Ottilie Wildermuth
Bilder und Geschichten aus Schwaben
Ottilie Wildermuth

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V.
Die Jammerbase.

Es ist eine uralte Tradition, die bis auf den heutigen Tag auf Treu und Glauben hin angenommen wird, daß nur der Glückliche Freunde habe, der Unglückliche aber freundlos und verlassen sei. Wer das Leben näher ansieht, wird jedoch gar oft das Gegentheil finden. Mancher hat erst im Unglück erfahren, wie viele gute Freunde er hatte; Viele, die wir in ihren guten Tagen unbeachtet dahinziehen ließen, werden uns erst wichtig und interessant, wenn ein unerwartetes Leid über sie hereingebrochen ist, – ist der Jammer vorüber, so läßt man sie getrost wieder ihres Weges gehen. Diese Sympathie für's Unglück erstreckt sich ja bis auf den Verbrecher, der auf dem Schaffot stirbt.

Eigentümlich scheint mir freilich hiebei, daß man Trost und Liebe, Thränen und Mitgefühl, ja auch aufopfernde Dienste mit Nachtwachen, Krankenpflegen &c. viel leichter bei seinem Nebenmenschen findet, wenn man dessen bedarf, als – Geld, das schnöde Geld, diese Hand voller Sand. Kommt einmal auch zu dem gutherzigsten, wirklich wohlwollenden Menschen und sagt, daß Ihr ein Anliegen habt, sogleich verbreitet sich ein eigenthümlich verlegener Zug, ein gewisses Zögern und Ansichhalten auf seinem Gesicht, das immer bedenklicher wird, je näher eure Bitte auf Geld zielt, sei es um ein Anlehen für euch selbst oder andre, eine Bürgschaft oder eine Armenkollekte, wovon sich's handelt. Selbst Gaben an Arme, über deren Zweckmäßigkeit man im Zweifel ist, die man aber aus lauterer Gutherzigkeit doch gibt, gibt man mit einer gewissen Säuerlichkeit oder mit unfreundlichen Ermahnungen, die der Gabe allen Werth nehmen, die würdigen Armen in's Herz schneiden und unwürdige verbittern und schlechter machen.

Ist aber euer Anliegen andrer Art, bittet ihr um Trost oder guten Rath, um Beistand bei einer Arbeit oder Besuch bei einem Kranken, da glättet sich die Miene und die herzlichste Bereitwilligkeit kommt Eurem Verlangen entgegen.

Und das ist nicht allein der Fall bei Geizigen, bewahre, auch freigebigen, sorglosen Gemüthern wird durch die Last der Zeit dieses philisterhafte Haften am Geld aufgenöthigt, und ich möchte einen Menschen sehen, dessen Gesicht sich nicht aufklärt, dessen Ton sich nicht ändert, wenn das Weib mit einem Armkorb, die er für eine Bettlerin gehalten, nun anhebt: »Ich möcht' gern einen Zins zahlen.«

Das ist nun einmal so, und ob es anders werden wird, so lange die Welt steht, das weiß Gott. Trotz all dem kann man aber nicht mit Grund sagen, daß das Unglück freundlos sei.

Eine solche Freundin des Unglücks, die von der schnöden Welt schlechten Dank erfuhr, war Frau Christiane Krauthöferin, zunächst von der Familie, allmählich aber im Kreis ihrer Bekanntschaft schlechtweg die Jammerbase genannt und als solche weit und breit gefürchtet.

Und doch gab es niemand, der nachweisen konnte, daß ihm Frau Krauthöferin jemals etwas zu leide gethan, im Gegentheil, es war fast Niemand, dem sie nicht schon, sei es auch nur mit ihrer Theilnahme, beigesprungen wäre, weshalb sie auch in ihren jüngern Tagen der Beisprung genannt worden war. Jetzt hätte diese Bezeichnung zu leichtfüßig geklungen für ihr ehrwürdiges Alter, mit dem Springen ging's nimmer, aber mit dem Beistehen noch in alle Wege.

So lang es euch wohlging, hättet ihr gute Ruhe vor der Frau Krauthöferin gehabt, ihr bekamt sie dann nicht einmal zu Gesichte. Wer ihr ein glückliches Ereigniß anzeigte, eine fröhliche Verlobung, ein gut bestandenes Examen, die glückliche Geburt eines Kindes, der wurde mit einem ziemlich schnöden »so,« oder »ist mir eins« von ihr abgefertigt; sagte ihr aber eine Nachbarin im Vorbeigehen: »denken Sie, Frau Krauthöfer, 's Müllers Kind ist gestern die Leiter hinuntergefallen und hat beide Füß gebrochen und ein paar Aerm!« dann dämmerte durch die mitleidige Miene der Frau Krauthöfer ein gewisser Ausdruck der Befriedigung, und sie machte sich ungesäumt auf nach der Mühle, mit Leinwand und Bandagen versehen. Wenn sich nun auch das Unglück nur als ein einfacher Beinbruch nebst Loch im Kopf darstellte, so blieb doch die Jammerbase getreulich bei der Müllerin, bis die Magd den Kopf zur Thür hereinstreckte: »wisset Ihr's schon?« »Was? was?« »Mit's Stadtpflegers und 's Accisors hat's Händel geben, jetzt ist d'Brautschaft wieder ausgegangen mit em Minele und 's Accisors Sohn.« Nun war ihres Bleibens nicht mehr. Nachdem sie der Müllerin noch Vorsicht empfohlen und den herzlichen Wunsch ausgedrückt, daß der Brand nicht dazu komme oder der Hundskrampf, oder daß der Kleine nicht lebenslänglich ein Krüppel bleibe, eilte sie davon, zuerst zu Accisors, um ihnen ihre Theilnahme zu bezeugen und zu sagen, daß sie von Stadtpflegers immer seien über die Achsel angesehen worden, dann zu Stadtpflegers, wo sie das weinende Minele mit der Versicherung tröstete, daß der Fritz sie von jeher nur um des Geldes willen gewollt habe.

