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Eines heißen Nachmittages
Um die Zeit der Rosenblüte
Stand der Oberwes'ler Ratsherr
Henne Frei von Paffenau
In der steingewölbten Laube,
Mit der Aussicht nach dem Rheine
Breit gebaut im Oberstocke
Seines Hauses, Schweres wägend.
Der Hochedle, Ehrenfeste
War ein Mann von mehr als fünfzig,
Starkem Wuchs und hellen Augen,
Der in stolz gemessner Haltung
Durch die Gassen schritt zum Rathaus.
Seine Linke in die Hüfte
Eingestemmt und mit der Rechten
Auf der weiten Bogenöffnung
Festgefugten Bord sich stützend,
Blickt' er auf den Rhein hinunter.
In der edlen Zechgesellschaft,
Deren Mitglied er seit Jahren,
Hatt' er eine ›ew'ge Zeche‹,
Doch geteilt mit einem Freunde,
So daß jeder von den beiden
Einen Tag nur um den andern
In die Herrenstube kommen
Und am Wein sich laben durfte.
An den Tagen, wo der Sozius
Seine Hälfte nahm in Anspruch,
Pflegte Henne gegen Abend
Vor das Tor hinaus zu wandeln,
Um durch nötige Bewegung
Das Geblüt sich zu erleichtern,
Das vom Sitzen und vom Trinken
Sich bedenklich ihm verdickte.
Heute war der Tag des andern,
Und er selber mußte fasten.
Aber bei dem staub'gen Wetter
War's ihm trocken in der Kehle,
Und so sann und überlegt' er,
Ob er etwan ausnahmsweise
Hier zu Haus ein schmales Kännlein
Von dem wackern Vierundneunz'ger,
So er selbst im Keller hatte,
Seinem Durst verwill'gen sollte.
Ja, das wollt' er! aber wie nun?
Sollt' er erst den Gang vollbringen
Und sich dann den Trunk gewähren?
Oder sollt' er vorher trinken
Und nachher spazieren wandeln?
Oder aber – tertium datur –
Sollt' er erst ein Kännlein leeren,
Danach sich Bewegung machen
Und dann, wenn er wiederkäme,
Zur Belohnung noch ein Kännlein?
So in einem harten Kampfe
Lag Herr Henne, konnt' und konnte
Mit sich selbst nicht einig werden,
Und auch aus des Rheines Rauschen
Ward ihm weder Rat noch Meinung.
Wie er noch darüber nachsann,
Kam Besuch herein zur Laube, –
»Peter, du! Gottlob! nun weiß ich's!«
Rief er überfrohen Mutes
Und dann aus der Bogenöffnung
In den Garten: »Trude! Trude!
Rasch ein Kännlein Engehöller
Und zwei Becher! aber sput' dich!«
Dann erst drückt' er seinem Gaste
Warm die Hand. »Willkommen, Peter!
Hab dich ja in Ewigkeiten
Nicht gesehen, lieber Bruder!«
»War schon unten bei Frau Heilwig,
Ein paar Äschen in die Pfanne
Euch zu liefern, die heut morgen
Ich im Gründelbach erwischte,«
Sprach der andre. »Äschen? Äschen?«
Lächelte verschmitzt der Ratsherr,
»Danke, Peter! aber darum
Kommst du doch bei dieser Hitze
Nicht von Sankt Goar nach Wesel?
Trägst gewiß dich noch mit anderm,
Was ich dir wie schon so manches
Auch noch abzunehmen habe.«
»Nun, ein starker Aal ist auch noch
In dem Korbe,« sagte Peter,
Der die Anspielung des Freundes
Wohl verstand, jedoch mit Absicht
So verdrehte. »Ist ein fetter,«
Fuhr er fort, »und Aalfett, weißt du –«
»– heilt Kahlköpfigkeit, versteht sich!«
Fiel der Ratsherr ein, den Schädel,
Blank und glänzend wie ein Kürbiß,
Mit den Fingern sich betupfend.
