Ottilie Wildermuth
Bilder und Geschichten aus Schwaben
Ottilie Wildermuth

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Das genügsame Pfarrhaus.

Das genügsame Pfarrhaus ist eigentlich gar kein Pfarrhaus, wenn man nämlich darunter ein ordentliches, zu diesem Zweck bestimmtes herrschaftliches Gebäude versteht, das von der Finanzkammer unterhalten, vom Kameralamt besichtigt und vom Bauinspektor revidirt wird. Gerade deswegen ist es so genügsam, weil es keines ist, und doch an Friede, Freude und Wohlbehagen so reich, als das beste Pfarrhaus im ganzen Schwabenland. Um das zu zeigen, möchte ich euch nur ein Paar Tage in dem Pfarrhaus mitleben lassen.

So laßt Euch denn an einem Samstag Abend einführen, wo durch alle Pfarrhäuser ein festlicher Vorhauch des Sonntags weht oder doch wehen sollte.

Eben werden die schmutzigen Straßen des kleinen Dorfes, das zu arm ist, um ein Pfarrhaus zu bauen, von einigen fleißigen Weibern in erträglichen Stand gesetzt; in der Reihe der Bauernhäuser steht ein etwas größeres, das sich durch nichts auszeichnet, als daß zwischen einer tiefen Gülle und einer Dunglege von massiverem Gehalt ein recht reinlicher Weg zu der getheilten Hausthür führt. Das Parterre, durch dessen geöffnete Fenster die Hühner freien Aus- und Eintritt haben, sieht eben nicht besonders einladend aus, im obern Stock dagegen sind die Fenster so spiegelhell, als es ihre theilweise Altersblindheit nur immer zuläßt, schneeweiße Gardinen, von der Art, die man sonst Neidhammel nennt (ein Name, der aber bei unsrem genügsamen Pfarrhaus schlechterdings nicht angewandt werden darf), und ein Blumenbrett, ziemlich roh gezimmert, auf dem Levkoy, Goldlack und Nelkenstöcke so zierlich geordnet stehen, daß kein Mensch ahnt, daß sie eigentlich in zerbrochenen Milchtöpfen blühen, geben dem Ganzen ein so freundliches Ansehen, daß wir nicht fehlgehen, wenn wir in diesem bescheidenen Lokal das Surrogat für's Pfarrhaus vermuthen. Wir behalten uns die Einsicht in die Zimmer für später vor, da sie nun eben geschlossen sind, um ihren Sonntagsputz nicht zu verderben, und gehen in das Gärtchen hinter dem Haus. Ein kleines Stückchen Land, aber hübsch in Ordnung, und prangend in all dem Glanz einer ländlichen Flora mit Pechnelken, Sonnenblumen und Gretchen im Busch. In der Ecke ist ein Fliederbaum zu einer Art von Laube gezogen; auf der schmalen Bank, vor dem höchst ungekünstelten Tisch darin, sitzt ein junges Frauenzimmer, ruhig mit einer Handarbeit beschäftigt, von der sie gar oft auf den Feldweg hinausblickt, der sich am Gärtchen hin dem Walde zuzieht. Das runde anspruchslose Gesichtchen sieht noch gar zu jung und mädchenhaft aus den blauen Augen, um schon einer Pfarrfrau zu gehören, wäre ich aber Pfarrer, ich dächte, ein solches Gesichtchen mit dem unnachahmlichen Ausdruck des Frohsinns und innerlicher Zufriedenheit müßte eine Zierde für das schönste Pfarrhaus im ganzen Schwabenland sein, auch wenn es von keinem schönern Schmuck als dem verschossenen blauen Kattunkleidchen und der schwarzen Schürze gehoben wäre, die »Jungfer Klara,« so ist sie im Dorf genannt, heute trägt.

Außer dem Ersehnten, den sie von dem Feldweg her zu erwarten scheint, muß sie neben sich auf der Bank noch einen besonders anziehenden Gegenstand auf einem Teller haben, denn sie guckt hie und da mit stillem Vergnügen unter die grünen Blätter, mit denen es bedeckt ist, wie um sich zu versichern, ob es auch gewiß noch vorhanden sei. Jetzt aber erscheint auf dem Fußweg eine lange, schmale, schwarzgekleidete Gestalt, die gar niemand anders gehören kann, als dem Pfarrverweser, der als Surrogat für den Pfarrer dies Pfarrhaussurrogat bewohnt.

