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10. Voyageur mit gebrochenem Herzen

Voyageur war von seinem früheren Herrn, von dem ich ihn kaufte, gründlich abgerichtet worden. Sein Charakter war eigentümlich, gar nicht hundeartig. Er verließ seinen ersten Herrn ohne Bedauern, war aber auch gegen mich immer gleichgültig. Wenn er nicht angespannt war, konnte man nicht klug aus ihm werden, aber sobald er im Geschirr steckte, zitterte jede Muskel an ihm vor Aufregung, und mit gespitzten Ohren wartete er auf den Befehl zum Vorwärtsgehen. Im Geschirr war er wirklich »jeder Zoll ein Hund«.

Erst als ich ihn verloren hatte, fing ich an ihn zu verstehen und mir klar zu machen, daß der hohe Rang eines Leithundes für ihn alles war. Er konnte nur entweder der Erste oder gar nicht sein, und als einmal sein Vorrang in Frage gestellt wurde, verschmähte sein stolzer Sinn die Stelle als Zweiter, und er legte sich hin und starb.

Es war etwas so Rührendes und fast menschlich Tragisches in Voyageurs Ende, daß es mich traurig macht, es zu erzählen, besonders, da ich die unschuldige Ursache seines Todes war.

Das Leben eines Hundes ist kurz, und es kam die Zeit, wo ich mir sagen mußte, daß Voyageurs Kraft nicht mehr viele Jahre ausreichen werde. Ich mußte darum für gut abgerichtete Leithunde sorgen, die seine Nachfolger werden konnten. Es war mir gelungen, der glückliche Besitzer von einigen prächtigen jungen Bernhardiner Hunden zu werden, von denen ein paar fast ein Jahr alt waren. Diese wollte ich nun abrichten und sehen, ob sich einer zum Leithund eignete. Sie zeigten sich gelehrig und gescheit, wenn sie mit älteren Hunden zusammengespannt waren, ich hatte sie aber bis jetzt noch nicht als Leithunde versucht.

Die Weißfische, die wir für unseren eigenen Tisch und für unsere Hunde brauchten, kamen von einer 30 Kilometer entfernten Fischerei. Dort wurden sie im Oktober gefangen, unmittelbar ehe das Wasser zufror. Manchmal aber, wenn der Winter besonders früh kam, mußten die Netze unter dem Eis ausgespannt werden und die Indianer hatten eine recht anstrengende Zeit, bis sie die nötige Menge von Fischen gefangen hatten. Die gefangenen Fische wurden entweder auf Gestellen aufgehängt, die so hoch waren, daß herumschleichende Wölfe oder diebische Eskimohunde nicht hinaufreichen konnten, oder sie wurden sicher in Eis verpackt. Ich ließ mir im Oktober immer mehrere tausend Fische fangen. Die strenge Kälte besorgte, was man sonst durchs Räuchern erreicht: die Fische gefroren steinhart und hielten sich so mehrere Monate frisch.

Das Abholen der Fische vom Fischplatz war eine ganz anregende und nette Arbeit. Da auf dem Rückweg die Schlitten schwer beladen waren, mußten wir natürlich nach Indianerart nebenhertraben.

Ich bereitete mich für eine weite, mehrwöchige Reise zu einigen entfernt wohnenden Indianern vor. Da ich zu dieser Reise meine besten Gespanne mitnehmen mußte, beschloß ich, das Abholen der Fische vorher abzumachen.

Mehrere Tage arbeiteten wir so mit vier oder fünf Zügen, und da das Wetter ganz hell war und kein Schnee fiel, hatten wir bald einen guten Pfad gemacht.

Einige von den jüngeren Hunden begleiteten uns bei diesen Fahrten, und sie unterhielten uns durch ihre lustigen Sprünge während der Arbeit, die mit der Zeit etwas einförmig wurde. Ich nahm manchmal noch ein weiteres Geschirr mit, um einen oder den andern von den jungen Hunden anspannen und so gelegentlich etwas abrichten zu können.

Einmal, als wir mit einer schweren Ladung heimfuhren, spannte ich einen schönen, jungen, schon etwas abgerichteten Bernhardiner an den Schlitten, und zwar vor Voyageur, so daß der junge der Leithund war. Ehe wir abfahren konnten, mußte ich die Ladung, die lose geworden war, nocheinmal festbinden. Dann schrie ich: Marsch!

