Wilhelm Wundt
Erlebtes und Erkanntes
Wilhelm Wundt

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36.

Berufung nach Leipzig. Als Fremdling in Leipzig. Geschichte meiner Berufung. Kuno Fischers vergebliche Berufung nach Berlin und Leipzig. Friedrich Zöllners philosophischer Einfluß in Leipzig. Erste Reise nach Leipzig. Leipzig im Jahre 1875. Die Leipziger Universitätsbauten vor 1875. Die Universität als Hausbesitzerin. Professorenwohnungen in Leipzig.

Im Mai 1875, genau ein Jahr, nachdem die Berufung nach Zürich, die ich längst nicht mehr erwartet, an mich ergangen war, erhielt ich ein Schreiben aus Leipzig, in welchem mein späterer dortiger Kollege Friedrich Zarncke mich im Auftrag des sächsischen Kultusministers von Gerber befragte, ob ich einer Berufung an die Leipziger Universität unter den bescheidenen Bedingungen zu folgen bereit sei, die man mir dort nur zu bieten vermöge, weil Fakultät und Regierung womöglich zwei Berufungen auf einmal für das Fach der Philosophie beabsichtigten, die eine für eine mehr nach der Philologie, die andere für eine nach der Naturwissenschaft gerichtete Professur. Für die erstere Stellung sei Max Heinze in Königsberg in Aussicht genommen, für die zweite sei an mich gedacht worden. Als ich nach kurzem Bedenken meine Bereitwilligkeit, einer solchen Berufung zu folgen, erklärt hatte, erhielt ich noch im selben Monat die offizielle Anfrage des Ministers selbst und die ihr alsbald folgende Ernennung zum l. Oktober des gleichen Jahres.

Obgleich die mir angebotene Stellung zwar die eines ordentlichen Professors der Philosophie, aber dabei doch keineswegs eine glänzende war, so würde mich kaum eine andere Berufung nach der Heimat mehr überrascht haben als die nach Leipzig. Leipzig und seine Universität waren mir völlig fremd. Berlin war eigentlich die einzige Stadt jenseits der Mainlinie, die ich bisher gesehen hatte. Als ich im Jahr 1856 für mein letztes Studiensemester Berlin aufsuchte, war es mir vor allem darum zu tun, mein Ziel zu erreichen; der einzige Schnellzug, der in jenen Jahren den Süden mit dem Norden Deutschlands verband, legte aber zudem einen großen Teil seines Weges in der Nacht zurück, so daß ich, wie ich mich noch lebhaft erinnere, etwa in der Gegend von Jüterbog die ersten Windmühlen erblickte, die ich in meinem Leben gesehen habe. Von den Mitgliedern der Fakultät, die mich berufen, hatte ich nur einmal schon in Heidelberg den berühmten Nationalökonomen Roscher und dann in Zürich im Hause meines Freundes Weber den bekannten Astrophysiker Friedrich Zöllner flüchtig gesehen. Der Kreis der Kollegen, in den ich eintreten sollte, war mir also im ganzen völlig unbekannt, und in dem weiteren Kreis der Fakultät wie der Universität hatte die Berufung eines Menschen, von dem man höchstens als einem der jüngeren Physiologen gehört hatte, eine gewisse Verwunderung erregt, die aber im Grunde mehr diesem merkwürdigen Entschluß der Fakultät als mir selbst galt. Einen lebhaften Eindruck von dieser Fremdheit in meiner neuen Heimat erhielt ich, als ich wenige Tage nach meiner Übersiedelung dem einzigen Bekannten aus der Heidelberger Zeit, dem wenige Jahre zuvor hierher berufenen Juristen Binding, zufällig auf der Straße begegnete und dieser mich mit den Worten anredete: »Wie kommen denn Sie hierher?« Ich habe mich später mit Karl Binding nahe befreundet und ihn in hohem Grade schätzen gelernt, aber diese Freundschaft gehört selbst erst einer viel späteren Zeit an. Auch als ich sehr bald nach meiner Übersiedelung Carl Ludwig, den von mir hoch verehrten Physiologen, besuchte, konnte dieser nicht umhin, mir seine Verwunderung darüber auszusprechen, daß er trotz unserer nahen Fachbeziehungen von meiner Berufung nach Leipzig kein Wort gehört habe. Seltsamer noch war eine Begegnung, die ich mit einem Kollegen aus der philosophischen Fakultät erlebte. Als ich diesem, dem Direktor eines landwirtschaftlich-chemischen Laboratoriums, meinen Antrittsbesuch machte, verwunderte es mich, daß er mich in seinem Institut herumführte, um mir seine sämtlichen Apparate zu zeigen. Die Sache klärte sich auf, als er ungefähr nach Jahresfrist meinen Besuch erwiderte und diese Verspätung damit entschuldigte, daß er mich für einen durchreisenden Physiologen gehalten habe, der die Leipziger Institute besichtigen wollte; erst jetzt habe er erfahren, daß ich ein neuer Kollege sei.