»Freilich! und daß Äschenleber
Gut ist gegen Schlaganfälle,
Karpfengalle gegen Fieber,
Krebssaft gegens Zipperlein,
Ja, das weiß ich alles, Peter,
Dank' es alles deiner Weisheit.
Lieber Gott! von wieviel Aalen
Hab' ich's Fett schon auf die Glatze
Mir geschmiert in starker Hoffnung,
Daß die Haare wachsen sollten!
Und sie kommen doch nicht wieder.
Willst mit deinen Fisch-Latwergen
Von Gebresten und Beschwerden
Mich befrei'n, und dabei werd' ich
Immer fetter, immer runder,
Immer röter im Gesichte.«
»Fleißig Wasser trinken, Bruder!«
»Wasser!« – vorwurfsvoll und schaudernd
Sprach das eine Wort der Ratsherr,
Aber dann mit hellen Äuglein:
»Hast wohl Durst? nach solchem Gange
Und bei dieser Bratenhitze
Ist, weiß Gott! ein Trunk vonnöten,
Hatte mir schon selber einen
Zugedacht, – da kommt er! hierher!
Hierher, Trude! auf die Brüstung!« –
Peter Sandrog war ein Fischer,
Dem in Sankt Goar sein Handwerk
Gute Nahrung gab und Wohlstand.
Eins der ersten kleinen Häuser
An des Städtchens oberm Ende
Nannt' er sein; mit einem Garten
Stand es, grün berankt und freundlich,
Grad Burg Katz dort gegenüber.
Just in Hennes Alter war er,
Stämmig, von gedrungnem Körper,
Wetterharten, braunen Zügen
Und schon stark ergrauten Haaren.
Nicht nur Freunde seit der Kindheit,
Auch Milchbrüder waren beide;
Peters Mutter, Frau Salvete,
War vor Zeiten Hennes Amme
In der Freien Haus gewesen.
Sahen auch im Lauf des Jahres
Selten sich die zwei, die wenig
Über eine Stunde Weges
Einer von dem andern wohnten,
War doch fest und unverbrüchlich
Ihre Freundschaft, und wenn Peter
Etwas auf dem Herzen hatte,
War es stets in Oberwesel
Sein geliebter Bruder Ratsherr,
Dem er seine Sorgen sagte,
Und der stets mit offnen Armen
Hoch willkommen hieß den Treuen.
So auch heut. Gemächlich saßen
An der breiten Fenstermauer,
Drauf der Wein stand mit den Bechern,
Sich die beiden gegenüber
Wie in einem großen Rahmen,
Wo sie freien Umblick hatten
Und ein kühles Fächellüftchen
Sie vom Wasser her umhauchte.
Gleich erkundigte sich Henne
Nach Salvete, Peters Mutter,
Nach Frau Dankmod, seiner Hausfrau,
Nach dem Sohn und den drei Töchtern,
Deren ältre zwei im Orte
Brave Männer schon gefunden,
Und die Auskunft klang erfreulich.
»Ganz besonders noch erzähle
Von der Jüngsten mir, der Blonden,«
Sprach er dann; »weist sie noch immer
Alle Freier ab, die Spröde?«
Peter schwieg darauf und leerte
Tief bedächtig seinen Becher,
Und der Ratsherr fuhr im Reden
Ohne weitres fort und sagte.
»Daß dein strammer Erstgeborner,
Heinrich, fast zum Mann geworden,
Ja, das kann ich mir wohl denken.
Aber was mich wundert, Peter,
Ist und bleibt, daß nach dem Vierten
Euch der Storch nicht mehr der Kindlein
In die Wiege noch gelegt hat,
Denn ihr wart doch beide jung noch,
Du und deine schmucke Dankmod.«
»Hast wohl recht,« versetzte Peter
Langsam vor sich nieder nickend,
»Mit dem lieben Kindersegen
War's nun aus, doch – bei dem Mädchen
Ist noch andres Wunderbares,
Als daß leider unser jüngstes
Sie geblieben.« Danach stockt' er,
Sah den Ratsherrn an und seufzte.