Nach wohlvollbrachtem Tagewerk wollte sie sich eben nach Hause begeben, da begegnete ihr die Frau Kollaboratorin. Diese war eine befreundete Erscheinung für die Jammerbase, wie wir sie der Kürze halber nennen wollen, zwar ging es ihr leidlich wohl, aber sie hatte sieben eigene Kinder und fünfzehn Kostgänger, da gingen die Drangsale nie ganz aus, und Frau Krauthöfer war gewiß, hier fast immer kurzes Futter für ihren Leidenshunger zu finden, wenn es sonst keine großartige Nahrung dafür gab.

»Wie gehts, Frau Kollaborator?« fragte sie. – »Recht ordentlich, dank der Nachfrag, aber man ist eben nie ganz fertig, jetzt wäre der Krampfhusten vorbei, nun klagt aber des Amtmanns Fritz von Hausen über Kopfweh.« – »Auch Hitze?« frägt begierig Frau Krauthöfer. – »Das eben nicht, ich denke auch, es hat nichts auf sich, doch habe ich ihn zur Fürsorge in's Bett geschickt.« – »Haben Sie schon einen Boten an Amtmanns geschickt?« – »Bewahre, was denken Sie, wer wird die Leute so erschrecken? Morgen ist der Bub vielleicht wieder wohl.« – »So? haben Sie nicht gehört, daß in Bezgenried die natürlichen Blattern ausgebrochen sind, und in Stuttgart sei das Scharlachfieber äußerst bösartig. Bei so viel eignen und fremden Kindern könnte es doch Pflicht sein, den Buben baldmöglichst fortzuschaffen.« – »Erliegt in einem besonderen Stübchen,« sagte die ängstlich werdende Frau, »auch ist ja Bezgenried und Stuttgart noch weit von uns, ich muß jedenfalls bis morgen warten, will ihm indessen Thee machen.«

Frau Krauthöfer war aber nicht gesonnen zu warten, obgleich bereits der Abend dämmerte; sie ging in eigner Person in der Stadt umher, bis sie einen Kutscher auftrieb, der sie noch nach Hausen führte, denn selbst Geldopfer scheute sie nicht, wenn es galt, beizuspringen. Amtmanns waren eben im Begriffe zu Bette zu gehen, als sie noch ein Gefährt anfahren und die Glocke ziehen hörten.

»Was ist's ums Himmelswillen?« fragte die Amtmännin erschreckt. Der Amtmann eilte hinab und brachte den späten Gast herauf. Beim Anblick der wohlbekannten langen dürren Gestalt war die Amtmännin erst betroffen, »ach, Sie sind's, Frau Krauthöfer, wir haben schon lang nimmer's Vergnügen gehabt.« – »Freilich nicht,« erwiederte diese, »seit dem Unglück mit dem armen Paule, das Ihnen beim Waschen an den Ofen gefallen ist; ach, ich hab damals wohl gedacht, daß das noch des armen Kindes Tod sein werde, eine solche Verletzung gibt eben leicht etwas Zehrendes.«

Der Amtmann winkte ihr erschrocken mit der Hand, niemand hatte je diese immer noch blutende Wunde bei seiner Frau berührt. »Was verschafft uns denn so spät noch das Vergnügen?« fragte er, um sie zu unterbrechen. – »Ja, ich muß mich recht entschuldigen, aber es ist nur wegen Ihrem Fritz . . . .« – »Was ist's mit dem?« frug die tödtlich erschrockene Mutter. – »Drum sehen Sie, die natürlichen Blattern sind in der Nähe und auch das bösartigste Scharlachfieber, nun hat sich Ihr Fritz an Kopfweh und Hitze gelegt, und so fängts gerade an. Die Kollaboratorin wollte Sie nichts mehr wissen lassen, ich aber dachte: wozu hat man gute Freunde? und ließ mich's nicht verdrießen noch selbst zu kommen.« – »Sehr verbunden,« sagte der Amtmann. Da ihm bei näherem Befragen die Sache minder gefährlich schien, so entschied er, daß für den angenehmen Gast ein Bett aufgemacht, und auf den nächsten Morgen ein großes Gefährt bestellt wurde, um im Nothfall den Knaben heimzunehmen. Aber siehe da, wie sie gegen die Schulpforte fuhren, kam ihnen der Fritz mit rothen Backen und mit einem kolossalen Stück Brod entgegen, das seine Wiederherstellung unzweifelhaft bestätigte.

Das Amthaus behielt auf lange Ruhe vor der Jammerbase, die dem Fritz seine rasche Genesung nie verzeihen konnte.

