der Geistliche.

»O, und ich bin töricht? Wenn ich an Ihrer Stelle wäre, Herr Gabriel, dann würde ich mich erinnern, wem ich meine Stellung verdankte. Wenn ich nicht gewesen wäre, würde heute Rochinsky hier predigen.«

»Wohl ihm, daß er es nicht nötig hat.«

»O, in der Tat! Das ist also Ihre Dankbarkeit? Sehr gut! Entweder Simon Samuels schließt sein Geschäft, oder Sie schließen das Ihrige. Das ist das letzte Wort. Vergessen Sie nicht, daß Sie nur für drei Jahre gewählt sind.«

Der kleine Mann stürzte weg.

Der Parnaß, dem der Geistliche etwas später in der Straße begegnete, war derselben Ansicht.

»Sie müssen wirklich am nächsten Sabbath ernstere Saiten aufziehen,« sagte er. »Die Gemeinde ist furchtbar aufgeregt. Es kann zu ernsten Störungen kommen. Wenn Simon Samuels am nächsten Sabbath abermals den Laden offen hält, kann ich nicht dafür stehen, daß ihm nicht die Fenster eingeworfen werden.«

»Dann werden sie es sein, die den Sabbath brechen.«

»O, sie werden schon warten, bis der Sabbath vorüber ist.«

»Dann haben sie genug damit zu tun, ihre eigenen Läden zu öffnen.«

»Seien Sie nicht so widerspenstig. Sie müssen so predigen, daß er sich dadurch gezwungen sieht, seinen Laden zu schließen.«

»Sehr gut,« sagte Se. Ehrwürden mürrisch.

»Das ist recht. Ein Mann, der Familie hat, muß bei großen Gelegenheiten zeigen, was er leisten kann. Denken Sie, ich wäre, was ich bin, wenn ich nicht seinerzeit den Mut gehabt hätte, eine große Fallitenmasse anzukaufen, obgleich ich damals nicht die geringste Aussicht hatte, sie bezahlen zu können? Es ist ein Kampf zwischen Ihnen und Simon Samuels.«

»Möchte sein Name ausgerottet werden!« rief ungeduldig der Geistliche in hebräischer Sprache.

»Nein, nein,« erwiderte lächelnd der Parnaß. »Sein Name darf nicht ausgerottet werden, er muß vielmehr genannt werden deutlich und so, daß man es versteht.«

»Es ist gegen den Talmud. Es steht geschrieben, daß die Sünde, einen Bruder öffentlich zu beschämen, gleichbedeutend mit einem Morde ist.«

»In den Leviten steht: Du sollst deinen Nächsten ermahnen und es nicht dulden, daß er sündigt.« Der Parnaß nahm triumphierend eine Prise.

 

VIII.

»Simon und Levi sind Brüder – – – aber geselle dich ihnen nicht zu, denn in ihrem Selbstwillen haben sie eine Mauer untergraben –«

Der Parnaß war sehr befriedigt. Der Text aus Jakobs Segen schien ihm außerordentlich passend für diese Gelegenheit zu sein. Er bemerkte sogleich, daß die Mauer ein Symbol für den Sabbath sei, der letzte Schutz der Juden, der einzige Wall, der sie vor den Fluten des Heidentums bewahrte. Seine Befriedigung wuchs, als sich seine Auffassung richtig erwies und der Prediger gegen die Selbstsucht derer losdonnerte, die Israels letzte Befestigung zu unterminieren drohten. »Was suchten sie unter der Mauer? Glaubten sie verborgenes Gold mit ihrem Spaten auszugraben oder eine alte Schatztruhe zu finden? Nein, sie würden auf einen Sarg stoßen, auf einen Sarg voller toter Gebeine und lebender Schlangen.«

Ein kalter Schauer durchrieselte die Gemeinde, von der Galerie, wo die Frauen saßen, tönte ein leiser Schrei.

»Ich meine, daß mir kaum je eine Predigt so zugesagt hat,« sagte der Pfandleiher zu dem Parnaß.

»O ja, er macht wirklich Fortschritte,« antwortete dieser zufrieden.

Aber als der würdige Vorsteher der Gemeinde friedlich eine Prise nehmend in der Vorhalle der Synagoge stand, wartete seiner dort ein sehr aufgeregter Herr. Es war Lazarus Levi, der Schwiegersohn S. Cohns, dessen Frau Deborah ihn vergebens zu beruhigen suchte.

»Entweder Se. Ehrwürden Herr Gabriel wird verabschiedet, Herr Parnaß, oder ich trete aus der Gemeinde aus!«

»Was gibt es denn, Herr Levi, was ist los?«

»Jedermann weiß es, daß ich mein ganzes Leben lang ein guter strenggläubiger Jude gewesen bin, und obwohl der Samstag der beste Tag für mein Geschäft sein würde, habe ich nie der Versuchung Raum gegeben, ihn auszunützen, sondern mich stets bestrebt, meine Pflicht gegen den Allmächtigen treu zu erfüllen.«

»Natürlich, natürlich, jeder weiß das.«

»Dennoch zeigt man heute auf mich, als ob ich ein Sünder in Israel wäre. Mein Name wird zusammen mit dem Simon Samuels genannt! ›Simon und Levi sind Brüder in ihrer Gottlosigkeit, geselle dich nicht zu ihnen.‹ Wirklich, eine nette Schmähung!«

Die Zufriedenheit des Parnaß schrumpfte zusammen wie ein Luftballon, den man mit einem Nadelstiche verletzt hat. »O, Unsinn, jeder weiß es doch, daß sie damit nicht gemeint sein sollten.«

»Das glaube ich keineswegs. Es gibt immer Leute, die denken werden, ich ließe eine Hintertür offen, oder so etwas Ähnliches. Ich würde mich gar nicht wundern, einen Brief von meinem Schwiegervater in London zu erhalten – Sie wissen doch, wie fromm der alte Cohn ist! Was Simon betrifft, so hat er mich die ganze Zeit über ruhig angesehen, als ob ich sein lange verlorener Bruder wäre. Ach, da kommt ja unser köstlicher Prediger … Wissen Sie, Herr Gabriel, daß ich Lust habe, Sie zu verklagen? Simon ist kein Bruder von mir –«

Das plötzliche Erscheinen Simons durch die andre Tür machte ihn verstummen. »Guten Schabbos,« sagte der schamlose Sünder. »Ach, Herr Gabriel, das war wirklich eine sehr schöne Predigt.« Er streichelte seinen Bart. »Ich stimme ganz mit Ihnen überein! Eine öffentliche Schutzmauer zu untergraben, ist unverantwortlich. Niemand hat das Recht, mehr als ein kleines Loch darein zu machen, von wo aus er seinen eigenen Gesichtskreis wahrnehmen kann. Aber bitte, nennen Sie meinen Namen nicht mehr mit dem Herrn Levis. Guten Schabbos.« Und freundlich mit der Hand grüßend, ließ er die bestürzten Herren stehen.

 

IX.

»Was ist das für ein frecher Kerl« sagte der Gabbai (der Schatzmeister), der Zeuge dieser Episode war.

»Da sagt der Prediger noch, ich sei der Bruder dieses Mannes.«

»Still, genug,« sagte der Parnaß mit plötzlicher Eingebung. »Sie sollen am nächsten Schabbos die Haphtorah (Worte des Propheten) lesen.«

»Herr Gabriel muß aber außerdem erklären, daß er mich nicht gemeint habe,« sagte Levi, durch die Aussicht auf diese Mitzvah (frommes Privilegium) etwas besänftigt.

»Wir müssen sehen, wie es sich machen läßt,« knurrte der Parnaß. »Es ist Herrn Gabriels Sache.«

Der ehrwürdige Herr hatte einen glücklichen Gedanken, »Warten Sie, bis wir an die Textesworte kommen: ›Deshalb hat Levi keinen Teil an dem Erbe seiner Brüder.‹«

»Sie sind ein Gentleman, Herr Gabriel!« rief der Schwiegersohn S. Cohns, ihm die Hand reichend.

»Sollte er aber selbst nach dieser Ihrer wirklich ausgezeichneten Predigt noch immer nicht den Laden schließen,« fügte der Gabbai hinzu, »dann müssen Sie zu ihm gehen und ihm persönlich den Standpunkt klarmachen.«

Der Geistliche machte ein sehr verdrossenes Gesicht. »Aber das ist wirklich nicht meines Amtes!«

»Entschuldigen Sie, Herr Gabriel,« sagte in entschiedenem Tone der Parnaß, »es ist Ihre Pflicht, sich der Betrübten und Beraubten anzunehmen. Simon Samuels ist betrübt und geistig hilfsbedürftig, denn er hat seinen Sabbath verloren.«

»Er begehrt jedoch keines Trostes.«

»Nun, aber Salomon Barzinsky begehrt dessen. Wenn Sie also nicht zu Herrn Samuels gehen wollen, dann gehen. Sie zu Barzinsky, denn ich bin es müde, ihn zu besänftigen.«

»Ich werde zu Simon Samuels gehen,« sagte düster der Prediger.

