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Wie sie vor dem Haus halten, schaut ein seltsames Kleeblatt aus dem Fenster: Hoppfuß mit einem gefüllten Bierglas, der alte Ruoff mit seinem buschigen Schädel und starren Knebelbart, der Pfarrer mit dem Buldoggegesicht und seitlich Dionys, wie ein stummer Heiliger aus der Legende.
Alle scheinen in gehobener Stimmung.
Drinnen tischt Genovef ein Vesper auf: Brot, Wurst und Bier.
»Es lebe der edle Spender!« trinkt Hoppfuß His zu. Der entsinnt sich, daß er vom Bahnhof Wurst und Bier hereinsenden ließ.
»Jona aus dem Rachen des Walfisches wieder an Land gespien!« zapft ihn der Pfarrer gleich an. »Was macht die buhle Welt, junger Freund?«
»Sie gedeiht, Herr Pfarrer!« entgegnet His und gibt Vater Ruoff die Hand.
In dieser Stille steht Dionys, beklommen lächelnd, und spricht zu Marie: »Bist du gekommen?«
»Ja, Tonys!« sagt Marie. »Ich wollt dir ein Freud bereiten!«
»Kinder!« ruft der Pfarrer und reckt sich auf wie zur Predigt. »Darauf kommt alles an: Freude bereiten! Sonne verbreiten! Darin hängt das ganze Christentum und der Ostergedanke: das Leid zur Freude umschmieden, den Tod zum Leben!«
»So ist das Freudebereiten immer christlich?« fragt der Hoppfuß.
»Immert« dröhnt der Pfarrer, von seinen Worten berauscht.
»In jedem Fall?«
»In jedem!«
»Selbst angenommen, daß nach Menschengesetz ein kleines Vergehen damit verbunden wäre, sagen wir: der Diebstahl einer Tanne zum Weihnachtsfest?« meint der Krüppel und schaut auf Dionys, der – den Kopf in den Händen – wieder auf der Kante seines Bettes sitzt.
»Sie Haarspälter und Spindikaster, der Herr sieht das Herz und die Absicht; wo ein Mensch Freude bereiten will, geschieht es aus Liebe und ist kein Unrecht!«
»Da sind wir zum erstenmal einer Meinung, Herr Pfarrer!« grinst der Hoppfuß, hebt sein Glas und trinkt's mit einem Zug leer: »Das Wort soll gelten! Dein Wohl, Tonys! Alle Kreatur soll leben!«
»Alle Kranken und Genesenden!« ruft ganz erregt der Pfarrer.
»Alle Armen und Geschundenen!« trinkt jetzt His.
»Alle armen Sünder auch, ja, alle Sünder!« lallt der Hoppfuß.
»Halt!« dröhnt der Pfarrer. »Der Teufel reitet Euch!«
»Nix reitet uns … einmal wollen wir fröhlich sein … wir sind alle Menschen, Herr Pfarrer!« rumort der Lahme.
»Ja, was für Menschen! Was für Menschen!« zürnt der geistliche Herr, von dem der Taumel des Abends und dieser entrückten kecken Runde plötzlich gewichen. »Was für Menschen! Wüßtet Ihr, was ein Seelsorger hören muß vom frühen Morgen bis zum letzten Hahnenruf: das Weh der Weiber über ihre Mannen, die Flüch der Väter über ihre Kinder! Gewiß, alle Kreatur soll leben, doch zu ihrer Zeit! Nicht holterdiepolter, nicht wie Babel und Isebel, nicht wie unsere Mädels heut, die sich wegwerfen und runde Bäuche bekommen, eh noch das Amen darüber gesprochen ist! Ich darf das sagen in diesem Haus, wo man sich nicht vergißt, eh nicht der letzte Knopf sitzt und der letzte Ziegel bezahlt ist!«
»Doch viele haben kein Haus«, sagt His jetzt ruhig.
Als sei ihm endlich der Gegner vor der Klinge, legt der Pfarrer jetzt los: »So sollen sie auf der Straße liegen, wie? Oder draußen im Wald?«
»So sollen sie warten?«
»Warten, wie unsere Freunde hier, bis ihre Stunde kommt!«
»Doch wenn zuvor die Fabrik sie ausgehöhlt und der weiße Tod gekommen?«
»Worte!«
»Wahrheit!«
»So war's sein Wille! Alles, was ist, ist unter seinem Willen!«
»So ist auch das Selbstvergessen eines Mädchens unter seinem Willen!«
»Tag hat Nacht!« flammt der Pfarrer. »Wille hat Gegenwille! Gott hat den Satan!«
»Satan … wo ein Kind wird?« entzündet sich His jetzt. »Nie, Herr Pfarrer! Satan im Spiel ist, wo Totes sich häuft, wo starre Schätze sich stauen; Satan ist der Mammon, die Macht, die das Leben verdrängt! Christus ist das Leben, Christus ist, wo Liebe und Freude ist!«
»Junger Mann! Christus meint eine andere Liebe als die Liebe der Tiere, Christus meint ein anderes Leben als dieses Leben, Christus hat den Adam am Kreuz überwunden! Nur durch Überwindung kommen wir zu ihm.«
Jetzt durchzuckt es His und er geistert hoch: »Aber da muß er sein, dieser Adam! Da sein muß er erst … wie können wir ihn sonst überwinden?«
»Er lauert auf allen Pfaden!«
»Nein, er liegt erdrückt unter Häusern und Städten, tot unter der Last des Tresors, der Gesetze, der ungelebten Lehren! Herr Pfarrer, wenn heute Christus herniederstiege, um noch einmal die Schuld des Fleisches auf sich zu nehmen, er fände vor lauter sauberen funktionierenden Geistern kein schuldhaftes Herz, vor lauter Gehirnen keinen Sünder!«
Da tritt Vater Ruoff vor, erschrocken: »Schweig, Sohn, das ist Lästerung, das heißt Gott versuchen! Spürst du nicht die Axt schon am Stamm, merkst nicht das Sausen der Wage über dir?«
»Nein, sie merken es nicht, die Spötter!« dröhnt der Pfarrer, wendet sich und greift seinen Hut.
»Die Spötter sollen zum Teufel!« fährt jetzt der Hoppfuß auf, der eingenickt war.
»Halt's Maul, Hopper!« haucht Marie ihn an.
»Zum Teufel die Spötter!« lärmt er mit dem Eigensinn des Angetrunkenen. »Und doch hat der Herr seinen Jüngern die Füße gewaschen … Herr Pfarrer, wenn ich der Tonys wär …« Er rollt wild die Augen, richtet sie plötzlich auf einen Punkt und ist bei sich. »Nichts für ungut, Herr Pfarrer, wir alle reden, wie wir's verstehen!«