Dem Haus der Frau Krauthöfer gegenüber wohnte ein neues Ehepaar, das auch auf die artigste Begrüßung nie eine freundliche Erwiederung von Frau Krauthöfer gewinnen konnte. Wenn ihre Töchter, die Wehvögelein genannt, weil sie mit etwas piepsender Stimme und schüchterner Weise auch in die Fußstapfen der Mama traten, bemerkten, wie zärtlich der Herr Stein drüben gegen seine Frau sei, so meinte sie, die Herrlichkeit werde nicht lang dauern. Als aber das Paar Tag für Tag mit demselben glücklichen Gesicht dieselbe Allee hinunter spazierte und der Gatte mit derselben Umarmung von der jungen Frau Abschied nahm, als er Abends, statt in's Wirthshaus zu gehen, mit seiner Frau Duette sang, so schmelzend wie ein junger Liebhaber, da schüttelte sie bedenklich den Kopf: »da stirbt bald eins, das thut nie gut, wenn die Leute so übertrieben glücklich sind miteinander.«

In einer Nacht bemerkte man unruhiges Hin- und Herlaufen drüben, die Magd sprang fort, kam wieder, ging nochmals aus, in die Apotheke. Da kleidete sich Frau Krauthöfer an und hielt sich bereit, Beistand zu leisten, wenn es nöthig wäre. Als aber am Morgen die Kunde erscholl: drüben sei ein Töchterlein angekommen, da zog sie sich wieder gänzlich in ihre Höhle zurück. Erst als viel Monden später die junge Mutter bleich und besorgt mit dem leidenden Kindlein vor dem Haus saß, kam Frau Krauthöfer herbeigestiegen, fand, daß es durch die Glieder zahne und die englische Krankheit bekommen werde, wußte allerlei Mittel dagegen, und Vorschläge zu Maschinen, die bei der wahrscheinlichen künftigen Verkrümmung des Kindes nöthig werden würden. Sie stand ihr auch, abwechselnd mit den Wehvögelein, getreulich bei in Pflege des Kindes, bis sich das Uebel hob und das Kind erstarkte; dann waren sie durch keine Einladung zu bewegen, auch die guten Tage mit ihnen zu theilen.

Nicht weit von ihr wohnte eine Wittwe, eine weitläufige Base und besonders in Gunst bei ihr, weil ihr eine Tochter als Braut gestorben war und sie kürzlich erst durch einen betrüglichen Verwalter ihr Vermögen verloren hatte. Frau Maler sprach ein bei der Jammerbase, und wurde mit der zuvorkommendsten Güte aufgenommen.

»Kommen Sie doch auch zum Ausgehen, arme Frau?« sagte sie im teilnehmendsten Ton, »ja, es ist am Besten, wenn man sein Kreuz ein wenig vergißt; ist's denn richtig? alles hin? der schlechte Mensch! Nanele, mach gleich einen Kaffee für die Frau Base, Mine, hol Brezeln,« flüsterte sie den Töchtern zu. – »Freilich,« seufzte Frau Maler, »ein Glück, daß mir doch meine Pension noch bleibt, so klein sie ist.« – »Jawohl, jawohl, und den schlechten Kerlen, den Wühlern und Aristokraten, wird's doch nicht gelingen, daß man die Pensionen aufhebt, man sagt freilich stark davon.« – »Ich fürchte doch nicht,« sagte die Wittwe, »und denken Sie, es geht doch allemal wieder ein Freudenlicht auf.« – Bei Frau Krauthöfer ging keines auf, so anmüthig sie auch lächelte. – »Da erhalt' ich heut einen Brief von meinen Kindern, meinem Sohn und meiner Schwiegertochter, – war mir immer so angst, bis die's erfahren, – so einen schönen Brief! Ich soll mich nur getrösten, sagen die Kinder, der Mensch lebe nicht vom Brod allein, . . .« – »Ist bald gesagt,« schaltete die Jammerbase ein, »so lang der Hunger nicht vor der Thür steht.« – »Und,« fuhr Frau Maler eifriger fort, »sie schreiben: was sie haben, das sei auch mein, Gott habe Segen genug für uns Alle, ich solle kommen, sobald ich nur könne und bei ihnen bleiben; meine Schwiegertochter habe schon das netteste Gartenstübchen für mich gerichtet, und die kleine Amalie soll bei mir schlafen; lesen Sie nur selbst den Brief; wenn ich mit hunderttausend Gulden käme, ich könnte nicht willkommener sein.« – Die Jammerbase schob den Brief zurück, den ihr die glückliche Mutter mit strömenden Freudenthränen bot, sagte leise zu Mina, die sich zum Gehen anschickte, »kannst dableiben, Wecken thuns auch,« und dann wieder zu Frau Maler gewandt: »ja, da gratulire ich recht, ist immerhin ein Ausweg, wenn's gleich herb ist, das Gnadenbrod bei Kindern zu essen.« – »Nun, das ist's eben nicht,« versetzte etwas gekränkt Frau Maler. »Die Pension kann ich ihnen als Kostgeld gern überlassen, ich löse noch viel aus meiner Haushaltung, und dann bin ich Gottlob noch bei Kräften und kann meiner Tochter im Haus und bei den Kindern guten Beistand leisten.« – »Es ist drum keine Kleinigkeit, sein eigen Wesen ganz aufgeben und sich unter eine Schwiegertochter stellen,« fing die Jammerbase wieder an, »keine Kleinigkeit! da bewundere ich Sie recht, ich hätte das, glaub ich, nicht können.« – »Ach, davon ist gar keine Rede, ich habe sie ja immer so lieb gehabt, wie mein eigen Kind. und sie ehrt mich wie eine Mutter, da ist bei Keinem die Rede von Untergeben, es ist eher noch ein Opfer von ihr.« – »Das sag' ich ja gerade,« sagte Frau Krauthöfer mit großem Nachdruck, »von Ihnen ist's viel, aber von ihr ist's sehr viel. Eine Schwieger, Sie nehmen mir's nicht übel,« – »gar nicht,« sagte Frau Maler mit säuerlichem Lächeln, – »bleibt eben immer die Schwieger,« fuhr die Base fort, »man mag sie noch so lieb haben, je weiter weg, je lieber! junge Leute wollen einander allein gehören. Ich bin oft mit meinem Mann selig auf die Bühne gestiegen, wenn wir was hinter meiner Schwieger verhandeln wollten. Dann kann's eine junge Mutter gar nicht ertragen, wenn man in ihre Kinderzucht spricht, bei den Mägden ist so eine doppelte Herrschaft ganz fatal, und die vielen andern Hausbräuche, die eine junge Frau von daheim mitbringt, das kann keine Schwieger vertragen.« – »O, ich kann mich in alles schicken und störe die jungen Leute gewiß nicht,« versicherte Frau Maler, der das Weinen nahe stand, aber nimmer auf Freude. »Das glaub' ich,« bestätigte die Andre, »Sie sind eine gescheite Frau, Sie werden schweigen und wenn es Ihnen das Herz abstößt, das bin ich gewiß, und die Frau Söhnerin ist auch gescheidt, die läßt gewiß nichts merken, deßwegen sag' ich ja, es ist sehr viel von Ihnen Beiden.«