 

X.

»Es ist sehr freundlich von Ihnen, mich zu besuchen,« sagte Simon Samuels, dem ehrwürdigen Gaste den Lehnsessel zuschiebend. »Meine Frau wird es sehr bedauern, daß sie nicht zu Hause gewesen ist. Wir beide haben Ihren Besuch erwartet.«

»Wußten Sie, daß ich kommen würde,« sagte der Geistliche etwas überrascht.

»Ich erwartete natürlich früher oder später den Besuch unsres Seelsorgers.«

»Ich fürchte, es ist etwas spät,« sagte der Geistliche, sich in den Stuhl niederlassend.

»Besser spät als gar nicht,« rief Simon Samuels in herzlichem Tone und holte eine Flasche von dem Büfett. »Nehmen Sie etwas heißes Wasser dazu?«

»Danke, nein, ich nehme gar nichts. Ich kann nur einen Augenblick hier bleiben.«

»Ach,« er streichelte seinen Bart, »haben Sie so sehr viel zu tun?«

»Schrecklich viel,« sagte Se. Ehrwürden Elkan Gabriel.

»Selbst am Sonntag?«

»Ei freilich; das ist der Tag, an dem ich meine schriftlichen Arbeiten erledige, weil es da keinen Unterricht gibt.«

»Armer Herr Gabriel! Ich habe wenigstens den Sonntag für mich. Sie aber müssen am Sabbath und am Sonntag arbeiten. Es ist wirklich zu arg.«

»Wieso?« frug der Geistliche verständnislos.

»O, natürlich müssen Sie am Sabbath arbeiten!«

»Ich – am Sabbath arbeiten?« Der Geistliche errötete bis zu den Schläfen.

»O, ich tadle Sie deshalb nicht! Man muß eben leben. In einer idealen Welt würden Sie natürlich umsonst predigen, beten, singen und das Gesetz verkündigen. Und der Himmel könnte darum Ihre harte Sabbatharbeit übersehen; wie die Dinge aber einmal sind, müssen Sie sich dafür bezahlen lassen.«

Der Geistliche sprang erregt von seinem Sitze auf. »Ich verdiene mein Gehalt durch die andre Arbeit, die ich tue – die Sabbatharbeit gebe ich in den Kauf,« sagte er eifrig.

»O, Herr Gabriel, lassen Sie das gut sein, solche Sophistereien sind Ihrer unwürdig. Es sei übrigens fern von mir, meine Mitmenschen richten zu wollen.«

»Es sei fern von Ihnen – in der Tat!« Er war nun wirklich heftig erregt und sprach laut und mit dem ganzen Aufwand seiner Lungen. »Sie, Sie, der Sie die Unverschämtheit besitzen, Ihren Laden jeden Samstag offen zu lassen – –«

»Mein lieber Herr Gabriel! Ich möchte das vierte Gebot nicht übertreten.«

»Was?«

»Möchten Sie, daß ich das vierte Gebot übertrete?«

»Ich verstehe Sie nicht!«

»Man hat mir doch gesagt, daß Sie das Diplom eines Rabbis erworben haben! Wie lautet also das vierte Gebot? ›Sechs Tage sollst du arbeiten und am siebenten Tage sollst du feiern.‹ Wenn ich nun am Samstag mein Geschäft schließen würde, dann könnte ich ja nur fünf Tage in der Woche arbeiten, da wir in diesem heidnischen Lande gezwungen sind, des Sonntags unsre Läden zu schließen.«

»Aber Sie übertreten die andre Hälfte des göttlichen Gebotes,« sagte der ganz verwirrte Prediger, »denn der siebente Tag ist der Sabbath des Herrn.«

»Ja, ich halte das göttliche Gebot – nach sechs Arbeitstagen ist der siebente Tag mein Sabbath. Wenn Sie so wollen, habe ich gesündigt, aber nur einmal, als ich zum erstenmal meinen Sabbath auf den Sonntag verlegte; seit dieser Zeit fällt mein Sabbath stets auf den Sonntag.«

»So haben Sie doch einmal gesündigt,« sagte der Geistliche, sich an diesen Strohhalm festklammernd.

»Das gebe ich zu; aber da ich, um wieder in die Reihe zu kommen, eine zweite Sünde begehen müßte, halte ich es für richtiger, den Dingen ihren Lauf zu lassen. Nicht daß ich im Ernste denke, daß meine einmal begangene Sünde eine sehr große sei; denn ich frage Sie allen Ernstes, ob es nicht dem Geiste des Gesetzes näher kommt, sechs Tage zu arbeiten und einen Ruhetag zu halten – indem man nur einmal im Leben diesen Ruhetag verschiebt –, als wie das ganze Leben lang nur fünf Tage zu arbeiten und zwei Tage zu ruhen?«

Der Geistliche war so überrascht durch diese ihm ganz neue Verteidigung, daß er keine Antwort darauf fand. Er hatte sich darauf vorbereitet, alle üblichen Argumente über die Notwendigkeit des Erwerbes auch am Sabbath zurückzuschlagen. Er hatte beweisen wollen, daß selbst vom materiellen Standpunkte aus kein Schaden durch die strenge Einhaltung des Sabbaths entstehen könne; heißt es doch am Schlusse des Schabbosgottesdienstes: »Gesegnet seist du in deiner Stadt, und gesegnet seist du auf deinem Felde.«

Simon Samuels verfolgte den errungenen Vorteil.

»Meine Glaubensgenossen in Sudminster scheinen nur an die Erfüllung der ersten Hälfte des Gebotes zu denken und der zweiten Hälfte ganz zu vergessen. Ich tue mein Bestes, um Ihre Ansichten zu respektieren; denn wie Sie sagen, man soll keine Mauer umstürzen – und ich beweise das, indem ich regelmäßig dem Sabbathgottesdienste beiwohne, obwohl der Samstag mir am allerwenigsten dazu paßt. Aber kein Opfer ist zu groß, um sich im Gebete mit seinen Glaubensbrüdern zu vereinigen.«

»Wenn Ihre Ansichten Propaganda machen sollten, dann wäre es mit dem Judentum vorbei,« brach der Geistliche los.

»So gebe Gott, daß sie es nicht tun,« war Simon Samuels' eifrige Antwort. »Dann ist es Ihre Pflicht, das Gegenteil meiner Behauptung so nachdrücklich wie möglich von der Kanzel zu predigen.« Als der Prediger ganz empört und sprachlos aufstand, um fortzugehen, fügte er in freundlichstem Tone hinzu: »Möchten Sie nicht doch ein Schlückchen Whisky nehmen?«

»Nein, ich nehme nichts in dem Hause eines Sünders. Wenn Sie sich am nächsten Sabbath in der Synagoge zeigen, werde ich wieder gegen Sie predigen.«

»Was, verträgt sich das mit Ihrem Begriffe von Religion, mich aus der Synagoge vertreiben zu wollen? Sie werden übrigens vielleicht manche andre Mitglieder der Gemeinde daraus vertreiben, weil es diesen langweilig wird, immer dieselbe Leier zu hören! Außerdem vergessen Sie, daß ich mich Ihrer Beredsamkeit freue – trotzdem Sie diese der Zerstörung des Judentums geweiht haben.«

»Was, was?« stotterte der Geistliche.

»Ja, freilich. Sie vermischen die Religion mit dem Kalender. Es gibt genug Leute, die, wenn sie finden, daß die Mauer Ihres Sabbaths sie von dem ganzen öffentlichen Leben und jedem höheren Berufe des Landes, in dem sie leben, absolut ausschließt, einfach diese Mauer durchbrechen und damit zugleich dem Judentum den Rücken drehen. Wenn mein Vater – Friede seiner Asche – nicht ebenso kleinliche Begriffe wie Sie gehabt hätte, so würde ich Jus studiert haben und heute eine angesehene Stellung als Rechtsgelehrter einnehmen, während ich nun dazu verdammt bin, hinter dem Ladentische zu stehen.«

»Sie sind jetzt des Teufels Advokat und sein beredter Advokat,« erwiderte der Prediger.

