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Der Tiefsommermond schwillt; mückengepeinigt brüllt qualvoll in schwülen Nächten das Weidevieh. Nicolae ist mit allen Fasern und Sinnen trunken in den neuen Rausch hineingewachsen und wächst mit strömendem Blut und zuckendem Fleisch, mit Geruch und Ton unaufhaltsam zu hoher Lebensführung empor. Diese Wühllust in der großen Rinderherde und großen Gefahr einmal gründlich ausgekostet, und die durstende Seele ist für immer gebannt. Aber Kraft ist erforderlich, viel Kraft und unbrechbarer Siegerwille. Und Nicolaes Kraft läuft über wie ein übersättigter, sommerlicher Gewitterbach.
Wie ist doch das schwache Morden in der Schafherde klein gegen den gewaltigen Todesschlag in der Rinderherde; wie ist doch das dünne Verröcheln eines Lammes so nichtig gegen den Todeskampf eines Stiers! Wie ist doch das Leben lebenswert, wenn es sich im Kampf erhebt! Es ist wahr, die dösende Schafherde hat ihre treuen Wächter in dichten Posten um den weißen Fleck aufgestellt, und die beiden mutigen Hirten schlafen, zur Abwehr bereit, am Freifeuer neben dem Getier; die Großviehherde aber hat zwei unnütze Köter, die kaum bellen können, und auch die schlafen mit dem verholzten alten Hirten und dem bastgrünen Buben zusammen in der sicheren Hütte weitab von dem Vieh. Und trotzdem – wie großartig der Einbruch mitten in die starrenden Hörner und der wahnsinnige Todesritt auf dem Opfer in die Spieße des tiefen Tanns hinein!
Frate Nicolae hat es mitgemacht, Frate Nicolae kennt Lanzenbrechen und Sturmritt.
Es ist etwas Seltsames um die Anziehung der wie von Hunderten von Speeren dräuenden Wehr, um die Anziehung zum Sturz mitten in die Gefahr.
In sanft ausgeweitetem Quellgrund oder lieblich friedlichem Fichtenhain liegt, frei dem Himmel ausgesetzt, am Fuß hoch ansteigender Alm der nächtliche Lagerplatz. Zu beiden Seiten plinkern schüchtern durch wacholderdurchstrüppten Fichtenaufschlag zwei eben geborene Wässerchen, ein Zwillingspaar, das sich zu gemeinschaftlichem Wandern an der Unterstufe der Bergböschung in stumpfem Treffwinkel einigt. Drüben über dem Bruderbache steht auf ebenem Felde die Holzhütte. Zuunterst des herzlichen Haines brechen in unermeßlich langem Fall die schwarzen Wälder ab bis tief hinunter zum Talboden, um jenseits wieder emporzuklettern und sich mit dem nackten Scheitel der Alm zu krönen. Beidseits verlieren sich Beginn und Ende des von aller Umwelt abgeschiedenen Tales in namenlose Fernen. Frumoasa – die Schöne – nennt das Hirtenvolk das freundlichste aller geruhigen Fleckchen Erde in dieser unendlichen Wildnis. Gerade diese Perle im Diadem der Waldbänder und Heidegürtel hat sich Frate Nicolae ausersehen – gerade in den Frieden dieses unschuldigen Ortes sollen Krieg und Tod einziehen.
Frate Nicolaes Nüstern blähen sich im Dunst des schlagenden Gewitters. Alle Pulse gieren. Dies ist eine Nacht! Unten im Tal liegt die geschlagene Kuh. Sie haben ihn am Tage von dort abgetreten, nun holt er sich frisches Fleisch. Auf bäumt sich die Blitzschlange, Donner speit aus dem schwefelgiftigen Schlund. Einen Odemzug lang gähnt der schwarze Rachen der Nacht, dann wieder züngelt der Feuerstrahl, und wieder erzittert der Wald unter dem peitschenden Knall. Aus den Kronen prasselt der traufende Guß, ein kalt geronnener Hauch nächtlichen Untiers.
Frate Nicolae taucht aus der Untiefe des Waldes in den hüllenden Bergnebel der Alm empor. Kaum zwanzig Gänge über ihm schneidet scharf der Rand des gedrängten Herdenkörpers aus dem Nebel heraus. Die Rinder liegen nicht wie gewöhnlich mahlend zwischen dem Dung; sie stehen geschlossen, und unter ihnen schwimmt die übergießende Flut des Wassers ab. Nur noch einen scharfen Windzug zur Vergewisserung, und Frate Nicolae wirft sich den mäßigen Hang hinauf. Mit entsetztem Glotzen reißt sich die nächste Kuh gleich einer schweren Springwoge in den welligen Weiher zurück ... Buchtung, Stauung, und Frate Nicolae sitzt rittlings auf der Kuh.