»Nun, was weiter?« sagte Henne,
»Was denn sonst noch Wunderbares?
Tust befremdlich ja und heimlich.«
»Ist auch heimlich,« sprach der Fischer,
Sich verlegen seitwärts drehend;
Und die Faust am Herzen, murrt' er:
»Hier! hier sitzt's und wurmt und quält mich,
Daß ich keine Ruhe habe!
Bruder, – Hand drauf, daß du schweigest!
Aber endlich von der Seele
Muß mir's runter! – also höre.
Nicht der Storch ist es gewesen,
Der das Kindlein uns gebracht hat!«
»Nicht der Storch? ei, was du sagest!«
Mußte trotz dem Ernst des Freundes
Unwillkürlich Henne lachen.
Doch dem Fischer war's nicht spaßhaft,
Und wie Kampf und Überwindung
Zuckt' es über das Gesicht ihm.
Zweimal setzt' er an und brachte
Doch das Wort nicht aus dem Munde,
Noch nicht schlüssig, ob er reden,
Oder ob er schweigen sollte,
Bis er endlich, sich bezwingend,
Barsch hervorstieß: »Aus dem Rheine
Fischten wir das arme Würmlein
Splitternackt und neugeboren.«
Da ward auch des Ratsherrn Miene
Hochgespannt, mit großen Augen
Blickt' er auf den Gast und sagte:
»Peter, hast noch nie im Leben
Mir ein Märlein aufgebunden,
Nichts für ungut um mein Lachen!
Aber nun – nun sag auch alles,
Wie's in Wahrheit sich begeben!«
Als er noch mit einem Trunke
Sich gestärkt, begann der Fischer:
»Zwanzig Jahr ist's her, doch alles
Seh ich noch so klar und deutlich,
Als wär's gestern erst gewesen.
Eines Nachts, bei Vollmond war es,
Daß wir auf dem Rheine fischten,
Ganz allein wir, ich und Dankmod.
Doch es kam nichts, ich ward mürrisch,
Und die Mitternacht war nahe.
Einen Zug noch, denk' ich, tust du,
Und dann heim, mit oder ohne!
Nun, wir hatten niedrig Wasser,
Wirbel und Gefährt so ruhig,
Wie ich's selten noch gesehen.
Da ich einziehn will und hebe,
Sackt das Netz sich, festgehalten
In der Tiefe, daß ich meine,
Nimmer kriegt' ich's unzerrissen
Aus dem Wasser in den Nachen.
Zwischen Bank und Ufer war es
An der Lei des Lurlenberges,
Wo's von Klippen starrt im Grunde.
Endlich gibt es nach, und Henne, –
Einen Fang find ich im Garne,
Fast zu schwer für das Gestricke,
Fast zu groß, um ihn zu bergen.
Wie wir nun vor Freude zitternd
Diese Menge Fische eintun,
Fass' ich mit der Hand ein Etwas,
Das nicht Schuppen hat noch Flossen,
Sondern weich und zart sich anfühlt,
Und – den Schrecken kannst du denken! –
Und es war ein Menschenkindlein! –
Mitten unter all den Fischen
Lag es nackt und still, das Würmchen,
Tot natürlich, wie wir glaubten.
›Sicher ist's ein Kind der Sünde,‹
Sprach ich, ›das die Rabenmutter
Heimlich in den Rhein geworfen;
Leg' es hin! in aller Stille
Wollen morgen wir's begraben.‹
Dankmod nimmt es sanft und hüllt es
Sorglich in ein Tuch, und siehe,
Sieh, da fängt es an zu atmen,
Wird lebendig, regt sich leise,
Schlägt die Äuglein auf und lächelt,
Lächelt, Henne! mußt mir's glauben.
