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Rover war ein großer, schöner, schwarz und weißer Hund, aber der ärgste Feigling, der mir überhaupt vorgekommen ist. Der kleinste Hund meiner Meute konnte ihn zu eiliger Flucht treiben, und aufs Raufen und Kämpfen hat er sich nie eingelassen. Der bloße Anblick einer Peitsche machte, daß er in krampfhaftes Geheul ausbrach, und wenn man ihn ausschalt, so schluchzte er sehr komisch auf seine hündische Art.
Er hatte einen kurzen, weißen, sehr buschigen Schwanz. Wenn er lustig und munter war, trug er ihn sehr hoch, und da der Schwanz sich wie ein Fächer ausbreitete, sah es sehr komisch aus.
Als Rover noch ganz jung war, nahm ich ihn unglücklicherweise an einem Wintermorgen mit, als ich ging, um nach einigen Kaninchenfallen zu sehen, die man im Wald, eine halbe Stunde von unserem Haus, gestellt hatte. Der Spitzbub fand diese Fallen so anziehend, daß er von da an oft heimlich fortschlich und sich einige von den gefangenen Tieren zu Gemüt führte. Ein Kaninchenbraten zum Frühstück schmeckte ihm so, daß ich die größte Mühe hatte, ihm seine Dieberei abzugewöhnen.
Wenn er geschlagen wurde, heulte er ganz erbärmlich; aber sein Gedächtnis erwies sich in diesem Punkt so unzureichend, daß er immer schnell in den alten Fehler verfiel. Endlich kam ich auf ein eigentümliches Auskunftsmittel. Als ich ihn wieder einmal beim Stehlen eines Kaninchens ertappte, band ich ihm trotz seines kläglichen Geheuls das tote Tier fest um den Hals, wo er es vollends den Tag über tragen mußte. Er bettelte kläglich, daß ich es ihm wegnehme, und als ich unerbittlich war, wandte er sich an meinen kleinen Jungen und andere Familienglieder, um die demütigende Last los zu werden. Aber man ließ ihn, wie ausgemacht war, vergeblich bitten und schalt ihn, weil er so unartig war und immer stahl. Abends nahm ich ihm das Kaninchen ab, und schlug es ihm noch um den Kopf. Jetzt war er von seiner Neigung zum Stehlen geheilt und ging von da an allen Kaninchenfallen aus dem Weg.
Trotz seiner Feigheit und Empfindlichkeit war Rover ein guter Schlittenhund und zeigte sehr viel Ausdauer. In einem Zug mit drei andern Hunden tat er seine Arbeit ehrlich, nicht nur zum Schein, wie es manchmal bei andern Hunden vorkam.
Auf meinen langen, oft mehrere hundert Kilometer weiten Reisen mit vier Gespannen und einigen Indianern war das erste, nachdem wir einen Lagerplatz für die Nacht gesucht hatten, daß wir die Hunde ausspannten. Das Wegräumen des Schnees und das Herrichten des Lagers nahm oft über eine Stunde in Anspruch; dann erst hatten wir Zeit, die Fische für die Hunde aufzutauen. Diese hatten sich bald an den Aufschub gewöhnt und beschäftigten sich auf verschiedene Weise, bis der Fischgeruch sie anlockte und sie sich hungrig um das Feuer drängten.
Einige von den jüngeren Tieren waren jagdlustig und stellten den Kaninchen nach, von denen es in manchen Gegenden wimmelte. Rover hatte an der Kaninchenjagd genug bekommen und beteiligte sich nie daran. Er machte uns aber sehr viel Spaß mit seinen kunstvollen Vorbereitungen für sein Nachtquartier. Bald nachdem er ausgespannt war, umwandelte er den ganzen Lagerplatz und untersuchte genau alle Vertiefungen und alle dichten Balsamgebüsche, die sich in der Nähe befanden. Wenn man im Lager keinen oder nur wenig Wind spürte, stieg er auf einen Felsen oder einen umgestürzten Baumstamm und schnüffelte herum, bis er ganz sicher herausgefunden hatte, woher der Wind wehte. Niemals täuschte er sich darin. Manchmal war die Luft so ruhig, daß der Rauch und die Funken von unserem Lagerfeuer senkrecht emporstiegen. Es schien wirklich, als rege sich kein Lüftchen. Wenn sich aber, was oft vorkam, nach einigen Stunden ein Wind erhob, so zeigte sich's, daß Rover für seine Lagerstätte ganz geschickt eine geschützte Stelle gewählt hatte. Wie er es zustande brachte, daß ihn der Wind niemals in ungedeckter Stellung traf, das gehört zu den Geheimnissen des tierischen Instinkts.
