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Es gibt Orte und Scenen, die man nie wieder sehen sollte, wenn man sie als Kind gesehen hat, um den poetischen Reiz des ersten Eindrucks nicht durch spätere nüchterne Anschauung zu schwächen. Unter solche Orte rechne ich die Stube des »Dakters,« die für mich mit all dem magischen Duft erfüllt war, der in poetischen Schilderungen auf den Laboratorien der Alchymisten ruht.
Der Dakter war, wie der Titel besagt, ein Tausendkünstler, dem nichts verborgen blieb, und er machte Geschäfte in allen Fächern. Von Gewerbe war er ursprünglich ein Gürtler, er war aber auch Gold- und Silberarbeiter und Uhrmacher, er war aber auch Graveur und Juwelier, er verstand Porcellan zu kitten, Transparente auszuschneiden, Fahnen zu drapiren, Illuminationen zu arrangiren und Festsäle zu schmücken; er hatte schöne Kenntnisse in der edlen Kochkunst und konnte Torten und Kuchen so sinnreich verzieren wie der Hofkonditor. Der Dakter war auch ein Roßkenner, er hielt ein Pferd, einen Schlitten und ein sonstiges zweideutiges Fuhrwerk, das zwischen Droschke und Bernerwagen die Mitte hielt und das er zu eigenem Gebrauch und zum Vermiethen benutzte; er war auch rationeller Landwirth, der Aecker und Weinberge nach eigenen Heften anpflanzte und allerlei kunstreiche Bebauungs- und Bedüngungsversuche damit anstellte.
Somit gab es der Berührungspunkte mit dem Dakter gar vielerlei, und mannigfach waren die Bestellungen, die wir bei ihm zu machen hatten. Solche Botengänge waren uns jedesmal ein Fest, trotz der hohen und schmalen Treppe, die zu erklimmen war, ehe man das Heiligthum des Künstlers betrat.
Da wußte man nun in der That nicht, wohin zuerst sehen und was zumeist bewundern, und wir hatten gewaltigen Respekt vor dem Dakter Angesichts der Herrlichkeiten, mit denen er umgeben war. Die Wände waren geschmückt mit den neun Musen und dem halben Olymp in Porcellan, die Kommoden mit kunstreichen kolossalen Porcellanvasen, die bei allen Festlichkeiten in der Kirche, auf dem Rathhaus u. s. w. figuriren mußten; in der Mitte des Zimmers prangte ein hoher Glaskasten voll künstlichen Silbergeräths, wunderlich geschliffenen Gläschen und Krystallen in allen Farben, Brennspiegeln, einer Camera obscura, Porcellanfiguren und buntbemalten Döslein. Da mußte für Kinder eine ganz neue Welt aufgehen. Und der Dakter war gar nicht neidisch mit seinen Schätzen, er zeigte und erklärte alles, was da war und noch mehr, in seinem etwas schwer verständlichen sächsischen Dialekt, der uns den gutmüthigen Respekt einflößte, der den Schwaben vor allen fremden Mundarten befällt.
Den Titel »Dakter« trug er von einer einfachen Veranlassung her. Als er zuerst aus dem Sachsenlande einzog, um unsere bescheidene Stadt mit seiner kunstreichen Gegenwart zu zieren, bestand noch der Gebrauch, daß man an den Thoren der kleinen Residenz, die er passiren mußte, um Titel und Rang befragt wurde. »Dakter Schwebbe,« sagte er der Kürze halber, und seither blieb er der Dakter bis an sein Lebensende.