Simon Samuels streichelte seinen Bart. »Danke schön. Ich gratuliere ebenso Ihrem Klienten.«

»Sie sind ein Epikuräer, und ich verschwende meine Zeit, indem ich mich mit Ihnen herumstreite.«

»Ich verschwende meine Zeit gleichfalls.«

Der Geistliche stand auf und ging aus dem guten Zimmer und durch den Laden; vor der zur Straße führenden Tür angelangt, wandte er sich noch einmal um:

»Bestehen Sie darauf, ein so schlechtes Beispiel zu geben?«

»Ein schlechtes Beispiel! Wem? Ihrer tugendhaften Gemeinde? Da alle andern Läden unsrer christlichen Konkurrenten am Schabbos geöffnet sind, kann es sie doch nicht sehr aufregen, daß noch ein Geschäft mehr nicht schließt.«

»Wenn es das einzige jüdische Geschäft ist! Wissen Sie es denn nicht, Herr, daß alle andern Juden in Sudminster am Sabbath ihre Läden schließen?«

»Darüber habe ich mir volle Gewißheit verschafft, ehe ich mich hier niederließ,« sagte Simon Samuels ruhig.

 

XI.

Der Bericht von der Erfolglosigkeit ihres Pastors veranlaßte die leitenden Mitglieder der Gemeinde zu einer Versammlung, in der beraten werden sollte, was nun geschehen solle. Man wählte die Mittagszeit dazu, und in dem Wohnzimmer des Parnaß wurde lebhaft hin und her debattiert. Salomon Barzinsky wiederholte immer sein Delenda est Carthago: »Er muß aus der Gemeinde ausgestoßen werden!«

»Er sollte aus der Stadt ausgewiesen werden,« sagte Mendel, »denn es steht geschrieben: vertreibe uns den Satan von vorn und von hinten.«

»Seit wann denn sind wir Eigentümer von Sudminster,« schnauzte der Parnaß ihn an. »Sie könnten mit demselben Rechte den Bürgermeister und die Stadtverordneten ausweisen wollen.«

»Ich meine nicht durch einen Parlamentsbeschluß,« sagte Mendel. »Wir könnten ihm das Leben zur Qual machen.«

»In der Zwischenzeit würde er Ihnen das Ihre zur Qual machen. Nein, nein, der einzige Weg ist, an seine Seele zu appellieren.«

»Möge sie doch bald ein Sühneopfer für uns alle werden,« unterbrach ihn Peleg, der Pfandleiher.

»Wir müssen ihn bitten, nichts zu tun, was unsre Religion schädigt,« meinte der Parnaß.

»Ich dachte, daß Herr Gabriel das bereits getan hätte?«

»Er ist nur Geistlicher. Er hat keinen weltlichen Takt.«

»Warum denn gehen Sie nicht selbst zu ihm?« frug Salomon Barzinsky.

»Ich habe zu viel weltlichen Takt dazu. Der Besuch des Präsidenten der Gemeinde würde auf ihn den Eindruck machen, als wolle man ihm Zwang auferlegen. Es würde ihn borstig machen. Außerdem würde dann, wenn auch dieses Mittel fehlschlagen sollte, niemand mehr sein, an den man appellieren könnte. Die Gemeinde muß immer noch einen Trumpf in der Tasche haben. Nein, ein einfaches Gemeindemitglied muß hingehen, ein Bruder in Israel, der Herz zum Herzen mit ihm spricht. Sie, Barzinsky, sind der richtige Mann dazu.«

»Nein, nein, ich bin kein so einfacher Mann, wie Sie anzunehmen scheinen. Ich habe ein ebensolches Geschäft wie er, und er könnte glauben, daß ich auf seinen Erfolg eifersüchtig sei.«

»Dann muß Peleg gehen.«

»Nein, nein, ich bin nicht würdig, Scheliach Tzibbur (Gesandter der Gemeinde) zu sein.«

Der Parnaß beruhigte ihn darüber. »Unsre Gemeinde könnte keinen würdigeren Gesandten haben.«

»Aber ich kann nicht aus dem Geschäft.«

»Was,« rief Barzinsky, »Sie mit Ihren geschickten erwachsenen Töchtern?«

»Besprechen Sie sie mir nicht – ich will sogleich hingehen.«

»Die andern Herren müssen Sie dann hier erwarten,« sagte der Präsident, bei dem Worte hier gewichtig auf seine Schnupftabaksdose schlagend, »damit wir, falls auch dieser Versuch erfolglos sein sollte, gleich weiter beraten, was nun zu tun sei.«

»Ich kann nicht länger als eine Viertelstunde warten,« murrten verschiedene Stimmen.

Peleg machte sich in ziemlich nervöser Stimmung auf den Weg, kehrte jedoch sehr bald ganz niedergedrückt zurück. Er trug ein großes Barometer in der Hand.

»Sie müssen das, Ding für die Synagoge ankaufen, meine Herren,« sagte er. »Man kann es in die Vorhalle hängen.«

Der Parnaß war der einzige, der eine Antwort auf diese Worte fand. »Ein Barometer sollen wir kaufen?« stieß er hervor.

»Nun ja, ich kann nichts damit anfangen,« erwiderte Peleg ärgerlich.

»Ja, warum haben Sie es dann gekauft?« schrie der Gabbai.

»Es war der billigste Artikel, den ich erstehen konnte.«

»Aber Sie sind doch nicht zu ihm gegangen, um zu kaufen?« sagte der Parnaß.

»Das weiß ich – aber man kommt in den Laden – er hält jeden natürlich für einen Kunden – er hat ein so würdevolles Aussehen, er streicht seinen Bart – Sie können nicht wie ein Narr dastehen.«

»Sie sind ein Narr gewesen,« schnauzte der Parnaß ihn an. »Und nun kommen Sie zu uns, damit wir die Ausgaben bezahlen sollen!«

»Ja, was soll ich denn mit einem Barometer anfangen?«

»Er kann Ihnen anzeigen, daß das Wetter auf Sturm steht, wenn der Wind Ihnen den Schornstein vom Dache reißt,« sagte ungeduldig der Parnaß.

»Stellen Sie ihn in Ihr Ladenfenster, Sie werden ihn schon mit Vorteil verkaufen.«

»Nicht, wenn Simon Samuels ihn billiger verkauft, wie ich es tun würde! Und er kann sich das leisten, da er am Sabbath so viel Geld verdient.«

»O, er hat Ihnen zugegeben, daß er das tut?« fragte der Parnaß.

»Wir sind gar nicht bis zur Berührung dieser Frage gekommen,« sagte Peleg kleinlaut. »Ich konnte es nicht so einrichten, daß die Rede auf den Sabbath kam.«

»Das ist schrecklich!« Barzinsky schlug mit der Faust auf den Tisch. »So werde ich zu ihm gehen, möge er die Beweggründe meiner Handlungsweise verstehen oder nicht. Der Allmächtige weiß, daß sie rein sind.«

»Bravo! Gut gesprochen.« Man spendete ihm allgemeinen Beifall. Verschiedene der Inhaber der Marinewarenhäuser streckten Barzinsky die Hand entgegen und drückten sie bewundernd.

»Warten Sie nicht auf mich, meine Herren,« sagte er wichtig. »Gehen Sie in Frieden nach Hause.«

*

»Guten Abend, Herr Samuels,« sagte Salomon Barzinsky.

»Guten Abend, mein Herr, womit kann ich Ihnen dienen?«

»Sie – Sie kennen mich nicht? Ich bin Jude wie Sie.«

»Das sieht man Ihnen an der Nase an.«

»Erinnern Sie sich nicht, mich in der Synagoge gesehen zu haben. Mein Name ist Barzinsky. Ich habe die Gesetzesrolle aufgerollt, als Sie diese emporheben durften.«

»Ach, in der Tat. Bei solch feierlichen Gelegenheiten bemerke ich nie jemand. Aber es freut mich sehr, daß Sie mein bescheidenes Geschäft mit Ihrem Besuch beehren.«

»Ich wünsche kein Barometer zu kaufen,« sagte Salomon schnell.

