Ottilie Wildermuth
Bilder und Geschichten aus Schwaben
Ottilie Wildermuth

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IV.
Der Herrenbau.

Der Herrenbau sah nicht so wundersam und mährchenhaft aus, wie der Freihof, doch war wenigstens ein Theil seines Innern noch viel geheimnißvoller und unergründeter.

So wie ich mir's denken kann, ist es ein altes stattliches Gebäude mit eingeschlossenem Hofraum, auf einer Seite von hohen Bäumen beschattet, so dicht, daß fast kein Tagesstrahl hereindringen konnte. Der untere Theil war gleichgültig, prosaisch, der wurde vermiethet an Jedermann, oben aber da hauste der düstre geheimnißvolle Freiherr mit seinem alten Diener, und dem war es eben recht, daß kein Sonnenlicht eindrang.

Eine eigene räthselhafte Region begann in dem obern Stock, wo nie ein anderer Tritt als der des Freiherrn und seines Johann gehört wurde; Jahr aus, Jahr ein waren Tag und Nacht Fenster, Läden und Vorhänge dicht verschlossen, Jahr aus, Jahr ein brannte Licht in den Zimmern des alten Herrn.

Man wußte gar wenig von dem Freiherrn, nur Ein Zug von ihm war der bekannteste: seine entschiedene Frauenfeindschaft. Kein weiblicher Dienstbote, keine Frauensperson unter irgend welchem Vorwand durfte je die Treppe betreten, rasch und scheu schritt der Freiherr vorüber, wenn ihm eine der Hausbewohnerinnen vom untern Stock begegnete. Der Johann verrichtete mit ängstlicher Genauigkeit alle Dienste, die sonst von Frauenhänden geleistet werden, und mit schadenfrohem Hohnlachen sahen die Mägde der Nachbarschaft zu, wie die steife Figur in der Livree und gepuderten Haaren mühselig, aber mit großem Anstand, den Wassereimer die Treppen herauf schleppte, den Vorplatz kehrte, oder Gemüse für die Küche wusch.

Als getreuer Diener seines Herrn hielt sich der Johann für höchlich verpflichtet, den Frauenhaß desselben zu theilen, obgleich er dessen Gründe nicht kannte, und keine eigenen dafür hatte. Die Wäsche des Herrn, zu deren Reinigung er sich doch nicht selbst verstehen konnte, stellte er der Wäscherin in's Haus, und nahm sie mit möglichst gedrängter Kürze in Empfang, wenn sie fertig war; hatte er Einkäufe auf dem Markt oder in Läden zu machen, so besprach er sie am liebsten mit dem männlichen Personal. Dafür mußte er aber von dem beleidigten Frauengeschlecht, den Mägden am Brunnen und den Marktweibern manche spitzige Redensart hören: »ein Wunder, Herr Johann, daß er seinem Herrn nicht auch Ochsenmilch und Gockelseier verschafft!« – »Er hätte gar nicht nöthig, so kostbar zu thun, solche wie Ihn gibts noch genug, wenn der Markt verlaufen ist!« u. s. w. – Johann nahm alle dergleichen Sticheleien mit ruhiger Verachtung hin, er wurde ganz vergnügt, daß er nun doch einen Grund für seinen Weiberhaß bekam, und es that ihm nur leid, daß er sich gegen keine gleichfühlende Seele darüber aussprechen konnte. Denn der Freiherr war kein Freund von Worten, und als der Johann ein einzigmal unaufgefordert eine vertrauliche Bemerkung wagte, mit der er gewiß Glück zu machen hoffte, und im Ton militärischen Respekts gegen den Freiherrn äußerte: »aber, gnädiger Herr, die Weibsleut sind doch ganz grausig unverschämt!« hatte ihn der mit so seltsamen Augen angeschaut, daß das die letzte blieb.

Aufs tiefste empört war der Johann, als sich Herr Meuret in das Parterre des Bau's einquartirt hatte, und Madame Meuret ihre Strickschule mit kleinen Mädchen da errichtete, dießmal konnte er nicht schweigen. »Wissen der gnädige Herr, daß die französische Madame ein ganzes Rudel kleiner Mädchen hereinbringt? befehlen der gnädige Herr nicht, daß man sie fortjagt?« Der Freiherr schüttelte den Kopf und begnügte sich, dem Kinderschwarm auszuweichen, allemal wenn er anrückte; einmal aber geschah es, daß er eines der Mädchen, das sich verspätet, auf die Achsel klopfte und ihm ein uraltes Bonbon schenkte, eine Begebenheit, die lang Epoche machte in der Strickschule.