Es wäre aber unrecht, ihm diese Selbstbetitelung als Anmaßung aufzurechnen; wenn er auch just nicht auf dem ordinären Weg doktorirt hatte und von den mannigfaltigen Elementen seines Wesens das geistliche das unmerklichste war, so hätte er doch gewiß Doktor und Magister in nicht sieben, sondern wohl in siebzehn freien Künsten werden können. Auch hatte er selbst die allerumfassendste Meinung von seinem Talent. »Das kann ich ooch,« war seine einfache Antwort, wenn von irgend einer Kunst, Wissenschaft oder Erfindung die Rede war. Zu jener Zeit kamen die orthopädischen Institute auf und mit ihnen kam eine Unzahl von Verkrümmungen, hohen Seiten, schiefen Hälsen und was mehr für Mißgestalten an's Tageslicht, an die man zuvor kaum gedacht hatte, als man die Menschheit noch wachsen ließ, wie sie konnte und wollte. Tausend besorgte Mütter beobachteten den Wuchs ihrer Töchter, die Aerzte wurden um ihr Gutachten angerufen, wo sie gingen und standen; Turnanstalten, Streckbetten und andere Torturanstalten verbreiteten sich durch Stadt und Land. Obgleich nun der Dakter in einer unorthopädischen Zeit aufgewachsen war, so war er doch gleich vollkommen daheim auf diesem Gebiet. »Das kann ich ooch,« meinte er und construirte Hängeanstalten, Stahlkreuze und Maschinen, von denen Heine, Chelius, und wie sie alle heißen, gewiß noch viel Neues hätten profitiren können.
Die Dampfmaschinen in jeder Gestalt hielten ihren brausenden Einzug in die Welt. »Das kann ich ooch,« sagte der Dakter und laborirte an einer Dampfsäemaschine, die zugleich durch laues Wasser, das sie von sich gab, den Boden hätte erweichen sollen, die aber meines Wissens nicht zur Ausführung kam.
Daß er nicht kunstritt und seiltanzte, kam sicherlich nur daher, daß es eben nicht in seinem Belieben lag; Taschenspielkünste jeder Art verstand er wenigstens vortrefflich auszuführen: er warf Kugeln in die Höhe und fing sie mit einer Gabel auf, steckte sich eine Gabel in die Nase und ließ die Spitze am Aug herauskommen, verschlang Werg und spie Bänder und dergleichen; »ooch« konnte er Daguerrotypen verfertigen, nur daß sie wie Silhouetten aussahen.
Ueber des Dakters Herkunft und Vergangenheit, über den Gründen, die ihn bewogen, das Sachsenland mit unserem hausbackenen Schwaben zu vertauschen, schwebte ein gewisses Düster, das ihn nur noch interessanter machte. Wenn er nun auch nicht direkten Aufschluß darüber gab, so verstand er doch das Dunkel mit einzelnen Erzählungen zu beleben, die wenig hinter denen des Herrn von Münchhausen zurückblieben. Er hatte ganz erstaunliche Abenteuer erlebt, so daß es eine Lust war ihm zuzuhören und ein biederer Dorfschulze einmal unwillkürlich in den Ruf ausbrach: »aber dem schmeckt's Lügen prächtig!« So zwar verstand er's nicht wie jener in Schwaben bekannte Ehrenmann, der unter andern Erlebnissen häufig erzählte, wie er in Afrika sehr glücklich verheirathet gewesen, bis ihm eines schönen Morgens sein schwarzer Schwiegervater alle seine Kinder gefressen, und der jedesmal bittere Thränen dazu vergoß. Dafür aber wußte der Dakter höchst reizende Schilderungen vom Karlsbad zu machen, wo er »ooch schon« gewesen, wobei er seiner Muse um so freieren Lauf lassen konnte, da er bei den einfachen Sitten des Städtchens gewiß war, daß sich niemand dorthin verirren werde, um seine Aussagen zu controliren. – Die Bäder Aladins im Thal der Genien sind gar nichts im Vergleich mit den Comforts des Karlsbades. Da saß man im Bad, schwebend auf einem Luftpolster, trat aus demselben in ein mit wohlriechender Luft erwärmtes Gemach, wo durch eine künstliche Maschinerie ein weicher, wollener Mantel zum Trocknen sich um die Glieder schlug; dann setzte man sich an ein Klavier, dessen schwarze Tasten je den Namen eines Buchs, die weißen die Namen verschiedener Speisen als Ueberschrift trugen; man schlug eine beliebige Taste an, und das betreffende Buch oder Gericht kam alsbald herbeigerutscht. In dieser Weise ging es weiter.
