Ottilie Wildermuth
Bilder und Geschichten aus Schwaben
Ottilie Wildermuth

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VI.
Das Dörtchen von Rebenbach.

1.
Zwei Kinder.

Es war der 10. Oktober des Jahrs 1780 ein gar schöner sonniger Herbsttag, so ein Tag, an dem alte Herzen wieder jung werden und junge überfließen möchten von Lebenslust. Die Sonne schien so voll und warm, als wollte sie noch einen recht herzlichen Abschied nehmen von der Erde, ehe sie sich in ihre Winterschleier hülle.

In dem anmuthig gelegenen Dorfe Rebenbach war gerade die Weinlese in vollem Gang, ein fröhliches Leben und Treiben auf all den Höhen rings umher. Am lustigsten ging's aber zu in dem Weinberge des Pfarrers; da wurde nicht gespart an Lohn und Kost der »Leser« (wie man in Schwaben die traubenschneidenden Winzer nennt), darum waren sie auch so guter Dinge bei ihrer Arbeit und ließen noch vor dem Feierabend aus der alten Pistole des Husarenmartins, eines Veteranen, hie und da einen tüchtigen Schuß los, der knallend von all den Bergen und Hügeln umher niederhallte und von da und dorther erwidert wurde.

Die Mägde des Hauses sammt einigen Weibern und Mädchen des Dorfs, die sich's zur Ehre rechneten, heute zu helfen, schnitten flink die Trauben in die Kübel, wobei der Martin die Aufsicht führte, ob auch die Stöcke pünktlich abgelesen und die abgefallenen Beeren gesammelt würden. Die vollen Kübel wurden in einen hohen Butten geleert, den ein junger Bursche den Berg hinabtrug; da stand eine Gelte, in der der Jakobele, ein rothbackiger Bauernbube, lustig auf den Trauben herumtanzte, die durch den durchlöcherten Boden in die untenstehende Kufe liefen, als eine trübe Brühe, der man's nicht ansieht, daß sie nachher den köstlichen süßen Most, den edlen klaren Wein gibt.

Ganz oben in dem Weinberg, wo man das ganze weite Thal übersieht, stand eine große Laube mit langem Tisch; dort war Dörtchen, des Pfarrers Töchterlein, emsig beschäftigt, den Tisch zur Bewirthung der Herbstgäste zu rüsten, die heute aus der Stadt erwartet wurden. Die schönsten Trauben hatte sie zierlich zwischen Rebenlaub in die Körbe geordnet, den weißen Herbstkäse mit Kümmel bestreut in Porzellangeschirr aufgestellt, den rothen Wein in helle Flaschen gefüllt, ja die Mutter hatte ihr sogar anvertraut, den Schinken aufzuschneiden und auf den Teller zu legen.

Das Dörtchen war erst dreizehn Jahre alt, und kleiner, als die meisten Mädchen ihres Alters, aber sie drehte sich dreimal um, bis andere nur einmal, und sah aus ihren hellen, blauen Augen so freundlich in die Welt hinaus, daß Jedermann eine Freude an ihr hatte. Sie war überall am rechten Fleck und that Alles zur rechten Zeit. Sie war stets fröhlichen Herzens, heute aber war's ihr einmal ganz besonders wohl auf der Welt, wo sie jetzt eben so viel fröhliche Leute sah, obgleich sie just keine sonderliche Singstimme hatte, sang sie doch aus lauterer Herzensfreude mit hellem Ton: »Rosen auf den Weg gestreut und des Harms vergessen!« was damals ein nagelneues Lied war. Da erblickte sie ein junges Mädchen ihres Alters, die höchst mühsam die schmalen Weinbergstäffelein herauf stieg, und mit dem Jubelruf: »Liesle, Liesle!« hätte sie fast das Glas fallen lassen, das sie eben hellreiben wollte; aber sie besann sich schnell, stellte es rasch auf den Tisch und sprang dann mit fröhlichen Sätzen, leicht wie ein junges Reh, der Ankommenden entgegen. Das Liesle (die sich aber nicht gern so nennen ließ, wie wir bald hören werden) vermochte mit ihrem langen, himmelblauen Kleid kaum durch die enge Furche zu kommen, und Dörtchen, der ihr etwas verwachsenes kurzes Barchentkleidchen nicht hinderlich am Steigen war, konnte fast nicht erwarten, bis sie sie endlich mit heiler Haut heraufgebracht hatte.