Daß ich im Hinblick auf solche Begegnisse selber über meine Berufung einigermaßen verwundert war, wird man begreiflich finden. Natürlich blieb mir aber der Zusammenhang auf die Dauer nicht verborgen, und es mag hier seiner gedacht werden, weil er immerhin für das Berufungswesen an unseren Hochschulen charakteristisch ist. Schon seit Jahren war das Fach der Philosophie in Leipzig durch den Tod verschiedener Professoren auf zwei Hauptvertreter beschränkt gewesen: auf Moritz Wilhelm Drobisch, den ehrwürdigen Vertreter der Herbart'schen Schule, der hier länger als ein Menschenalter den exakten Standpunkt Herbart's gegenüber dem sonst herrschenden Idealismus eines Schelling und Hegel hochhielt, und Heinrich Ahrens, der, ein Anhänger der Kraus'eschen Schule, auf dem Umweg über die Rechtsphilosophie in den Ring der sächsischen Herbartianer eingedrungen war. Als nun im Herbst 1874 Ahrens starb, regte sich doch, um so mehr da Drobisch seines hohen Alters wegen bereits an seinen Rücktritt dachte, in der Fakultät das Bedürfnis, eine Neuberufung nicht nur für das verwaiste Gebiet der Rechtsphilosophie, sondern eine solche für die Philosophie überhaupt eintreten zu lassen. Für eine Universität von der Bedeutung Leipzigs hielt man aber eine Lehrkraft ersten Ranges für den vor allen andern geeigneten Ersatz, und die Wahl fiel daher wie selbstverständlich auf Kuno Fischer in Heidelberg. Nun war aber dieser durch ein eigentümliches Verhängnis vorläufig verhindert, nicht nur diesem Ruf, sondern auch einem zweiten nach Berlin, der ihn gleichzeitig traf, zu folgen. Er bekleidete nämlich gerade das Rektorat der Heidelberger Hochschule, und diese hatte ein Jahr zuvor das Schicksal gehabt, daß der amtierende Rektor wegberufen worden war und diesen Ruf angenommen hatte. Dies war aber von vielen der Heidelberger Professoren und vor allen von Kuno Fischer selbst lebhaft mißbilligt worden. Die Berufung nach einem größeren Wirkungskreis anzunehmen, sei, so meinte er, zwar erlaubt, ja gewissermaßen selbstverständlich; aber daß man in dem Augenblick der Verwaltung der obersten Würde der Hochschule diese im Stich lasse, sei nicht zu entschuldigen. So blieb denn Fischer nichts anderes übrig, als nach beiden Seiten hin zu erklären, daß er etwa nach Jahresfrist einer Erneuerung der Berufung folgen könne, daß ihm aber dies im Augenblick unmöglich sei. Da zeigte sich nun, daß man weder in Berlin noch in Leipzig geneigt war, eine solche Frist einzuhalten. Nicht als ob dies an sich unmöglich gewesen wäre. Aber hier wie dort regten sich widerstrebende Kräfte. In Berlin lebten noch zahlreiche Freunde Trendelenburgs, mit dem in seinen letzten Jahren Fischer eine lebhafte Polemik geführt, die von Anfang an seiner Berufung widerstrebt hatten. Sie gaben die Parole aus, das dringendste Bedürfnis der Zeit sei es, einen Vertreter der systematischen Philosophie, vor allem der Psychologie, zu gewinnen. So war es denn Hermann Lotze in Göttingen, an den der Ruf erging. Anders lagen die Dinge in Leipzig. Hier tauchte plötzlich der Plan auf, eine Teilung der Professur eintreten zu lassen, die der Teilung der philosophischen Fächer und zugleich dem neu erwachten Bedürfnis entspreche, dem Einfluß der Naturwissenschaften auf die Philosophie Geltung zu verschaffen, also statt des einen weltberühmten akademischen Lehrers zwei jüngere zu berufen, die wohl für den gleichen Aufwand wie jener eine zu haben seien. Unter diesem Gesichtspunkt forderte damals diese Zweiteilung gelegentlich den Spott einiger journalistisch tätiger philosophischer Schriftsteller heraus. Einer derselben meinte, es sei doch ein auffallendes Zeichen der Herabgekommenheit der Philosophie, daß man in Leipzig statt eines hervorragenden Philosophen zwei völlig unbekannte Leute, einen »Hinz und Kunz«, wie er unter zarter Anspielung auf unsere Namen sich ausdrückte, zu Professoren gemacht habe.