Die meisten Potentaten Europa's hatte er in Audienzen oder bei zufälligen Begegnungen gesprochen. Er hat »ooch« vorher gewußt, wie's mit dem russischen Feldzug ausfallen würde, und seine Schuld war's nicht, daß man ihn nicht unterlassen hat; ooch hätte er eine besondere Art von fliegender Brücke über die Beresina angeben können, mittelst welcher der Uebergang leicht zu bewerkstelligen gewesen wäre.
Sei es nun mit seiner Herkunft wie es wolle, seine universelle Bildung und die zum Theil wirklich werthvollen Geräthschaften, die den Schmuck seines Zimmers bildeten, ließen schließen, daß er einst »bessere Tage gekannt,« und er behauptete lange Zeit seinen Rang unter den Honoratioren der Stadt. Er machte sogar eine Art von Haus, wenigstens gab er alljährlich ein großartiges Herbstfest, bei dem er selbst gezogene und eigenhändig zubereitete Hahnen und Kapaunen auftischte und ditto Feuerwerk los ließ. Zwar gingen die Raketen abwärts statt aufwärts, das war aber wohl nur der Rarität halber, er hätte sie gewiß ooch steigen lassen können.
Mit dem Ehestand hat er's auch in verschiedenen Variationen versucht, und wenn er eben nicht als musterhafter Ehemann berühmt war, so hat er doch gezeigt, daß er verstanden, immer wieder eine Frau zu bekommen, wenn auch die Vorgängerin nicht an Uebermaß von Glück gestorben war. – Die erste, die vielleicht den Grund zu seinem Wohlstand gelegt, war eine Wittfrau, ledernen, gesetzten Ansehens, die es wenig verstand, in seine Ideen einzugehen, und ein scharfes Regiment über ihn führte. Ja, böse Zungen wollen behaupten, sie habe ihn behandelt wie eine Orgel – bald getreten, bald geschlagen. Aber strenge Herren regieren nicht lange; sie starb und hinterließ ihn als trostempfänglichen Wittwer. Sodann erhob er seine Augen zu einer Honoratiorentochter der nächsten Stadt, die aber meinte, er habe in dem Fegfeuer seines ersten Ehestandes wenig Geduld gelernt. Nach ihrem Tode schien es fast, als wolle er Geschäfte in Körben machen, denn er handelte von diesem Artikel eine bedeutende Anzahl ein, endlich aber gelang es ihm doch, eine hübsche, schwarzäugige Bürgerstochter in sein Prunkgemach zu führen, ein herzgutes Weib, die es zum Erstaunen lang an seiner Seite aushielt, bis er »ooch« für sie einen kunstreichen Grabstein konstruirte.
Mittlerweile war der Dakter ooch alt geworden, seine kunstfertige Hand zitterte, seine Beredsamkeit nahm ab, sein Vermögen und die Mittel ein Haus zu machen, gleichfalls und er schien noch mehr als zuvor die Einsamkeit seines Herdes zu empfinden. Da wählte er schließlich bescheiden »ein Weib aus dem Volke,« die Annekäther, eine rüstige Magd, die indeß seine Haushaltung besorgt hatte. Annekäther ließ sich die Ehre gefallen, blieb aber dabei fein in der Demuth, auch machte der Dakter keine Versuche, sie in geistiger oder geselliger Beziehung zu heben. Der einzige Bildungsgrad, den sie erlangte, war ein seidenes Kleid und eine Spitzenhaube; im übrigen verblieb sie seine demüthige Magd, die ihn treulich versorgte und verpflegte bis an sein Ende.
Auch bei den Kindern, die dieser letzten Verbindung entsprangen, den einzigen Sprößlingen seiner vier Ehen, verlor sich der aristokratische Typus, den er selbst noch beizubehalten gewußt, immer mehr. So ging es dem Dakter gleich so vielen großen Männern, die ein glänzend begonnenes Dasein in Stille und Dunkelheit beschließen, wie dem Rhein, der im Sand verläuft. Es wurde immer weniger von ihm vernommen, immer seltener erblickte man Kunstwerke von seiner Hand; doch hatte Annekäther noch hinreichend Zeit, die Ehre des seidenen Kleides und der Spitzenhaube abzuverdienen, bis sie mit gefaßter Seele in den alleinigen Besitz seiner sehr geschmolzenen Verlassenschaft trat.