»Das trifft sich gut, da ich den letzten verkauft habe. Aber vielleicht wählen Sie einen Regenmantel? Wir haben ganz neue und sehr moderne auf Lager.«

»Nein, nein. Ich kam nicht, um einen Regenmantel zu kaufen.«

»Vielleicht dieses wasserdichte Tuch?«

»Ich kam überhaupt nicht, um etwas zu kaufen – –«

»Ach, Sie wünschen also mir etwas zu verkaufen?«

»Auch das nicht. Die Sache ist die, daß ich vertrauensvoll zu Ihnen komme wie ein Jude zum andern, um Sie zu bitten …«

»Ein Schnorrer?« unterbrach ihn Simon Samuels. »O Gott, ich hätte das daran erkennen sollen, daß Sie die Synagoge erwähnten.«

»Ich, ein Schnorrer?« Der kleine Mann sah verzweifelt himmelwärts. »Ich, Salomon Barzinsky, dessen Laden schon zwanzig Jahre lang in Sudminster stand, ehe Sie die Nase in unsre Stadt steckten.«

»Ich bitte um Entschuldigung. Sie sehen, daß ich selbst ein Schnorrer bin!« Simon Samuels lachte bitter. »Nun, und um was wollten Sie mich bitten?« Seine Hände streichelten den Patriarchenbart.

»Ich komme nicht nur in eigener Angelegenheit,« stotterte Barzinsky.

»Ich verstehe, Sie wünschen einen Beitrag zu dem Fonds der Mazzos. Meine Zeit ist kostbar, und die Ihrige ist es ebenfalls. Also, wieviel gibt der Parnaß?«

»Ich komme nicht, um Geld von Ihnen zu erbitten, ich komme im Auftrage der Gemeinde –«

»Aber warum haben Sie das nicht gleich gesagt? Die Gemeinde wünscht, daß ich ein Ehrenamt übernehme? Das ist sehr freundlich gedacht, besonders da ich erst seit so kurzer Zeit hier bin. Aber ich getraue mich wirklich nicht, es anzunehmen. Denn, sehen Sie, meine Ansichten über den Sabbath stimmen nicht mit denen der Gemeinde überein.«

»Das ist wahr,« rief Barzinsky, freudig diese Gelegenheit ergreifend.

»Ja, ich bin für eine striktere Observanz des Sabbaths, wie sie hier üblich zu sein scheint. Kaum einer von euch trägt sein Taschentuch um die Lenden, wie mein alter Vater – Friede sei mit ihm – dies stets getan hat. Ihr alle tragt die Last sündigerweise in der Tasche.«

»Ich habe niemals bemerkt, daß Sie Ihr Taschentuch umgebunden hätten.«

»Vielleicht nicht. Ich habe noch nie eine Erkältung gehabt, es bleibt aufgefaltet.«

Simon Samuels' Schlagfertigkeit wirkte verblüffend auf Barzinsky. »Aber Sie schließen selbst am Sabbath Ihr Geschäft nicht,« rief er endlich.

»Ja, das ist wieder ein Punkt, in dem ich nicht mit der Gemeinde übereinstimme,« gab Simon Samuels offen zu. »Nach alldem werden Sie begreifen, daß ich es nicht für ratsam erachte, ein Ehrenamt anzunehmen.«

»Ein Ehrenamt?« wiederholte Barzinsky, die spöttischen Worte heftig abwehrend. »Glauben Sie denn wirklich, daß eine gottesfürchtige Gemeinde einem Sabbathbrecher ein Ehrenamt anbieten würde?«

»Ach so! das ist also der Kern der Sache. Ich vermutete sogleich, daß etwas anderes dahinter steckte. Ich sollte das Amt nur unter der Bedingung erhalten, daß ich Samstags den Laden schlösse? Nein, Herr Barzinsky, gehen Sie hin, woher Sie gekommen, und sagen Sie denen, die Sie hergeschickt, daß Simon Samuels auf solche Bedingungen nicht eingeht, daß er erst, wenn Ihr ihn ohne alle und jede Bedingung zum Parnaß erwählen würdet, sich die Sache überlegen würde, aber auch nur dann. Adieu! Grüßen Sie Ihren jetzigen Parnaß, und teilen Sie ihm mit, was ich gesagt habe.«

»Sie – – Sie Elijah ben Abuyah!« Etwas getröstet, weil ihm gleich der Vergleich mit dem Atheisten des Talmuds einfiel, stürzte Barzinsky davon, um dem Parnaß zu erzählen, wie Simon Samuels sie beide beleidigt habe.

 

XII.

Der Parnaß jedoch wollte immer noch nicht selbst in die Schranken treten. Er bestand darauf, daß er sich persönlich zurückhalten müsse. Er gab jedoch zu, daß Simon Samuels es vielleicht übelgenommen habe, daß ein einfaches Mitglied der Gemeinde ihm den Auftrag überbracht; einer der Würdenträger hätte es tun sollen. Der Gabbai müsse hingehen.

Demgemäß betrat der Schatzmeister der Synagoge am nächsten Sabbath den Laden Simon Samuels', den er in voller Tätigkeit fand.

Aber das schien diesen Herrn durchaus nicht zu beirren, er begrüßte den Gabbai auf das liebenswürdigste: »Gesegneten Schabbos! Womit kann ich Ihnen dienen?«

»Sie können den Laden schließen,« sagte der Gabbai brüsk.

»Womit soll ich dann Ihre Rechnung bezahlen?«

»Ich würde Ihnen lieber einen freien Sitz in der Synagoge gewähren, als Zeuge einer solchen Schändung des Sabbaths sein.«

»Dann haben Sie wohl Geld in Überfluß?«

»Wir haben genug.«

»Das ist merkwürdig! Sie sind der erste Gabbai, den ich je kennen gelernt, der zufrieden mit dem Kassenabschlusse ist. Sie müssen die Kasse besonders gut verwaltet haben, oder sie ist gut dotiert?«

»Darüber wünsche ich nicht zu sprechen, wir haben aber Vermächtnisse in Höhe von 500 bis 600 Pfund angelegt.«

»In der Tat! Hoffentlich in ganz sicheren Papieren?«

»Erstklassige. Wir haben englische Eisenbahnobligationen.«

»Was Sie sagen!« Simon Samuels streichelte seinen Bart. »Mithin arbeitet Ihre ganze Gemeinde an jedem Sabbath! Ein schönes Geständnis!«

»Was meinen Sie?«

»Ich meine, daß die Gemeinde es gestattet, daß die Züge fahren, die Lokomotiven geheizt werden, die Beamten und Angestellten sich am Sabbath abmühen, und daß sie es ist, die den Gewinn in die Tasche steckt.«

»Wer tut das?«

»In erster Linie wohl Sie selbst, mein Herr, da Sie der Finanzminister der Gemeinde sind. Wie kann ein Jude in einem heidnischen Lande Industriepapiere besitzen, ohne an der auch am Sabbath, ja sogar am Versöhnungsfeste rastlos fortdauernden Arbeit teilzunehmen? Und da sind Sie es noch, der die Keckheit hat, sich über mich zu beklagen? Ich tue wenigstens nur meine eigene schmutzige Arbeit und verstecke mich nicht hinter Industrie- und Anteilpapieren. Guten Schabbos, Herr Gabbai. Kehren Sie in Zukunft gefälligst vor Ihrer eigenen Tür, und bekümmern Sie sich um Ihre Lokomotiven und Weichen und um Ihre stinkenden Tunnels.«

 

XIII.

Der Parnaß konnte nun nicht länger eine persönliche diplomatische Zusammenkunft mit Simon Samuels aufschieben. Es ging nicht wohl an, die andern stets der Taktlosigkeit zu beschuldigen und sich der eigenen Klugheit zu rühmen. Indessen richtete er es weise so ein, daß die andern es nicht erfuhren, daß er selbst den schweren Gang zu vollbringen gedachte.

Er wählte einen Wochentag zu seinem Besuche und machte sich langsam auf den Weg zu dem Geschäfte Simon Samuels'. Er blieb zögernd davor stehen und sah die Auslagen der Fenster an, in der Hoffnung, zum Eintreten genötigt zu werden. Das würde seinem Erscheinen im Laden ein so ganz andres Aussehen verliehen haben und ihm den offiziellen Anstrich nehmen. Er konnte harmlos eine Unterhaltung anfangen und seine Mission dann daran anknüpfen.

Er sah durch das Fenster, ging ein wenig weiter, kehrte wieder zurück.

Simon Samuels, der es gleich merkte, daß eine Fliege in der Nähe seines Spinnengewebes umherschwirrte, trat, als der Parnaß ihm den Rücken drehte, rasch auf die Schwelle des Ladens und sah beobachtend zum Himmel auf.