»Nun aber sag' mir, Liesle,« fing sie an, »was fällt Dir ein, in Deinem hellblauen Levantinkleid hieher in den Herbst zu kommen? unsern Bauern hättest Du in einem Merinokleid eben so wohl gefallen. Aber gelt, da kommst Du Dir wie so ein Fräulein vor in den Romanen, die Du so gern liest?« Elischen, die gerade so alt wie Dörtchen, aber viel größer und ein hübsches, schlankes Mädchen war, nahm den Empfang etwas übel, denn sie kam sich besonders schön vor in dem himmelblauen Kleid und hatte nur schwer von der Mutter Erlaubniß erhalten, es anzuziehen. Da aber Dörtchen doch recht hatte, so fing sie von was Anderm an: »Aber, liebes Dörtchen, könntest Du mich denn nicht Elise nennen, da Du weißt, daß ich's viel lieber habe? Lieschen klingt doch so gar gewöhnlich; ich werde Dich ja gern Dorette oder Doris heißen, wenn Du willst.«

»Bedanke mich dafür,« meinte Dörtchen; »wenn's der Mutter nicht zu lang wäre, ließ ich mich am liebsten Dorothea heißen, wie ich getauft bin, seit ich vom Vater weiß, was für eine schöne Bedeutung der Name hat. Dir thue ich aber gern den Gefallen, Dich Elise zu heißen, wenn ich's nicht hundertmal wieder vergesse. Nun aber komm und iß Trauben, die andern Sachen wollen wir stehen lassen, bis die Eltern mit den Gästen kommen.«

Elise (wir wollen ihr auch den Gefallen thun) war den andern Gästen vorangegangen, die der Pfarrer auf einem weitern Wege herführte, um ihr liebes Dörtchen früher zu sehen, denn die zwei Mädchen hatten sich, trotz ihrer großen Verschiedenheit, herzlich lieb. Elise war die Tochter der wohlhabenden Wittwe eines niedern Hofbeamten, die in der nahen Hauptstadt wohnte, einer Jugendfreundin der Pfarrerin, daher kannten sich die Mädchen von frühester Kindheit her. Sie war ein lebhaftes, reichbegabtes Mädchen, aber launig und flüchtig in Allem, was sie that, und von der zu nachsichtigen Mutter verwöhnt. Ihr Hauptfehler war der, immer etwas Besonderes sein zu wollen; daher trieb sie meist, was sie nicht sollte, las Romane statt der Schulbücher, wollte Rosen und Vergißmeinicht sticken, ehe sie recht Strümpfe stricken konnte, wünschte sich, jung zu sterben, statt daß sie mit Gottes Hilfe gesucht hätte, recht leben zu lernen, und machte der Mutter und dem Lehrer mehr Verdruß als Freude, obgleich sie immer und überall für äußerst gescheidt und talentvoll galt. Da war das Dörtchen ganz anders: was sie gerade thun sollte, das that sie recht und ganz, sei es nun Hühnerfüttern oder lesen, arbeiten oder spielen; sie war mit ganzer Seele dabei, darum geschah auch alles recht, was sie ergriff, und sie war stets fröhlich und wohlgemuth.

Da die Bewirthung für die Gäste bereit war, und Elise noch müd von ihrer außerordentlichen Anstrengung, setzten sich die Mädchen einstweilen mit einem Traubenkörbchen auf die Schwelle der Laube und schauten vergnüglich hinunter in das reiche, gesegnete Thal, an die Höhen, die ringsum belebt waren von frohgeschäftigen Leuten, dahinter der buntgefärbte Wald und darüber der schöne, blaue Himmel. Es war so schön hier, daß ihnen recht das Herz aufging.

»Hör', Dörtchen,« begann Elise, »möchtest Du nicht, daß es noch Feen gäbe? daß dort hinter dem vorstehenden Fels jetzt plötzlich so eine Frau in glänzenden Gewändern hervorträte und uns drei Wünsche erfüllen wollte?«

»Ja,« sagte Dörtchen, »als ich die Geschichten zuerst las, ist mir's auch immer durch den Kopf gegangen, und ich dachte, das wäre prächtig, aber nachher ist mir eingefallen, daß der liebe Gott doch mehr kann als alle Feen, und daß er uns noch viel lieber hat, darum wird der uns schon geben, was wir brauchen.«