Ein bescheidenes Gegenstück zu dem vielbeweglichen Dakter habe ich in einem Universalgenie anderer Art in den Mauern eines kleinen, lebenslustigen Städtchens kennen gelernt, das, rings von Bergen eingeschlossen, in Sitten und Gebräuchen noch sein altes reichsstädtisches Ansehen bewahrt hat.
Ich habe in meiner Jugend große Lust und Freude an der edeln Maler- und Zeichenkunst gehabt, obgleich mir's nimmermehr gelungen ist, meine Phantasien auch nur einigermaßen in eine Form zu bringen. Die menschlichen Gestalten und Gesichter en face bekamen stets ein grinsendes oder hexenhaftes Ansehen und die Hände mit ihren fünf Fingern glichen mehr einer seltsamen Blume als einem menschlichen Glied. Im Profil wären die Gesichter etwas besser ausgefallen, aber bei der übrigen Gestalt wußte ich nie, wo der zweite Arm anzubringen sei. Für Thiergestalten hatte ich nur Ein Modell, einen Storch, der entsteht, indem man eine schöne Geschichte erzählt von einem Herrn, der aus seinem Gartenhaus schaut (bin auf besonderes Verlangen bereit, es zu veröffentlichen). Nach diesem wurde mit kürzeren oder längeren Füßen und Schnäbeln das ganze Vogelgeschlecht gebildet; für die vierfüßigen Bestien aber fehlte mir ein ähnliches Arkanum, darum fielen mir diese noch schwerer, und meine Lämmer konnten nur an den Ohren und vier Füßen von den Vögeln unterschieden werden.
Nun also, um dieses schöne Talent nicht brach liegen zu lassen, wünschte ich bei einem längeren Besuch in der erwähnten kleinen Reichsstadt Zeichenstunde zu nehmen. Als der Einzige, der mit einer so hoffnungsvollen Schülerin beglückt werden konnte, wurde mir Meister Buchsbaum, der erste und einzige Blumen-, Landschafts- und Porträtmaler der Stadt, empfohlen, der in Oel-, Aquarell- und Pastellgemälden, in Tusch- und Bleistiftzeichnungen Geschäfte machte. Ohne Examen und sonstige Schwierigkeit ward ich angenommen und begab mich mit Zeichenpapier, Bleistift, Tusche und vor allem mit Gummielasticum reichlich versehen in das Atelier des Künstlers, das Wohn- und Besuchzimmer, Lehrsaal und Arbeitsstube in sich vereinte.
Ein friedlicherer Anblick, eine harmonischere Vereinigung der Attribute des Künstlerlebens mit der allerspießbürgerlichsten Ordnung und Behaglichkeit, als diese Stube darbot, läßt sich nicht denken. Die Aussicht aus den sonnenhellen Fenstern war von den grünen Bergen begrenzt, die von allen Seiten das Städtchen einschließen; an dem einen derselben stand der Arbeitstisch des alten Meisters, auf dem in zierlichster Ordnung sein Malergeräthe lag; vor dem andern sah man ein paar frischgrüne Blumenstöcke, auf dem innern Sims stand der Strickkorb und das Nähkissen der Hausfrau; am dritten befand sich das Tischchen, wo die Schüler ihre Versuche begannen. An der einen Wand hingen Musikinstrumente aller Art, Violine, Fagot, Posaune, Flöte, Klarinet und Horn; die andern waren mit den Kunstwerken des Meisters, Landschaften, Porträts und Blumenstücken bedeckt, in der Ecke stand der Drehstuhl und das sonstige Geräth zum Beindrechseln.
Der greise Künstler empfing mich allzeit mit ruhiger Höflichkeit, in demselben unveränderten Kostüm, einem gestrickten wollenen Wamms und einer schneeweißen Zipfelmütze auf seinem ehrwürdigen grauen Haupt. Die fast ängstliche Ordnung und Sauberkeit, die ein Charakterzug jener kleinen Stadt ist, waltete auch in der kleinen Stube; kein Stäubchen war sichtbar, kein Blättchen von seiner rechten Stelle gerückt, sogar der Staar, der am Fenster der Hausfrau hing und Freiheit hatte, aus seinem offenen Käfig aus- und einzugehen, schien an Sauberkeit gewöhnt. Hier war so recht eine Heimath des Friedens von außen und innen; man vergaß ganz, daß da draußen eine Welt voll Hader, Vergnügungssucht und Klatscherei sich umtreibe.
