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Frate Nicolaes Spätzeit und Ende

Jahre schwinden.

Altes modert, Junges wächst. Niemals aber tönen die Gegensätze so scharf geschnitten gegeneinander wie im Frühjahr, wenn neues Leben, frisches Schaffen die Welt in Atem hält. Sprengendes Keimen, drängendes Wachsen, sehnendes Blühen setzen Verderben, Verfall voraus; und immer noch ist der Greis inmitten der Kindheit verwichen, nie hat das Alter den jungstarken Krieg überlebt. Im Herbst legt alles gleicherweise müde die Waffen nieder, und jung und alt rasten friedlich nebeneinander vom Jahreslauf – die knorrige Altfichte nicht anders als die abblätternde Jungbuche. Im Frühjahr jedoch geht inmitten von Aufschwung und Gedeihen der Tod über die Scholle. Da erst verlöschen Wunsch und Hoffen des Altstrunkes, und das Grünen erst weist die Dürre des Ablebens. Wenn die Wandervögel nach der Heimat ziehen, dann kommt mit ihnen der Schwache nie wieder mit; wenn um die Gründung neuen Heimes die Kämpfe streiten, dann erlischt für den Besiegten die Zukunft. Frühjahrsblühen ist kürzestes Blühen. Ein paar Tage nur, und Schneeglöckchen, Leberblümchen und Hundszahn müssen weichen. Meerzwiebels, Buschwindröschens, Muschelblümchens Tage sind gezählt; und Krokus, Lerchensporn, Gilbstern, Lungenkraut nehmen ins Blühen den Welkflor nach. Im Föhn stürzt der Baumgreis, rüttelt der Heile die kranken Äste ab. Mit dem Grüntrieb fällt die dürre Nadel. Der große Streit um Ort und Zeit ist das Auferstehen, das Neuwerden der Welt.

Frate Nicolae, der Hauptbär, ist tief in die Jahre gekommen. Als ob schon ein Hauch von Silberreif tastend über seinen teuren Pelz wehte. Er hat das Geschick mit schweren Sohlen unter sich getreten. Vorne hat es gemahnt, hinten gedroht. Er war bisher Meister mit starker Hand; er hat gebrochen, überwunden. Nichts zählten ihm schon Schaf und Esel! Was galt die Kuh! Das Pferd hat er am Hang erschlagen, den Keiler ausgehoben, den Stier niedergerungen. Er hat den feindlichen Gegner im Zweikampf gleich auf gleich besiegt, und er hat den Menschen getötet. Dann aber kam die schwerste Zeit, die Zeit des Absinkens unter seine eigene stärkste Kraft, die Zeit, da er nicht mehr standhielt auf dem Kampfplatz des Beutezuges und der Liebe und mürrisch, aufgebracht und noch einsamer als bisher die stillsten Wälder durchstreifte, ein Ausgeschiedener seiner Sippe, er, der einst ihren Ruhm allein über die Berge getragen. Er kann nicht Handlanger sein, wo er Meister gewesen, und so meidet er freiwillig seinesgleichen.

Es türmten sich Schrecknisse vor ihm, geheime Schlünde taten sich auf, Blitz und Donner schwebten in düstern Schicksalswolken, zur steten Entladung bereit, über ihm, und es ballte sich geschlossen die finstere Macht.

Was ist aus seiner Heimat geworden? Im Tal pfeifen jetzt schon zwei eiserne Riesenschlangen. Rattert die eine bergan, keucht die andere bergab. Über Täler und Riffe spannen sich dicke Spinnweben in schauerlicher Höhe von kahlgefressenen Baumgruppen zu andern Horsten, und auf ihnen krauchen Riesenspinnen hin und her. Wo sich aber die Fäden treffen, da klappert und dröhnt es; Menschenhauf wuselt durcheinander, und es ist des Gestanks und Geschreis eine Fülle. Wenn die Spinnen hängenbleiben und schlafen sollen, dann blasen fette Sammelstätten ein fürchterliches Pfeifen in die Luft, so ähnlich wie der Hirte auf der Flöte, wenn er lernt und übt, nur hundertmal lauter, daß es über den zehnten Berg hinüberhallt.

Jene Hänge, die einst schwarz flirrten vor unermeßlichem Wald, sind kahlgefressen. Auf ihnen wächst an Stelle stolzer Bäume frühjahrs das Gras, im Sommer weiden dort die Schafe, und im Herbst knistert die fahldürre Öde, oder es läuft mit Feuer und Rauch die Flamme über sie hinweg.

Frate Nicolae mußte diesen Untaten weichen; das Geschick hat sich über ihn gestellt. Neue Heimat hat er gewonnen, verloren, andere gesucht und gefunden.

Es war des Wanderns kein Ende. Viele seinesgleichen gab es nicht in diesen schweren Urwäldern, wo für jedes Getier die Lebensbedingungen so hart waren, Schnee und Eis bis in den Wonnemond lagen und die Herdenzeit nicht mehr als dreieinhalb Mondwechsel dauerte. Allen seinesgleichen aber war er voran, und wo er hinkam, war er Herr und Gebieter, führte er die Brante der Überlegenheit ...