»Wüßtest Du denn jetzt gar keine Wünsche, Dörtchen?«

»Ich? Wart einmal, ich will mich besinnen; ja, auf den Winter möcht' ich ein Spinnrädchen, ich spinne gar nicht gern an der Spindel, aber halt! das gilt nicht, das krieg' ich vielleicht zum Christtag; aber ich möchte, daß der Vater auch recht gesund wäre, und daß der Nachbarin ihr Fritz nicht unter die Soldaten müßt', sie weint so um ihn; und schön singen können möcht' ich auch, daß der Schulmeister nimmer sagte, seine Hühner gehen drauf von meinem Gesang, und so einen Beutel, der nie leer wird, ließ ich mir gern auch gefallen, aber ich weiß dann doch nicht, ob ich's auch recht austheilen könnte. – Aber was weißt denn Du Alles, Elise?«

»Ich,« sagte Elise mit glänzenden Augen, »ich möchte schön sein, ach so wunderschön! und möchte den Teppich, auf dem man durch alle Länder fliegen kann, wohin man nur will, und möchte ein Zauberstäbchen, mit dem man Alles auf Einen Schlag fertig machen kann, daß ich mich nicht mit so langweiliger Arbeit plagen dürfte, und möchte prächtig singen und malen können, und auch ein Füllhorn, aus dem ich schütteln könnte, was ich nur wollte, die schönsten Kleider, . . .«

»Ei, und was noch mehr!« rief das muntere Dörtchen, »Du hast's ja wie am Schnürchen! Aber hör,« fuhr sie nachdenklich fort, »ich meine, darum habe uns Gott doch nicht in die Welt geschickt, daß wir Alles mit einem Zauberstäbchen fertig machen sollen; und wenn man recht gethan hat, was man soll, so ist man am Ende doch noch vergnügter, als wenn man nur hat, was mau will.«

»Ach geh', ich würde ja auch aus meinem Füllhorn den armen Leuten Geld und Kleider herunterschütteln . . . .«

»Und ich würde die faulen Mädchen heimjagen, die im Herbst dasitzen und schwatzen, statt zu lesen. Schnell hinunter in den Weinberg, wenigstens Du, Dörtle!« so rief Dörtchens Mutter, die Frau Pfarrerin, die inzwischen unbemerkt hinter die Mädchen getreten war. Dörtchen sprang rasch auf, grüßte die eben nachkommenden Gäste freundlich, wenn auch roth vor Beschämung, nahm einen Traubenkübel und ihr Häbchen, eilte flink damit in den Weinberg, und fing an zu schneiden, als ob sie heut noch allein fertig machen wolle. Elise war empfindlich, daß man sie so als Kind an die Arbeit schicke, während sie schon in Gedanken als Feenkönigin herumgeschwebt war; sie wollte Dörtchen helfen, aber das Levantinkleid zerriß an den Traubenstöcken, mit dem Häbchen schnitt sie sich in die Finger, weil sie die Trauben verkehrt hielt, und stieß mit dem Fuß den Traubenkübel um, so daß die Winzer ein lautes Gelächter erhoben über das »Stadthettele,« wie sie sie nannten, worüber sie tief gekränkt sich in die Laube zu den Erwachsenen setzte. Dort aber gab man zum Verwundern wenig Acht auf sie, Niemand sagte davon, wie gut sie singen, und wie hübsch sie deklamiren könne, und Niemand bewunderte ihr Levantinkleid. »Ach,« dachte sie im Stillen, »wenn doch die Fee käme, und mich plötzlich in ein großes wunderschönes Fräulein verwandelte!«

Es war Abend geworden und die Lese beendigt, da geht aber erst noch die rechte Herbstlust an. Drunten auf einer Kleewiese hatten sich die Leser gelagert, und ließen sich's herrlich schmecken bei Käse, Wurst und Wein. Oben hatte man zur Würze des Festmahls noch im Freien Kartoffeln gesotten, die reißend Abgang fanden. Nun ging das Schießen rasch und unaufhörlich fort. Die jungen Herren erschreckten die Damen mit angezündeten Fröschen und ließen Schwärmer und prächtige Raketen steigen, denen die Leute unten stets ein jubelndes »Ah!« nachriefen.

Die Mädchen saßen wieder beisammen, seitwärts auf einem Rain, wo sie dem Feuerwerk sicher zuschauen konnten. Dörtchen hatte sich müde geschafft, und sah jetzt schweigsam zu, wie die aufzischenden, rothglühenden Feuerstrahlen einen Augenblick die kleinen, blassen Sterne all zu verdunkeln schienen, die nachher doch wieder so still und klar dreinschauten wie immer. Das Gespräch von dem Nachmittag fiel ihr wieder ein, und Elisens Wünsche. Da bat sie Gott im Stillen, er möge ihr helfen, daß sie den Menschen lieb werden könne auch ohne große Schönheit, daß sie ihr Tagwerk recht vollbringe auch ohne Zauberstab, daß sie Armen Gutes thun dürfe auch ohne ein wunderbares Füllhorn, und es wurde ihr so still und wohl um's Herz, als ob alles recht und gut werden müsse.