Inmitten dieses häuslichen Stilllebens begann denn der Zeichenunterricht, und wenn es je einen gelinden Lehrmeister gab, so war es der alte Buchsbaum. Seine Methode war höchst einfach und ich hoffe, daß begabtere Schüler als meine Wenigkeit glänzendere Resultate davon gewonnen haben als ich. So wie sein Talent sich einst die eigene Bahn gebrochen, so überließ er's auch seinen Schülern, die ihrige einzuschlagen. Mit Strichen, Linien und Kreisen hat er uns keinen Augenblick geplagt. Auf seinem Tisch lag eine große Mappe mit Zeichnungsvorlagen aller Art; da durfte sich denn jedes wählen, was ihm gefiel, und an was es den Muth hatte sich zu wagen, Hirsche oder Hunde, Blumen oder Bäume, Obstkörbe oder Apostel. Die Originale waren in Quadrate eingetheilt, eben so geschah es mit dem Blatt, worauf die Zeichnung kam, was das Nachzeichnen ungemein erleichterte. Nun arbeitete man darauf los mit Kreide und Wischer, nach bestem Wissen und Vermögen; was nicht gerathen wollte, das bracht man dem Lehrer, der wieder gut machte, was wir übel gemacht; am Ende rieb er uns die Bleistiftquadrate säuberlich heraus mit Gummielasticum, und so entstand ein ganz leidliches Stück, unter das wir unser fecit schrieben und es triumphirend als eigene Arbeit nach Hause trugen.
Das alte Ehepaar schickte sich so harmonisch zusammen wie seine ganze Umgebung. Das Weibchen verhielt sich während der Lehrstunden sehr still, ihr Tritt in den weichen Filzschuhen war unhörbar, die Thüren waren mit Salband bezogen und gaben kein Geräusch. Nach der Lektion aber liebte sie's, wenn ich ein Stündchen mit ihr verplauderte, wo sie der bewundernden Anerkennung der Talente ihres Ehherrn freien Lauf lassen konnte. – »Ja, das würden Sie gar nicht glauben, wie geschickt er ist, und alles von ihm selber! Jetzt sind es bald sechzig Jahre, daß er als ein ganz gewöhnlicher Beindreherjunge aus der Lehr gekommen ist. alles andere hat er aus sich selbst heraus gelernt, nur so vom Hören und Sehen: Musika, alle Instrumente, das Zeichnen und das Malen so gut, daß er sogar den Herrn Decan selig noch nach seinem Tode abkonterfeit hat, und das Beindrehen versteht er so fein und künstlich, daß sein Meister gar nicht an so was denken konnte, wie er's gemacht hat.«
Das verhielt sich auch wirklich so, und der Meister Buchsbaum hatte als Stadtmusikus, als Porträtmaler und Zeichenlehrer, als Obmann seiner Handwerksgilde die verschiedenartigsten Beziehungen zu allen Wechselfällen des Lebens, zu allen Einwohnern der Stadt und Gegend, und in allen diesen Kreisen bewegte er sich mit seinem stillen, ruhigen Wesen in unerschüttertem Seelenfrieden und ungetrübter Lauterkeit und Herzenseinfalt.
Am weitesten hat er's, meines Erachtens, denn doch in der Kunst gebracht, zu der er ursprünglich bestimmt war, im Beindrechseln. Er stammte noch aus der alten guten Zeit, wo das kunstfertige Städtchen ein Nürnberg im Kleinen war; er war einer der drei erlesenen Meister, die den alliirten Monarchen auf ihrem Durchzug Proben ihrer Kunst dargebracht hatten: ein Schachbrett, dessen vier Zoll hohe Figuren lauter Porträts berühmter Monarchen, Generale und Offiziere aus dem Freiheitskrieg darstellten, einen Korb mit Früchten, und einen Blumenstrauß, die man beide für natürlich hielt.
