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Rauhbautz steht allein in der Bergwelt, in dieser Welt der Süßigkeiten und Bitternisse, der herzlichen Geschenke und tückischen Enteignungen, der Freiheit und des Zwanges. Mitten aus dem Strauß der Köstlichkeiten heraus ist Mutter von seiner Seite weggeschossen, ist Bruder ihm durch Verwundung entrissen worden. Er hat es nur dem Zufall zu danken, daß es nicht auch ihn mitgenommen hat. Mit einem Schlag sind seine Sorglosigkeit und sein Mutwillen in tiefen Lebensernst gewandelt. Seine Nachtklagen waren der Abschied von Mutter und Bruder, Jugend und Tugend. Nun beginnt ein neues Leben für ihn.
Rauhbautz nennt trotz Unheil in der Heimat immer noch den fichtenen Urwald sein weites Heim, die Latschenkrüppel sein sicherstes Dach vor den Stürmen der Gefahr, die Meeresaugen in tiefen nebeltränenden Kesseln die wacheste Wacht über seinem Lebensschicksal.
Ein paar Tage nur abwartenden und prüfenden Besinnens, und er mummelt, wie er es bisher mit den Seinen getan, die roten Korallen der Preisel, die schwarzen Köpfchen der Heidel – einsam nun, verschlossen, nicht mehr leichtsinnig an sonnenheiteren Abenden oder stichigen Mittagen, sondern nur noch wachsam in finstern Nächten zwischen schirmendem Nadelwerk. Sonst hebt er die Herbstwaben der Wespen aus, heimst den Honig eines verschlagenen Bienenvolks, zerspänt die Strunke und Stämme der Windbrüche und Brandhölzer in der Suche nach Ameisen und ihren Puppen, sammelt die Mistkäfer aus den Kuhfladen.
Als mit einschlafendem Bergjahr jegliches Tun und Treiben sich tiefer zu Tal läßt, als die Gemsen in die Baumflechtenwelt der Fichten absteigen, die Raben nicht mehr korren, da geht auch Rauhbautz, spürend und kundend nach Freund und Feind, nach Äsung und Schlupf, immer weiter weltein bis in den kahlen Buchwald, wühlt in den Buchelhäusern und sinkt allmählich in mattes, schläfriges Dahinleben. Der Wind braust zu Tal, Schneeflocken wirbeln zur Tiefe, Bäume stürzen in den Abgrund, Vögel fliehen die Hänge hinunter, nur er allein nimmt dies stützig als Aufforderung zur Gegenstellung. Wenn man merkt, daß man getrieben wird, soll man durch die dichteste Reihe brechen! Und er stellt die Nase vor den Wind, stemmt sich gegen das Geschehen, den einzigen Drang in Kopf und Knochen: Wenn alles einen selben Weg nach abwärts läuft, so ist es für deine Sicherheit am besten, aufwärts zu steigen – nur hin zu deiner Kindheitswiege, zur Mutterhöhle unter der senkrechten Wand hinter dem Splitterfels!
Er hat einen weiten Weg über Grate, Schluchten, Rippen und Risse ohne Zahl, durch Windwurf und Farnstreu. Und da überholt ihn auf halbem Weg noch einmal die Unbill. Auf seiner lappigen Spur folgt gierend die Wolfsrotte. Sie arbeitet seine Richtung über Hoch und Tief, Stein und Wasser in der Spurhetze aus, bis sie den gemächlich Trottenden am Felsenrande einholt. Im entgegenstiemenden Flockenschauer hat er sie hinter sich nicht winden, nicht vernehmen, nicht äugen können. Nun sind sie da und gehn auch gleich bleckend zum Angriff über. Der Wind wühlt im Tann, Nebel reißt aus dem Geäst senkrecht zu Boden, Schwarm von Schneegeflocke fällt ein. Fünf fahle Schatten wischen, kaum daß es Rauhbautz eräugt, im Kreise herum, um ihn abzuschneiden. Einer fährt ihm stichig in die Keule. Im gleichzeitigen Zuschlag krallt sich die Bärenpranke in weich einsinkendes Fell. Ein Rückfahrer, und der Angreifer hat den Balg gerettet. Nicht, daß er wiche, zu sehr ist er im Rausch gemeinsamen Raubgelüstes entzündet. Fletschend macht er einen Sprung, um aus der Wendestellung wieder rückseitig anzuspringen. Wo er annahm, ist nun freie Gasse für Rauhbautz. Ein drohender Brummer, warnendes Auftürmen zu erschreckender Höhe, Herumschleudern der Branten, plötzliches Einstauchen, und mit drei Sätzen wirft sich der plumpe Klumpen geschmeidig federnd an den Fels. Nun könnt ihr kommen! Rauhbautz äugt über sich in die Fichten der Mooswand. Von dort oben droht kein Blitz aus heiterm Himmel. Rauhbautz hat Rückendeckung, und die durcheinandertanzende Zahl vor ihm wird sich an der Hammerkraft seiner schwingenden Branten die Schärfe schon abstoßen.