Uns ward's wirbelig im Kopfe,
Wie es möglich, daß ein Kindchen,
Aus dem Rhein gefischt, noch Leben
In dem kleinen Körper hatte.
Auf der Heimfahrt in dem Nachen
Redeten wir mit einander,
Was zu tun sei, und beschlossen,
Still zu schweigen und das Mägdlein
Flugs für unsern eignen Sprößling
Bei den Nachbarn auszugeben.
Mitleid mit der armen Mutter,
Die betrogen und verlassen
Sich vielleicht vor Schimpf und Schande
Anders nicht zu retten wußte,
Riet uns, unbedingt zu schweigen.
Mitleid mit dem Kinde selber
Und die Dankbarkeit geboten,
Es zu pflegen, weil's im Netze
Uns so überreiche Beute
Mitgebracht, als wollt' es gerne
Für die Kosten uns entschäd'gen,
Die sein bißchen Nahrung heischte.
Uns ging's knapp mit unsern dreien,
Ella war noch kaum ein Jahr alt,
Doch wir dachten, hätt' der Himmel
Noch ein Viertes uns beschieden,
Wie's ja wirklich nun der Fall war,
Würd' es auch noch satt mit werden.
Dankmod hielt sich eine Woche
Still zu Hause, und im Städtchen
Hieß es bald: bei Fischer Sandrogs
Ist der Storch schier unerwartet
Wieder einmal eingetroffen.
Mit dem Fläschchen – anders ging's nicht –
Ward das Kindlein aufgezogen
Und gedieh und wuchs und blühte.
Bald auch ließen wir es taufen,
Und dem Ort nach, wo wir's fischten,
An der Lei des Lurlenberges,
Nannten wir das Mädchen Lurlei.
Bruder, solltest jetzt sie sehen!
Rank und schlank und schön und kräftig,
Ist sie unser Stolz und Freude,
Ach! und unsre schwere Sorge.«
So erzählte Peter Sandrog.
Frei von Paffenau, der staunend
Zugehört bis an das Ende,
Reicht' ihm seine Hand und sagte:
»Was ihr an dem Kinde tatet,
Wird euch Gott einst segnen, Peter,
Und euch auch der Sorg entled'gen,
Wenn erst mal der Rechte anklopft
Und der Jungfrau Herz gewinnet.«
Peter sprach. »Der Segen ließ nicht
Auf sich warten, denn von Stund an
Mehrte sich mein Gut, die Salme
Drängten förmlich sich zu Scharen
Mir ins Netz, ja tun's noch immer,
Und ich weiß, bei den Genossen
Regt der Neid sich, in der Gilde
Nennen sie mich schon den Reichen.
Dazu schweig ich; aber Henne,
Eine Furcht hab ich im Herzen:
Dieses Glück, dies ganze Wesen
Geht nicht zu mit rechten Dingen,
Da ist Teufelswerk im Spiele.«
»– sagt der Pfaffe! nicht? dem habt ihr's
Wohl gebeichtet,« höhnte Henne,
»Daß ein Kind vom Wassertode
Ihr gerettet und es aufzogt?«
»Nicht ein Wort! nicht eine Seele
Außer mir, Salvet' und Dankmod
Ahnt etwas davon,« sprach Peter;
»Lurlei selber denkt, sie wäre
Unsre leiblich rechte Tochter,
Und du kannst mir's glauben, Henne,
Uns ans Herz gewachsen ist sie
Mehr fast, als die eignen Kinder.
Aber manchmal graut uns vor ihr,
Ja! und daß ich es nur sage,
Was ich denke: Nixenbrut ist's!«
»Geht der Leib ihr von den Hüften
Stracks in einen Fischschwanz über?
Oder schleppt sie am Gewande
Einen nassen Saum, der niemals,
Auch nicht an der Sonne trocknet?«
Frug mit scharfem Spott der Ratsherr.