Der Ton der Klingel, der des Sommers und Winters früh um sechs Uhr auf des Freiherrn Zimmern ertönte, war der einzige, der die tiefe Morgenstille unterbrach; mit der feierlich ausgesprochenen Frage: »Wie haben der gnädige Herr geschlafen?« trat der Johann mit zwei Kerzen ein und löschte das Nachtlicht des Freiherrn. »Erträglich, Johann,« war die stehende Antwort, nach welcher Johann begann, die Toilette seines Herrn zu machen, mit einer Zierlichkeit und Sorgfalt, als ob es auf die Eroberung von einer ganzen Damenschaar abgesehen gewesen wäre. Dann begab sich, mit dem Schlag sieben, der Freiherr in's Nebenzimmer, wo Johann das Frühstück, hinter seinem Stuhl stehend, servirte. Von acht bis elf Uhr brachte der Freiherr in seiner Bibliothek zu, schwerlich immer mit Lektüre beschäftigt. Diese ganze Bibliothek bestand aus den Werken alter französischer Romandichter und Philosophen; – den Romanen aber hatte er, zugleich mit den Frauen, Lebewohl gesagt; wenn ihm nun nichts blieb als die Philosophen, so läßt sich leicht denken, wie sein inneres Leben, gleich seinem äußern, immer dürrer und verödeter wurde.

Nachmittags machte der Freiherr feierlichen Schrittes seine Promenade auf dem, durch eine Kastanienallee eingefaßten Stadtgraben, gefolgt von seinem Johann, bis er, nach einer Stunde, wieder in seiner dunklen Behausung verschwand.

Vor mehreren Jahren hatte er noch viel stiller und zurückgezogener in seinen verdunkelten Mauern gelebt, damals war er von auswärtigen Hofdiensten zurückgekehrt in die kleine Stadt K., zu dem alten Haus, an dessen Bewohnung er ein Familienrecht hatte. Seit seinem Einzug überschritt er aber viele Jahre lang die Schwelle nicht mehr, nur das Aus- und Eingehen des Johann gab den unten Wohnenden Kunde, daß der stille Bewohner oben noch am Leben sei.

Eine tödtliche Krankheit, die Folge dieser licht- und luftlosen Lebensweise hatte endlich einen Arzt ins Haus gerufen, der durch einen Machtspruch die Aenderung derselben gebot. Der Freiherr aber wollte davon nichts wissen, und schüttelte schweigend den Kopf.

Da vernahm die Frau Herzogin von der Krankheit und dem Eigensinn des Freiherrn, und fand sich bewogen, bei ihm vorzufahren, und in eigener Person nach seinem Befinden zu fragen. Der angestammte und angewöhnte Respekt vor Standespersonen überwand bei Herrn und Diener die Frauenscheu, die Frau Herzogin wurde eingeführt, und die sanfte, gewinnende Persönlichkeit der alten Dame bewirkte mehr als der Ausspruch des Doktors.

Der Freiherr genas und machte von nun an seine tägliche Promenade, auch alljährlich zwei Aufwartungen im Schloß, am Neujahr und am Geburtstage der Herzogin. Wie die Mägde und Marktweiber bei Johann, so hätten die paar Hofdamen gern diese einzige Gelegenheit benützt, seinen Frauenhaß durch süße Blicke zu brechen, oder durch spitze Worte zu rächen, aber alle Versuche glitten ab an der äußersten Gleichgültigkeit, mit der er die schönste, wie die häßlichste Gestalt gleich entschieden ignorirte und seine feierliche Höflichkeit allein der Frau Herzogin zuwandte.

Auch die Kirche fing er seit jener Zeit an zu besuchen und erregte das Erstaunen und Ergötzen der Schuljugend durch den großen Muff, mit dem er sich zur Winterzeit gegen die Kälte schützte. Niemand in der Stadt B. hatte ihn jung gesehen, er hatte schon das Ansehen eines bejahrten Mannes, als er seine Einsiedelei zum erstenmal verlassen.

Nur Ein Band gab es, das den scheuen Freiherrn noch mit den Menschen verband, nur Eine Freude, der er nicht entsagt hatte – die des Wohlthuns. Wo er eine bekannte oder verborgene Noth erfuhr, da war seine Hand stets offen, natürlich so still und verborgen als möglich. Viel Freude konnte nun freilich auch nicht dabei sein, da er fast nie den Dank aus eines Armen Munde selbst empfing, aber doch ist wohl manch stilles Gebet für ihn emporgestiegen, und hat einen Friedenshauch in sein verdüstertes Dasein gebracht, ohne daß er wußte, woher er ihm gekommen.

Außer den Armen war ihm wohl Niemand so gewogen wie die Lichterzieher, die gern der halben Bevölkerung zu Gunsten ihres Gewerbes eine so misanthropische Laune gewünscht hätten; wie es denn überhaupt eine tröstliche, und daneben eine höchst leidige Eigenschaft des Menschenlebens ist, daß jedes Misere des Einen für den Andern eine Lichtseite hat. – Wir sind ein Raubvogelgeschlecht, wo vom Generalfeldmarschall bis zum Todtengräber sich jeder von einem Stückchen menschlicher Vergänglichkeit oder menschlichen Jammers nährt. Ich hörte eine Frau Apothekerin einst ganz ärgerlich sagen: »jetzt kommt d'Cholera erst nicht!« Hagelwetter und Katzenmusiken sind die Blüthezeit der Glaser, bei der »herannahenden Saison der Rheumatismen« preisen die »wollenen Waarenhändler« vergnügt ihre Waaren an, die zerrissenen Stiefel, die den Jungen Schläge und Schelte eintragen, helfen den Kindern des armen Schusters zu ihrem täglichen Brod; – und so war das verstörte Gemüth des Freiherrn, das ihm das Tageslicht verhaßt machte, ein rechtes Labsal für seinen Nachbar Seifensieder, der sonst die gutmüthigste Seele von der Welt war.