Das Rätsel dieser Berufung löste sich mir erst viel später. Hinter ihr stand nicht die Fakultät und nicht einmal ein irgend erheblicher Teil derselben, sondern eine einzige Persönlichkeit: das war kein anderer als Friedrich Zöllner, der Astrophysiker. Er war in der Tat der einzige nicht nur unter den Naturforschern, sondern, abgesehen von den Vertretern der Philosophie selbst, wahrscheinlich der einzige unter ihren Mitgliedern, der an der Sache ein wirkliches Interesse nahm. Den anderen, deren Gedankenkreis noch zumeist dem eben vergangenen Zeitalter absoluter philosophischer Gleichgültigkeit angehörte, lag die Sache ziemlich ferne, aber um so leichter ließen Sie sich durch einen einzelnen Kollegen bestimmen, der sich derselben mit einigem Interesse annahm. Für Zöllner traf dies zu. Das zeigt nicht nur sein wenige Jahre zuvor erschienenes Buch »Über die Natur der Kometen«, in welchem er lebhaft für die Philosophie Schopenhauer's eingetreten war, sondern das bekundete er auch durch seine Vorlesungen, in denen neben seinen eigentlichen Fächern ein philosophisches Thema als ein ständiges Publikum nicht zu fehlen pflegte. So bildete dieser Fall einen augenfälligen Beleg für die Tatsache, daß nicht bloß das Interesse, sondern gelegentlich wohl auch die Interesselosigkeit für den Gegenstand die Quelle einmütiger akademischer Beschlüsse sein kann.

Von diesen Dingen, die später zu meiner Kenntnis gelangten, ahnte ich natürlich noch nichts, als ich am Pfingstmontag 1875, einem glühend heißen Sommernachmittag, mich meinem künftigen Bestimmungsort näherte. Doch etwas von der Stimmung bangen Zweifels lag auch über der Landschaft, als ich die trostlose Ebene zwischen Corbetha und Leipzig zurücklegte, einer Stimmung, die ich noch in späteren Jahren bei der gleichen Fahrt niemals ganz unterdrücken konnte, und die natürlich den Ankömmling, der eben erst die herrliche Umgebung des Zürichsees verlassen hatte, ungleich mächtiger überkam. Aber da änderte sich beim Herannahen an die Stadt plötzlich das Bild, und dieser Wechsel war so überraschend und erfreuend zugleich, daß mir der Eindruck noch heute lebhaft vor der Seele steht. Überall bewegte sich hier auf den sonnenbeglänzten Wiesen und auf den dem Rosental benachbarten Waldwegen eine Unzahl von Spaziergängern in Feiertagskleidern und sichtlich zugleich in Feiertagsstimmung, die Kinder mit selbstgepflückten Blumensträußen in den Händen, ein buntes herzerfreuendes Bild, wie ich es bis dahin noch niemals gesehen hatte. In der Tat habe ich auf meinen späteren Reisen durch deutsche Länder noch oft beobachtet, daß der Sonn- und Feiertags-spaziergang rein um des Naturgenusses willen eine spezifische Gewohnheit des mittel- und norddeutschen Stadtbewohners ist. Der Süddeutsche geht nicht, ohne sich einen bestimmten Vergnügungsort als Ziel seiner Wanderung zu setzen, und der geborene Schweizer kennt wohl weit sich erstreckende Bergwanderungen, aber der gewöhnliche Spaziergang ist ihm so gut wie unbekannt. Das Äußerste an Anspruchslosigkeit habe ich in dieser Beziehung in Schleswig-Holstein erlebt, wo manche der in den rein agrarischen Gebieten liegenden Gutshöfe nur auf Wegen zugänglich sind, die, um die auf den umgebenden Wiesen lagernden Ochsen und Kühe abzuhalten, rechts und links von übermannshohem Buschwerk abgesperrt sind. Man sieht nichts als Himmel und Erde, aber die Familie des Gutsherrn versäumt es doch nicht, alltäglich ihren Spaziergang auf diesen Wegen zu machen. Auch in Leipzig begegnet man noch heute nicht bloß in den jetzt zum Teil zu schönen Parkanlagen umgestalteten Wäldern des Südens und Nordens, sondern nicht minder auf den völlig reizlosen Straßen der östlichen Umgebung des Sonntags Scharen von Spaziergängern. Der Mensch, so könnte man vielleicht sagen, liebt die freie Natur um so mehr, je ärmer diese Natur selbst ist.

