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Dionys hat die Nacht bis drei Uhr gekellnert. Es waren Teufelskerle, diese Studenten, aber noble Herren. Sie haben sich ihr Späßlein etwas kosten lassen.
Fuchskneipe!
Jeder der Füchse mußte den »heiligen Stiefel«, ein riesig Gemäß von Kürassierstiefelform, aus dem Stand leeren. Dann verschwand der so Aufgefüllte eilig unter dem Hallo der Burschen und ward nicht mehr gesehen. Als nur noch Burschen am Tisch, reicht man auch Dionys den »Stiefel«. Er solle die Nottaufe und die Ernennung zum Ober-inbibarius erhalten!
Er wehrt den Herren.
Aber man gemahnt ihn, der heilige Dionys, sein Patron, habe, um das Leben von tausend Märtyrern zu retten, gegen den römischen Kaiser Nero zehn Bierjungen getrunken und die Partie gewonnen. Er trinkt. Doch das Bier schlägt rasend durch. Auch er verschwindet unter riesigem Hallo. Es war ein starkes Abführmittel in dem Getränk. Das Horrido wird zum Geheul, als er klatschnaß und zornrot wieder in den Saal tritt. Er kommt nicht zu Wort. Er wird auf den Tisch gehoben und feierlich zum wirklichen geheimen Oberschlundbefeuchter und Korporationsmundschenk ernannt; zwei Scheine schiebt man ihm in die Tasche. Ein nobler Spaß: man hatte in die Wasserspülung des W. C. eigens für diesen Abend eine Brausedusche eingebaut; das Opfer, das ahnungslos die Leine zog, bekam von oben unerwartet den ganzen Segen.
Dionys tröstet sich mit seinen beiden Scheinen; sie ersparen ihm eine Nacht. Aber er friert doch in seinen nassen Kleidern. Er hat wie gewöhnlich auf dem Billard geschlafen, vor Morgengrauen ist er zur Bahn gerannt, jetzt steht er im halbdunklen Abteil des Arbeiterzuges, der noch völlig leer ist. Ihn fröstelt. Er richtet sich auf, macht Kniebeugen, schlägt die Arme aneinander, versucht ein paar Luftsprünge. Noch ein Monat, dann ist auch diese Last und Schinderei vorbei, das Ziel erreicht, das Vertiko im Haus, sein Weib sein! Er sieht bei geschlossenen Augen das Haus, die Stube im hellen Sonnenlicht, das schmucke Möbel an der Wand, eine Schar Arbeitskameraden kommen täppisch in das Zimmer und schauen wortlos mit großen Augen auf diesen Wohlstand, auf das Prachtstück mit den Fruchtgewinden und Engelsköpfen.
Er ist doch ein Tausendsassa! Er prüft seine Waden und seine Arme, er klopft sie – ihn friert noch immer – dann zieht er die Scheine, ihm wird ganz heiter.
Jetzt füllt sich der Zug. Die jungen Burschen narren ihn wie je: »Guck auch, Tonys, der Nachtwächter!«
»Er ist unter die Preisschwimmer gegangen!«
»Halt's Maul!« ruft ein großer Bursch. »Der hat nachts geschafft, daß der Schweiß ihm durch den Kittel ronnen!«
»Habt recht!« sagt Dionys und ist froh, als man bald das Kesselflickerlied singt.
Der Marie und dem Herre erzählt er auf dem Weg zur Fabrik, es habe die Nacht stark geregnet. His meint, er solle sich umziehen, er sei ja tropfnaß. Aber er will sich warmschaffen, die Zwilchjacke habe er drin im Zuschneidraum.
Er stürzt sich auch gleich übers Leder. Das kräftige Messer schneidet die Seitenbacken der Schuhe, rechte und linke, alle Größen, je nach dem Rest. Ihm wird ganz warm, Hände, Brust und Kopf sind schon heiß, nur die Füße auf dem Zementboden frosten!