Zu meinem Erstaunen sprang Voyageur vor und war mit Hilfe der starken Hunde hinter ihm bald im Lauf, während der junge lustig nebenhersprang. Ich hielt schnell an, um die Sache zu untersuchen: Während ich mit der Ladung beschäftigt war, hatte Voyageur seine Zähne kräftig gebraucht und die Riemen des jungen Hundes, den vorn anzuspannen ich die Kühnheit gehabt hatte, durchgebissen.

Ich war belustigt und ärgerlich. Ärgerlich über das verdorbene neue Geschirr, belustigt über den kecken Mut des vieljährigen unvergleichlichen Leithundes, der es so nachdrücklich rächte, daß man einen andern Hund vor ihn gespannt hatte.

»Nun, Alter,« sagte ich, »diesmal will ich dir's verzeihen, aber wenn's wieder vorkommt, so gibt's was.«

Dann fing ich ohne Schwierigkeit den jungen Hund, den ich, da die von Voyageur durchgebissenen Riemen immer noch lang genug waren, wieder als Leithund vorspannte. Nun rief ich Marsch, und es begann eine wilde Fahrt.

Der junge Hund machte es sehr gut, aber der arme Voyageur war wild und wütend. Er zögerte nicht, zu zeigen, daß er sich eine solche Beleidigung nicht gefallen lasse. Zuerst wollte er den jungen Hund für seine Frechheit beißen, aber dieser bekam Angst und sorgte, daß seine Riemen gespannt blieben und er dem grimmigen Alten immer voraus war. Nun versuchte Voyageur wieder die Riemen durchzubeißen. Aber ein paar Peitschenhiebe zeigten ihm, daß, wenn ich seine erste Untat auch verziehen hatte, ich mein wertvolles Geschirr nicht wieder zerbeißen lassen wollte. Da ihm dies mißlungen war, machte er verzweifelte Anstrengungen, dem jungen Hund, der ihn so plötzlich verdrängt hatte, voranzukommen. Dazu waren aber die andern alten Hunde nicht zu haben. Sie waren ganz bereit, ihre Last mit der gewöhnlichen Geschwindigkeit zu ziehen, aber sie hatten keine Lust, mit einem Schlitten, der mit zehn Zentnern Fischen beladen war, sich so anzustrengen, nur um dem alten Voyageur zulieb einen jungen Hund umzurennen.

Als Voyageur sah, daß alle seine Versuche vergeblich waren, war er plötzlich ganz geduckt. Sein stolzer, feuriger, ehrgeiziger Mut war gebrochen. Er ließ den Kopf mit dem immer aufmerksamen Auge, den er sonst so hoch trug, hängen und nahm den Schwanz zwischen die Beine. Er war ein Bild der Verzweiflung und vollständiger Mutlosigkeit und trottete nur mechanisch weiter wie ein verscheuchtes Huhn.

Als ich dies bemerkte, spannte ich schnell den jungen Hund los, so daß Voyageur wieder seinen Ehrenplatz als Führer hatte. Da er immer noch trostlos schien, sprach ich ihm freundlich zu: »Armer, alter Hund, du erlaubst also nicht, daß ein junger deine Stelle einnimmt? Tut mir leid, daß dir's so weh tut. Dann wollen wir's nicht wieder versuchen.«

Aber es war zu spät. Das Unheil war geschehen und Voyageurs Herz war gebrochen. Er hat mir's nie verziehen und nie wieder mit der alten Freudigkeit und Kraft seinen Kopf erhoben. An freundlichen Worten war ihm nie gelegen und jetzt schienen sie ihn zu beleidigen. Nie wieder hat er mich freundlich angesehen oder mit dem Schwanz gewedelt.

An jenem Tag schlich er trübselig heim, ohne ordentlich zu ziehen. Ich hoffte, ein gutes Abendessen und die Nachtruhe würden ihn seinen Ärger vergessen lassen, aber es war nicht so. Vergebens gab ich ihm mein schönstes, mit Seidenbändern und Glöckchen verziertes Geschirr, was die Hunde so gern haben. Meine Frau, die das edle Tier liebte und der allein es manchmal gelungen war, ein einigermaßen freundliches Schwanzwedeln von ihm zu erlangen, versuchte ihn aus seinem Trübsinn aufzumuntern, aber es war alles vergeblich. Sein Herz war gebrochen und er schrie und stöhnte wie ein unglückliches Kind. Bald nachher ging er auf den gefrorenen See vor unserem Haus und fing an, jammervoll zu heulen. Dann legte er sich wie zum Schlaf aufs Eis. Meine Frau sah es vom Fenster aus und schickte einen Indianer, daß er ihn hereinhole. Als der Mann hinkam, fand er den Hund tot. Mein treuer, alter Hund!

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