»Nicht das eine noch das andre,«
Sprach der Fischer, »sonder Tadel
Ist ihr Wuchs, doch auf dem Herzen
Hat ein hellergroßes Mal sie,
Eine Schuppe, die in Farben
Wie Perlmutter glänzt und schillert.«
»Das ist alles?« lachte Henne,
»Darum soll sie Nixenbrut sein?
Bringe stärkere Beweise,
Wenn es dir darum zu tun ist,
Daß ich das Mirakel glaube!«
Peter, den des andern Lachen
Offenbar verdroß, erhob sich,
Ging mit steifen, schweren Schritten
Im Gemache auf und nieder,
Blieb dann bei der Bogenöffnung
Vorne stehen, beide Hände
Hinterrücks verschränkt, und blickte
Finster auf den Strom da unten.
»Du willst stärkere Beweise?«
Frug er noch in halbem Ärger,
»Wohl! so höre denn ein weitres
Von dem Mädchen und dann sage,
Ob ich recht hab' oder unrecht.«
»Darauf wart' ich,« sprach der Ratsherr.
Peter setzte sich und knüpfte
Ruhig wieder an den Faden.
»Unter Dankmods Hut und Pflege
Wuchs im Haus die kleine Lurlei
Munter auf mit unsern dreien,
Und wir lebten in dem Glauben,
Daß sie uns von Gott gesandt sei,
Uns zur Prüfung und zum Heile.
Aber manche Eigenschaften,
Manche wunderlichen Züge
Im Gebahren unsres Findlings
Weckten endlich den Verdacht uns,
Daß in ihm sich was Besondres,
Übermenschliches verberge,
Das mit seinem Stamm der Hölle
Näher als dem Himmel stünde.
Schwer hab' ich mit mir gerungen,
Wie ich mich in solcher Lage
Nun als Christ verhalten sollte.
Doch das Kind, so hold und fröhlich,
Das mit seinen großen Augen
Mich so lieb und traulich ansah,
Wenn mein Blick argwöhnisch prüfend,
Finster in dem seinen ruhte,
Und das doch an seinem Ursprung
Keine Schuld trug, fortzujagen
Und dem Elend preiszugeben,
Bracht ich übers Herz nicht. Henne,
Hättest du's getan? gewiß nicht!«
Henne schüttelte. »Nun, siehst du!
So behielt ich's denn trotz allem
Und gewöhnte mich allmählich
An des Mädchens Art und Weise,
Ließ mir auch, wohl oder übel,
Jeden Streich von ihr gefallen,
Wenn sie damit auch zuweilen
Uns in Angst und Schrecken setzte.
Laß aus ihren reifern Jahren
Dir ein solches Stück erzählen.
Sommer und ein heißer Tag war's,
Und wir waren auf dem Fischfang,
Heinrich, Lurlei, ich und Dankmod.
Heinrich hielt den Kahn mit Rudern
Ziemlich in des Stromes Mitte,
Ich und Dankmod hatten beide
Hinten mit dem Netz zu schaffen,
Das wir bald zu werfen dachten.
Lurlei, damals funfzehn Jahr alt,
Lag mit Hemd und kurzem Röckchen
Nur bekleidet, vorn im Nachen
Übern Bord gelehnt und spielte
Plätschernd mit der Hand im Wasser.
›Beuge nicht so weit dich über!‹
Rief ihr Dankmod zu. Sie hört' es,
Wandte sich und lachte schelmisch,
Ohne sich vom Bord zu rühren
Und ihr Spielwerk aufzugeben.
Als wir unser Netz geworfen
Und nun beide wartend saßen,
Blickte Lurlei noch einmal um,
Und in ihren Augen – später
Hab ich dessen mich entsonnen –
Blitzt' es neckisch auf und listig.
Dann nach einer kleinen Weile
Schallt' ein Schrei, ein Sturz ins Wasser,
Und ich sah noch in die Tiefe
Lurleis nackten Fuß verschwinden.