 

Noch streitet der Frühling mit dem Winter, noch ist das Alter nicht gebrochen, in stillen Fichten meldet der alte Urhahn; da berichten die beiden Heger ihrem Herrn, sie hätten beim Streifgang Frate Nicolae, den Hauptbären, gesehen. Es sei nicht Täuschung, nicht Trug gewesen. Sie hätten an der Frühjahrslehne ihres Morgenimbisses gepflogen, hätten so hinüber in den Stellhang geblickt, wo sich die Samenbuche mit der Hochfichte mischt; und da auf einmal hätten sie den Bären zur Aufnahme der Buchelmast in die Fläche treten gesehen. Sie hätten sich ruhig verhalten, hörbares Geräusch und auffällige Bewegung vermieden und sich schließlich in Jungaufschlag von Hasel und Birke abgeschlichen, als sie sahen, daß der Bär kein Mißtrauen hegte und sich vertraut dem Genuß der öligen Kost hingab. Der Herr könne morgen am selben Orte sicher endlich sein altes Vorhaben beschließen und den Bären fällen.

Erinnerungen fassen den Jäger, seltsame Gefühle werden seiner mächtig. Jetzt, da er das Ziel so sicher, so leicht vor sich sieht, kommt es ihm wie ein Unrecht vor, das er begehen soll, Unverdienst, Feigheit. Und dann sammeln sich wieder die Drängnisse und Eindrücke all jener vergeblich durchwachten Nächte und durchwanderten Tage, die im Laufe der Zeit sich in Unmenge verlieren. Sollen sie wirklich umsonst gewesen sein? Muß er sich in ihrer Erfolglosigkeit nicht das Eingeständnis der eigenen Schwäche vorwerfen?

Sie machen sich auf zu dreien.

Am leisraunenden Abend schichten sie auf blätterfeuchter Hutweide im fallenden Tau ein bescheiden unterhaltenes Feuerchen, verbringen im Schwanken und Verankern von Hoffnungsbildern eine aufwühlende Föhnnacht und brechen noch vor Tagesgrauen auf.

Lange sitzen sie nun da auf derselben Stelle, wo vorgestern die beiden Heger des Rastimbisses pflogen. Weitab buhlt dumpf der Ringeltauber, hoch in Lüften kreiseln miauend die Bussarde. Da meint der alte Calina plötzlich, eben einen kurzen Augenblick lang ein dunkles Regen in den Fichten gemerkt zu haben. Aufmerksam spähen die drei hinüber. Nichts zeigt sich. Die Zeit erhellt sich mehr und mehr. Der alte Calina beteuert, gut gesehen zu haben, der Bär sei dort, müsse sich eben eingeschoben haben. Sie beschließen den Trieb. Die Heger sollen von unten fassen, der Jäger wird oben Stand nehmen, wo sich der Fichtenhorst verengt, auf der einen Seite durch den Felsabsturz, auf der andern durch die jähe Brandfläche zusammengezwungen.

Dunkle Fichten schatten den Wechsel zu langer Düsternis ein.

Kaum einen kurzen Rauchkrautbrand lang wartet der Jäger und fühlt die Erlösung von der Bannung der Jahre kommen – da steht es dort mit einmal riesengroß zwischen den Fichtenstangen, verhofft und kommt und trottet, das finstere ungetroffene Ziel der vielen schwarzen Abgründe unter nächtigen Fichten. In scharfem Trott schiebt es sich groß und größer heran, ahnungslos wie das Bild altersschwerer Unschuld.

Hinter der Büchse aber strömen die vielen Wünsche und Hoffnungen der Jahre in dasselbe eine Bett. Noch ein leichtes Vornehmen des Rohres, und als den Bären die Lücke aufnimmt, wirft ihn Blitz und Donner um und schon hinunter, dem Abgrund zu. Er ist verschwunden. Da sieht der Jäger, daß vor Eindrang in den Bären die Kugel die in der Ziellinie gestandene armdicke Fichte durchschlagen hat.

 

Der Bär ist davon, den Abgrund hinab, den Hang hinauf. Es gibt keine Folge. Und doch kann sich der Jäger Überwinder nennen. Und doch hat der Bär wohl auch mit der geschwächten Kugel den Tod im Leibe, doch immer noch die Luft der Freiheit vor sich.

Frate Nicolae, der Große, der König der Wälder, geht fernen letzten Wechsel in die ewigen Bärengründe. Viel fremdes Blut klebt an seiner Schwarte, nun wäscht es der eigene Schweiß herunter. Zum Ende ist doch auch er dem Menschen, der großen Zerstörungswalze, erlegen. Er ist erlegen, aber nicht besiegt. Solange ein Funken Lebenslicht in ihm brennt, solange hat er sich allein, und jener wird ihn auch im Tode nicht besitzen. Groß ist Frate Nicolae und stark, und immer noch tragen die Säulen das stolze, wenn auch vom Blitz getroffene Gebäude. Lange trottet er, und lange schleppt er sich; er schleppt sich todwund hin in die Felsen, wo seine letzte Winterhöhle, seine ureinsame Feste steht. Dort wühlt er sich das Sterbebett; und er kreuzt Brante über Brante und legt zu allerletzt den schweren Kopf auf.

Lunge keucht, Herz faselt. Mählich versickert das große Leben der Freiheit in den ewigen Winterschlaf.

 


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