Klara will ihm freudig entgegen springen, aber mit Rücksicht auf den verborgenen Schatz in der Ecke, der dann entdeckt werden könnte, besinnt sie sich und näht eifrig an den Ueberschlägen fort, die sie eben aus dem einzigen Battistsacktuch verfertigt, das sie von der Konfirmation her noch besitzt. »Ei, ei, Klärchen, immer sitzen an dem schönen Abend?« sagt der eintretende Bruder, »und Du hast mir doch von einer Menge wichtiger Gänge gesagt, die Du zu machen hättest; . . . .« – »O, ich sitze kaum seit zehn Minuten,« rief Klara, ihm freundlich die Hand bietend. »Aber warum bist Du nicht mit mir gegangen? es war so gar schön draußen.« »Herr Bruder, Herr Bruder!« sagt Klärchen lächelnd mit dem Finger drohend, »das ist die pure Heuchelei; meinst Du, ich habe neulich nicht gehört, wie Du zum alten Pfarrer von N. sagtest: so lieb Dir sonst Gesellschaft zum Spazierengehen sei, so sehr ziehst Du's vor, am Samstag Abend allein zu gehen, weil unter freiem Himmel die schönste Studierstube sei. Und das ist ja so ganz natürlich,« fügte sie begütigend hinzu; »jetzt aber setz Dich nur zum Essen, Du wirst hungrig sein, Du bist gar lang gegangen, unsere Milch ist schon seit einer Stunde angerührt, thut aber nichts, sie wird immer besser durch's Stehen; nicht war, wie lauter Rahm?« meinte sie, indem sie die grüne irdene Schüssel aufdeckte und die Teller und zinnernen Löffel zurecht legte. Der Bruder nahm Platz auf der Bank so gut es ging, sprach das Tischgebet und die Geschwister schickten sich zur Mahlzeit an, unbeirrt von jeweiligen Vorübergehenden, deren Neid durch das frugale Mal keinesfalls geweckt werden konnte, wenn auch hie und da ein Blick in den grünen Versteck fiel. »Wie froh ich war,« hub Klara unter dem Essen an, »daß ich nicht mit Dir ausgegangen bin, ich hab' Dir eine solche Freude gehabt!« »Das wäre!« lächelte der Bruder, schon bekannt mit der Beschaffenheit der »großen Freuden« seines Schwesterleins, »hat etwa die alte Henne wieder ein Ei gelegt?« »Ei, lach mich nur aus,« sagte Klärchen ernsthaft, »das ist doch gewiß ein Glück, daß die alte Henne, die ich so wohlfeil gekauft, nur um Dir eine recht gute Suppe zu kochen, nun erst wieder anfängt zu legen, so daß ich schon das sechste Ei von ihr habe! es ist aber erst was anderes diesmal. Zuerst kam des Müllers Hannchen und brachte mir den schönsten Blumenstrauß; so schön! Du wirst Dich wundern, wenn Du hinauf kommst, und ich fragte sie, ob ihr auch daheim erlaubt sei, die schönen Blumen zu brechen, da sagte sie, sie hab's ihrem Vater selbst gesagt und dem sei's ganz recht, und Du weißt doch, wie Dir der Müller feind war wegen des Mehls, das Du für die Armen von auswärts kommen ließest; da hat mich's nun so gefreut, gelt, jetzt kann er doch nichts mehr gegen uns haben? – und dann noch was, aber Du lachst mich aus?« – »Behüte,« sagte der Bruder mit seinem ernsthaftesten Gesicht. – »Da ist die kleine Marie der Hausfrau, die wollt' ich schon seit drei Tagen eine Schleife knüpfen lehren, das Kind wollte aber durchaus nicht, und wurde ganz unartig, so daß ich sie gehen ließ und selbst ärgerlich über sie war; nun sagt mir die Hausfrau, sie sitze schon drei Stunden in einer Ecke und knuppere an einem alten Band, auf einmal kommt sie zu mir heraus gesprungen, ›guck, Jungfer Klara, des geb i dir‹, und hat eine ganz rechte Schleife geknüpft, – ist das nicht nett?« »Herzig,« meinte der Bruder, »aber Du vergißt ja ganz, Milch zu essen, und läßt sie mir allein.« »Nein, so ist's nicht gemeint,« rief Klärchen und aß jetzt eifrig, um die Milchschüssel zu expediren, und man konnte aus dem schlauen Ausdruck ihres Gesichtchens wohl vermuthen, daß sie nachher noch einen wichtigen Staatscoup im Sinn habe.

