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Vom Museum begaben sich die Gäste in Frau Bellings Empfangszimmer; nur Herr Päch mit seiner Erwählten fehlte noch, und es trat jener Moment ein, von dem es heißt: Es geht ein Engel durchs Zimmer. Offenbar bedachte man, wie komisch es sei, daß ein Paar, welches vor einem Jahr geschieden wurde, eilbrieflich übereingekommen war, sich wieder zu verloben. In das heitre Schweigen platzte Gerharts leises Geträller hinein:
»Juwivallera, Schatz!
Scheiden tut weh.
Und die Liebe tut schwanken
Wie ein Schiff auf der See.«
Alles brach in Heiterkeit aus, doch auf einmal hörte man draußen eine hastige Männerstimme, gleich darauf meldete das Stubenmädchen: »Herr und Frau Päch!«
Lautlose Spannung. Dann trat zunächst Herr Päch im Frack und weißer Binde und weißen Handschuhen ein – atemlos sah er sich im Kreise um, aus dem ihm Frau Belling freundlich entgegentrat. Sich zum Handkusse neigend, stammelte Päch: »Meine Frau ist draußen. Sie geniert sich – war mit ihrer Garderobe nicht auf ein Verlobungsfest eingerichtet.«
Sogleich ging Frau Belling hinaus. Draußen verhandelte schüchtern eine Frauenstimme, bis Frau Belling liebenswürdig an ihrem Arme eine kleine, verlegen lächelnde Person hereinführte: »Dies ist Frau Päch.«
Lamettrie begrüßte sie höflich: »Wir müssen uns entschuldigen – die späte Einladung ließ sich nicht vermeiden ...«
»Oh! verehrter Herr Lamettrie!« erwiderte Frau Päch errötend – »das ist ja klar. Um so inniger muß ich Ihnen und den Herrschaften danken für die große Güte, mit der Sie unser gedenken. Besonders rührt mich, daß ich ... ich ...« Verstummend, weil ihr die Tränen kamen, neigte sie sich zum Kuß über die Greisenhand.
Lamettrie entzog sich ihr, legte ihren Arm in den seinen und führte sie zu Hulda. Diese lächelte: »Wir feiern also zusammen Verlobung!«
Nun gab es Höflichkeiten und Wechselreden. Dann begab sich die Gesellschaft in jenen Speiseraum, der als Wandschmuck das Bild »Gastmahl des Platon« hatte. Diesmal stand inmitten der Tafel bei dem kleinen Springbrunnen ein Gepränge von weißen und dunkelroten Rosen.
Die Herren führten ihre Damen an die Plätze, die durch bemalte Tischkarten bezeichnet waren.
Neben dem Brautpaar saß an Huldas Seite Onkel Lamettrie, den seine Tischkarte als Leo Tolstoi in linnener Bauernbluse darstellte, neben sich ein Limonadenglas, unter seinem Stuhl aber einen Sektkübel.
Neben Helmut saß Frau Rade mit dem Forstmeister, neben diesem Frau Belling, von ihrem Neffen Gerhart geführt. Dann kam das Brautpaar Päch. Ihr munterer Tischnachbar Gerhart zeigte, wozu die Efeuranken und Nelken neben jedem Gedeck dienen sollten. Seine weiße Nelke steckte er sofort ins Knopfloch, mit der Efeuranke bekränzte er sein Haupt.
Alle Gäste legten nun solchen Schmuck an. Aus dem Wintergarten klang eine Tafelmusik, Geige, Bratschen und Flöte, indessen die Bedienung ein Vorgericht herumreichte.
Gerharts Mutter saß neben jenem Freund Gerharts, der diesen mit Helmut bekannt gemacht hatte. Herr Direktor Linde hatte zur Seite eine muntere Dame, die ihm den Efeukranz um sein kahles Haupt legte.
Links von Herrn Lamettrie saß sein altes Faktotum, diesmal zu den Tafelgästen gerechnet. Seine Steifheit suchte ihm der Alte zu nehmen, indem er englisch mit ihm scherzte und eigenhändig sein Wasserglas mit Burgunder füllte.
Die Speisekarte zeigte als erstes Gericht Rheinlachs an, hierauf gebratenen Kapaun. Den Kopfsalat richtete Herr Lamettrie selber an; nachdem er ihn durch Schwenken in einem Sieb von Wasser befreit hatte, rührte er eine Tunke an aus Zitronensaft und gewiegten Kräutern, Olivenöl und etwas Mostrich. Während dieser Küchenarbeit verbreitete er sich satirisch über die deutsche Hausfrau, deren Talent zur Küche er bezweifelte, während er dem männlichen Geschlecht feineren Geschmack nachrühmte.
Dann kam das Glas Sekt an die Reihe; er ließ es zusammenklingen mit Helmuts und Huldas Gläsern und improvisierte mit wehmütigem Scherz:
Nun wird sie ganz sein eigen.
Der Alte, der sie herb vermißt,
Bleibt abseits und muß schweigen.
Doch gut, o dreimal gut,
Daß man sein eigen Blut
Und daß man alte Liebe nie vergißt!
Das Dichten liegt mir nicht. Ich stammle nur, wie mir ums Herz ist, und da muß ich gestehen: Wenn ich mich auch freue, Wehmut ist doch dabei.«
»Traure nicht, Du bleibst mein lieber Onkel! Und hast ja nun sogar Deinen Enkel. Und wir beide zusammen umhegen Dich mit kindlicher Liebe.«
Der Greis brach in Tränen aus, Hulda küßte ihn, Helmut umarmte ihn mit Bewegung.