»Siehst Du,« rief Elise, als eben eine prächtige Rakete zischend auffuhr und in funkelnden Sternlein niederfiel, »siehst Du, so möcht' ich ein Leben, glänzend, wunderbar und herrlich, und wenn's auch kurz dauerte!«

»Die Rakete ist aus,« sagte Dörtchen, »jetzt fällt noch ein verbranntes Holz zur Erde; da möcht' ich lieber ein stilles Sternlein sein, das seine Bahn zieht, wie sie Gott verordnet hat, auch wenn Niemand darauf achtet, als so ein Ding, das brausend hinauffährt und dann auslischt, ohne daß man mehr daran denkt.«

»Dörtchen,« fing nach einer Weile die aufgeregte Elise wieder an, »hast Du auch schon gehört, daß ein Wunsch erfüllt wird, den man sich denkt im Augenblick, wo ein Stern fällt?«

»Ach, kommst Du schon wieder an's Wünschen?«

»Hör', Dörtchen, wenn ich doch in die Zukunft sehen könnte! ich möchte nur wissen, wo wir Beide in zehn Jahren sein werden.«

»Wo der liebe Gott will,« sagte Dörtchen ruhig.

»Dörtchen,« fuhr Elise fort, »heute ist der 10. Oktober, wir wollen einander versprechen, nach zehn Jahren wieder zusammenzukommen, wenn wir noch leben, mögen wir auch sein, wo wir wollen.«

»O, von Herzen gern! das ist wohl leicht zu halten, in zehn Jahren werden wir noch nicht weit von hier sein.«

»Sei das, wie es will, versprich mir's!« rief Elise, und Dörtchen schlug lächelnd ein.

Inzwischen hatte man Fackeln angezündet und schickte sich zum Gehen an. Dörtchen half die Reste der Mahlzeit und das Geräth zusammenpacken, und nahm einen vollen Korb an den Arm. Nun brannten die Fackeln, und Winzer und Gäste schritten bei ihrem Glanze singend dem Dorfe zu, während dazwischen die letzten Schüsse fielen. Leise singend schloßen sich die Mädchen dem Zuge an, während sie aufschauten zum stillen Nachthimmel. Elise dachte an die schimmernde Rakete, Dörtchen an den lieblichen Stern, – da fuhr eine helle Sternschnuppe über den Himmel und erlosch.

 
2.
Zwei Bräute.

Zehn Jahre waren vergangen, der 10. Oktober kam auch heute wieder, aber nicht so sonnig, wie damals. Es war ein nebliger Herbsttag, die Weinlese hatte noch nicht begonnen, aber Pfarrers Dörtchen war doch, ihrem Versprechen treu, in den Weinberg gegangen, um Elise dort zu erwarten. Es war noch einsam auf den Hügeln, drunten im Thal waren die Leute mit der Kartoffelernte emsig beschäftigt, in den Weinbergen schritt aber nur allein der Weinberghüter (Wingertschütz genannt), mit seiner Raffel umher, und ließ sie hie und da warnend ertönen, obgleich in diesem Jahr Menschen und Vögel nicht besonders lüstern nach den sauren Trauben waren. Dörtchen hatte keine große Lust gehabt, an dem kühlen Tag in der Laube zu warten, aber Elise hatte sie gestern in einem Briefchen so feierlich an das alte Versprechen gemahnt, daß sie doch Wort halten wollte. Um sich das Frieren und die lange Zeit des Wartens zu vertreiben, hatte sie die Schürze voll Bohnen gepflückt, und saß nun in der Laube, um jene auszuhülsen, während sie hinuntersah nach der Freundin.

Das Dörtchen war immer noch ein wenig klein, und keine Schönheit geworden. Aber ihre blauen Augen glänzten hell und freundlich wie damals vor zehn Jahren, nur daß noch eine tiefere Seele darin aufgegangen. Sie war allenthalben rüstig und rührig, der Mutter geheime Räthin und ihre kräftige Stütze in Haus und Hof, in Garten und Feld, des Vaters Freude und sein Herzblatt. Dabei war ihr Herz offen für alles Schöne in der Welt, und sie konnte sich die ganze Woche durch heimlich freuen auf den Sonntag, wo sie Nachmittags nach dem Gottesdienst mit einem guten Buch in die Laube sitzen durfte. Denn obwohl eine längst erwachsene Jungfrau, war sie doch in demüthigem Gehorsam der Mutter untergeben, und die konnte das Lesen an Werktagen nicht gut leiden. Fröhlichen Herzens war sie geblieben, und das Dörtchen von Rebenbach war überall willkommen, wo es hinkam.