»Auch der alten Königin selig, die eine Kronprinzessin von England war, hat er so einen schönen Obstkorb zum Hochzeitgeschenk gemacht,« erzählte das Mütterchen. – »Ja, ja,« fiel der sonst schweigsame Meister mit Lachen ein, »es war eine Erdbeere darunter, nicht größer als die natürlichen sind; diese konnte man aufdrehen und da waren neun Kindlein darin; man konnte bei jedem noch das Gesicht unterscheiden. ›Zuviel, zuviel!‹ rief die Königin, wie so eins um's andere heraus rollte.«
Des Meisters letztes und höchstes Kunstwerk, das er mit großer Liebe und Treue ausgearbeitet hatte, war in einem kleinen, zierlich geschmückten Gemach aufgestellt und wurde von der Hausfrau mit Stolz und Freude vorgezeigt. Es war ein bunter Strauß von Blumen aller Arten, so fein und schön gearbeitet, daß man wirklich glaubte, die feingeäderten Blumenblättchen müßten sich vom Hauche des Mundes bewegen. »Das müssen wir aufbewahren zum Angedenken,« sagte die Frau, »so lang noch eines von uns lebt. Es sind schon viel vornehme Reisende bei uns gewesen, und ein reicher Engländer hat uns schwer Geld dafür geboten, aber das thun wir nicht. – Man thät's ja gar nimmer glauben, wie künstlich er gewesen ist,« fügte sie wohlgefällig hinzu.
Eine einfachere Lebensweise als die des greisen Ehepaars habe ich nie und nirgends in der Welt gesehen. Es war gegen das Ende des Winters, als ich meine Studien bei Meister Buchsbaum machte und während dieser Zeit blieb der Speisezettel der alten Leute Tag für Tag unverändert derselbe. Am Samstag kochte das Mütterchen einen Topf voll Sauerkraut, um Sonntags nicht am Kirchgang gehindert zu sein, Donnerstags eine Kachel voll Erbsen. Das waren ihre Küchengeschäfte für die ganze Woche. Jeden Vormittag Punkt eilf Uhr ging sie sachte hinaus und stellte ein Schüsselchen mit Erbsen nebst einem Teller mit Kraut und Fleisch in den Ofen zum Wärmen; das war Suppe und Gemüse. Eine Magd hatte und brauchte sie nicht, und die Gehülfen, die der Meister zur Ausführung seiner musikalischen Leistungen brauchte, waren Dilettanten, die in der Stadt wohnten und außer den Proben nichts mit ihm zu thun hatten.
So störte nichts den lautlosen Frieden, das innige Genügen des ehrwürdigen Paares. Der Meister wurde nie ungeduldig, wenn die Frau jedes Papierblättchen, jedes Farbenschälchen wieder an Ort und Stelle trug, sobald er es weggelegt hatte, und die Frau wurde nie müde, dasselbe Stück zum zwanzigstenmal aufzuräumen. Ihre tägliche Herzensfreude war, während sie den Morgenkaffee bereitete, bei geöffnetem Fenster dem Choral zu lauschen, den er in vollen Accorden vom Thurme herab blies. Nie fiel ein rauhes Wort zwischen ihnen, und obwohl sie alle beide niemals etwas vom Zusammenklang der Seelen gehört oder gelesen hatten, so konnten doch die Instrumente, die die Wand zierten, in ihrer besten Stimmung und an den höchsten Kirchenfesten nicht harmonischer zusammenklingen als das Leben des alten Künstlers und seines hausbackenen Weibchens.
Daß ich das Atelier des Meisters nicht als Künstlerin verließ, war seine Schuld nicht: ich habe etwas Besseres daraus mitgenommen, den Eindruck eines friedvollen Daseins voll Liebe und Genügen.
Ich habe nichts mehr von dem alten Paare vernommen; wahrscheinlich hat es sich zur Ruhe gelegt, noch ehe Dampfwagen und Lokomotive durch das stille Bergthal brausten, und wer weiß, in welcher Rumpelkammer jetzt das Kunstwerk des greisen Meisters modert.