Frau Maler konnte kaum den eben aufgetragenen Kaffee hinunter bringen und entfernte sich dann mit schwerem Herzen; sie hatte mehr verloren als ihr Kapital. Frau Krauthöfer hatte es aber »gar nicht böse gemeint, im Gegentheil.«

Die Jammerbase fühlte sich nicht nur von wirklichem Jammer angezogen, sie witterte oft auch Unglück zum Voraus, und der Pfarrer zu Glockenheim behauptet noch bis auf den heutigen Tag, der große Brand in seinem Ort wäre gar nicht ausgebrochen, wenn nicht Tags zuvor die Jammerbase wegen eines angeblichen Obsteinkaufs im Dorf und auch im Pfarrhaus gewesen wäre. Vor hundert Jahren hätte man ihr am Ende darum einen Hexenprozeß angehängt. Und doch that man ihr so unrecht, und vom Pfarrer war es besonders schnöder Undank, da sie seinem Haus treulich in jener Bedrängniß beigestanden war. Sie hatte auch noch einigemal im Pfarrhaus eingesprochen, seit aber des Pfarrers zehn Kinder so lustig davon wuchsen und seit besonders Julchen »der naseweise Kramp« mit ihrer unverwüstlichen Lustigkeit gegen die trübselige Miene der Jammerbase zu Felde zog, war sie ziemlich fremd geworden.

Heut saß die Pfarrfamilie vergnüglich beim Kaffee, es war stürmisch Wetter, drum hatte die Mama diesen Luxus gestattet, man sprach von den entfernten Kindern des Hauses, man freute sich der nahen; der Pfarrer sah nach dem Wetter und fuhr erschrocken vom Fenster zurück. »Was ist's?« fragte die Mutter. »Die Krauthöferin marschirt auf's Haus zu,« sagte der Pfarrer schreckensbleich, »was wird's aber geben?« Die Mama ging mit stiller Fassung der Gefürchteten entgegen, bedauerte sie wegen des schlimmen Wetters, nöthigte sie zum Kaffee und entschuldigte, daß sie keine Wecken oder Milchbrod im Ort bekommen könne. »O, wir haben herrliches Hausbrod.« fiel das unverschämt lustige Julchen ein, »unser Brod schmeckt besser als andrer Leute Gugelhopfen.« – »Jungfer Tochter haben einen glücklichen Geschmack,« meinte Frau Krauthöfer etwas spitzig. – »Das hat sie, Gott sei Dank,« sagte der Pfarrer mit vollem Ernst, »Gott erhalte ihr ihn.« Frau Krauthöfer trank und die gewitterschwere Wolke hing noch über den Häuptern der Familie. »Haben Sie Nachricht von Ihrer Amalie und Sophie aus der letzten Zeit?« hub sie endlich an. »Recht gute, Gottlob,« sagte die Pfarrerin, »Amalie fühlt sich recht glücklich in ihrer Stelle, alle Lehrer und Mitlehrerinnen kommen ihr mit Liebe zuvor, der christliche Geist der Anstalt thut ihr so wohl, auch die Kleine schreibt vergnügt und hat das beste Lob, ein rechtes Glück, daß die zwei Mädchen so beisammen sind.« – »Freilich wohl,« stimmte der unheilvolle Gast zögernd ein, »aber, – von wann sind die letzten Briefe?« – »Vom vergangenen Dienstag,« sagte die Pfarrerin beklommen. – »Ja, ist schon so, es kann vor Abend anders werden, als es am Morgen mit uns war,« seufzte der Gast wieder. – »Um Gotteswillen, wissen Sie etwas von meinen Kindern?« – »O, beruhigen Sie sich, ist nichts so Schlimmes, nur ist das ganze Töchterinstitut zu K. durch zwei Mägde mit der Krätze angesteckt worden. Da nun Ihre Töchter in den nächsten Tagen krank nach Hause kommen werden, wollte ich meine Mine zur Pflege anbieten, sie versteht die Kur mit der grünen Salbe und fürchtet die Ansteckung nicht, in einem Pfarrhaus muß man doch doppelt vorsichtig sein wegen der Gemeinde.«

Die Pfarrerin war so alterirt, daß sie kaum im Stande war, für dies großmüthige Anerbieten zu danken. Die Krätze in ihr Haus, das ein Muster der Ordnung und Reinlichkeit war, und ihre blühenden Mädchen! Dem boshaften Julchen fiel ein, wie der lästige Gast bald zu entfernen wäre; »wissen Sie denn schon, Frau Krauthöfer,« fing sie ernsthaft an, »daß das Schiff untergegangen ist, mit dem Schulmeisters Martin fortging.« – »Was, ist's möglich?« – »Freilich, an der englischen Küste.« – »Wissen's die Eltern schon?« – »Das weiß ich nicht, ich bin noch nicht hinüber gekommen.« Da packte Frau Krauthöfer auf, wickelte sich in ihren braungrauen Shawl, ergriff den ehrwürdigen Regenschirm von Kannefas und empfahl sich. Julchen wollte sich krank lachen, als sie fort war; »die hab' ich glücklich weggebracht!« rief sie triumphirend. »Und du kannst noch lachen!« sagte die Pfarrerin vorwurfsvoll. »Und ich glaub's noch nicht mit der Krätze,« behauptete Julchen; »der alte Wehvogel krächzt oft zum Voraus.« – »Und schickst sie Schulmeisters, daß die auch noch in Jammer kommen!« – »Der Schulmeister hat ja schon einen Brief von seinem Martin, in dem er ihm schreibt, daß er glücklich durchgekommen ist und gar nichts verloren hat bei dem Schiffbruch; das wird sie ärgern!«

