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Die Talmenschen dringen in die Berge

Die Menschen sind schwach, doch ihre Mittel sind stark; sie sind viele, doch ihrer Mittel sind noch mehr. Vor denen muß man sich hüten, solange man sie nicht als ungefährlich erkannt hat. Diese Mittel versteht Frate Nicolae nicht, und was er nicht versteht, das scheut er. Den Hirten allein scheut er nicht; den versteht er, weil der keine Mittel hat.

Nun bereitet sich etwas Seltsames im derzeitigen Belaufe Nicolaes vor, etwas, das im Zusammenhang mit jenem Holzbau bei dem hohen Aushorch steht, der meist unschuldig und einsam daliegt und nur zu gewissen Zeiten belebt erscheint von Menschen, die ganz anders riechen als der Hirte, am Tage wandern und schreien, sich aber in der Nacht in den Bau verstecken. Nicolae ist ihnen schon mit Mutter einmal bei Tag flüchtig begegnet. Es war an einer plötzlichen Wegkrümmung, als sie unversehens aufeinanderprallten, liebt doch auch der Bär das Schlendern auf hinderlos gängigen Pfaden. Der Schreck war auf der andern Seite sichtbarlich größer, denn die Gesellschaft wendete und rannte wie besessen, Hals über Kopf, den steilen Weg zurück, was man von hohem Stande noch gut mit ansehen konnte. Also war Stärke und Böse nicht auf deren Seite. Seither hat Nicolae noch einigemal denselben, meist schon kalten Duft in Nächten überquert, doch immer nur auf dem einen Wege; oft genug hat er auch, schon gewöhnt, den Pfad, auf dem noch der Ruch vom Tage stockte, selbst eingeschlagen, nie aber ist ihm dabei etwas Unangenehmes widerfahren.

Allerdings kann er sich an das Gegröle nicht gewöhnen, mit dem sie manchmal aus der stillen Ruhe dieser Berge plötzlich aufplatzen und Ohr und Gefühl seines Alleinseins beleidigen. Er zieht sich mürrisch aus dieser lauten Wegnachbarschaft zurück und sucht sich lieber anderswo den Tagesschlupf.

Und das Seltsame, das nun vorgeht, ist ganz besonderer Art. Nicht genug, daß ein regeres Kommen und Gehen herrscht, ein Kommen und Gehen gröberer, satterer Duftträger, leerer Protzer ohne Herden; sie brennen jetzt mitten im Walde ihre Lagerfeuer an, nächtigen sogar neben ihnen, kratzen an vielen Stellen den alten Weg auf und reißen ganze helle Gassen in den Wald. Merkwürdig genug, daß gleichzeitig jener Holzbau beim Aushorch ebenfalls Anwandlungen zur Vermehrung bekommt. Es quietscht, wie wenn Frischlinge quiekten, es hämmert und klopft, wie wenn der Specht zimmerte, es schnarrt, wie wenn Mutter in der Höhle schnarchte. Bäume fallen wie im Sturm und wandern zum Platz hin. Plötzlich tief unten an der Lehne, ganz, ganz unten ein Schuß, dumpf und groß, ein ganz schwerer Schuß, bumm, ein zweiter, rasch dahinter ein dritter. Dumpf rollt es in allen Tälern nach, bis es in der Unermeßlichkeit der Wälder zerschellt. Nicolae lauscht noch lange. Dann nimmt er sich zusammen und tritt aus dem Lager. Da gehen große Sachen vor, Dinge, die nicht seine Neugier, wohl aber seine ganze Abweisung erregen. Drum läßt er Herden, Vieh, Fleisch, alles gute Alte dieser Heimat mit allem Neuen zurück und wandert, während es unten weiter böllert, davon, in ferne Sennengegenden, wo er sich zur Einführung mit einem Gleichaltrigen seiner Sippe schon in der ersten Nacht um das Vorrecht des Stärkeren schlägt, jenen nach kurzem, aber erbittertem Kampfe besiegt und vertreibt und dessen Wirkungsfeld glatt übernimmt. Er hätte ihn auch wohl erschlagen und aufgefressen, wenn er leiblich nicht wohlbestellt genug wäre, um auf den immerhin wenig schmackhaften Notbraten diesmal verzichten zu können. Auch hier schöpft er aus dem Vollen und wütet so lange unter dem Zeug, bis die Hirten aus höllischer Angst vor der ständigen Bedrohung ihres eigenen Lebens die Herden noch vor Weideschluß von der Alm abtreiben.


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