Rechts und links werden die Sohlen gestanzt – schrapp! schrapp! – gleich zwei Lagen auf einmal, immerzu! Vorwärts! Jeder Tag dem Ziel näher! Mit Riesenschritten! Schrapp! Schrapp! Ratsch! Ratsch! Etwas hinter ihm werden die Absätze mit allen Zwischenschichten mit einem Hebeldruck herausgeschnitten und zugleich gepreßt. Dort steht His. Krach! Krach! Immer zu! Immer los! Jeder Tag ist ein Meilenstein weniger, jede Stunde ein Schritt aufs Ziel! Vor ihm werden die Ösen gelocht. Rechts seitlich ist der Näh- und Steppraum. Dort vor einem großen Fenster sitzt Marie; er kann sie sehen.
Mit angespanntem Blick und Arm schneidet Dionys, Lederbacke um Lederbacke. Seine Augen sind etwas schwer. Die Nacht war lang. Sein Kopf brummt, in seinen Ohren tönt es wie Wasserrauschen und Gesang. Er schneidet sogar zu tief und fährt in den Tisch. Er muß den Kopf etwas heben, einmal ins Weite blicken. Er schaut wie immer zuerst nach dem Fenster.
Marie ist nicht dort.
Er spricht ein leises Kindergebet, er weiß nicht warum. Er schneidet weiter mit dem exakten Tourengang eines Räderwerks. Er sieht das Vertiko einherschreiten, mit richtigen Armen und Beinen, schwarz, feierlich, herrlich blinkend mit den Messingbeschlägen, wie ein Herr im Frack mit einer goldenen Uhrkette über dem Bauch; man muß ihm die Tür sehr weit öffnen. Ihm selbst wird ganz feierlich zumute. Er errötet förmlich. Sein Kopf ist heiß, sein Rumpf badwarm, nur seine Beine sind kalt. In seinen Ohren braust es wie ein Choral.
»Zuschneider Nädele ins Privatkontor!«
Herr Mock, der Werkmeister, ein großer strammer Mann, ehemals Wachtmeister, ist in die Nähe seines Tisches getreten und befiehlt noch einmal: »Nädele ins Privatkontor!«
Dionys schaut auf. Alle Augen sind auf ihn gerichtet.
»Ins Privatkontor?« Was hat er verbrochen? Jeder Arbeiter muß sich diese Frage stellen, wenn er ins Privatkontor gerufen wird.
His tritt auf ihn zu: »Was ist?«
»Weiß nit …«
»Kopf hoch!« tröstet His, als gelte es einen letzten Zuspruch an einen, der zum Galgen schreitet.
Dionys stößt sein Handmesser in die Wachskugel, legt die blaue Zwilchjacke ab und zieht den noch immer feuchten Rock an. Er schaut zu Marie hinüber; ihr Platz ist leer. Aber die Genovef sitzt an ihrer Steppmaschine, sie schaut nicht auf, ihr Kopf ist rot bis zum Nacken.
»Ins Privatkontor?«
Hat jemand aus der Familie gestohlen, zuviel Zahltag genommen? Dionys reißt sich zusammen. Er tritt mit Herrn Mock durch die Flucht der Bureaukojen. Hinter den Glasscheiben hocken auf hohen Schemeln mit gewinkelten Rücken wie Nachtraubvögel auf sicherem Horst die Buchhalter und Stifte; sie haben ihre Köpfe zwischen den hochgezogenen Schultern und Ellbogen wie zwischen einem Gefieder verborgen und äugen auf das Opfer, das von Herrn Mock ins Privatkontor geführt wird: ein Kaninchen, das man an den Ohren einer Riesenschlange zuträgt.
Dionys muß vor einer der Doppeltüren warten.
Er steht auf einer großen weichen Kokosmatte mit der Aufschrift: »Bitte.« Er ist äußerlich sehr ruhig; aber in seinen Schläfen singt das Blut in ganz hohen Stimmen. Ein Neues ist auf dem Marsch, ein wundervolles Neues nach dem ewigen Alltag, ein großes Glück, ein unbegreifliches Unheil.
Plötzlich fragt von hinten eine knittrige Stimme: »Wer drin?«
Mungo.
