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Eine Peitsche knallt

.Marie und His haben eine schlechte Nacht. Sie müssen Dionys bändigen. Er wirft sich im Fieber. Er redet von zweien, die auf dem Feld sind: einer wird angenommen, der andere wird verlassen werden; einer wird in der Mühle zermahlen, der andere wird reines Brot gewinnen! In seinem Kopf rast selbst ein riesiges Mühlrad, das alle Gedanken und Erlebnisse zerpulvert und wieder hochwirft: den Untergang der Welt, die gräßlichen Minuten im Privatkontor und die Wiederkunft des Gottessohnes.

Erst gegen Morgen fällt er in einen tiefen ohnmachtähnlichen Schlaf. Die Brust rasselt und müht sich.

Der Medizinalrat spricht von der Gefahr einer Lungenentzündung. Er schlägt Überweisung in das Spital vor. Marie schaut ihn an.

Sie lehnt es ab. Sie werde bei ihrem Mann bleiben.

Es sei das nicht im Interesse des Kranken!

Sie bleibe.

Wie sie wolle! Aber sie werde es vielleicht doch bereuen, seinen Rat mißachtet zu haben! – Er verordnet, grüßt und geht.

Der Mann ist wach und klar, doch sehr schwach. Er hält Maries Hand. Der kalte Schweiß ist ihr zuwider. Sie trocknet Dionys Brust und Stirn. Sie sitzt an seinem Bett und versucht ihre drängenden Gedanken loszuwerden, die wie Mäuse aus hundert Schlupflöchern hervorstoßen; wie lang kann diese Krankheit dauern? Sie beide verdienen nichts, nur das knappe Krankengeld, wovon sollen sie leben … die monatlichen Bankzinsen zahlen … die Schrankrate? Vielleicht müssen sie sogar die Möbelkasse angreifen? Die letzten Sparpfennige? Sollen sie Schulden machen und bei wem? Wer gibt ihnen heute? Wer kann ihnen überhaupt in dieser Zeit geben? Einer!

Ja! Da ist's! Da starrt dies graue scharf geschnittene Direktorsgesicht! Fort diese Henkersmaske! Oder leidet auch er?

Gegen fünf kommt His. Es ist Samstag. Er vespert schnell. Er zieht sein ältestes Zeug an. Genovef soll gleich mit dem Gespann da sein.

Jetzt tritt er in die Stube: »Wie geht's?«

»Kann's nit loben.«

Dionys liegt mit purpurnem schmalen Gesicht und atmet rasselnd. Sein dünner blonder Schnurrbart hängt wie ein Faden zu beiden Seiten des Mundes, seine hellen, langen, schweißfeuchten Haare kleben pagenhaft an den Schläfen. Er rührt sich nicht. Marie ist ganz verwirrt. Sie schüttelt heftig an dem Thermometer und bringt das Quecksilber doch nicht herab.

»Mach du es!« sagt sie zu His. »Will ihm eine Supp anrühren!«

His legt das Thermometer ein. Doch er ist schon draußen im Wald, in der wilden, herrlich ungewissen Baumnacht, die ihn erwartet. Das Kranke erscheint ihm dagegen wie Gift und Moder, ungut, feindlich, meidenswert. Er lauscht, ob er Räderknarren höre. Er zählt die Sekunden.

Marie rührt in der Küche die Suppe. Sie ist gänzlich unsicher und mit sich uneins. Man nimmt ihr das Blut aus den Adern … gut … einmal, zweimal, dreimal … aber woher kommt das Blut und wie schafft es sich wieder … Augen zu! Es muß sein!

Da tritt His aus der Stube. Er hält das Thermometer und blickt sie an.

Er weiß es.

Sie schaut trotzig und feindlich zu ihm; ihre Stirn hat rote Zacken.

»Das darf nit geschehn«, sagt er außen ruhig.

»Was darf nit geschehn! Ist's Ihre Sach? Leiden Sie not, wann keins verdienet? Weist man auf Euch mit Fingern: angefangen han sie das Haus, doch jetzt pfeift ihnen der Wind in den Napf!«

»Kann jedem so gehn!«

»Uns nit!«

»Armut ist keine Schand!«

»Armut ist eine Haderkatz, die schleppt Unfried am Schwanz nach wie ein brennend Stroh!«

»Ihr habt doch ein Batzen beiseit gelegt … das Kellnergeld?«

»Nit zum Verputzen!«

»In Krankheit? – Marie, ich weiß, was du willst, wohin du spannest! Dein Wildroß steht jetzt vor der Mauer; laß es verschnaufen, eh du darüber springst! Nimm dir Zeit, Marie! Siehst du's nit? Hast nix gelernt: Du stiehlst's deinem Kind ab, das noch nit geboren! Blut oder Sach, Kind oder Vertiko, eines oder 's andere … Marie, siehst du's nit?«

»Die Zinsen fressen uns!«

»Scheiß auf die Zinsen! Du darfst dein Blut nit verkaufen, Marie! Begreifst du es nit! Verschenk's! Tu's der Frau, die Millionen hat, aber keine Blutzell, tu's der Kranken, Marie, aber dann schenk's ihr, hörst du! Das Leben verkauft man nit!«

»Wir verkaufen's doch immer!«

Schweigen.

»Marie, das ist furchtbar, undenkbar, das kann nit so gehen, hör, sag mir's aufrichtig, was du an Geld gebrauchst, notwendig zum Leben brauchst! Langen dreihundert?«

Marie sieht ihn ehrfürchtig an.

»Du sollst sie haben, Marie! Weiß Gott, du sollst sie haben! In nächster Woch! Du zweifelst Marie? Ha, da sind reiche Bekannte von mir in der Stadt, steinreiche! Fabrikherren, Professoren, Bankleute! Die bitt ich für mich! Dreihundert Mark … was ist denn das?« Ein Macht- und Missionsrausch kommt über ihn, er fühlt die Gewalt eines Apostels in seiner Verheißung.

»Ich laß es, Herr!« sagt sie. »Er soll das Blut nit …« Sie steht klobig, ein Pfahl, der in seinen Masern klafft.

»Versprich mir's, Marie! Versprich's!« Er faßt ihre Handgelenke, steht Brust vor Brust, brüderlich ihr entgegen.

Und sieht – durch ihre Augen hindurch – draußen zwei erschreckte, eulenhelle Blicke.

Genovef schaut vom Garten herein.

His tritt zurück.

Er holt seinen Wollschal vom Ofenreck. Da fällt sein Blick auf den kleinen Frieder. Das Kind sieht ängstlich zu ihm auf; der fremde Mann hat die Mutter gescholten. His nimmt schnell ein mit süßem Gesälz bestrichenes Brot und gibt es dem Bub.

Draußen rufen die Kühe und knallt eine Peitsche.


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