»Es sieht wirklich stark nach Regen aus,« bemerkte Simon Samuels vor sich hinsprechend. »Unsre Regenmäntel – was sehe ich, das ist ja unser Parnaß.«

»Ja, ich ging ein wenig hier herum spazieren und bin so ganz zufällig zu Ihrem Laden gekommen.«

»Das ist mir eine große Freude.«

»Mir ebenfalls. Ich wußte es gar nicht, daß Sie eine so schöne Auswahl haben.«

»O, wollen Sie nicht gefälligst näher treten und meine Waren mal ansehen?«

»Danke Ihnen, ich muß jetzt wirklich machen, daß ich nach Hause komme. Außerdem bemerkten Sie ganz richtig, daß es sehr nach Regen aussieht.«

»Ich leihe Ihnen einen Regenmantel oder verkaufe Ihnen einen zu einem ausnahmsweise billigen Preise. Treten Sie doch näher, mein Herr, treten Sie näher. Bitte, beehren Sie mich.«

Der Parnaß trat ein.

Eine Viertelstunde verging damit, überall in dem Laden umher zu gehen und die ausgestellten Waren anzusehen. Es schien wirklich schwer, das Spinngewebe der Unterhaltung, mit dem Simon Samuels den Parnaß umspann, zu durchbrechen und die Sabbathangelegenheit zur Sprache zu bringen. Die Mannigfaltigkeit der Waren, die Samuels feilhielt, überraschte ihn übrigens wirklich, und als er von ihm aufgefordert wurde, einen indischen Schal zu bewundern, konnte er nicht umhin, zu fragen, was er denn damit zu machen gedenke.

»Nun,« erklärte Simon Samuels, »gelegentlich kommt ein Kapitän oder erster Steuermann nach England, zu seinem Heim und zu seinen Lieben zurück, ohne daran gedacht zu haben, draußen Geschenke für die Frauen einzukaufen. Dann erinnere ich sie daran, wie schwach das weibliche Geschlecht für solche Reisetrophäen ist.«

»Ausgezeichnet! Ich werde das Ihren Konkurrenten nicht verraten.«

»O diese Dummköpfe!« Simon schlug ein Schnippchen. »Wenn die mir auch meine Idee stehlen, sind sie doch nicht imstande, sie auszuführen. Es ist nicht so leicht, einem Kapitän beizukommen.«

»Nein, aber du bist wirklich ein geriebener Bursche!« dachte der Parnaß.

»Ich mache immer ziemlich gute Geschäfte mit Chutney Chutney ist ein indisches, von den Engländern sehr beliebtes, aus verschiedenen Pilzen und Gewürzen bestehendes Präparat, das man zum Fleische ißt.,« fuhr Simon fort. »Es ist das eines von den Dingen, die die Frauen sich ganz besonders gern aus Indien mitbringen lassen. Die Männer aber denken, wenn sie draußen sind, am allerwenigsten daran, so etwas drüben zu kaufen und sind dann ganz froh, wenn ich sie hier daran erinnere und ihnen aushelfen kann.«

»Ich brachte auch keinen mit,« sagte der Parnaß unwillkürlich lächelnd.

»So sind Sie in Indien gewesen?«

»Das bin ich,« antwortete der Parnaß, dem ein guter Einfall kam, »und ich habe meiner Frau noch etwas viel Anregenderes wie Chutney mitgebracht.«

»Wirklich?«

»Ja, die Geschichte der Beni-Israeliten, der schwarzen Juden, die, obwohl sie von all diesen Millionen von Hindus umgeben leben, dennoch treu an ihrem Sabbath halten.«

»Ach, die armen Neger! Dann sind Sie durch die halbe Welt gereist?«

»Ich habe die ganze Welt gesehen, denn ich bin auf den verschiedensten Routen hin und wieder gereist. Es hatte wirklich etwas Rührendes, überall verstreut Kolonien von Juden zu finden, die, wo sie auch immer sein mochten, ihren Sabbath heilig hielten.«

»Aber an verschiedenen Tagen natürlich,« sagte Simon Samuels.

»Wieso? Nein, durchaus nicht, alle an demselben Tage.«

»An demselben Tage? Wie könnte das möglich sein! Der Tag ändert sich; wenn wir hier Tag haben, dann ist es in Australien Nacht.«

Die Stirn des Präsidenten verdüsterte sich.

»Versuchen Sie doch nicht Weiß schwarz zu machen,« sagte er ärgerlich.

»Sie selbst sind es, der das tun möchte,« erwiderte Simon Samuels, »vielleicht wissen Sie nicht, daß ich aus Australien stamme, und daß ich, indem ich Samstags arbeite, der Sünde entgehe, meinen ursprünglichen australischen Sabbath zu entweihen, während Sie, der Sie durch die ganze Welt gereist sind und dabei unfehlbar einen Tag gewonnen oder verloren haben, je nachdem Sie ost- oder westwärts reisten, Ihren Originalsabbath dadurch entweihen, daß Sie Freitags arbeiten oder Sonntags rauchen –«

Dem Parnaß ging es wirr im Kopfe umher; er wußte nicht mehr, wo Osten oder Westen war. Er versuchte, seinem Kopfe durch eine Prise Klarheit zu verschaffen, aber dies gelang ihm nicht.

»O, so, so ist's gemeint – hatzi! – Auf diese Weise wären Sie der Heilige und ich der Sünder,« rief er spöttisch.

»Ich behaupte nicht, ein Heiliger zu sein,« sagte Samuels unerwarteterweise. »Ich denke einfach, daß die Sabbathfeier, die auf den Samstag fällt, für Palästina gemeint war und nicht für die Länder des Exils, wo der Sonntag der allgemeine Ruhetag ist. Wenn Sie in Indien gewesen sind, werden Sie wahrscheinlich bemerkt haben, daß die Mohammedaner den Freitag feiern. Ein armer Jude in den dortigen Basars sieht sich am Freitag seiner indischen, Samstags seiner jüdischen und Sonntags seiner christlichen Kunden beraubt!«

»Das vierte Gebot ist ein unverletzbares und heiliges,« sagte der Parnaß mit eigensinniger Würde.

»Aber das fünfte sagt: ›auf daß du lange lebest in dem Lande, das dir der Herr dein Gott gegeben hat!‹ Ich glaube, daß diese Belohnung allen zugesichert wird, die die ersten fünf Gebote erfüllen – nicht nur denen, die nur das fünfte halten; denn dann hätten zum Beispiel Waisen keine Aussicht auf ein langes Leben. Halte den Sabbath in dem Lande, das dir der Herr gegeben – aber nicht in England, denn es ist nicht dein Land.«

»Oho!« gab der Parnaß zurück. »Wenn Sie die Gesetze so auslegen wollen, dann brauchen Sie ja in England auch nicht Vater und Mutter zu ehren.«

»Nicht, wenn man keine Eltern mehr hat,« erklärte Simon Samuels. »Wenn Sie kein Land haben, so können Sie auch den Sabbath darin nicht halten, vielleicht denken Sie auch, man sollte das Jubiläumsfest heilig halten, ohne ein Vaterland zu haben.«

»Der Sabbath ist ewig,« wiederholte der Parnaß. »Das hat nichts mit den verschiedenen Ländern zu tun. Ehe wir in das gelobte Land kamen, haben wir den Sabbath in der Wüste gefeiert.«

»Ja, und Gott sandte am Freitag eine doppelte Portion Manna. Wollen Sie vielleicht sagen, daß er uns hier doppelten Profit bescheren würde?«

»Er läßt uns nicht verhungern, wir alle kamen gut durch, bis Sie hierher kamen und ein so schlechtes Beispiel gaben.«

»Es freut mich aber sehr, zu hören, daß mein schlechtes Beispiel wenigstens diese fromme Gemeinde nicht auf Abwege führt,« spottete Simon Samuels. »Übrigens verursachen Sie selbst durch Ihre Art der Sabbathentweihung viel mehr Schaden, wie ich es tue.«

»Durch meine Art?«

»Nun ja; mein lieber alter Vater – Friede sei mit ihm – würde sich sehr in seinen religiösen Anschauungen dadurch verletzt gefühlt haben, zu sehen, daß Sie selbst am Sabbath stets eine Bürde tragen.«

»Welche Bürde trage ich?«

»Ihre Tabaksdose.«

Sie wäre dem Parnaß beinahe aus der Hand gefallen. »Das kleine Ding –«

»Ich nenne sie ein plumpes, um nicht zu sagen total geschmackloses Ding. Vor dem Auge des Allmächtigen gibt es kein Groß und Klein. Ein Mann jedoch, der wie Sie eine bevorzugte Stellung in der Synagoge einnimmt, sollte sich besonders in acht nehmen und jede unnütze Bürde – –«

»Aber der Schnupftabak ist mir notwendig, ich kann ihn nicht entbehren.«

»Andre Gemeindevorsteher haben das doch getan. Es steht in den Klageliedern des Jeremias geschrieben: ›Und die wilden Esel standen auf den Höhen; sie schnaubten den Wind ein‹. –«

Der Parnaß wurde glühend rot. »Ich werde Ihnen lehren, Ihren Platz kennen zu lernen, Herr!«

Er wandte dem Spötter den Rücken und ging der Tür zu.