Alle Lichter brennen auf, so auch das Lebenslicht des alten Freiherrn. An einem kühlen, klaren Herbstmorgen öffneten sich zum erstenmal die Fenster und Läden im Herrenbau, zum erstenmal fiel das Sonnenlicht auf das Lager des alten Herrn, als die Leichenschau es umstand, um sich von seinem Tode durch Schlagfluß zu überzeugen. Ein entfernter Vetter wurde herbeigerufen, um des Freiherrn Erbe in Besitz zu nehmen, das man nach seinen Spenden an die Armuth für viel größer gehalten als sich nun zeigte.

Der junge Baron hatte seinen Vetter im Leben nicht gekannt, aber im Tod interessirte er sich sehr für ihn; er hatte Sinn für's Romantische, und hätte gar zu gern gewußt, was denn den alten Herrn zu solch einem verfehlten Dasein voll Nacht und Trübsal gebracht. Der Freiherr aber hat sein Geheimniß mit in das Grab genommen; den Johann hatte er erst kurz vor seiner Ankunft in K. gedingt, und so war Niemand, der Aufschluß geben konnte.

Nur das Bild einer wunderschönen Dame, das sich im verborgensten Fach eines Schreibtisches gefunden, soll Kunde gegeben haben, daß der Freiherr wohl nicht sein Leben lang so tiefen Abscheu vor Frauen gehegt. – Ein unverbürgtes Gerücht sagt, daß der junge Erbe an dem Hofe, wo der Freiherr seine Jugend verlebt, einiges erfahren, was das Räthsel lösen konnte: eine alte leidige Geschichte, wie sie bei dem frühern Leben an Höfen wohl nicht die erste war und nicht die letzte blieb; die Geschichte von einem lebensfrischen jungen Pagen, der jahrelang mit der reinen Gluth einer jungen Seele, mit stiller hoffnungsloser Treue zu einer stolzen Schönheit aufgeschaut, und der endlich durch ein fürstliches Fürwort mit Einem Schlag an das Ziel seiner Wünsche gekommen war.

Was es aber gewesen, das die schöne Braut, deren Stolz sich in demüthige Liebe verwandelt, am Hochzeitmorgen dem überseligen Bräutigam anvertraut, das ist nicht mehr über seine Lippen gekommen. Ein Dunkles Geheimniß muß es gewesen sein, daß es ihn an demselben Tag fortgetrieben von Braut und Hochzeitfreude, fortgetrieben für all sein Leben lang von dem klaren Sonnenlicht und dem holdseligen Frauenantlitz, von aller Liebe und häuslichen Freude.

Des Freiherrn altes Wappenschild ist glänzend und fleckenlos auf seiner Bahre gelegen, von dem Geschick jener schönen Braut aber, von ihrer Schuld und ihrem Leid hat man nichts mehr vernommen.

Bald fünfzig Jahre sind verflossen, seit man die Leiche des Freiherrn aus dem Herrenbau getragen. Mancherlei Bewohner sind indeß in dem alten Gebäude aus- und eingezogen, bis es nun frisch gelüftet und gereinigt zu neuem Zwecke hergestellt wurde. Und zu welchem! Hat sich der Geist des alten Freiherrn nicht zürnend aus seiner Gruft erhoben? Schreitet des Johann's Gespenst nicht mit würdevoller Alteration durch die entweihten Gemächer? Chaise an Chaise hält vor dem Bau und eine Frauengestalt um die andere tritt in die alten Räume: ernste, stille Jungfrauen, heitere gesprächige darunter, und

Sie sinnen und träumen,
Sie ordnen und räumen
Mit fleißigen Händen
An Ecken und Enden.

Sind es Nonnen? ach nein, zu mannigfach, zu modisch dazu ist ihre Tracht. Frauen sind es und Jungfrauen, die ein stilles Asyl hier suchen vor Stürmen und Unbilden des Lebens, einen Trost für Herzenseinsamkeit in freundlichem, friedlichem Beisammenleben, einen Wirkungskreis für eine noch rüstige Kraft. Der alte Herrenbau ist zum Frauenstift geworden.

Nun gute Nacht, Dunkel und Schweigen! Ist's kein rosiges Morgenlicht, so sei es doch eine freundliche Abendsonne, die über dem alten Herrenbau leuchtet!

Und wenn der Geist des alten Freiherrn sich's doch einfallen ließe, Umschau zu halten in seiner ehemaligen Heimath, so möge er lernen, daß auch Herzen, denen das Leben nicht viel Rosen getragen, etwas Besseres thun können, als sich in Finsterniß begraben und den Frauen davon laufen!


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