Ottilie Wildermuth
Bilder und Geschichten aus Schwaben
Ottilie Wildermuth

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Das geizige Pfarrhaus.

War ein recht sauberes geräumiges Haus, sah aber demungeachtet nicht erstaunlich einladend aus; ein gewisser frostiger Hauch schien es zu umwehen, selbst in warmer Sommerzeit. Jahr aus Jahr ein waren Fenster und Läden nach vorne geschlossen, als ob keine Seele drin wohnte; ein dürrer knurriger Spitz, der Jedermann mit bissigem Ton anbellte, war das einzige Lebenszeichen, das man in der Nähe des Hauses verspürte.

Es wurde von Gästen auch nicht stark heimgesucht; das zeigte der grasige Vorhof, die grünangelaufene Steintreppe, die zum Hause führte. Anfangs war das anders gewesen; da der Pfarrer einen gastfreien Vorgänger gehabt hatte und das Dorf unweit einer kleinen Stadt liegt, so machten die Stadtbewohner aus alter Gewohnheit zahlreiche Visiten und der Pfarrer kratzte sich täglich im Kopf und sprach von Wegmelden, auf die rauhe Alb, in ein Schwarzwaldthal, überall hin, nur nicht mehr so nahe zu einer Stadt.

Die Frau Pfarrerin that ihr Möglichstes, die Gäste wenigstens so unschädlich zu machen, als sich mit einigem Schein der Ehrenhaftigkeit vertrug. Sie reiste in eigener Person in eine Glashütte, um daselbst besonders dünne Bouteillen mit langen Hälsen auszusuchen, die mit dem Aeußern einer Halbmaßflasche den Gehalt eines Schoppens vereinigten. Sie kaufte ausgeschossene Tassen aus einer Porzellanfabrik, recht anständige Tassen, nur daß sie erstaunlich klein waren und nie eine obere zur untern paßte, auch waren sie sämmtlich mit X, Y und Q bezeichnet, da diese Buchstaben in der Fabrik nicht abgegangen waren. Das Brod im Hause war von höchst ehrwürdigem Alter, man konnte sich fast nicht erinnern, wann es gebacken worden; sie hätte es für Schiffszwieback verkaufen können. Wäre die Frau Pfarrerin ehrgeizig gewesen, so hätte sie auf ein Erfindungspatent für ihren Kaffee Anspruch machen können, denn der war aus Roggen und gelben Rüben mit einem solchen Minimum ächten Kaffees bereitet, wie gewiß nie erhört worden. Von Backwerk war natürlich ohnehin keine Rede; nur einmal, als die Frau Dekanin da war, hatte man glücklicherweise Reisbrei gekocht und konnte dessen Scharre, mit Zucker und Zimmt bestreut, als Dessert aufstellen.

Trotz dieser umsichtigen Anstalten wurde aber eben dennoch Einiges, wenn auch noch so wenig, durch die Gäste verzehrt; siehe da kam der Pfarrer auf den edlen Gedanken, daß jedesmal, nachdem Besuch dagewesen war, im Hause gefastet, wenigstens kein Wein und Kaffee genossen werden solle, bis die verursachten Unkosten wieder gedeckt seien. Wer hat je die Gastfreundschaft mit so theurem Opfer ausgeübt! Auch mochte wohl das Ehepaar nicht Viele dieses schweren Opfers werth halten; sie waren bald sehr selten zu Hause zu finden, und man munkelte stark davon, daß ein ankommender Besuch, der alle Zimmer leer traf, den Schlafrockzipfel des Herrn Pfarrers habe zum Ofenloch herausgucken sehen. Diese Kunde schreckte nun auch die unverdrossensten Gäste ab, und von nun an durften sie ihren Roggenkaffee und ihren kunstreich mit Wasser versetzten Wein ungestört allein genießen.