Die Pfarrerin war doch nicht ruhig, sie wollte gleich selbst hinreisen und ihre armen Kinder holen, der Pfarrer aber beschwichtigte sie mit einem Expresseboten, den er absandte. Der brachte Nachricht von Amalie, daß allerdings eine Magd von daheim mit der Krankheit gekommen sei, man habe es aber sogleich entdeckt und sie zu guter Zeit ohne Gefahr für das Institut entfernt.

Frau Krauthöfer kam nicht so schnell wieder in's Pfarrhaus, zumal da Julchen die Unverschämtheit so weit trieb, die glückliche Braut eines reichen Gutsbesitzers zu werden und ihr Brautvisite machte.

Absichtlich gelogen hat übrigens Frau Krauthöfer nie, sie glaubte selbst vollkommen alles Unheil, das sie verkündete, aber sie glaubte es so gern. War sie ein schadenfroher Dämon, der sich waidete an dem Jammer der Menschheit? Ach nein, ihre Theilnahme war aufrichtig und ihr Beistand oft mit wirklicher Aufopferung geleistet. Sie hatte ein von Natur wohlwollendes Gemüth, aber kein zufriedenes. Sie war nie unglücklich gewesen, aber auch nie glücklich. Es war ihr nirgends recht nach Wunsch gegangen; sie wäre gern schön gewesen und war auch nicht häßlich, aber entsetzliche Sommersprossen verderbten ihr Gesicht; sie wäre gern eine angesehene Frau geworden, und sie bekam ein braves aber unbedeutendes Männchen, das weder sich noch sie zu Geltung bringen konnte; sie wäre gern reich geworden, so aber hatte sie eben, so viel sie bedurfte; ihre Töchter waren gute Mädchen, aber höchst unscheinbare, sie sahen nur wie ein Unterfutter aus, nicht wie ein Ueberzug, und die Mutter konnte nicht hoffen, sie je wo anders als am heimischen Nähtisch sitzen zu sehen.

So kam es, daß sie das Glück Anderer erbitterte, beim Unglück des Nächsten aber, das ihren Neid nicht weckte, zeigte sich ihre natürliche Gutmüthigkeit, die sonst unter Neid und Ungenügen erstickt war. Das ist, glaub' ich, der einfache Schlüssel zu dem anscheinend rätselhaften Wesen der Jammerbase. Die Wehvögelein waren arme, schüchterne Kinder, die eben nachpiepten, was die Mama vorkrächzte. Und nun zum Schluß noch Ein Exempel, wo, wie in der ächten Tragödie, ihre eigenste Persönlichkeit ihr eigenes Mißgeschick hervorrief.

Etwa zwei Stunden vom Wohnsitz der Frau Krauthöfer, in einem ansehnlichen Marktflecken, wohnte ein Vetter von ihr, ein Chirurg, dem sie früher in allerlei Krankheits- und Unglücksfällen gute Dienste geleistet hatte. Seit er aber in Ruhe und Stille bei hinreichendem Auskommen mit seinem einzigen Töchterlein hinlebte, hatten sie einander lange nicht mehr gesehen.

Und nun eben war eine Fülle von Glück und Seligkeit in des Barbiers bescheidene Wohnung eingezogen, die ein ganzes Regiment Jammerbasen hätte verscheuchen können. Marie, das Töchterlein, war Braut geworden, und natürlich eine so glückliche, wie Keine vor ihr und muthmaßlich Keine nach ihr, so lang die Welt steht, obschon sie ihr Glück nicht in Versen aussprechen und nicht »in Tönen zeigen« konnte. Es war ein sehr einfacher Roman, der auf diesen Gipfel irdischer Glückseligkeit geführt hatte.

Gegenüber dem Häuschen des Chirurgen stand die Wohnung des Amtsnotars, und Herr Lang war nicht der Erste seiner Schreiber, der unter dem Federnschneiden am Fenster nach der hübschen Marie hinüberschaute. Aber er war der Erste, der sich eines Gegenblicks aus ihren blauen Augen zu rühmen hatte, denn Marie war ein stilles, sittsames Kind und ein gar fleißiges, das sich nicht Zeit nahm zu Seitenblicken und das einen unbestimmten Horror vor Schreibern im Allgemeinen hatte. Warum ihr der Lang von Anfang an so ganz anders vorkam als die Andern, das wußte sie selbst nicht, aber sie konnte seinen schüchternen Anreden eine freundliche Antwort nicht versagen, wenn er ihr je und je begegnete. Lang hatte viele Zweifel und Kämpfe mit sich zu bestehen, seit die blauen Sterne drüben an seinem Himmel aufgegangen waren, unter Andern die brennende Frage: sollte er seinen hoffnungsvoll sprossenden Bart fürder selbst rasieren oder Herrn Krauthöfer anvertrauen? Das Letztere war eine Veranlassung, in's Haus zu kommen, sich bekannt zu machen, vielleicht auch in dieser passiven Rolle den Vater zu gewinnen, der in ehrenwerthem Bürgerstolz sich dem Herrenstande mehr abwandte als aufdrängte. Aber es widerstrebte seinem Zartgefühl, von dem Vater seiner Geliebten eine solch' persönliche Dienstleistung anzunehmen, – das Zartgefühl siegte und er beschränkte sich auf die seltenen Gelegenheiten, Marie in ihrem Hausgärtchen oder auf der Straße zu sehen.