Dörtchen hatte damals Recht gehabt, die Mädchen waren auch heute nicht weit von einander; Elise wohnte noch mit ihrer Mutter in der Residenz, und so war es leicht, die heutige Zusammenkunft auszuführen. Doch freute sich Dortchen heute besonders auf sie, denn sie hatte sie seit einigen Wochen nicht gesehen, und ihr dießmal sogar etwas Besonderes zu sagen. Die alte Kinderfreundschaft bestand noch, obwohl sich die große Verschiedenheit der Mädchen im Laufe der Jahre immer deutlicher herausstellte.

Elise war wirklich schön geworden, und manche ihrer Gaben hatten sich glücklich entwickelt. Sie war die beste Tänzerin, sie zeichnete, malte, schnitt aus, sie machte Gedichte, spielte Klavier, sang und deklamirte. Kurz, sie war ein höchst talentvolles Mädchen, der ihre gute Mutter die Strümpfe flickte und die Kleider aufräumte; sie that eine Menge Sachen, nur ja nicht, was nöthig war, vor Allem bemüht, immer ganz anders zu sein und zu scheinen, als alle andere Leute.

Endlich sah Dörtchen sie mühsam und langsam wie damals und eben so auffallend gekleidet den Weinberg heraufsteigen. Das himmelblaue Levantinkleid war zwar längst dahin, dafür aber trug sie an dem kühlen Herbsttag ein weißes Kleid mit blauer Schärpe und statt des Hutes einen Schleier auf dem Kopf. Dörtchen gab dießmal nicht darauf Acht und eilte so leichtfüßig wie vor zehn Jahren auf sie zu. Elise aber trat ihr besonders feierlich entgegen und rief aus: »Dortchen, umarme mich, ich bin Braut!« Das Dörtchen stellte sich gutwillig auf die Zehen, um die hochgewachsene Elise zu umarmen; als dies geschehen war, streckte sie ihr treuherzig die Hand hin: »Lieschen, gib mir einen Patsch, ich bin auch Braut.« –

»Du, Dörtchen, ist's möglich,« rief Elise sehr verwundert, »so sag' doch, mit wem?«

»Ei, mit dem Verwalter Schmied, den Du den Sommer so oft bei uns getroffen,« sagte Dörtchen erröthend und vergnügt.

»Wie, Dörtchen, ach nein, doch nicht der, der mit Deinem Vater Brett spielte und Deiner Mutter Saatkartoffeln besorgte? geh, geh, das wäre ja entsetzlich langweilig für mein munteres, nettes Dörtchen, und vollends Schmid heißen, wie das halbe Vaterland; und er ist, glaub' ich, gar ein gelernter Schreiber!«

»Hör', Elise,« sagte Dörtchen, ernstlich böse, »das ist dumm gesprochen, so gescheidt du sonst bist. Der Schmied ist ein braver und recht gescheidter Mann, der noch mehr versteht, als Brett spielen und Kartoffeln stecken. Er hat mich von Herzen lieb und ich ihn, die Eltern haben ihre Freude daran: so denk' ich, wir können mit Gottes Hülfe glücklich zusammen werden und wenn er zehnmal Schmied hieße. Nun aber sag' mir, was Du für einen Vogel Phönix ausgelesen hast und wie der heißt?«

Würdevoll begann Elise: »In drei Tagen kommt der berühmte Bürger, einer unserer ersten Dichter, um mich als Gattin heimzuführen.«

»Dich! der Bürger, ach geh, das ist unmöglich! wo hättest Du ihn denn kennen lernen?«

»Ja sieh, das ging recht wunderbar. Natürlich bin ich schon seit lange entzückt von seinen Gedichten, wie ja sogar Du, mein nüchternes Dörtchen, von einigen. Da ich nun wußte, daß er seine geliebte Frau verloren, sprach ich meine Gefühle für ihn in einem Gedichte aus. Das fand seinen Weg in öffentliche Blätter, Bürger erwiederte es, – schrieb mir, – und nun bin ich seine Braut! – Aber, – Du siehst ja so bedenklich aus?«

»Ja, siehst Du, Elise, ich meinte indeß, ein Mann möge nun ein Dichter sein oder ein anderer Mensch, so haben wir Mädchen in aller Stille zu warten bis er kommt und nach uns fragt. Da scheint mir's nun eine verkehrte Welt . . .«