Ein schwerer Schlag war es für sie, als die immer mehr sinkende Gesundheit des Pfarrers (er litt in Folge der spärlich geheizten Zimmer an Rheumatismen) einen Vikar nöthig machte, und es brauchte lange Nachforschungen und Beratungen, ein Individuum aufzufinden, das gehörig genügsam und bescheiden erschien. Es sollte kein Reicher sein, »die sind so verwöhnt und anspruchsvoll,« kein Armer, »denn die wollen sich in einem ordentlichen Hause erst herausessen,« keiner Wittwe Sohn, »der könnte der Mutter etwas zustecken wollen« (wäre eine Kunst gewesen), keiner aus der Nachbarschaft, »der könnte zuviel Anhang nach sich ziehen.« Endlich war der Glückliche erkoren, den das Schicksal einer solchen Schule der Genügsamkeit für würdig hielt. Der hat gewiß seiner Zeit einen vortrefflichen Ehemann abgegeben und das »Verwöhntsein« ist ihm bei keiner spätern Versorgung mehr im Wege gestanden. Er hat mehr geleistet als der Gaul jenes Edelmannes, der da hätte lernen sollen nichts zu fressen, und leider krepirte, als er's konnte; dieser Vikar aber lernte das Nichtsessen und lebte doch fort.

Am Abend seiner Ankunft an einem kühlen Novembertag sah er sich in dem spärlich möblirten Stüblein, das ihm der Pfarrer anwies, vergeblich nach einem Ofen um; da schob der Pfarrer triumphirend einen Schieber am Fußboden zurück, so daß eine ziemlich weite Oeffnung in die Wohnstube unten entstand, und machte ihn mit dieser seiner eigenen sinnigen Erfindung bekannt. »Sehen Sie: bekanntlich steigt die Wärme nach oben; nun erhalten Sie alle die Wärme, die sonst nutzlos an unserer Zimmerdecke verloren geht, und sind so offenbar gegen uns im Vortheil.« Das war nun freilich ein unlösbares physikalisches Räthsel, wie das bischen Wärme in der Pfarrstube sich auch noch hinaufziehen und vertheilen sollte. Der Pfarrer lebte aber dieses festen Glaubens und war höchst indignirt, als der Vikar einst an einem sehr kalten Wintertag die Frechheit hatte, seine beiden langen Beine durch die Oeffnung hinabzuhängen.

Der Pfarrer ermahnte den Vikar stets, Nachts das Loch sorgfältig zu verschließen, »weil das Warmschlafen so ungesund für junge Leute sei.« Das Schlafen war aber immerhin noch das Beste, und das Bett, das äußerst melancholisch aussah, weil es mit Trauerkattun bezogen war, den die Pfarrerin als Ladenhüter besonders billig erhandelt hatte, war der einzige Ort, wo er einigermaßen erwärmen konnte. Deßhalb war der Vikar stets getrost, wenn ihm die Frau Pfarrerin sein fabelhaft dünnes Licht zum Schlafengehen anzündete.

Als beim ersten Frühstück der junge Mann unbefangen nach einem Wecken griff, mit dessen Hülfe er hoffte, den Roggenkaffee bewältigen zu können, fragte der Pfarrer erstaunt: »Können Sie einen ganzen Wecken essen? das habe ich in meinem Leben nicht gekonnt.« Der verblüffte Vikar versicherte, er sei eben im Begriff ihn zu halbiren. »Gut, dann rathe ich Ihnen aber, Ihre Hälfte in Schnitten zu schneiden; dann läßt sich das Uebrige leichter verwenden.« – Mit dieser einen Scene ging dem vielgeprüften Jüngling eine Ahnung seiner Zukunft in diesem Hause auf: der Groschenwürste, aus denen die Frau Pfarrerin je achtundzwanzig Rädlein zu schneiden verstand, der hoffnungsvollen Gänse, die er vergebens mit froher Erwartung hatte schnattern hören, die aber ja nicht gebraten, sondern abgezogen und gesotten wurden, um ihnen jede Idee von Fett auszuziehen, und des Kalbsbratens, der viermal zum Nachtessen hinreichte, weil er gleich nach dem ersten dünnen Schnittchen gefragt wurde: »Begehren Sie noch mehr?« Als er nicht wagte, dieß zu bejahen, trug die Frau Pfarrerin den Braten eilig hinaus mit dem Schluß: »Ich esse nichts mehr, der Papa mag nichts mehr, der Herr Vikar begehren nichts, der Hermännchen kriegt nichts und die Magd braucht nichts.«