Mehr als einen Gruß wagte er kaum. Er war ein redliches Gemüth und hätte es für vermessen gehalten, als armer Schreiber ohne Aussicht Marie irgendwie zu binden. Daß aber solch ein Kleinod lange zuvor entführt werde, ehe er in etwa zehn Jahren mögliche Aussicht auf ein Amtsnotariat habe, das schien ihm ausgemacht; so entsagte er denn mit blutendem Herzen. Marie aber fand es ganz natürlich, daß so ein schöner und gebildeter Mensch nicht im Ernst an die arme Barbierstochter denke; und so sahen sie sich an, er hüben und sie drüben, wie die zwei Königskinder

Die hatten einander so lieb,
Sie konnten zusammen nicht kommen,
Das Wasser war gar zu tief.

Da starb der Schultheiß des Nachbardorfs und die Gemeinde, die Lang wegen seines freundlichen, redlichen Wesens liebgewonnen hatte, trug ihm die Stelle freiwillig an.

Es war an Benedikt, Marie war im Hausgärtchen und steckte Zwiebeln nach der alten Regel: »Benedikt macht Zwiebel dick.« Da hörte sie die Gärtchenthür aufklinken, sie wandte den Kopf ein wenig, da stand der Lang!!! So keck war er doch nie gewesen, in's Gärtchen hereinzukommen, wo die ganze Nachbarschaft hereinsehen konnte, am glockenhellen Nachmittag. Sie wurde glühend roth und bückte sich tiefer und steckte und steckte Zwiebeln in die Kreuz und Quer, und auf den: »Guten Tag, Jungfer Marie!« den ihr Lang wünschte, erwiederte sie kaum hörbar: »Fehlmich, Herr Substitut.« Der arme Lang wußte nicht, in welcher Weise er sein überfließendes Herz offeriren sollte, und begann wieder: »Das ist doch ein wunderschönes Gärtchen, kein Wunder, wenn Sie gern hier sind.« – »Wüßte nicht, wo ich sonst sein könnte,« sagte Marie, noch mehr verlegen, immer noch auf der Erde, immer noch Zwiebeln steckend. – »Thät's Ihnen auch in Weißlesburg gefallen?« platzte endlich der Lang heraus. Die Frage war gar zu apropos, Marie richtete sich auf und sah ihn verwundert an, »warum gerade da?« – »Weil ich Schultheiß dort geworden bin und weil ich Sie so gern habe.«

Wie nun Marie sich in dies Uebermaß von Glück finden lernte, wie das erröthende Pärchen den Papa überraschte, wie Marie ihre Seligkeit in Thränen ausströmte, wie der selige Bräutigam zum ersten Mal ihre Hand faßte und ihren Mund suchte, – das Alles ist noch niemalen da gewesen und nagelneu, weßhalb die nähere Ausmalung jedweder einzelnen Phantasie überlassen bleibt.

Der Papa Barbier war äußerst bedenklicher Natur und nicht umsonst ein Vetter der Jammerbase, aber all' seine Bedenken wurden siegreich überwunden, und nach dem Brautpaar war er gewiß der glücklichste Mensch weit in die Runde.

Jetzt ließ er sich's erst nicht nehmen, seinen Herrn Tochtermann selbst zu rasiren, wie dieser sich auch wehren mochte. »Dienet einander ein Jeglicher mit der Gabe, die er empfangen hat,« sagte er, »ich schäm' mich nicht an meinem Scheermesser, das mir mein ehrlich Brod erworben, und meine Tochter soll's auch nicht, und wenn sie Regierungsräthin würde. Das Rasiren versteh' Ich, brauch' ich einmal eine Schrift, so dienen Sie mir.«

Benedikt war lange vorüber, Pankraze und Servaze hatten keinen Frost über die Blüthen gebracht; das Gärtchen vor dem Fenster stand in schönstem Flor, nur die Zwiebeln hatten nicht aufgehen wollen, weil sie Marie damals alle verkehrt gesteckt; es kam dem Papa, der abergläubisch war, fast als ein schlimmes Omen vor.

Marie hatte eben den Bräutigam begleitet, der auf's Amt hinausging, und setzte sich in ihrem Stübchen zurecht, um ihre anziehende Arbeit vorzunehmen, – das Brautkleid. Es war ein nettes Stübchen, wohl werth, eine Braut und ihr Glück zu beherbergen. Nebenan, da war die Prosa, die große säuberliche Barbierstube mit Handfaß und Servietten, Schröpfköpfen und allerlei andern Gewerbsattributen nebst dem Lehrling; da innen, da standen Reseda und Geranium vor dem hellen Fenster, das auf's Gärtchen hinaus ging, ein Stieglitz sang seine fröhlichen Weisen, am Fenster stand Mariens höchst einfaches Nähtischchen, von da konnte sie zwischen dem großen Birnbaum durch das Fenster gegenüber blicken, wo der Liebste jetzt noch mehr zu thun hatte, als Federn zu schneiden. Im Hintergrund stand ein altes Kanapee und davor ein eichener Tisch, mit roth gewürfeltem Teppich bedeckt, da ruhte der Papa aus von den Mühen seines Berufes, da wurde auch hie und da ein bescheidener Festschmaus mit dem Bräutigam gehalten oder eine Freundin empfangen.