Mungo steht vor ihm, der Nachtwächter der Fabrik. Mungo wiegt seinen großen gelben Kopf, der auf einem massigen, aber zwerghaft ineinandergeschobenen Rumpf sitzt; er blinzelt mit dem Blick eines Staatsanwalts: »Glaubst du, mich können sie bescheißen, die Windhund, die Raben, die Galgenhäls, ha, ha … zwei tiefe Fußtapser laufen zur Zehneichenwies … die Wucht von zwei Lederrollen auf dem Buckel!«
»Zwei Lederrollen?« fragt Dionys sehr erregt und abgelenkt.
»Zwei Lederrollen … aus dem Lager!«
»Ist's möglich?«
»Wenn einer Schneid hat … ha, ha … der Mungo denkt nit dran, wie'n Schießhund dreimal die Nacht ums Werk zu flitzen! Doch wenn mal so'n Mäuslein raschelt, grad überm Speck, und der Mungo hat Wind, hat Büchsenlicht, dann, Liebling, Grüß Gott! piff! paff! Ohn großen Sums, garantiert, ausgemacht, auf Jägerehr!« Er schlägt seinen Umhang etwas zurück, daß man neben der Stechuhr am Gurt seine Parabellumpistole sehen kann.
»Zwei Lederrollen?« fragt Dionys, den dieses Bild offenbar fesselt.
»Eintreten!« befiehlt Werkmeister Mock und tritt aus dem Türspalt.
»Eine wichtige Meldung!« stößt der Mungo hervor.
»Später!«
»Zwei Rollen Leder gestohlen!«
»Gestohlen?!« Mock fährt ihm wie ein Faustkämpfer an den Hals und reißt ihn in den Vorraum.
Dionys tritt durch den jetzt offenen Türspalt ins Privatkontor.
Er hat das Gefühl im Gedärm, auf einer Luftschaukel zu sitzen und aller Schwere ledig durch den sausenden Raum zu fliegen. Unter seinen Füßen liegt ein dicker, wolkiger Teppich; man merkt nicht mehr, daß man steht.
Da sieht er Marie.
Marie?
Sie ist's! Sie steht am Fenster, rechts von einem breiten Schreibtisch. Sie blickt ihn strahlend an. Ihr Gesicht glänzt rot im Triumph. Sie hat die Hände hinter sich aufs Fensterbrett gestemmt, die Schultern etwas hochgezogen, ihr starker bäurischer Körper paßt nicht zu dieser losen Haltung. Dionys schaut zu seinem Weibe. Plötzlich richtet sie sich auf, steht wie ein Pflock, läßt die Arme sinken. Bittend, fragend blickt sie durch die halbgehobenen Lider.
»So, da ist ja wohl der Nädele … Ihr Mann, Frau Nädele … wie?«
Marie nickt und schaut auf Dionys.
»Treten Sie näher, Herr Nädele!« Direktor Hunschringer sitzt etwas links von einem Rauchtischchen und dreht sich Dionys, der noch immer an der Türe steht, zu. »Kurzum, es handelt sich um folgendes – Herr Medizinalrat Hausch hat die Güte, mit Rat und Tat uns zur Seite zu stehen – denn alles soll tadellos geregelt sein, einwandfrei, wissenschaftlich und menschlich!«
Dionys blickt hilflos nach links. Dort sitzt in einem zweiten Sessel der Bezirksarzt, ein etwa sechzigjähriger Herr, mit weißem Bart, der ihm wie eine Serviette vom Kinn herunterhängt. Er blättert mit einer großen und vornehmen Ruhe in einer großen illustrierten Zeitschrift.