Wenn nach viel Überlegung ein gemütliches, geschätztes Fleckchen ausgewählt war, so begann Rover es so gut er konnte wohnlich zu machen. Zuerst scharrte er den tiefen Schnee weg, bis er auf den Erdboden kam. Wenn er auf Baumwurzeln, scharfe Steine oder sonstige Unebenheiten stieß, so bemühte er sich zuerst, sie mit den Zähnen zu entfernen. Wenn ihm dies nicht gelang, suchte er eine andere Stelle, bis er den richtigen Platz hatte. Dann rollte er sich mit einem befriedigten Grunzen in seinem Nest zusammen und ruhte, bis der willkommene Ruf zum Essen die Hundegesellschaft zu den verschiedenen Treibern rief, die jedem seine wohlverdienten zwei Weißfische gaben. Das war die einzige Mahlzeit der Hunde während eines Tages, und sie war ihnen natürlich sehr wichtig.
So groß und scheinbar stark Rover auch war, mußte doch sein Treiber bei der Fütterung scharf aufpassen, denn der gute Kerl hätte sich sonst leicht einen seiner Fische von einem schlauen Spitzbuben unter den Hunden der andern Gespanne stehlen lassen. Er fraß sehr langsam, denn er wollte sein Essen recht genießen. Jeden Bissen, den er verschlang, begleitete er mit einem höchst komischen Grunzen oder Schnauben, das seine Befriedigung ausdrückte. Er fraß so gemächlich, daß er immer zuletzt fertig wurde. Das war seinem Treiber, der mit dem Essen warten mußte, bis er alle seine Hunde versorgt hatte, oft recht ärgerlich. Wenn Rover endlich fertig war, kehrte er ebenfalls ganz gemächlich zu seinem sorgfältig bereiteten Schneenest zurück, das er dann meistens schon besetzt fand.
Nun fing der Spaß an. Der Eindringling war meistens einer von den lebhaften Hunden, der zuerst der Jagd obgelegen war, dann schnell seine Fische verschlungen hatte und sich nun in dem behaglichen Nestchen – wie er meinte für die Nacht – niederließ. Rover war darüber anderer Ansicht, aber seine Versuche, den Eindringling herauszukriegen, waren ebenso komisch als fruchtlos. Da das Nest nahezu einen Meter tief war und der Hund drinnen die Zähne bleckte und drohend knurrte, hatte der arme Rover nur so viel Mut, daß er mit einem »Wau, wau, wau« hinunterguckte. Das war aber dem Kerl drinnen ganz einerlei, denn er wußte wohl, daß Rover nie den Mut zu einem Angriff haben würde. So knurrte er nur wieder, als wollte er sagen: »Ich bin drinnen, hol mich heraus, wenn du kannst!« Eine Weile verhandelte Rover mittelst all der bittenden Worte, die ihm bei seinem beschränkten Wortschatz zu Gebote standen; wer weiß, vielleicht brauchte er auch ein paar stärkere Ausdrücke. Als alles nichts half, wandte er sich an mich um Hilfe.