»Wenn Sie vielleicht eine kleinere Tabaksdose wünschen sollten,« sagte Simon Samuels, »ich habe eine künstlerische Auswahl.«

 

XIV.

Bei der nächsten Generalversammlung des Synagogenvorstandes stand auf der Tagesordnung der zu beratenden Angelegenheiten folgender im Namen des Parnaß vorgeschlagener Beschluß:

»Das Synagogen-Konsilium konstatiert mit großem Bedauern, daß eines der Gemeindemitglieder wöchentlich einmal das vierte Gebot übertritt. Es protestiert dagegen und fordert den Schuldigen auf, entweder seinen Platz in der Synagoge und alle damit verbundenen Rechte, zu denen der Anspruch auf ein Begräbnis gehört, ganz aufzugeben, oder das Geschäft am Sabbath zu schließen.«

Als Herr Barzinsky diesen Beschluß geprüft, meinte er, daß der Wortlaut nicht richtig sei. Es müsse vielmehr heißen, daß eines der Gemeindemitglieder wöchentlich zweimal das vierte Gebot übertritt – da Simon Samuels nicht nur am Samstag, sondern auch am Freitag abend offen hielte.

Der Parnaß wollte aber diese Korrektur nicht annehmen. Es gäbe in jeder Woche nur einen Sabbath, obwohl er in zwei Perioden geteilt sei. Aber aus Abend und Morgen wurde ein Tag.

Herr Peleg unterstützte Barzinskys Vorschlag. Man dürfe Herrn Simon Samuels auch nicht das kleinste Schlupfloch lassen, durch das er entwischen könne. Außerdem sagte er, daß es Ehrenpflicht des Konsils sei, ihm das Barometer abzukaufen, das dieser Schurke ihm aufgeschwatzt habe.

Nach einer sehr lebhaften Debatte, hauptsächlich über den Ankauf des Barometers, gab der Präsident nach, erregte aber wieder die Opposition einiger Mitglieder, da er anstatt zweimal wöchentlich zweimal in der Woche schrieb.

Ein gewisser Herr John Straumann, der außerordentlich stolz auf seinen Stil war und sogar seinen Namen Jakob in John umgewandelt hatte, weil er behauptete, daß Jakob sein zartes Ohr beleidige, protestierte gegen diesen Ausdruck.

»Zweimal wöchentlich, das klingt beinahe scherzhaft,« meinte er. »Es klingt, wie wenn ein Metzger seine Ware ausrufe.«

Herr Enoch, der koschere Metzger, stand erregt von seinem Stuhle auf und fragte, ob er hierher gekommen sei um sich beleidigen zu lassen?

»Setzen Sie sich doch,« sagte der Parnaß unwirsch »Es kommt gar nicht darauf an, wie sich der Beschluß anhört, da er ihn geschrieben erhält.«

»Aber warum,« sagte der Stilist sarkastisch, »sollte es nicht heißen, daß eines der Gemeindemitglieder wöchentlich zweimal das vierte Gebot durch Verkaufen und Kaufen übertritt?«

»Buhe. Zur Abstimmung,« sagte der Parnaß ärgerlich. »Diejenigen, die für den Beschluß sind, stehen auf, – – – also, er ist angenommen.«

»Mit Stimmenmehrheit,« knurrte der Stilist, sich fügend.

»Herr Sekretär,« der Präsident wandte sich an den armen Prediger, der als »Mädchen für alles« angestellt war. »Es ist nicht nötig, diesen kleinen Disput in dem Berichte über unsre Beratung zu erwähnen.«

»Aber,« fragte plötzlich Ephraim Mendel, seine langen, müden Glieder streckend, »was ist der Nutzen unsres Beschlusses, wenn wir nicht den Namen des schuldigen Mitgliedes nennen?«

»Es ist doch nur ein Sabbathbrecher in der Gemeinde,« antwortete der Parnaß.

»Heute, ja; morgen vielleicht sind möglicherweise schon zwei da –«

»Morgen ist das wohl kaum möglich,« sagte der Stilist, »da morgen zufällig Montag ist.«

Herr Barzinsky schlug mit der Faust auf den Tisch.

»Herr Präsident, sind wir hier in ernster geschäftlicher Angelegenheit oder nicht?«

» Sie mögen wegen geschäftlicher Dinge gekommen sein. Ich kam nur der Religion wegen,« erwiderte Straumann, der Stilist.

»Sie – Sie – rotznasiger Affe, Sie! Was wollen Sie damit sagen?«

»Ruhig, ruhig, meine Herren,« ermahnte der Parnaß.

»Ich will nicht ruhig sein,« sagte Salomon Barzinsky aufgeregt. »Ich bin nicht hierher gekommen, um mich beleidigen zu lassen.«

»Beleidigen,« spottete Straumann, »Sie sind es, der mich um Entschuldigung zu bitten hat, Sie ungebildeter Ichthyosaurus! Ich appelliere an den Präsidenten.«

»Ihr habt mich alle beide beleidigt,« war das Urteil dieses würdigen Herrn. »Jetzt hat Herr Mendel das Wort.«

»Aber,« protestierten die beiden Streitenden gleichzeitig.

»Ruhe, Ruhe!« kam es aus einem Dutzend Kehlen.

»Ich schlug vor, daß Simon Samuels' Name in dem Beschlusse deutlich genannt werde.«

»Das hätten Sie eher sagen sollen – jetzt ist diese Sache erledigt,« sagte der Präsident.

»Sie werden ganz gewiß nichts damit erreichen,« meinte Peleg. »Meine Herren, wenn Sie ihn kennten, wie ich ihn kenne, wenn Sie mein Barometer gekauft hätten, dann würden Sie ihn richtig beurteilen können. Sie werden sehen, daß das einzige, was uns übrig bleibt, ist, daß wir Cherem (die Exkommunikation) über ihn verhängen.«

»Wenn er nicht unter uns begraben werden kann, so ist dies eine Art von Cherem,« sagte der Gabbai.

»Gewiß,« fügte der Parnaß hinzu. »Es wird ihn ängstigen, denken zu müssen, daß, wenn er plötzlich sterben sollte …«

»Er ist ganz sicher, eines plötzlichen Todes zu sterben,« unterbrach ihn Barzinsky in salbungsvollem Tone.

»... er nicht unter Juden begraben wird,« vollendete der Parnaß seine Rede.

»Hört, hört!« Ein Murmeln der Befriedigung wurde vernehmlich. Alle fühlten es, daß Simon Samuels nun endlich wirklich in die Enge getrieben sei. Man entschied sich dafür, ihm den Beschluß der Gemeinde zu übersenden.

 

XV.

»Herr Simon Samuels bevollmächtigt mich, dem Sekretär der hebräischen Gemeinde in Sudminster seine Grüße zu überbringen und ihm mitzuteilen, daß er den Beschluß des Konsiliums richtig erhalten hat. In Beantwortung dieser Mitteilung soll ich versichern, daß Herr Samuels unendlich bedauert, daß seine Ansichten über die Sabbathfrage so ganz von denen seiner Glaubensbrüder in Sudminster abweichen. Er hat es jedoch in keiner Weise versucht, Ihnen seine Ansicht aufzudrängen, und bedauert es daher um so mehr, daß Sie die tyrannische Art des Landes der Verfolgungen, aus dem sie gekommen, selbst in ein freies Land wie England einzuführen suchen. Glücklicherweise ist ihr Vorgehen ungesetzlich. Durch den Parlamentsbeschluß unter Karl dem Ersten soll nur Sonntag als Feiertag betrachtet werden, und als englischer Untertan nimmt Herr Samuels den Schutz des englischen Gesetzes in Anspruch. Herr Samuels hat sein Bestes getan, um der Gemeinde entgegenzukommen, indem er regelmäßig zum Gottesdienste erschien, und zwar an dem Tage, der der Majorität der Gemeinde als am passendsten zur Sabbathfeier erschien. Was nun die versteckte Drohung der Verweigerung des Begräbnisrechtes betrifft, so wünscht Herr Samuels, daß ich Sie davon in Kenntnis setze, daß er gar nicht die Absicht hat, in Sudminster zu sterben, und nur hergekommen ist, um vorläufig seinen Lebensunterhalt hier zu finden. Auf alle Fälle hat er in seinem Testamente bestimmt, daß, wenn er stirbt, sein Körper nach Jerusalem überführt wird, wo er sich längst einen Begräbnisplatz gesichert hat.«

»Nächstes Jahr in Jerusalem!« schrie Barzinsky eifrig, als diese Botschaft bei der nächsten Sitzung verlesen wurde.