In seinem Amt war der Pfarrer eifrig, wenigstens was den lukrativen Theil desselben anbelangt. Der Geldwerth jeder Amtshandlung stand stets unverrückt vor seiner Seele. Als er einst den großen Entschluß gefaßt hatte, einem Pfarrkränzchen beizuwohnen, und dort von verschiedenen geistlichen Verrichtungen, unter andern auch von einer Parentation die Rede war, fragte ein zufällig anwesender Fremder: »Was ist eine Parentation?« – »Ein Gulden,« rief unser Pfarrer sehr bestimmt über den Tisch herüber. Mit dem Ausdruck großer Zufriedenheit sagte er eines Tags zum Vikar: »Sehen Sie, hier ist mir Eine Leiche lieber als in meinem frühern Dorf zwei Hochzeiten.«

Auch die Frau Pfarrerin verstand es, die lieben Beichtkinder gehörig auszubeuten, und wußte ihnen recht eindringlich an's Herz zu legen, wie es ihre Pflicht sei, ihren geistlichen Hirten mit leiblicher Provision zu versorgen. Als einst ein armes Weib mit leeren Händen zur Anmeldung kam und auf die saure Miene der Frau Pfarrerin entschuldigend erwiderte: »Wir Leute haben eben so gar nichts, was wir mittheilen könnten,« meinte jene: »Nun, einen Korb Dünger könntet Ihr immer auftreiben; Ihr wißt ja, daß wir viele Felder haben.« Ob es wahr ist, daß der Ehemann des Weibes so boshaft war, dem Herrn Pfarrer eine Bütte, gefüllt mit dieser Seele der Landwirtschaft, in's Studirzimmer zu tragen, das weiß ich nicht bestimmt.

Der Pfarrer hatte durchzusetzen gewußt, daß das zur Amtskleidung gehörige Barett aus dem »Heiligen« (Kirchenkasse) angeschafft werden mußte; von der Stunde an, wo dieser Antrag durchgegangen war, sah man ihn auf seinen täglichen Spaziergängen stets mit dem Barett statt eines Hutes auf dem Kopf, was ihm ein gar ehrwürdiges Ansehen gab. Dem Vikar rieth er übrigens dringend vom vielen Spazierengehen ab, da es bei jungen Leuten den Appetit unnatürlich reize, was dann eine schädliche Ueberfüllung des Magens zur Folge habe.

Ein einziger Sohn, Hermann, war dieser harmonischen Verbindung zweier sparsamen Seelen entsprossen, und ein Glück war es, daß sie nicht mit mehr Kindern gesegnet war; ein Glück nicht nur für die etwaigen Kinder selbst, da doch vielleicht nicht bei allen die Hungerkur so gut angeschlagen hätte, sondern auch für die Pfarrleute, die sich gewiß vor der Zeit zu Tode gesorgt hätten; denn schon die Erwägung, wie dieser einzige Sprößling auf möglichst wohlfeile Weise genährt, gekleidet und unterrichtet werden könne, brachte ihnen so viel sorgenvolle Tage und schlaflose Nächte, daß minder gedörrte Naturen unterlegen wären.