Im Jahr 1875 war Leipzig noch eine Stadt von mäßigem Umfang. Sie zählte kaum mehr als 100000 Einwohner. Die meisten der heute mit ihr zusammengewachsenen Vordörfer waren noch durch ziemlich weite Strecken von ihr getrennt. Von dem ungeheuren Wachstum, das in verhältnismäßig kurzer Zeit eingetreten ist, kann man sich ein anschauliches Bild machen, wenn man etwa die drei Stadtpläne der Zeit nach dem dreißigjährigen Krieg, der Großstadt von heute und der siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts nebeneinanderlegt. Dann erscheint der Unterschied zwischen dem Leipzig aus dem Anfang der Gründung des Deutschen Reichs von dem des 17. Jahrhunderts erheblich kleiner als zwischen jener Zeit und der heutigen Großstadt. Mehr noch als von der Stadt im ganzen gilt das jedoch von den Verhältnissen der Universität. Hier machte sich überall geltend, daß mit dem rapiden Wachstum, das durch den Zustrom der Studierenden und durch die besondere Fürsorge, die König Johann und sein Minister von Falckenstein der Hochschule zuwandten, eingetreten war, die äußeren Hilfsmittel unmöglich Schritt halten konnten. Von den heute einen eigenen Stadtteil bildenden Naturwissenschaftlich-medizinischen Instituten existierte, abgesehen von den im städtischen Krankenhaus zu St. Jakob untergebrachten Kliniken, als Vorbote künftiger Größe nur das nach den Plänen Carl Ludwigs erbaute physiologische Institut, das aber jetzt ebenfalls durch beträchtliche Anbauten über seinen ursprünglichen Umfang hinausgewachsen ist. Das Zentrum der Universität hatte zwar seit dem Jahre 1831, wo die seit ihrer Gründung durch die aus Prag eingewanderten 400 Magister und Studenten bestandene völlige Autonomie derselben der staatlichen Verwaltung Platz gemacht hatte, durch den Bau des Augusteum einen, wenn auch nicht künstlerisch besonders wertvollen, so doch durch seine Lage und durch seine Verbindung mit der Paulinerkirche charakteristischen Ausdruck gewonnen. Um so mehr bot das Augusteum selbst samt seinen durch einige An- und Innenbauten ergänzten Resten des alten, dereinst von Herzog Moritz der Universität geschenkten Dominikanerklosters ein Bild der räumlichen Bedrängnis, in welche die Universität geraten war. Im Augusteum hatten außer der das Mittelgebäude einnehmenden Aula nicht weniger als drei Institute, das physikalische, das zoologische und schließlich das Physikalisch-chemische, Platz gefunden, außerdem im Parterre eine Anzahl von Auditorien, die, um den Straßenlärm zu vermeiden, nach der durch die dahinter liegenden Gebäude verdunkelten Hofseite gerichtet waren. Das Äußerste an Zusammendrängung bot ober der vom Kreuzgang des alten Klosters aus zugängliche Hinterbau des Augusteums, wo übereinander bis dahin die Anatomie, die eben jetzt erst ihren Umzug in den Neubau an der Nürnberger Straße vollzogen, und wo für noch eine längere Reihe von Jahren die Universitätsbibliothek Unterkunft gefunden hatte, wozu schließlich als ein Kuriosum hinzukam, daß von dem vor allem auf Geldersparung bedachten Rentmeister der Universität der Keller des Gebäudes an ein großes Petroleumlager vermietet war. Ergänzend traten außerdem zu diesen Kreuzganggebäuden auf der einen Seite der Neubau des für größere Auditorien bestimmten Bornerianum, so genannt nach einem um die Universität besonders verdienten Rektor des 16. Jahrhunderts, Caspar Borner, und auf der anderen Seite das Konviktgebäude, in dessen unteren Räumen täglich mehrere hundert ärmere Studenten gespeist wurden, während in dem oberen Stockwerk einige kleine und ein größeres Auditorium eingerichtet waren. In diesem Konviktauditorium habe ich selbst jahrelang meine Vorlesungen abgehalten, und eins der kleinen Auditorien des gleichen Stockwerks war mir zur Unterbringung meiner psychophysischen Instrumente überwiesen worden: es ist die Geburtsstätte des Leipziger psychologischen Instituts gewesen und bietet vielleicht im Vergleich mit den etwa dreißig Räumen des jetzigen Instituts ein besonders drastisches Beispiel für den Wandel, den die allmähliche Anpassung unserer Hochschule an ihre wachsenden Bedürfnisse herbeigeführt hat.