Rauhbautz ist nur zwei Herbste alt, doch er hat den Mut in der Brante, die Kraft des Vaters im Aufbau, die Kunstschule der Mutter in den Sinnen. Er selbst trachtet nicht nach dem Leben dieser ekelhaften Grauhunde, nicht nach ihrem widerlichen Fleisch; vor ihm können sie sich alle auffressen; er kommt nicht an ihren Tisch, um ihnen zu nehmen, solange sie ihn nicht in seinem Bereich stören. In der Verteidigung seiner Burg und seiner Schätze aber kennt er keinen Spaß, keine Unterwürfigkeit unter ein eingebildetes Recht der Menge, kein Spiel mit dem Besitz.
Er nimmt beinahe gutmütig, wie fragend Platz auf den Keulen. Was wollt ihr? Sie äugen ihn lauernd, hechelnd an.
Grad und ehrlich sitzt Rauhbautz auf breiter Steinstaffel und betrachtet sich im Kreise die Kerle. Sein Kopf schlunkert gelangweilt, gähnend nach den Seiten aus, die eine Brante deckt sich weich entspannt über die andre. Die Wölfe überlegen unschlüssig.
Flaum fällt auf Flaum, die Bäume wanken und stöhnen, der Fichtenunterwuchs starrt wie eine Mauer. Etwas muß geschehen! Einer macht einen Scheinsprung, die andern fallen ein, tanzen näher an den ruhenden Klotz heran. Der wirst gereizt einen Stein hinunter. Nun hebt er langsam die Hinterbranten kürzer unter sich, zieht unauffällig die überhängende Vorderbrante näher heran. Der eine Wolf, der Hauptrüde, ist ganz nahe. Rauhbautz mustert ihn aus dem Trupp heraus. Jener wendet unvorsichtig den Kopf. Die andern übereifern sich im Vorprellen. Da ein schwarzes Aufriesen, Ausfall, Schlag – Verknäulen und Auseinanderspritzen, und heulend kullert der Altwolf in die Büsche. Seine Spießgesellen sollen sich mit ihm verrichten!
In Rauhbautz wachsen Ärger und Stolz. Er spürt Kraft und Tatlust schwellen. Keiner kommt mehr heran. Langsam, ständig sichernd, die Flanke am Fels haltend, setzt sich Rauhbautz in Gang. Er hat seine Genugtuung am Strauß, seine Freude am Wetter, seine Ruhe vor sich. Das verfemte Raubgesindel folgt nicht mehr höher in das Fichtenreich der Felsen, ihn zu befehden. Das Gebirge fällt drückend auf die Wolfsrotte. Er aber hält sich noch lange, wägend und verhoffend, an den Wänden entlang – da er den Wind gegen sich hat, rückäugend und vernehmend, – und trottet so die ganze Nacht in steigendem Lockerschnee in die Stille eingehaubter Fichten, bis er schließlich, mit letzter Trugschlinge den Felsfalz abschließend, in seine unterirdische Höhle zum Winterschlaf findet.
Glückauf!
Eisböen rauschen über Risse, Spalten und Höhlen, und wie heilend schmieden sich die Panzer fest über jegliche klaffende Felswunde.