»Ruhig, ruhig,« sagte der Parnaß. »Ich glaube nicht an sein Grab in Jerusalem. Sie werden seine Leiche dort nicht zulassen.«

»Er wird sich schon zu Lebzeiten dort einzuschmuggeln wissen,« sagte Barzinsky düster, »sobald er sein Schäfchen im Trockenen hat.«

»Das wird auf keinen Fall mehr sehr lange dauern,« sagte Ephraim Mendel.

»Je eher, desto besser,« meinte ungeduldig der Gabbai. »Laßt ihn nach Jericho gehen.«

»Still, still, meine Herren,« mahnte der Parnaß.

»Sehen Sie nicht aus diesem unverschämten Briefe, wie recht ich hatte? Der Schuft droht, die Angelegenheit vor den christlichen Gerichtshof zu bringen, das ist klar! Was er da von Jerusalem vorbringt, ist nur Sand in die Augen.«

»Grabstaub,« brummte Straumann.

»Still! Er ist ein gefährlicher Kunde.«

»Ein Ladenbesitzer,« verbesserte Straumann.

Der Parnaß warf ihm einen wütenden Blick zu, sagte aber nichts, sondern nahm schweigend eine Prise.

»O, ich wundere mich nicht darüber, daß er uns auslacht,« sagte Straumann, »zweimal wöchentlich von einem Mitgliede – – Ha! ha! ha!«

»Herr Präsident,« kreischte Mendel, »wollen Sie diese lachende Hyäne hinauswerfen, oder soll ich es tun?«

Straumann nahm eine würdevolle kalte Haltung an. »Versuche das, wer Lust dazu hat.«

»Haltet Frieden, Kinder, sonst werfe ich euch alle beide hinaus,« sagte Barzinsky in versöhnendem Tone; »die Sache ist die, daß wir überlegen müssen, was nun geschehen soll, Herr Präsident.«

»Nichts – bis zum Ende des Jahres, wenn er dann seinen jährlichen Beitrag für den Synagogenplatz zahlen will, verweigern wir die Annahme des Geldes. Das kann nicht ungesetzlich sein.«

»Ich denke, es wäre das beste, die Angelegenheit friedlich zu erledigen,« sagte Straumann. »Wir sollten alle zu ihm gehen und ihm unsre freundschaftliche Gesinnung zu erkennen geben. Diese formelle Resolution hat ihn bockbeinig gemacht. Laßt uns als Brüder zu ihm gehen, als Brüder in Israel, Blut ist dicker als Wasser.«

»Chutney ist dicker als Blut,« warf der Parnaß in geheimnisvollem Tone ein. »Er würde einfach versuchen, der Deputation seinen sämtlichen Warenvorrat aufzuschwatzen.«

Ephraim Mendel und Salomon Barzinsky sprangen gleichzeitig auf. »Das ist eine famose Idee,« sagte Ephraim. »Ja, damit haben Sie das Richtige getroffen,« stimmte Salomon bei.

»Was meinen Sie,« sagte der Parnaß ganz verblüfft.

»Ich meine,« sagte Barzinsky, »wir sollten ihm seine sämtlichen Waren abkaufen, ich und die andern Inhaber der Marinegeschäfte, dann könnte er die Sache drangeben.«

»Wenn er zu vernünftigem Preise verkaufen wollte,« meinte Mendel.

»Selbst zu unvernünftigem Preise müßte man zu einem Opfer bereit sein, sobald es sich um die Heilighaltung des Sabbaths handelt. Außerdem würde sich ja der Verlust auf uns alle verteilen, könnte also unmöglich so sehr groß sein.«

»Dann aber kaufen Sie doch mein Barometer gleich mit an,« drängte Peleg.

»Wir würden eine Zusammenkunft der Ladeninhaber von Marinegeschäften berufen,« sagte Barzinsky, ohne Notiz von seinen Worten zu nehmen.

»Wir könnten ihnen sagen, daß wir uns für unsre Religion opfern müßten.«

»Das würde die Herren sehr rühren,« brummte Straumann.

»Daß wir, was es immer uns kosten solle, den Sabbathbrecher aus Sudminster drängen müßten –«

»Kauft, kauft,« höhnte Straumann. »Wenn ihr nur etwas früher daran gedacht hättet!«

»Ruhe, Ruhe,« sagte der Parnaß.

»Es würde richtig sein, zuerst ein Komitee zu bilden, das diese Angelegenheiten reguliert. Mir ist die ganze Sache leid. Ganz gewiß ist das Konsilium der Synagoge nicht dazu berechtigt, einige unsrer Mitglieder zu beauftragen, ein andres Mitglied der Gemeinde auszukaufen.«

»Hört! Hört!« Seine Worte fanden allgemeinen Beifall. Es bedurfte jedoch noch einer langen Diskussion und vieles Hin- und Herstreitens, ehe die Gemeinde sich entschloß, jede Verantwortlichkeit von sich abzuweisen und einem Hilfskomitee von dreien ihrer Mitglieder den Auftrag zu geben, Sudminster unter allen Umständen von dem Schandflecke zu befreien, der diese fromme und gläubige Gemeinde besudelte.

Salomon Barzinsky, Ephraim Mendel und Peleg, der Pfandleiher, wurden einstimmig erwählt, diese schwierige Angelegenheit zu ordnen.

 

XVI.

Sehr bald verbreitete sich dann in der jüdischen Gemeinde von Sudminster die fröhliche Nachricht, daß Simon Samuels sein ganzes Warenlager an die Marinehändler verkauft habe, obwohl diese Märtyrer des Glaubens dabei unerhörte Verluste erlitten hätten, da sie Chutney und andre unverkäufliche seltsame Dinge zu übernehmen gezwungen waren. Aber sie hofften einmütig, dadurch wieder auf ihre Kosten zu kommen, daß sie nun der Konkurrenz ihres Rivalen enthoben waren. Vor dem mit Spiegelglasfenstern versehenen Laden hielten Wagen, die den ganzen Warenvorrat Simon Samuels' so schnell wie nur möglich entführten, während der Inhaber des Geschäftes, der so viel Ärgernis gegeben, ruhig seinen Bart streichend, unter den Trümmern seines Geschäftes stand.

Dann wurde der Laden geschlossen. Die Jalousien, die von Rechts wegen jeden Samstag die Schaufenster verhüllt haben sollten, rollten am Dienstag herab.

Man erfuhr, daß Simon Samuels an demselben Tage nach London gefahren sei. Endlich also war der Dämon, der die frommen Gemüter so beunruhigt hatte, ausgetrieben. Freude erfüllte aller Herzen! Es war, als ob mitten in der Woche der Sabbathfriede über die Gemeinde gekommen wäre.

»Wenn sie nur meinen Rat etwas früher angenommen hätten,« sagte Salomon Barzinsky zu seiner Frau, während er eine tüchtige Portion Chutney zu seinem Fleische nahm.

Am Mittwoch schon zirkulierten seltsame Gerüchte, und alle, die sich von der Wahrheit derselben überzeugen wollten und zu Simon Samuels' Haus eilten, standen wie versteinert vor den großen, an den geschlossenen Läden angeschlagenen großgedruckten Bekanntmachungen:

Geschlossen wegen vollständiger
Neu-Einrichtung.

Da er den altmodischen Rest seines Warenbestandes vollständig an die hiesigen Marinehändler ausverkauft hat, ergreift

Simon Samuels

diese Gelegenheit, seinen geehrten Kunden hierdurch mitzuteilen, daß er sich jetzt die besten und modernsten Waren Londons und des Kontinents zugelegt hat und seine Gönner zu der Besichtigung einladet.

Neuigkeiten in jedem Departement.

Das Geschäft wird am nächsten Samstag
wieder eröffnet.

 

XVII.

Das Exekutiv-Unterkomitee wurde sofort zu einer Beratung berufen.

