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Die folgenden Blätter sollen keine Lebensbeschreibung im gewohnten Sinne des Wortes sein. Ein Gelehrtenleben, wie das des Verfassers, bietet keinerlei Motive, die in ihm selbst gelegen besondere Anlässe zur Schilderung ihres Verlaufs bilden könnten. Die Motive, die es bieten möchte, um sie für die Nachkommen festzuhalten, sind teils äußere Ereignisse, die er miterlebt hat, teils die Ergebnisse der Arbeit, um die er sich bemüht hat. Ein solches Leben zu schildern erweckt aber nur insofern ein allgemeineres Interesse, als der Geist der Zeit irgendwie in dasselbe eingegriffen hat, und auf diese Eigenschaft kann der Verlauf meines Lebens wohl Anspruch machen, wenn ich aus demselben die Vorgänge, die ich erlebt habe, und die Ereignisse, in die es mir einzugreifen vergönnt war, in Betracht ziehe. Unter diesem Gesichtspunkte würde es aber ohne besonderen Wert sein, wenn ich im folgenden den so oft gemachten Versuch, Tag für Tag oder Jahr für Jahr zu schildern, wiederholt hätte. Vielmehr ordnen sich hier von selbst die Inhalte dieses Lebens in einzelne Folgen, die verschiedenen Lebensgebieten angehören. Mag es auch an einem inneren Zusammenhang, der solche Lebensausschnitte verbindet, nicht fehlen, so bieten diese doch keineswegs selbst eine äußerlich erkennbare Verbindung, sondern diese ergibt sich erst aus dem Totaleindruck des Ganzen für den Leser, der sich selbst dieses Ganze zusammenfügt. Es ist, wenn ich hier Ausdrücke gebrauchen darf, die ich in den folgenden Blättern des öfteren angewandt habe, eine Resultante oder eine Kollektiveinheit, die dem aufmerksamen Leser nicht entgehen wird, auf die ihn aber der Verfasser nicht erst hinzuweisen braucht, und die in dem "Erlebten und Erkannten" ihren Ausdruck finden soll. Das Erlebte ist das nächste, was ihm die Götter beschieden, das Erkannte das Bessere, was sie ihm vergönnt haben. Will der Leser beurteilen, was der Autor aus seinem Leben gemacht hat, so mag er als das Material, aus dem er seine Schlüsse zieht, das Verhältnis in Betracht ziehen, in welchem das Erkannte zu dem Erlebten steht. Er wird dann zugleich den richtigen Standpunkt finden, um auch die Irrtümer und Mängel zu verstehen, von denen dieses Leben nicht frei ist. Sollte er selbst das Motiv in den Vordergrund stellen, das für ihn sein Leben lang das wirksamste war, so ist es nicht zu jeder Zeit, aber doch auf den Höhepunkten dieses Lebens das politische, die Teilnahme an den Interessen von Staat und Gesellschaft gewesen, die den Schreiber dieser Zeilen gefesselt hat. Sie hat den Verfasser in das Leben geleitet. Sie hat zu wiederholten Malen wirkungsvoll in dieses eingegriffen, und sie ist ihm wiederum nahegetreten, als Sich dieses Leben dem Ende näherte.
Leipzig, im August 1920.
W. Wundt.