Es machte allemal den Indianern vielen Spaß, wenn sie ihn kommen sahen. Ich ging absichtlich zuerst eine Weile hin und her, aber er folgte mir beharrlich auf den Fersen, bis ich endlich stehen blieb. Mit einem erfreuten »Wauwau« packte er mich an den Fransen meines hirschledernen Rocks und zog mich sachte aber entschieden zu seinem Nest. Er ließ mich nicht los, bis ich dicht daneben stand. Dann lenkte er in seiner possierlichen, kläglichen Sprache meine Aufmerksamkeit auf die traurigen Umstände und erflehte meinen Beistand. Ein paar tüchtige Hiebe machten, daß der Eindringling heraussprang und in der Dunkelheit verschwand, während Rover mit einem dankbaren Wauwau in sein Nest sprang und sich da, die Nase mit seinem buschigen Schwanz bedeckend, zusammenkauerte, um endlich die wohlverdiente Ruhe zu genießen.
Als Rover fünf oder sechs Jahre alt war, fing er an, den Arzt für die andern Hunde zu machen. Es war merkwürdig und oft drollig, ihn in der Ausübung seiner Praxis zu beobachten. Vier Jahre treuen Dienstes hatten ihn ein bißchen steif gemacht, deshalb nahm ich ihn nur noch auf kürzere Reisen mit oder ließ ihn helfen, wenn man aus dem entfernten Wald Brennholz einfahren mußte. So hatte er jetzt ein bequemes Leben und viel freie Zeit.
Wenn die Hunde nach einer langen, anstrengenden Reise heimkamen, nahm Rover die, die Wunden hatten, in besondere Pflege. Manche waren recht elend, hatten Wunden am Hals und an anderen Stellen, man wußte oft nicht woher. Manche hatten infolge der Kälte offene Stellen und, obgleich wir den Hunden für die Reise warme Schuhe anzogen, kamen sie oft mit blutigen Füßen heim.
Für diese wackeren, leidenden Hunde waren Rovers Dienste unschätzbar. Die Zunge eines Hundes ist das Werkzeug, das er gebraucht, um seine Wunden zu reinigen und zu heilen. Wenn ein Hund eine Wunde hat, die er mit seiner Zunge nicht erreichen kann, so kommt gewöhnlich bald der Brand und der Hund stirbt. Gerade für solche Fälle war Rover eine große Hilfe. Er hat manchem Hunde das Leben gerettet.
Er stand freundlich mit allen Hunden, und sobald einer ausgespannt wurde, untersuchte er ihn, um die Wunden und Schürfungen zu finden. Dann fing er an, ihn sehr sanft zu lecken, und er ließ sich auch nicht abtreiben, wenn der Patient am Anfang recht störrisch und ungezogen war. Ich sah manchmal, daß er sich vor dem Hund hinlegte und geduldig wartete, bis der Zorn verraucht war, um dann mit dem Reinigen der Wunde fortzufahren. Selbst wenn ihn der andere anknurrte oder gar schüttelte, war er nicht entmutigt. Es war, als wollte er sagen: »Diese Wunde muß behandelt werden und ich besorge es.« Und er besorgte die Sache, und zwar gut und gründlich.
Die Hunde merkten mit der Zeit, daß das Rovers Beruf war und erwarteten, daß er sich ihrer annahm. Nur die, die zum erstenmal Wunden hatten, knurrten ihn noch an, aber bald stellten oder legten sie sich oder wälzten sich herum, wie Rover es verlangte.
Manche gewöhnten sich so an diese Pflege, daß sie dem guten Kerl ganz ungerechtfertigte Zumutungen machten. Sie legten sich, anstatt ihre wunden Füße selbst zu lecken, vor dem vielgetreuen, alten Rover hin und streckten die Pfoten aus, damit er sie untersuche und behandele.
Mein treuer, alter Rover! Er schien die Verantwortlichkeit, die auf ihm lag, zu fühlen. Wenn ich nach einer Reise von einem Monat mit zwölf oder sechzehn Hunden heimkam, so waren darunter wenigstens vier, die während ungefähr zehn Tagen seine Pflege in Anspruch nahmen.
So wurde der ärgste Feigling, den ich unter den Hunden kennen gelernt hatte, der »Muskete Atim«, wie die Indianer sagen, d. h. der Hundedoktor.
Eine Seuche, die die Geißel der nordischen Hunde ist, kam auch an Rover. Mit Trauer begruben wir ihn neben vielen seiner Kameraden.