Hermännchen zeigte frühe schon einen sehr bedenklichen Appetit, der nur mühsam in Schranken zu halten war. Der freche Bursche hätte wohl schwerlich je gelernt, sich in die schmale Kost des Vaterhauses zu schicken, wenn er sich nicht in den Obstgärten und an den Brodlaiben seiner Dorfkameraden hätte erholen können. Unterrichten wollte ihn anfangs der Pfarrer selbst; solcher häusliche Unterricht ist aber für Väter und Söhne jedes Schlags jederzeit eine harte Nuß, und aller Liebesschmerz in der Welt ist nicht zu vergleichen mit dem Drangsal, das amo und amavi in väterlichen Schulstuben hervorgerufen. Der Pfarrer hatte zwar Niemeyers und Salzmanns Erziehungsschriften zuvor entlehnt und gelesen; dem ungeachtet endeten aber all seine Unterrichtsstunden mit jämmerlichem Geschrei von Seiten des Söhnleins und heftigem Zorne des Papa, so daß oft das halbe Dorf zusammenlief. Auf die besorgliche Frage der Leute: »Warum schreit denn der Hermännle so?« erwiderte dann die Pfarrmagd geruhig: »Der Herr Papa thut ihn wieder unterrichten.« – Zu großer Erleichterung der Mama übertrug man später diesen Unterricht dem Vikar, bei dem es friedlicher zuging. Aber in die Länge ging es doch nicht mit dem Buben; er schleppte oft ganze Schaaren von Kameraden mit in's Haus, verlangte Brod für sie und plünderte mit denselben den Apfelbaum, dessen Vorrath für Monate hätte ausreichen sollen; er fuhr, als Soldaten durch's Dorf ritten, mit dem Kopf durch die Scheiben, kurz, er beging zahllose Unthaten. Als er nun eines Tags für das Geld, das er dem Schuhmacher hätte bringen sollen, von Jägers Ludwig einen Fuchs erhandelte und diesen heimlich über Nacht in Papa's Studirstube sperrte, wo er saubere Arbeit machte, da war Hermännchens Maß voll und man beschloß ihn fortzuschaffen.

Der Pfarrer erinnerte sich, daß ein Gymnasialprofessor in *** ihm von den Studienjahren her noch eine ziemliche Summe schuldete, und beschloß, diesem nun seinen Hermann anzuvertrauen, damit er das Geld an demselben abverdiene. Aber wie wenig hatte Hermännchen in dem Elternhaus, dieser Schule der Genügsamkeit, profitirt, wie wenig von den schönen Exempeln, die ihm die Mama erzählt, von jungen Leuten, welche auf Schulen äußerst wenig, ja gar nichts gebraucht und mit Stundengeben noch arme Eltern unterstützt haben! Schon nach acht Tagen schickte er den Mantelkragen zurück, den ihm der Papa doch von seinem eigenen Mantel hatte abtrennen lassen, mit der Bemerkung, er wolle lieber gar keinen Mantel als so einen. Nicht genug, wenige Tage später schrieb er, die Beinkleider, die man ihm aus Papa's alten hatte fertigen lassen, fangen sämmtlich an zu brechen und zu reißen. Was nun thun? Kurz zuvor war Hermännchens Jugendgespiele, der schwarze Ziegenbock, krepirt; der wurde nun abgezogen und sein Fell dem Sohne zugeschickt mit der Weisung,. sich daraus Hosen machen zu lassen, die gewiß dauerhaft ausfallen würden. Aber siehe da, der undankbare Sohn verschmähte das Bocksfell und verschaffte sich mit Hülfe der Frau Professorin neue Tuchhosen, welche die seufzenden Eltern bezahlen mußten.

Aber ganz hatte der Geist des Vaterhauses Hermännchen nicht verlassen. Er entlehnte ohne des Professors Wissen eines seiner Rasirmesser und schnitt damit aus dem verachteten Bocksleder Hosenstege, die er zu billigen Preisen an seine Schulkameraden absetzte. Dieser schöne Zug versöhnte auch die Eltern einigermaßen mit seiner sonstigen Ueppigkeit.

Was aus Hermännchen später geworden, weiß ich nicht; die Pfarrleute aber haben, so viel ich weiß, allmählig die Scheu vor den großen Leichenkosten überwunden, sind zur Ruhe eingegangen und haben Hermännchen als gefaßten Erben ihrer zusammengesparten Schätze hinterlassen.


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