Schmerzgeröhr stöhnt, Wut stößt auf, fassungsloses Gedränge entsteht, dumpfes Geschiebe, eine Gasse in dem zuckenden Wall der Hörner. Nicolae ist mitten in der Herde. Schrecken und Grauen faßt die Masse, aber da reißt wutschnaubendes Gebrüll sie zusammen – Stiergebrüll. Wehrwille steigt, und schon zücken die gesenkten Hörner, im Umkreis sich waffnend, zum Stoß gegen den Räuber. Die Herde gerät in Aufruhr, und Frate Nicolae ist allein, gefangen zwischen Hunderten von Spießen. Wie Spreu vor dem Sturm zerfliegt plötzlich im Trampeln und Stürzen die wankende Mauer, und jetzt erkennt Frate Nicolae die höchste Gefahr. – Der Stier! Wer ist Angreifer, wer Verteidiger? Breitnackig, kurzhornig stürzt der Bulle mit dumpfem Schnob vor. Und mit einmal turnt Frate Nicolae oben auf dem Wogen und Branden der unschlüssigen Hörner; der Stier stockt auf ausgestemmten Beinen, mit Kopf und Horn zum furchtbaren Wurf bereit. Frate Nicolaes höchster Lebensaugenblick ist gekommen. Ein Schuß knallt aus der Hütte auf, mischt sich mit dem schlagenden Donner der Nacht. Das bringt Frate Nicolae noch mehr auf. Unbändige Kampflust packt ihn. Nicht, daß er dem Feind über die Hörner hinweg auf den Rücken springt. Das täte der Luchs. Er muß ihn von vorne brechen. Entschlossen, wildverwegen, wuchtet er in blitzschnellem Fall vor die gesenkten Hörner, und bevor sie emporfliegen, packt er die beiden schwersten und stärksten Waffen der Herde. Ein Ringen beginnt, knirschendes Stemmen, Stoßen und Nachgeben. Der Stier will den Gegner unterwühlen und mit plötzlichem Ruck in die Luft werfen, er will ihn überrennen und zertrampeln. Bleiern senkt sich das schwere Gewicht seines gedrungenen Baues drückend und schiebend auf Frate Nicolae. Der gibt nach, weicht fühlend, mittastend, und plötzlich schlägt er, ein unbewußtes Stocken des zwingenden Druckes blitzartig erfassend, mit der freigenommenen Brante über die Hörner hinüber seinen furchtbaren Schlag auf Genick und Widerrist. Der Stier erzittert in den Knien, drängt ächzend vor. Frate Nicolae hängt in den Hörnern. Noch ein Hammerschlag, und jetzt zwei eiserne Griffe um zwei Hörner – Frate Nicolae zwingt mit Zug und plötzlichem Rückdruck den mächtigen Bullen in die Knie.
Viehhörner wogen, branden und klappern gesenkt im Umkreis. Schwänze peitschen hoch aufgepielt, Röhren aus hundert Schlünden füllt die Luft. Er darf nicht zögern, Zeit und Raum für das Aufsitzen zu nützen. Frate Nicolae tritt zur Seite und wirft sich in mächtigem Satz dem niedergebeugten Gegner auf den höckrigen First. Die Pranken spießen beidseits in die Brust, der Fang faßt auforgelnd den Widerrist. Nun mag der Ritt beginnen! Gehoben von furchtbarem Schmerz, wutröchelnd bäumt der Stier auf, hoch über Vieh und Herde hinauf. Oben aber sitzt, festgekrallt auf sicherem, festem Sitz, wie auf der Hochwart eines Turms in den Nebel hineinstoßend, Frate Nicolae, der Bär.
Fort – hinab! Und der Schützer und Stützer seiner Herde, der Herrscher über sein Vieh, reißt eine Schneise in seine Kühe und stürmt mit dem dunkeln Reiter zu Tal, mitten durch Bruch, Wurf und Gesperr den vereinigten Bach hinunter. Bäume fliegen vorbei. Äste zersplittern an Stier und Bär zu Span und Spliß. Frate Nicolae bleibt fest. Tief unten bricht der Stier vorne ein, erhebt sich, schleppt sich weiter. Blut fließt in Traufen. Er stürzt. Nicolae reißt und metzelt. Dumpf zerschneidet der Schmerzruf die aufgebrachte Nacht. Gespenstisch flackt Blitz auf, wild grollt der Donnerbaß im schüttenden Wolkenbruch. Das letzte Wegstück zieht Frate Nicolae selbst den gefallenen Riesen über Fallholz, durch Unterwuchs zu gutem Platze. Ein kurzes, mit hassendem Grollen gefülltes Ausschnaufen, und in Begleitung der langgezogenen Todesklage und des dumpfen Zürnens der Nacht zerschneidet Frate Nicolae gelassen, langsam den Fleischturm. – Frate Nicolaes Meisterstück.
Der Wald wogt, Wasser stürzt, im Blitz und Donner zerschellen blind und taub die Schüsse.