Marie saß und nähte. Wie die Nadel flog unter ihren Fingern, so flogen ihre Gedanken zu dem Liebsten, in die künftige Heimath, die sie so nett ausschmücken wollte, und sie sang halbleise dazu: »Wir winden dir den Jungfernkranz &c.« Sie erhob zufällig die Augen nach der Straße, wenn gleich Er unmöglich schon kommen konnte, da – fuhr sie schreckenbleich zurück, welches Gorgonenhaupt hatte sie erblickt? ja, es war richtig, da schritt sie lang und trübselig wie ein Regentag im Sommer, im braunen Kleid, im graubraunen Shawl mit dem Regenschirm von Kannefas, ein langer Gedankenstrich hinter jedem freudigen Ausruf; – es war die Jammerbase. Nur allzuwohl kannte Maria ihre traurige Bedeutung und ihren Einfluß auf die ängstliche, bedenkliche Natur des Vaters, als daß sie nicht hätte erschrecken sollen. Schon war sie draußen eingetreten, schon begrüßte sie den Vater mit ihrer dürren Stimme, Marie konnte ihr kaum bis zur Thüre entgegen gehen, sie hatte nicht die unbefangene Keckheit des Pfarrjulchens, ihr Glück drückte sie schon wie eine Schuld, seit sie nur die Base sah.

Nun die Base etablirte sich, ward zunächst mit selbst erzeugtem Apfelmost bewirthet, und zitternd wie ein Strafurtheil erwartete Marie ihre Gratulation. Der Vater, der merkte nichts, er sah in der Frau Base gar nichts als eine rechtschaffene Frau, die ihrem Nebenmenschen in allen Nothfällen beistehe, und wiederholte ihr sehr vergnügt die ganze Brautgeschichte, die er ihr schriftlich schon mitgetheilt. »So hat sich Alles ganz glücklich gefügt,« schloß er.

»Ja, Sie sind gar ein guter Vater,« sagte die Base, »der seinem einzigen Kinde nichts abschlagen kann; weiß wohl, was thut man nicht den Kindern zu lieb! Ließ sich freilich bei der gefährlichen Nachbarschaft nicht anders voraussehen, als daß es noch einmal so kommen werde. Nun Glück zu, mein Vater selig, der war da eigen, der hätte so was nie gelitten, ›ein Schreiber, daß Gott walt'!‹ pflegte er immer zu sagen.« – »Nun ja, aber in dem Fall,« meinte der Vater, »da ist's doch anders, das Schulzenamt trägt mit Nebenämtlein seine acht, neunhundert Gulden, und meine Marie hat meinen Haushalt indeß mit weniger als mit der Hälfte geführt.« – »Gewiß, gewiß,« stimmte die Frau Base bei, »nur hat wirklich eben nichts Bestand, so ein Schultheiß ist wie ein Vogel auf dem Zweig, es soll gegenwärtig ein Regierungskommissär im Land herum reisen und die Gemeindeordnungen aufheben, da kann Mancher trocken zu sitzen kommen.« – »Meinen Sie?« fragte erschrocken der Vater, »das kann doch noch nicht so nah sein, und gute Schreiber braucht man allemal wieder.« – »Das war auch nicht mein hauptsächlichstes Bedenken bei der Sache, aber kennen Sie denn die Familie Ihres zukünftigen Tochtermanns?« – »Noch nicht persönlich, sein Vater ist herrschaftlicher Gutsverwalter, der älteste Bruder erbt die Stelle, es sollen brave Leute sein.« – »Aber der Großvater?« – »Der lebt auch noch, er war Posthalter in P. und ist jetzt pensionirt; wissen Sie 'was von ihm?« – »Er trinkt,« sagte die Base mit vielsagendem Ton. – »Nun ja, das gewöhnt sich leicht an bei einer Wirtschaft, der Vater ist dafür sehr brav.« – »Ja wohl, aber so ein Laster vererbt sich immer in der zweiten Linie, davon weiß ich eine Menge Beispiele in der eigenen Familie.« – »Oh, mein Paul und trinken!« rief Marie jetzt zum ersten Male, tief empört. – »Ja, das fängt sich meist in mittleren Jahren erst an,« versicherte die Base, »und dann sind Drüsen in der Familie, ein Vetter von ihm hat einen Kropf, mit Respekt zu melden, so groß wie ein Unterbett, und seine Mutter ist an Drüsen im Leib gestorben.« – »Drüsen sind freilich sehr erblich,« meinte der Vater, wirklich bedenklich. Marie saß da wie ein Schlachtopfer, und wagte kein Wort. Die ersten Angriffe hatten sie wenig bekümmert, aber der letzte; – sie kannte ihres Vaters Aengstlichkeit, er war so ein Stückchen von einem Doktor und führte alle Leiden der Welt auf anererbten Krankheitsstoff zurück, – sie gab schon Alles verloren.

»Aber, Marie, wie sitzst du da,« sagte der Vater, der über diesen besorglichen Punkt gern die Base allein gesprochen hätte, »hast noch nicht einmal an einen Kaffee für die Frau Base gedacht, spute dich doch!« Marie ging, ganz betäubt, sie wußte kaum, was sie that. Draußen hatte sie keinen gerösteten Kaffee mehr, sie schickte den Lehrling zur Krämerin, die ihn auch schon gemahlen verkaufte, das Feuer wollte nicht brennen, der Satz nicht sieden, und als er endlich kochte, da wußte sie nimmer, wohin der Lehrling die Kaffeedüte gelegt hatte, endlich fand sie diese im Zimmer, sie nahm all' das Kaffeepulver, sie wollte den Kaffee recht stark und gut machen, obgleich sie nicht hoffen durfte, die Feindin ihres Glücks noch zu gewinnen. Ja, wenn die Base in offener Feindschaft angetreten wäre, da hätte sie wie eine Löwin kämpfen wollen um ihr Glück, aber die versicherte ja immer, daß sie es so gut meine, war ganz voll Theilnahme und der arglose Vater ließ sich ganz und gar einnehmen.