»Wir verstehen uns nicht mehr,« sagte Elise beleidigt, »laß uns in's Pfarrhaus zurückgehen, ich möchte von Deinen Eltern noch Abschied nehmen.«

»Nein, sei nicht böse,« bat Dörtchen, gutmüthig ihr die Hand bietend, »Gott weiß, wie von Herzen mich's freut, wenn Du glücklich wirst! es war mir nur so ungewöhnt, ich dachte bis jetzt gar nicht, daß ein Dichter auch zum Heirathen in der Welt sei. Aber sag', kennst Du denn gar nichts von ihm, als seine Gedichte? ist er ein frommer, ein guter Mann? taugt er für Dein lebhaftes Wesen? er muß so viel älter sein.«

»Ein Dichter bleibt ewig jung!« rief die begeisterte Elise. »Sieh, Dörtchen, ich habe Dir immer gesagt, ich bin kein gewöhnliches Mädchen, auch mein Schicksal muß ein ungewöhnliches sein.«

»Gott gebe, daß es ein glückliches werde!« sagte Dörtchen leise und innig bewegt.

Die Mädchen schickten sich zum Gehen an. Noch einmal sahen sie beide recht tief und wehmüthig auf die schöne Herbstlandschaft, die noch ein spät gekommener Sonnenstrahl vergoldete, zum Letztenmal Beide zusammen, ehe ihre Lebensbahnen weit, weit auseinander liefen.

»Wann werden wir uns wiedersehen?« fragte Elise im Hinabsteigen.

»Das weiß Gott,« erwiderte Dörtchen, »wohl schwerlich in zehn Jahren, wenn ihr nicht reiselustiger seid, als mein Schmid.«

»Und ob es noch so lang anstehe,« rief Elise, »einmal im Leben wollen wir uns doch wieder zusammenfinden am 10. Oktober!«

»Ja, ja,« sagte Dörtchen, »und kommt Ihr zu lange nicht, so muß Schmied mich noch zu Euch nach G. führen, wenn anders so alltägliche Menschenkinder, die Schmied heißen und zum Schreiberstande gehören, in ein so geistreiches Haus kommen dürfen.«

Bald war die Heimath erreicht, und mit dem feierlichen Versprechen, sich einmal am 10. Oktober wieder zu sehen, ob früh oder spät, trennten sich die Freundinnen.

 
3.
Zwei Frauen.

Der 10. Oktober war gar oft schon in's Land gekommen seit jenem Abschied der zwei Bräute. In dem gesegneten Herbst des Jahres 1811 traf er Dörtchen in dem Städtchen M . . ., das so freundlich am Neckar liegt; ihr Mann bekleidete dort eine angesehene Beamtenstelle.

Das Dörtchen war nun eine ehrbare Matrone, und doch noch das alte lebendige Dörtchen von Rebenbach mit den hellen, blauen Augen, und die blühenden Töchter und der hochaufgeschossene Sohn, deren glückliche Mutter sie war, hätten leicht für ihre jüngern Geschwister gelten können.

Dörtchen saß eben mit ihrer ganzen Familie in der behaglichen großen Wohnstube des alten Schlosses, das ihnen als Amtswohnung eingeräumt war. Die Weinlese war dießmal ungewöhnlich früh gewesen und vom großen Vorplatz des Hauses schallte ein verworrenes, doch fröhliches Getümmel herauf. Dort waren die großen Weinbütten aufgestellt, in die der süße Most vor dem Einkeltern geschüttet wird. Dieser Platz war immer, besonders aber zur Herbstzeit, der liebste Tummelplatz der Kinder; »die Bütten kommen 'raus!« ist ein Losungswort zu unendlichem Jubel, da wird Verstecken, Visiten, Haschen gespielt, alles in und um die Bütten. Nun, wo sie mit Most gefüllt waren, ging das nicht mehr an, dafür schlichen aber genug schelmische Bursche herum, mit ausgehöhlten Holderstäben bewaffnet, mittelst deren sie das süße Getränk aus den Bütten schlürften. Dazwischen tönte das Geläut der Schellenmänner (Taglöhner, die den Wein, der im Ort eingekeltert wird, in die Keller tragen und bunte Bänder auf der Lederkappe und Schellenriemen an der Seite haben, um von weitem bemerkt zu werden und nicht ausweichen zu dürfen). Es war eben das Plauderstündchen nach Tisch, das auch in Dörtchens geschäftiger Familie für ein trauliches Beisammensitzen nach dem Essen freigegeben war, denn der Papa liebte das »Tischeln« ungemein. Er las gerade die Zeitung, Luise, die älteste Tochter, studirte die Verkaufsanzeigen in den Beilagen; die rothwangige Leonore, die zweite Tochter, hielt Amalie, das Nesthäkchen, auf dem Schooß, um sie besser in den Hof sehen zu lassen; August, der einzige Sohn des Hauses, der als Student in den Ferien daheim war, hatte soeben der Mutter mit einiger Beschämtheit eines seiner Erstlingsgedichte hingeschoben und beobachtete nun über ein Zeitungsblatt weg die Miene, mit der sie es lesen würde, denn der Mutter klares Urtheil, aus dem doch so ein warmes Verständniß ihres jungen Dichters sprach, galt ihm über Alles.