Übrigens ist es nicht bloß das rasche Wachstum der Universität an Studierenden und Lehrkräften gewesen, das jenes auffallend lange Zurückbleiben der äußeren Hilfsmittel verursacht hat, sondern es war vor allem auch der Umstand, daß gerade in dieser Zeit erst der für Leipzig besonders wichtige Übergang zur Begründung von offiziell vom Staat unterstützten Arbeitsinstituten begonnen hatte, unter denen namentlich die naturwissenschaftlichen Laboratorien in zunehmendem Maße die Raumbedürfnisse steigerten. An Seminarübungen hatte es zwar seit dem Anfang des Jahrhunderts nicht gefehlt, aber sie waren zum größten Teil Privatunternehmungen der Dozenten, die außer den Auditorien weder besondere Räume, noch in erheblichem Maße öffentliche Mittel in Anspruch nahmen. Dies gab wiederum dem Verhältnis namentlich der älteren Professoren zur Universität ein sozusagen intimeres Gepräge. Es bestand darin, daß die Universität selbst, die über einen reichen Hausbesitz besonders in ihrer Umgebung verfügte, die Wohnungen in diesen Häusern mit Vorliebe an Professoren vermietete. Es war eine Tradition, die einigermaßen an die »Bursen« der alten Universitäten erinnerte. In einem dieser Häuser habe ich noch den damaligen ehrwürdigen Senior der Universität Ernst Heinrich Weber besucht, und seine Wohnung ist nach seinem drei Jahre später erfolgten Tode die meinige über dreißig Jahre gewesen. Ähnliche Universitätswohnungen hatten in der Nähe zahlreiche Kollegen namentlich aus der philosophischen Fakultät. Dieses Zusammenwohnen erleichterte und vereinfachte natürlich den gesellschaftlichen Verkehr in einer Weise, die einen scharfen Kontrast zu den in den Universitäten anderer Großstädte, z. B. Berlin, bestehenden Verhältnissen bot, und die freilich auch gegenwärtig in Leipzig im Schwinden begriffen ist. Denn hier ist es gerade das Bedürfnis der Beschaffung besonderer Seminarräume für die verschiedensten Fächer der philosophischen Fakultät, das mehr und mehr die Umwandlung dieser Privatwohnungen der Professoren in Seminargebäude bewirkt hat, so daß jene schließlich ein mit Rücksicht auf die Lage im Zentrum der Stadt überaus nützliches Vorstadium ihres räumlichen Wachstums gewesen ist.


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