Unter schweren Seufzern ward der Kaffee endlich fertig, mit niedergeschlagenen Augen trug ihn Marie in's Zimmer und schenkte ein; der Vater trank nie Kaffee, Marie war das Herz viel zu schwer, als daß sie einen Tropfen hätte genießen können; sie sah, wie so gar ernsthaft und nachdenklich der Vater da saß. Die Base aber hatte sich heiser gesprochen und war sehr verlangend nach dem Kaffee; sie nahm einen reichlichen Zug, setzte ab, nahm noch etwas Zucker, noch etwas Rahm, probirte wieder, tunkte ein, endlich rief sie mit Abscheu: »Was ist das für ein garstiges Gebrudel, ich glaube, man will mich vergiften, ja, ja, Kein's von euch trinkt!« Erschrocken fuhr Vater und Tochter auf, der Erste versuchte den Kaffee und rief entsetzt: »Das ist freilich kein Kaffee, Du Unglückskind, was hast Du getrieben!« Bei Marie löste sich alles verhaltene Weh dieses Tags in Thränenströme auf, sie versicherte, sie wisse von nichts, der Kaffee sei recht gemacht. Die Base rannte wie toll in der Stube auf und ab und schrie, sie müsse sterben. Der Chirurg als erfahrener Mann sprang nach der Oelflasche und goß ihr ein so viel möglich; das gab dann eine fürchterliche Explosion, endlich sandte Marie den Lehrling zum Doktor; der kam, und hatte Mühe, aus den vielen Thränen, Betheuerungen und Lamentationen herauszubringen, um was es sich handle. »Wo ist der Kaffee?« fragte er, der stand noch auf dem Tische. Er goß die Flüssigkeit ab, untersuchte den Satz und fragte Marie mit kuriosem Gesicht: »Haben Sie den Kaffee selbst gemahlen?« – »Nein, der Lehrling hat ihn bei der Krämerin geholt.« – »Wo ist die Düte?« – »Die wird noch draußen sein, sie ist aber leer.« Marie brachte sie, der Doktor roch an dem kleinen Rest, fing an zu niesen und zu lachen wie unsinnig. »Was ist's? was ist?« fragten die Andern athemlos. »Marokko, feinster Marokko von Gebrüder Lotzbeck,« stieß endlich der Doktor unter Lachen hervor. »Kein Gift?« fragte die Base mit schwacher Stimme. »Nein, nein, ist aber auf allen Fall gut, daß es draußen ist, Ihr Magen ist jetzt ausgeputzt auf Jahre voraus, nun trinken Sie ein Täßchen Thee.« – »Keinen Tropfen in dieser Giftmischerhöhle,« schrie sie erbost, »ein Gefährt! ich gehe sogleich nach Hause.« Der Lehrling fand indeß die ächte Kaffeedüte, die er auf den Küchenschaft gelegt hatte, ohne es Marie zu sagen, sie hatte richtig dafür des Vaters Schnupftabak genommen; der Chirurg that Alles, um die Base zu versöhnen, die nahm aber keine Entschuldigung an und fuhr ganz grimmig ab, trotz ihrer Schwäche, indem sie dem verrätherischen Haus alles denkbare Unheil prophezeite. Der Vetter bezahlte den Kutscher.

Es brauchte lange, bis die Hinterbliebenen sich von ihrer Erschütterung erholten. Marie ließ Alles in Demuth über sich ergehen und reinigte das Zimmer von den sehr merklichen Spuren des tragischen Ereignisses. Am Abend kam der Bräutigam, dem die Fama schon allerlei schauerliche Gerüchte entgegengetragen hatte, und fand erschrocken sein Bräutchen bleich und matt, den Vater ernst in sich gekehrt und mehr als bedenklich, und durch's ganze Haus einen Hauch der Verstörung.

Die Braut war bald getröstet und war so ruchlos, selbst noch zu lachen über den tragischen Abzug der Base. Viel schwerer war's, den Vater zu beruhigen, der, zuvor schon durch die Bedenken der Base ängstlich gemacht, nun den ganzen Unfall für ein böses Vorzeichen hielt. Der Bräutigam aber bewies ihm gerade das Gegentheil; es sei ja ein Zeichen für ihre Verbindung, daß die, die sie hatte stören wollen, allein unter dem Mißgriff gelitten habe. Wegen des kropfigen Vetters gab er ihm gründliche Nachweisung, daß er nur der Sohn einer Stieftante war und daß blos in dieser Stieflinie die Kröpfe daheim seien. Seine Mutter aber war im Wochenbett gestorben.

Dem dunklen Einfluß der Jammerbase entrückt, in der beständigen Umgebung zweier junger und fröhlicher Herzen beruhigte sich auch endlich das besorgte Vaterherz und nach Pfingsten führte der überselige Bräutigam sein anmuthiges Pfingströslein in ihre neue Heimath.

Die Jammerbase hat die Schwelle des Vetters und die des jungen Paares nie wieder betreten. Marie fand aber später Gelegenheit, den Wehvögelein so viel Liebes und Freundliches zu erweisen, daß sie ihre Eulennatur beinahe ablegten und in vollem Ernste lernten, sich zu freuen mit den Fröhlichen, was manchmal schwerer ist, als zu weinen mit den Weinenden.


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