Bebend und gelähmt vor Schrecken
Standen wir nun da und starrten
Auf die Stelle hin, wo Lurlei
Uns vor Augen war versunken,
Und ich sagte mir: nun ist sie
Wiederum dahin gegangen,
Wo sie einstens hergekommen.
Plötzlich aber uns im Rücken
Auf des Kahnes andrer Seite
Tönt ein gellend, jauchzend Lachen, –
Und da ist sie! nickt und winkt uns,
Lacht in einem fort und schüttelt
Heftig ihre goldne Mähne,
Daß im Kreis die Tropfen fliegen.
Grenzenlos war unsre Freude,
Sie zu sehn, und eh ich ahne,
Welchen Schelmenstreich die Dirne
Uns im Übermut gespielt hat,
Streck ich ihr die Hand entgegen,
Ihr zu helfen, sie zu retten;
Doch sie lacht und schwimmt und prudelt
Schnell und tummelt sich im Wasser
Wie ein Fisch und fühlt sich lustig
Recht in ihrem Elemente.
Nun ging mir sofort ein Licht auf,
Und doch konnt ich ihr nicht zürnen
Über ihren Schwank, mit Schlauheit
Ausgeführt, um uns zu foppen,
Denn daß Lurlei schwimmen konnte,
Wußten wir ja nicht bis dahin.
Heinrich wußt' es und gestand nun,
Daß er oft mit ihr geschwommen,
Und daß er sich nicht geängstigt
Bei dem kecken Taucherstückchen. –
Nun, was sagst du zu dem Streiche?«
Henne zuckte mit den Achseln
Und erwiderte gelassen:
»Daß sie schwimmen kann und tauchen
Und zugleich ein loser Schalk ist.«
»Weiter nichts?« versetzte Peter.
»Hättst du sie dabei gesehen,
Würdest du wohl anders denken.
Überhaupt, es läßt sich gar nicht
Alles sagen und beschreiben,
Was in diesem Mädchen drin steckt.
Ihren eignen Kopf und Willen
Hat sie schon seit frühster Kindheit
Und versteht's, ihn durchzusetzen,
Sei's mit Schmeicheln, sei's mit Trotzen;
Aber nie sah ich sie weinen.
Betteln kann sie, flehn und drängen,
Hat in ihren blauen Augen
Eine Bittgewalt, um einem
Schier das Herz im Leib zu schmelzen.
Wonnig sind dann anzuschauen
Und holdselig ihre Züge,
Und ein recht spitzbübisch Lächeln
Spielt um ihre Schelmenlippen.
Damit körnt sie Alt und Junge
Wie mit Reiherschmalz und Honig
Wir die Fische, und wer anbeißt,
Der wird angehau'n wie'n Grashecht.
Denn ein loser Schalk daneben
Ist nun allerdings erst recht sie.
Nichts tut lieber sie, als necken
Und ist dabei so erfindrisch
Und so drollig ausgelassen,
Daß mit ihren Narreteien
Sie zu Lustigkeit und Lachen
Oft uns wider Willen hinreißt.
Aber nun sieh sie im Zorne,
Und du kennst sie gar nicht wieder!
Ganz ein ander Wesen ist sie,
Ganz verwandelt und verwechselt.
Stolz und hart ist dann ihr Antlitz,
Blutlos wie ein Bild von Marmor.
Um den bleichen Mund da zuckt es,
Und die Nasenflügel zittern;
Ihre Augen schießen Blitze
Schlangengleich, und manchmal leuchten
Sie von einem grünen Feuer
Wie der Katze Blick im Dunkeln.