»Ei, Papa,« rief Luise, »da ist ein neues Buch angezeigt, das muß schön sein, das könnten Sie uns wohl kaufen: ›Elisa, oder das Weib wie es sein soll‹.«

»O, nicht wahr, Papa!« rief Leonore dazwischen, »denken Sie nur, wie wir dann so erstaunlich vorzüglich werden!«

»Will euch was sagen, Mädchen,« sprach der Vater gutgelaunt, »wenn ihr drei miteinander nur halb so brav und so gescheidt werdet, wie eure Mutter, so will ich zufrieden sein und euer Mann kann's auch, ohne die Elisa.«

Dörtchen, der ein Lob aus ihres Mannes Munde ungewöhnt klang, da er sonst kein Freund von viel Worten war, sah mit hellen Augen zu ihm herüber und gab ihm freundlich die Hand. Indem fiel ihr Blick auf die Zeitung, »so, heut ist der zehnte,« sagte sie langsam, und Elise und die Herbsttage von Rebenbach standen mit Einemmale lebendig vor ihrer Seele.

Sie hatte Elisen nicht vergessen, aber seit lange nichts mehr von ihr gehört, auch mochte sie Niemand nach ihr fragen, weil ihr's weh that, nur harte Urtheile über sie zu vernehmen. Das hatte sie wohl erfahren, daß Elisens Ehe kurz und höchst unglücklich gewesen, daß ihr Leichtsinn, ihre Vergnügungssucht, ihr schlechtes Haushalten ihren Mann nach drei Jahren schon zur Scheidung genöthigt hatte. Indessen aber, da auch Elisens Mutter todt war, wußte sie gar nichts mehr über ihr Leben und Treiben; heute nun mußte sie ihrer so lebhaft denken, als ob sie erst gestern Abschied von ihr genommen hätte.

Da kam die Magd eiligst hereingesprungen: »Ach, Frau Kameralverwalterin, eine ganz vornehme Frau ist in einem Einspänner angefahren, gewiß eine Gräfin, sie kommt schon die Stiege herauf!« – »Wird nicht so arg sein mit der Vornehmheit,« meinte Dörtchen, »Leonore, räume schnell vollends den Tisch ab, und du, Luise, bleib da, bis man sieht, ob sie gegessen hat; wenn ich mit den Augen winke, so koche gleich eine Griessuppe und Pfannkuchen.«

Noch ehe diese Anweisungen ganz zu Ende waren, schritt eine große, abgemagerte Gestalt in rothem Sammtkleid und einem vergilbten, ehemals weißen Seidenhut mit ausgebreiteten Armen auf Dörtchen zu, mit dem Ausrufe: »Dörtchen! so sehen wir uns wieder!« –

An diesem Empfang hätte Dörtchen nun freilich Elise erkannt, auch wenn das verfallene, welke Gesicht keine Spur der Jugendzüge mehr gezeigt hätte. Sie stellte nun Frau Elise B., ihre Jugendfreundin, ihrer höchst neugierigen Familie vor und bat sie mit der alten Herzlichkeit, sich's bequem zu machen. Während Luise auf den besprochenen Wink eilte, für die Bewirthung zu sorgen, und August, der noch im Schlafrock war, sich durch eine Hinterthür entfernt hatte, hörte sie an, was die arme Freundin für gut fand, ihr selbst von ihrer Geschichte zu erzählen.

Mit Schreck und tiefem Mitleid erfuhr sie am Ende ihrer traurigen Erlebnisse, daß Elise nun heimathlos als Schauspielerin und Deklamatorin im Lande herumziehe und daß sie beabsichtige, auch hier im Orte ein Deklamatorium zu geben.

