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Draußen pfiff der Nebelwind. Der Wegweiser deutete die steile Halde abwärts. Da waren verschiedene Furchen von Fuhrwerken mit schleifenden Baumstämmen durch den kurzen Rasen der Viehweide gezogen. Alle mündeten sie in den Fahrweg, der auch noch durch eingesetzte Stangen von doppelter Mannshöhe bezeichnet war, wohl wegen des hohen Schnees im Winter, Weiter unten kamen vereinzelte Stangen von knorrigem Wuchs.
Etwa eine halbe Stunde mochte Lamettrie abwärts gegangen sein, als er den Knecht mit dem Bübchen kommen sah. »Großonkla!« lacht das Kind – »Mutterla un Großmutterla lassen ock grüßa.«
»Ich danke Dir, Friedel! – Und ich danke auch Ihnen« – wandte er sich an den Knecht, der mit breiter Freundlichkeit dastand – »hier, nehmen Sie dies dafür, daß Sie den Kleinen begleitet haben. Und nun gehen Sie Ihren Schritt weiter, wir beide kommen sachte hinterdrein.« Der Knecht grinste und verschwand langbeinig und rasch im Nebel.
»Und was macht Friedrich?« fragte Lamettrie den Kleinen.
»A hot sich halt an Fuß vertreta.«
Dichte Schleier umhüllten alles, so daß die nächsten Tannen und Felsen kaum sichtbar waren.
»Ob es einen Rübezahl gibt? Wie kommst Du darauf?«
Das Kind wollte nicht mit der Sprache heraus und sah sich verlegen um. Dann lächelte es und zuckte wegwerfend die Achseln: »Der Riebezohel – ne woahr? gor nischte ne kann a uns!«
»Nein! gar nichts kann er uns tun! Gewiß nicht! Bloß Regen scheint er zu bringen.«
»Schnee!« meinte Friedel – und in der Tat flogen ein paar weiße Graupeln durch die Luft, dann kamen sie dichter.
So sollte denn das schone Herbstwetter, der prächtige Sonnenschein jählings zu Ende sein? Lamettrie war zufrieden, daß er seinen sibirischen Pelzmantel anhatte ...
Mer Friedel? War denn der warm genug gekleidet?
»Es friert Dich doch nicht?«
»Nee!«
»Der Wind scheint nachzulassen – aber sieh doch! wie auf einmal der Schnee stöbert! Und Dunkelheit bricht herein!«
Ein grauer Schleier legte sich vor die Landschaft, die Ferne wurde verhüllt, und schon sah man drüben das Knieholz nicht mehr. Rasch nahm die weiße Decke zu – auch die Abkühlung der Luft.
Lamettrie verlegte sich aufs Rufen. Den Standort unter den Wettertannen mochte er vorerst nicht aufgeben. »Erlenbach! Karl! Halloh!« schrie er durch vorgehaltene Hände. Aber es kam keine Antwort.
Von dem Ruf aufgeschreckt, war ein junger Hirsch aus seinem Unterschlupf gekommen und äugte ringsum, dann barg er sich. »A kann sich noch ne zurechte finda«, meinte Friedel altklug.
Das Gebrause und Aufheulen war in ein gleichmäßiges Gewoge übergegangen. Schneetreiben tobte. Da war es geraten, abzuwarten, bis man den Weg zur Baude nehmen konnte. Und ganz nahe mußte diese ja liegen.
»Wie gut, daß wir einander gefunden haben, bevor das Wetter losbrach!«
»Ja, Großonkla!« antwortete der Knabe mit einem Blick des Vertrauens.
»Bist Du auch warm, Friedel?«
Der Alle fühlte die Hand des Kindes unter dem gestrickten Handschuh; kalt war sie, und seine Lippen bebten. Lamettrie hatte Zeitungen von amerikanischem Riesenformat in der Tasche seines Pelzmantels. Das Druckpapier konnte zur Erwärmung dienen.
»Rasch zieh Deine Stiefelchen aus! Hier ist eine geschützte Stelle, und nun wickle ich Deine Füße in Papier. Da werden sie mollig, sollst mal sehen.«
Das Kind begriff und folgte willig. Die neue Bekleidung ging flott vonstatten. Unter die Strümpfe und Handschuhe wurde anschmiegsames Zeitungspapier gelegt, dann kamen noch über die Wolle etliche Bogen, und die Schnürstiefelchen wurden gelockert.