»Kurzum,« fährt Direktor Hunschringer fort, »Sie sind mir als zuverlässiger und treuer Arbeiter meines Werks bekannt, als ein Mann, dessen Wort gilt, der sich eher die Zunge abbeißt, als daß er einen Laut über die Lippen bringt! Der Fall liegt so: meine Frau, Ihr wißt, ist seit über einem Jahr erkrankt, schwer erkrankt, bettlägerig, hoffnungslos sozusagen, selbst die Herren Ärzte sind am Ende ihrer Kunst …«
»Unsere Kunst fängt erst an,« verweist ihn der Medizinalrat, »nachdem das schwächliche Schwanken konservativer Therapie hinter uns liegt! Frau Direktor Hunschringer leidet an einer nicht gewöhnlichen Bluterkrankung, einer sogenannten paroxysmalen Hämoglobinurie, das heißt einem kryptogenen Zerfall der roten Blutkörperchen. Ob dieses Leiden nun endogener oder exogener Natur, ob das Knochenmark in Form einer mangelnden Regeneration oder einer diastatischen Funktionsstörung der locus minoris resistentiae …«
»Ausgezeichnet, Herr Medizinalrat! Es handelt sich mit einem Wort darum, mein lieber Nädele, wir brauchen Blut, und zwar: ein frisches, völlig fehlerloses Blut einer kräftigen, moralisch und körperlich durchaus einwandfreien, weiblichen Person! Als solche aber – was soll ich viele Worte machen und Ihnen schmeicheln – als solche ward Ihre Frau nach reiflichem Überlegen von uns befunden.«
Direktor Hunschringer lehnt sich in seinem Sessel zurück und beobachtet mit der Ruhe eines Mannes, der eine gute Tat zu tun im Begriffe ist, die Wirkung seiner Worte.
Dionys brummt der Schädel. Es summt in allen Tönen in seinem Kopf wie in einem siedigen Kessel. Seine Glieder sind schwer wie Blei. Was hat man da alles von Blut und Krankheit gesagt? Er sieht angespannt auf Marie. Sie steht jetzt mit herunterhängenden schweren Schultern und richtet unter halbem Augenstern einen heißen, fast demütig bittenden Blick auf ihn, als wünsche sie seine Gewährung. Was will sie nur? Was wollen diese Herren? Sein Kopf schmerzt.
»Sie haben bis heute mittag Zeit, sich mein Angebot zu überlegen!« kommt es schon etwas ungeduldig aus dem direktorlichen Sessel.
»Das heißt, die Blutprobe müßte ich sofort entnehmen; die Agglutination dauert zudem vierundzwanzig Stunden! Die eigentliche Blutübertragung von Frau Nädele auf unsere Kranke wird dann in drei Tagen stattfinden. Die Frau ist ja bereit!«
Der Medizinalrat winkt Marie.
Sie tritt zu ihm.
Mit einem Schlag fällt die Nebelwand vor Dionys' Augen: Marie soll das Blut liefern! Ihr Blut für die Frau des Direktors! Er macht einen Sprung gegen den Bezirksarzt, als gälte es ein Kind aus dem Wasser zu ziehen: »Was tun Sie? Was tun Sie da?« ruft er verzweifelt.
Der Direktor hat sich erhoben: »Mensch! Was für ein Ton!«
»Die Angst des Laien vor dem Unbekannten!« meint mit verzeihendem Lächeln der Medizinalrat, »Pavor ignoti ignorantis! Mein Lieber,« wendet er sich an den zitternden Dionys, »seh ich so wenig vertrauenswürdig aus? Na also! Die Sache ist völlig harmlos! Sie schadet Ihrer Frau nicht im mindesten! Ich habe sie soeben untersucht. Sie ist hochgradig gesund, übergesund, vollblütig, gestaut, plethorisch sozusagen! Dieser Aderlaß ist für Ihre Frau wie ein Bremsenstich für ein Roß! Doch einer Kranken wird geholfen – und auch Ihr Schaden, Verehrtester, wird es – so wie ich Direktor Hunschringer kenne – gewiß nicht sein!«
»Ausgezeichnet, Herr Medizinalrat! Aber sehen diese Leute denn ihr Glück? Nädele,« gebietet jetzt der Direktor, »ich meine es gut mit Ihnen. Ich weiß, Sie haben auf Ihr Haus noch zu zahlen. Ich will nicht kleinlich sein! Willigen Sie ein und gelingt die Transfusion, so wird Ihr Haus frei, und Sie erhalten noch eine Gratifikation, für die Sie sonst Jahre arbeiten müßten.«
Nädele blickt unverwandt auf den Medizinalrat in seinem schwarzen Rock, der jetzt geöffnet ist. An der Weste über dem Leib hängt eine goldene Uhrkette wie ein glänzender Messingbeschlag.
»Ich will es!« spricht jetzt Marie. Sie entblößt ihren Arm.