Nun hatte zwar das Dörtchen neben ihrem gesetzten Hausfrauensinn noch ein warmes und offenes Herz für alles wirklich Schöne, was Kunst oder Natur bot; aber – ein Deklamatorium in einer Wirthsstube zu geben, das kam ihr doch als eine tiefe Herabwürdigung vor für eine Frau ihres Alters, für ihre ehemalige Herzensfreundin. Nur ihre Gutmüthigkeit hielt sie ab, ihr den Plan auszureden, und es kostete sie große Ueberwindung, zu versprechen, daß sie mit ihrer Familie Theil nehmen wolle, was doch Elise natürlich erwartete.

Während Elise lang und breit ihren traurigen Lebenslauf entwickelte, an dem natürlich – laut ihrer Darstellung – nur ihr ungewöhnlich schweres Schicksal die Schuld trug, sah sie mit heimlicher Wehmuth sich um in der traulichen, freundlichen Heimath, die ihr Dörtchen sich gegründet hatte, deren ganzer Reichthum sich freilich erst allmähliger Beobachtung enthüllte. Dieser solide bürgerliche Wohlstand, der sich auch in den kleinsten Dingen kundgab, diese anspruchslose, genügsame Einfachheit und vernünftige Sparsamkeit im Innern und diese herzliche, zwanglose Freigebigkeit nach außen, die Liebe und Achtung des Gatten, die sich ohne Worte doch so deutlich aussprach, der frischblühende Kreis der Kinder, die, alle glücklich begabt an Geist und Körper, mit der ehrfurchtsvollsten Liebe auf die Mutter sahen; – hier war Alles an seiner rechten Stelle, nichts Gezwungenes noch Geziertes, keine starre, ängstliche Ordnung, sondern eine fröhlich belebte. Wie mochte es Elisen sein, wenn sie in ihr verödetes Herz, auf ihr zweckloses Dasein blickte?

Die deklamatorische Abendunterhaltung fand Statt. Elise trat im rothen Sammtkleid und silbergestickten Federbarett auf. Bei all den feierlichen, wie bei den scherzhaften Gedichten, die sie vortrug, hätte Dörtchen nur bitterlich um sie weinen mögen. Die arme Elise dauerte sie viel zu sehr, als daß sie sich noch an ihr geschämt hätte, doch war sie froh, als sie wieder daheim mit ihr war. Sie leuchtete Elisen in ihr Zimmer und blieb dort noch eine Weile bei ihr, da das arme Geschöpf lange nicht zur Ruhe kommen konnte. Sie standen beisammen am Fenster und sahen schweigend in die sternhelle Nacht; drüben auf der Höhe ließen Knaben noch vom Herbst übrig gebliebenes Feuerwerk los; man sah eine Rakete aufsteigen und erlöschen. Mit schmerzlichem Zucken wandte Elise sich ab und sprach leise: »Du hast das beste Theil erwählt!«

Dörtchen bat Elise am andern Tag recht herzlich, auf längere Zeit bei ihr zu verweilen, sie hätte ihr so gern etwas Gutes gethan, wenn sie gleich heimlich fürchtete, ihr Mann werde wenig Freude haben an dem poetischen Gaste, dessen gekünsteltes, gesteigertes Wesen ihm so gar zuwider war. Aber Elisen selbst schien es fortzutreiben von diesem gastlichen Dach, aus dieser Heimath der Liebe und des Friedens, voll kräftigen, gesunden Lebens. Sie reiste ab nach einigen Tagen, nachdem Dörtchen in aller Stille den Komödienstaat in ihrem leichten Koffer mit einem Vorrath guten Weißzeugs vermehrt hatte. Und so schieden die Freundinnen auf Nimmerwiedersehen.

Auf dem Kirchhof des Landstädtchens M. ist Dörtchens Grab. Auf ihrem Leichenstein, und dießmal spricht ein Grabstein Wahrheit, steht, daß sie starb als das Kleinod ihres Gatten, als der Schutzengel ihrer Kinder, als der Trost der Armen, als das rechte Bild eines guten Weibes mit frommem, demüthigem Herzen und rastlos thätiger Hand. Sie lebt noch im Andenken der Ihrigen, ein theures Vorbild für die nachwachsenden Geschlechter.

Wo Elisens unbeweintes Grab ist, weiß ich nicht. Aber wo man noch ihrer gedenkt, nennt man sie den bösen Engel ihres Gatten, dessen letzte Lebenstage sie vergiftet habe. Und doch war ihr Herz nicht schlimm, war ihr Wille einst gut gewesen. Aber die fromme Demuth hatte ihr gefehlt, die Treue im Kleinen, der ergebene Sinn, der nichts will, als recht und mit Freudigkeit die Bahn gehen, die der Herr ihm vorgezeichnet hat.


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