»Er hat uns beschwindelt,« sagte Salomon Barzinsky. »Das Papier, was er unterzeichnet hat, verpflichtet ihn nur dazu, am Dienstag seinen Laden zu schließen. Er wird einfach behaupten, daß er angenommen habe, diese Verpflichtung gelte nur für ein oder zwei Tage.«

»Er willigte auch ein, die Stadt zu verlassen,« klagte Peleg, »und er hat es sofort getan, aber nur in der Absicht, neue Waren in London einzukaufen.«

»Nun, wir können ihn jedenfalls verklagen,« sagte Mendel. »Wir bezahlen ihm eine Entschädigung für die Geschäftsstörung.«

»Kann er aber nicht mit Recht dagegen anführen, daß er wirklich gestört wurde? Da sein ganzer Warenbestand ausgeführt worden – –«

»Er kann nichts beanspruchen,« sagte Mendel. »Er hat uns unter Vorspiegelung falscher Tatsachen unser Geld abgelockt.«

»Das Schlimmste ist, daß wir der Zielpunkt des Spottes und des Lachens der Heiden geworden sind,« sagte Peleg. »Das Gescheiteste ist immer noch, mitzulachen.«

»Sie haben gut lachen!« meinte Salomon ärgerlich. » Wir aber sind es, die den Schaden zu tragen haben. Sie haben nichts von all seinem Kram übernommen.«

»So, wirklich nicht? Wie war es denn mit dem Barometer?«

»Hol der Teufel Ihr altes Barometer! Ich will ihn verklagen. Ich habe mich fest dazu entschlossen.«

»Nun, das ist ja Ihre Sache. Sie werden die Kosten dafür zu tragen haben,« sagte Peleg, »das ist meine Sache nicht.«

»Ja, das ist es doch,« schrie Wendel ihn an. »Als Mitglied des Unterkomitees haben Sie mit mir gemeinsame Sache zu machen.«

»Eine schöne Idee das – ich sollte mich in Ihren Prozeß verwickeln lassen?«

»Still doch! Laßt die ewigen Zänkereien!« sagte Salomon Barzinsky. »Der Weg des Gesetzes ist langsam und verbürgt uns keinen sicheren Ausgang. Es ist jetzt an der Zeit, ein verzweifeltes Mittel zu ergreifen. Wir müssen das Unheil mit unsern eigenen Händen vertilgen.«

»Hört! Hört!« riefen die andern Mitglieder des Komitees.

 

XVIII.

An dem auf diesen Tag folgenden Sabbath war Simon Samuels nicht der Einzige in der Synagoge, der ganz von seiner Andacht eingenommen war. Salomon Barzinsky, Ephraim Mendel und Peleg, der Pfandleiher, schienen ebenfalls tief darein versunken zu sein, während die ganze übrige Gemeinde ziemlich zerstreut und erregt schien und sich seltsame Neuigkeiten zuraunte. Man sagte, daß auch diese drei Herren ihre Läden nicht geschlossen hätten.

Beim Ausgange aus der Synagoge stellte der Parnaß Salomon Barzynsky und frug ihn, ob etwas Wahres an diesem Gerede sei.

»Es ist vollkommen wahr,« antwortete Salomon sehr ruhig. »Das Exekutiv-Unterkomitee hat den Entschluß gefaßt –«

»Den Sabbath zu brechen,« unterbrach ihn der Parnaß.

»Unser Geld hatten wir dieser leidigen Angelegenheit schon geopfert, es blieb uns also nichts weiter übrig, als ihr auch unsre innerste Überzeugung zu opfern.«

»Und wozu?«

»Nun, natürlich um ihm Konkurrenz zu machen. Fünf Sechstel des Gewinnes, den er am Sabbath einstreicht, ist der Erfolg davon, daß die andern Marinehändler an diesem Tage ihre Geschäfte schließen. Wenn er nun einsieht, daß es ihm gar nichts hilft, daß er den Sabbath entheiligt – –«

»Unsinn! Sie wurden dazu beauftragt, den Stein des Anstoßes unsrer Gemeinde zu beseitigen, und statt dessen – –«

»Impfen wir uns mit demselben sündhaften Stoffe, um sicher zu sein, daß wir nur leicht von der in der Luft hängenden Krankheit befallen werden.«

»Ihr seid alle miteinander verrückt,« rief der Parnaß wütend.

»Es ist aber der einzige Weg,« beteuerte Peleg. »Wenn er sieht, daß auch seine Konkurrenten das Geschäft nicht schließen –«

»Was? So reden Sie? Sie, der Sie nicht einmal ein Marinehändler sind?« schnaubte der Präsident ihn an. »Weshalb haben Sie Ihr Geschäft nicht geschlossen?«

»Wie konnte ich allein mich ausschließen, nachdem meine Kollegen des Komitees den Entschluß gefaßt?« antwortete Peleg entrüstet.

»Ihr seid allzumal Sünder in Israel,« rief zornig der Parnaß, der es in seiner Aufregung sogar vergaß, eine Prise zu nehmen. »Dies ist der Todesstoß für unsre Gemeinde.«

»Die Gemeinde gab dem Komitee durch das Konsilium die Vollmacht, diese schwierige Angelegenheit nach bestem Ermessen zu ordnen,« antwortete Barzinsky würdevoll.

»Aber nun werden die andern Marinehändler gerade so denken wie die Komiteemitglieder und die Läden nicht mehr schließen.«

»Nun, das denke ich doch gewiß nicht! Zwei von uns sind ja doch ganz genug, um ihm Konkurrenz zu machen.«

»Wenn ihr alle es tätet, würde das doch viel wirkungsvoller sein! O, das bedeutet den Untergang unsrer Gemeinde, den Tod unsrer Religion!«

»Nein, nein, nein,« sagte Salomon besänftigend. »Sie irren sich. Wir werden uns wohl hüten, Geld anzurühren. Wir gedenken, unsern Kunden volles Vertrauen zu schenken und sogar unser Konto festzustellen, ohne Feder und Tinte anzurühren. Wir haben uns zu diesem Zwecke ein höchst geistreiches System erdacht, das freilich viel mühsamer ist als schreiben; aber wir haben uns fest vorgenommen, keine Mühe zu sparen, um den Sabbath vor unnötiger Entweihung zu schützen.«

»Sobald eure Kunden euch einmal nicht bezahlen, wird das ganze System zusammenstürzen. Nein, nein! Ich werde dem Oberrabbi in London über diese Sache Bericht erstatten.«

»Wir werden ihm unsre Gründe darlegen.«

»Ihre Gründe bedürfen keiner Erklärung; dieser Skandal muß ein Ende nehmen.«

»Wer sind Sie, daß Sie uns Befehle erteilen wollen«, kreischte Salomon Barzinsky. »Vergessen Sie nicht, mit wem Sie sprechen. Ich bin kein Schnorrer. Mein Konto auf der Bank ist so gut, wie das Ihrige. Nur noch ein Wort und ich gründe eine Oppositionsschul.«

»Eine Sonntagsschul?« frug der Parnaß spöttisch.

»Warum nicht? Das würde immer noch besser sein, als wenn, wie das jetzt geschieht, man Sonntags langweilige Kartenspiele treibt. Wir sind jetzt nicht mehr in Palästina.«

»Oho! Sie haben sich von Simon Samuels beeinflussen lassen, nicht wahr?«

»Ich gebrauche Simon Samuels' Weisheit nicht, ich bin selbst ein Engländer.«

 

XIX.

Die verzweifelten Maßnahmen des Komitees waren erfolgreich. Die andern Marinehändler beeilten sich so schnell wie möglich, sich ihrem Schlachtplane anzuschließen, und Simon Samuels reiste wirklich bald darauf endgültig ab, um sich in einer frommeren Hafenstadt niederzulassen.

Aber ach! Das Mittel erwies sich beinahe schlimmer als das Übel, gegen das man es angewandt. Obwohl derjenige, der zuerst das Ärgernis erregte, längst die Stadt verlassen hatte, so waren es jetzt die sämtlichen Marinehändler, die skrupellos dem einmal gegebenen bösen Beispiele folgten. Die Epidemie verbreitete sich sehr schnell, und bald waren alle Ladeninhaber der Gemeinde davon ergriffen. Es ist wahr, daß einige immer noch ein gewisses Dekorum zu wahren suchten, indem sie ein Fenster verhingen oder die Kunden zur Hintertür einließen, aber sehr viele scheuten sich nicht, die ganzen Ladenfenster unverhüllt und die Tür weit offen zu halten.

Der helle Lichtpunkt in der Geschichte des Sabbaths der Gemeinde, deren geschätzter Parnaß jetzt Salomon Barzinsky heißt, ist, daß, während in so vielen andern orthodoxen Synagogen die armen Geistlichen vor leeren Bänken predigen, die Gemeinde von Sudminster an dem glücklichen Kompromiß festhält, das Simon Samuels entdeckt hat: sie lauscht jeden Samstag morgens andächtig den unverrückbaren Grundsätzen des von ihnen erwählten Geistlichen, während man in ihren Kaufläden emsig damit beschäftigt ist, die Christen mit allem zu versorgen, dessen sie bedürfen.


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