»Sollst sehen, lieber Onkel, welch' eine gute Stütze in Deinen Angelegenheiten Dir Helmut sein wird«, beruhigte Hulda.
»Ich weiß«, erwiderte Lamettrie, indem er die Augen trocknete und mit Zutrauen auf den Enkel blickte, »Und doch bin ich versucht, die Frage an ihn zu richten: »Willst Du – wollt Ihr beide nicht mal hinüber übers große Wasser? Könntet vielleicht Interessantes erleben, wenn Ihr nicht gerade eine Fortsetzung des deutschen Getriebes erwartet und, wie Helmuts Vetter, von deutscher Gemütlichkeit nicht loskommen könnt. Auch auf traute Gewohnheiten muß man zuweilen verzichten können, und sein Herz der neuen Welt aufgeschlossen entgegen bringen, um sie würdigen zu können. Bekämst Du das fertig, Helmut?«
»Wenn Hulda mir zur Seite wäre, dann gewiß!« entgegnete Helmut mit Festigkeit. Der Onkel blickte ihm sinnend ins Auge: »Vielleicht könntet Ihr Eure Hochzeitsreise nach Amerika machen?«
Ueberrascht, aber mit aufleuchtenden Augen sahen die Liebenden einander an.
Mit einem Anflug von Düsterheit fuhr der Onkel fort: »Von geschäftlichem Standpunkt aus gesehen, wäre es sogar wünschenswert, und unliebsame Erörterungen blieben mir erspart. Du könntest als mein Gesellschafter Dich bei meinem Generalpächter gleich als Autorität einführen. Freilich, einer meiner Angestellten müßte mit Euch gehen. Wenn nun das Ehepaar Päch Euch auf der Ozeanfahrt Gesellschaft leisten würde? In Newyork könntest Du in der Nähe Deines Vetters Erlenbach wohnen.«
»Die Sache« – meinte Helmut, indem er Hulda fragend ansah ... »der Plan scheint mir nicht übel.«
Hulda überlegte, während die kleine Musikkapelle eine neue Weise anstimmte, und alles lauschte – dann als die Gespräche wieder anfingen, stellte sie die leise Frage: »Aus welchem Grunde war eigentlich die Scheidung des Ehepaars Päch erfolgt?«
»Ein komisches Mißverständnis« – meinte Lamettrie –»scheint mir da vorzuliegen. Eine sogenannte Schuld haben beide zugegeben. Päch litt an einer hypochondrischen Eifersucht. Daß seine Ehe kinderlos geblieben war, machte ihm Grillen. Als das russische Schrapnell ihm, wie er gerade aus dem Eisenbahnzug gestiegen war, das Bein zerschmettert hatte, und er aus dem Lazarett mit einem Kunstbein entlassen war, kam er unerwartet nach Hause. Wie er nun das Zimmer betreten wollte, hörte er gerade ein Gelächter – seine Frau hatte ein Zimmer an einen jungen Mann vermietet, und dieser stand scherzend bei ihr, als der melancholische Päch eintrat. Sofort fiel ihm auf, wie vergnügt sie mit ihrem Mieter verkehrte, und wie viel besser dieser frische, lebensmutige Mann zu ihr passen würde, als er, Päch, der Pechvogel. Und der schwermütige Gedanke lagerte sich wie eine düstere Wolke über sein Leben. Fortwährend quälte ihn die Einbildung, daß er seiner Frau schuldig sei, ihr zu einem Glück zu verhelfen, das er, als stellungsloser Krüppel ihr nie werde bieten können. Erst seit ich seine Fähigkeiten in Technik und Bücherwesen entdeckt und ihn angestellt habe, hat sein Selbstvertrauen zugenommen. Seine Frau aber, die er mit seiner Eifersucht tief verletzt hatte, hat sich seither auf ihre Liebe für ihn, den Hilfsbedürftigen, besonnen, die ganze Geschichte mit dem Mieter war ja nur eine Grille des vergrämten Gatten. Nun aber sind die Herzenszweifel abgelöst durch neugewonnene Gewißheit des Paares, daß es zusammengehört.«
Hulda und Helmut, die gespannt zugehört hatten, beobachteten das Paar, wie es in glückseliges Gespräch vertieft schien.
»Ja!« nickte Hulda – »mit denen können wir's wohl wagen, nicht wahr, Helmut? Aber Onkel, warum willst Du uns nicht begleiten?«
Er zögerte mit der Antwort, dann meinte er: »An mir ist es jetzt, mich zu bescheiden und zurückzustehen; das muß ich endlich einmal lernen. Die Einsamkeit soll mir dazu helfen.«
Jetzt erhob sich Gerhart und klingle an sein Glas: »Liebe Freunde! Daß wir meiner Base Hulda und meinem Freunde Helmut innigste Wünsche entgegenbringen, ist mehrfach wiederholt worden. In unserer Mitte befindet sich aber noch ein zweites Brautpaar, das durch Mißverständnisse getrennt, sich in gegenseitiger Liebe wiedergefunden hat, auch ihm gilt unsere herzliche Gratulation. Unsere beiden Brautpaare, sie leben hoch! hoch! hoch!«
Die Musik fiel ein mit Mozarts Menuett: »Reich mir die Hand, mein Leben!«