Eine Wildheit, unbezähmbar,
Kommt mit Schrecken dann zum Vorschein,
Und wer's sieht, den packt ein Grausen.«
Langsam mit dem Haupte schüttelnd
Sprach der Ratsherr: »Höre, Peter,
Sagtest du vorhin nicht, Lurlei
Wäre dir ans Herz gewachsen?«
»Freilich ist sie's!« rief der Fischer,
»Aber sieh auch ihre Schönheit,
Diese Wohlgestalt des Körpers,
Dieses Angesicht, die Augen
Und das wunderbare Goldhaar,
Das sich ihr an Stirn und Schläfen
Üppig bäumt und lockt und ringelt
Und in langen, weichen Wellen
Ihr den Rücken überflutet!
Hör sie lachen, – ach! und Henne,
Hör sie singen! solchen Wohllaut,
Solche süße Kraft der Stimme
Hast du nie aus Menschenmunde
Noch vernommen. Weiß der Teufel,
Wo sie ihre Lieder herkriegt,
Daß sie wie mit Zauberweisen
Mit dem quellenden Gesange
Alle Herzen bannt und bindet!«
Peter, der zur Übertreibung
Und in seiner schlichten Derbheit
Auch zum Schwärmen nicht geneigt war,
Hatte doch bei seiner Schildrung
So ins Feuer sich geredet,
Daß er selbst davon erregt war.
Doch zum Freunde sprach der Ratsherr:
»Weißt du, was ich glaube, Peter?
Lurlei ist in ihren Eltern
Vornehm von Geburt und Abkunft,
Und wir müssen ihre Mutter
Unter hohem Schilde suchen.
So bestechend reiche Mitgift,
Solcher Schmuck an Leib und Seele –«
»– sind des Satans Angebinde!«
Unterbrach ihn rauh der Fischer.
»Meine Mutter zwar denkt auch so
Und behauptet jetzt noch immer,
Lurlei wäre hochgeboren,
Eines Ritters, einer Gräfin
Sündhaft ausgesetzte Tochter;
Aber das ist nichts, als Schnickschnack.
Halt' doch alles nur zusammen,
Was ich dir von ihr berichtet;
Ist es denn nicht übermenschlich?
Nicht unheimlich und besorglich?
Niemals hab' ich's glauben wollen,
Was von alters her man munkelt,
Daß es Nixen gäb' im Rheine,
Schöne, zauberkund'ge Weiber,
Die in Felsengrotten wohnen,
Lauernd jungen Männern nachstelln,
Sie mit Liebeslist umstricken
Und in ihren weißen Armen
Sehnsuchtsvoll zum Grund hinabziehn.
Anders denk' ich jetzt darüber,
Und ich laß' es mir nicht nehmen:
Solcher Nixe Kind ist Lurlei.«
»Wenn ich,« schmunzelte der Ratsherr,
»So ein aalglatt, nackicht Weiblein
Nur einmal zu sehn bekäme!
Wollte gern mich hätscheln lassen
Von den weichen Schlangenarmen,
Sei's zu Wasser, sei's zu Lande.
Na, nur ruhig Blut, mein Alter!«
Lacht' er, als des Freundes Antlitz
Sich verfinsterte, und klopfte
Seinem Peter auf die Schulter,
Um ihn wieder zu begüt'gen,
»Habe nur Geduld und Nachsicht
Mit dem schönen, wilden Mädchen.
Ob nun Menschenweib, ob Fischweib
Lurleis Mutter sei, sie selber
Ist doch unsresgleichen, Peter;
Und was Heimliches und Fremdes
In ihr steckt, wird mit den Jahren
Mehr und mehr sich noch verlieren,
Sonderlich, wenn sie dereinstens
Eines wackern Mannes Weib wird.
Darum sorge dich nicht, Bruder!
Laß uns noch ein Kännlein trinken
Und von andern Dingen reden.«
»Nein, mehr nicht! 's ist Zeit zum Heimweg,«
Sprach der Fischer und erhob sich.
»Wie du willst,« versetzte Henne,
»Dann geleit' ich dich ein Stücklein,
Mir die Füße zu vertreten,
Wie's der Medikus mir vorschrieb.«
Und nach Hut und Stocke greifend
Macht' er sich bereit zum Gange. |