»Ist es so besser?«
»Au ja! besser!« nickte das Kind.
Nun wurden auch unters Mäntelchen, auf Brust und Rücken Zeitungsbogen gebreitet. » So, mein Kerlchen! So wird's gehen.«
Lächelnd stampfte der Knabe mit seinen Stiefelchen zum Zeichen, daß es sich damit ausschreiten lasse, und meinte zufrieden: »Nu uf zur Baude! Asu werds gihn!«
Freilich spürten sie sogleich, wie beschwerlich es ist, einem Schneesturm entgegenzuschreiten. Das Gesicht vornüber geneigt, bekamen sie pricklige Schneekörner in die zwinkernden Augen und konnten kaum etwas Anderes wahrnehmen, als einen grauen Schleier und zu ihren Füßen dickbeschneiten Boden, aus dem Knieholz und Felsgestein ragten. Von Weg war keine Spur mehr zu sehen.
Den Knaben hatte der Alte fest an der Hand.
Plötzlich wurde die Richtung, in der sie schritten, von einer Gestalt gekreuzt; ein Waldarbeiter schien's zu sein.
»Halloh!« rief Lamettrie; und der Mann, der etwas wie ein Fäßchen auf seiner Schulter trug, blieb stehen.
Näher tretend, gewahrte Lamettrie, daß ein wilder Kerl ihn mißtrauisch oder neugierig betrachtete.
»Wo liegt die Neue schlesische Baude?«
Keine Antwort. Nach einer Weile kam es mürrisch zurück: »Wees ne!« Und im Schneetreiben verschwand die Gestalt.
Das hab ich ungeschickt angefaßt! dachte Lamettrie, ich hätte ihm gleich Geld bieten sollen, da würde er uns Bescheid gesagt haben!
Aber sieh, noch ein zweiter Mann kam mit einem Fäßchen. Der gewitzigte Alte zog einen Fünfdollarschein aus der Geldtasche und bot ihn dar: »Bringen Sie uns, bitte, zur Baude!«
Der Mann blieb stehen und schaute verächtlich auf den Schein, den er wohl für deutsches Papiergeld hielt, nahm den Pfeifenkopf, ans dem er paffte, aus dem Mund und sagte langsam: »Zur Baude? I nu! Wir gihn zu keener Baude!«
»Aber dies hier ist amerikanisches Geld, fünf Dollar!«
Der Kerl spuckte verlegen aus: »Wo soll denn iich amerikanisches Geld wechsla?«
»Wir haben uns verirrt!«
»Iich ha kee Zeit!« antwortete der Kerl verdrossen.
»Sagen Sie uns wenigstens, in welcher Richtung man zur Baude kommt! Sie muß doch dort liegen. Nicht?«
»Nu ju, ju!« war die unfreundliche Antwort, und er deutete unsicher nach der von Lamettrie bezeichneten Richtung. Gleich aber entschwand auch diese Gestalt im Flockengewimmel.
» Sonderbare Leute!« murrte der verdutzte Lamettrie. Friedel meinte scheu: »Das sain Pascher, mecht mer gleeba.«
»Magst recht haben. Und Ungarwein wollen sie über die Grenze schmuggeln – bei solchem Wetter haben's die Wachtposten schwer. In einer Baude mögen sie sich nicht sehen lassen.«
Noch eine Weile stapften sie durch das Schneetreiben, dann konnten sie nicht weiter. Friedel sank mit seinen Beinchen manchmal bis über die Knie ein.
Auf einmal ließ der grausige Flockensturm nach, und man sah wieder deutliche Wolken, sie waren allerdings düster ...
Und nun sogar erschien ein Fleckchen Himmelblau. Friedel jubelte.
»Läge nur der Schnee hier nicht gar so hoch!« brummte Lamettrie.
Sie konnten jetzt gut miteinander reden, da das Toben der Lüfte plötzlich aufgehört hatte.
»Aber es ist noch kein Verlaß auf dauernde Besserung«, meinte der Alte.
Die Formen des Gebirges waren deutlich geworden: Oben steile Blankflächen und Wettertannen, im Schnee fast begraben. Felsen ragten dort, wo man die Baude vermutet hatte.
»Da sieht man, wie irreführend die Auskunft des Schmugglers war! Rücksichtsloses Gesindel! Friedet, wir sind jetzt ganz auf uns angewiesen. Rasten wir mal und überlegen!«