»Bravo!« nickt der Medizinalrat »Bravo! Die Frau ist und bleibt das aktive Element! Übrigens … blendender Situs!« Er hat um Maries Oberarm eine Staubinde gelegt. Der kräftige Arm schwillt noch mehr, er purpurt, die Adern in der Ellenbeuge treten wie dicke blaue Stricke hervor. Nochmals prüft der Arzt die gestauten Gefäße und reinigt mit Alkohol und Jod die Gegend des Einstichs. Dann nimmt er hinter sich vom Fensterbrett ein langes Reagenzrohr und eine große Hohlnadel. Er faßt und sticht ein. Ein Strahl dunklen, fast schwarzroten Blutes schießt aus der Nadel in das Glas.
Dionys hat wie gebannt hingeschaut. Sein Kopf braust. Die schwarze Masse mit der Nadel in der Hand, wer ist das? Wo hat er diese schwarze Masse mit dem goldenen Beschlag vor dem Bauch schon gesehen? Auf einmal blitzt es durch sein Gehirn: Das Vertiko! Das Vertiko, das schwarze Teufelsvieh, das grinsende Schaustück steht hier und zapft seinem Weib das Blut … tropf! tropf! … glick! glick! Es hebt sich jetzt von seinem Weib! Ein ganzes Glas Blut hält es in der Hand! Rotes, dickes Blut!
»Hund!« schreit Dionys auf, als müsse es seinen Kopf zerknallen, »Bluthund!! Hund!!«
Und stürmt vor.
Die Sessel stürzen, das Tischchen. Gläser klirren.
Er liegt am Boden mit schnaubenden Lippen … stöhnend, knirschend, bewußtlos. Das Fieber in ihm rast.
»Eine nette Bescherung!« tobt der Direktor und rennt durchs Zimmer, während Marie und der Arzt sich um Dionys mühen, ihm den Halsbund öffnen und Kognak einflößen. »Was ist denn mit ihm? Er ist doch nicht tot? Das wäre ja die Höhe! Wie?« Er beugt sich über den Liegenden.
In dieser Sekunde schlägt Dionys die Augen auf, leer wie ein Toter, und blickt dem andern genau in das Schwarze der Pupille. Der starrt wie gelähmt in die öde, ihn durchmessende Tiefe des Bewußtlosen.
Man hat Dionys in das Privatauto des Direktors gebracht. Marie und ein im Sanitätsdienst ausgebildeter Buchhalter sitzen neben ihm. Der Medizinalrat packt drinnen noch sein Besteck zusammen. Er hebt das zugepfropfte Reagenzglas mit Blut gegen das Licht: »Ein Glück, daß wir das gerettet!«
»Schauen Sie nach dem Mann!«
»Grippige Sache! In drei Tagen abgelaufen! Nochmals Empfehlung an Frau Gemahlin!«
Er steigt in den Wagen.
Dionys sitzt eingeklemmt zwischen dem Buchhalter und Marie. Sein Kopf ist jetzt graublaß, mit kaltem Schweiß bedeckt. Sein dünner blonder Schnurrbart hängt wie eine feuchte Falte zu beiden Seiten des Mundes. Marie nimmt ihr Tuch und trocknet den Schweiß. Sie holt den Kopf an ihre Schulter.
Der Medizinalrat zählt den Puls: »Ephemera! Schwitzpackung! Heißen Tee mit Zitrone und diese Tabletten!«
»Er hat sich die Nacht verfroren … in der Stadt!« erklärt Marie.
»Wie! Er macht Nachtschicht? Er schafft doch tags?«
Marie schweigt.
»Also, Frau, hören Sie! Das hat jetzt ein Ende, kann ein Ende haben, wenn Sie nicht von allen guten Geistern verlassen sind!«
Plötzlich schlägt Dionys die Augen auf, blickt um sich, tastet nach seinem Nebenihm und fragt völlig neu: »Wo bin ich?«
»Mann!« ruft Marie und nimmt seinen Kopf wie schützend mit beiden Händen an ihre Schultern.
»Ausgeschlafen?« schüttelt ihn der Medizinalrat.
»Verzeihen Sie!« sagt Dionys gedankenlos; erblickt sich in dem großen Luxuswagen um, der jetzt mit einem Ruck vor seinem Häuslein hält.