Richtig, sie stellte die Milchschüssel sammt Löffeln und Tellern vor die Laube und ließ nur das schwarze Brod auf dem Tisch, »hör', Gustav,« fing sie nun an, »findest Du nicht, daß die Milch wirklich immer recht gut ist?« »Gewiß, gewiß, wie alles, was meine vortreffliche Mamsell Soeur bereitet.« – »Ach nein, im Ernst, schmeckt sie nicht ganz wie Rahm?« »Ja delikat, im Ernst.« »Und nun sieh!« und mit strahlendem Gesicht stellte Klara das verdeckte Gericht aus der Ecke auf den Tisch und enthüllte unter den grünen Blättern ein goldgelbes Bällchen frische Butter. Der Bruder wußte noch nicht recht, was das bedeuten sollte; »ja sieh, das ist lauter Profit,« rief sie, fröhlich in die Hände klatschend, »und Du hast's gar nicht gemerkt! Ich habe gefunden, daß auch die abgerahmte Milch delikat wird, wenn man sie gehörig lang rührt, da habe ich sie schon seit 8 Tagen abgerahmt und in einem irdenen Topf die Butter ausgerührt, und die kostet jetzt keinen Kreuzer!« »Das ist aber ein enormer Luxus, noch nach der Milch,« lächelte der Bruder, der ein großer Freund von frischer Butter war. »Ei, das ist auch nur für Dich, eine kleine Vorspeise auf den Sonntag, mein Magen ertrüge das gar nicht; aber Morgen Abend siede ich dann von den köstlichen Kartoffeln dazu, weißt, von den blauen, dann haben wir gleich ein Sonntagsessen;« und mit leuchtenden Augen sah Klärchen zu, wie der Bruder bedeutende Breschen in die ungehoffte neue Eroberung machte, so daß sie fast vergessen hätte, die Überschläge wieder vorzunehmen, die doch auch »lauter Profit« waren. Endlich fiel dem Bruder ein, daß die Butter auch noch eine Sonntagsmahlzeit geben müsse; es wurde kühl im Gärtchen und Klara packte eilig das Geräth zusammen, hätte sie doch dem Bruder gern bei Tag gezeigt, wie schön jetzt das Zimmer mit Hannchens Blumen geschmückt war.

Das Wohnzimmer, zugleich des Bruders Schlaf- und Studierzimmer, war wirklich interessant durch seine Einrichtung, die, aus keiner Mode- oder Musterzeitung entlehnt, als ganz selbstständige Thatsache dastand. Der große, weit vorspringende Kachelofen bildete zugleich eine Art Alkoven, in dem des Bruders Bett ein gesichertes Plätzchen hatte, was jetzt im Sommer sehr angenehm war, und auch im Winter nicht so beschwerlich als man hätte denken sollen, da man zur Holzersparniß das Feuer bald ausgehen ließ; der Amtsverweser machte dann seine Studien im Bett und Klara war in der Stube der Hausfrau unten ein hochwillkommener Gast, wo sie allezeit etwas Hübsches vorzulesen oder zu erzählen hatte und damit einen Kreis junger Mädchen um sich versammelte. An dem einen Fenster, das in's Freie ging, stand ein sehr baufälliges Pult, das aber mit einer großen Konkordanz so wirksam unterstützt war, daß man seinen defekten Zustand kaum bemerkte; – äußerst symmetrisch waren in beiden Ecken des Zimmers zwei Koffer auf hochbeinigen Gerüsten aufgestellt, die der geschickte Knecht des Hausherrn nach Klara's Angabe konstruirt hatte; diese Koffer vertraten die Stelle von Weißzeugschränken, für die Kleider war »zum größten Glück« in der Kammer ein geräumiger Wandschrank vorhanden. Die Stube hatte noch zwei Fenster an der Vorderseite, die auf die Straße gingen, zwischen diesen stand ein rechtes wirkliches Tischchen, das zugleich zur Speisetafel und zum Arbeitstisch für Klara diente, als Sonntagsputz aber mit einem alten rothen Shawl von Klärchen bedeckt war, der sich geberdete, wie ein eleganter Tischteppich (für festliche Gelegenheiten, Besuch aus der Nachbarschaft &c., hatte Klärchen auf dem Boden eine alte Fallthür entdeckt, die sich mit gutem Erfolg als Tischplatte verwenden ließ). Ueber dem Tischchen hing ein Spiegel, dessen schiefziehendes Glas als ein gutes Präservativ gegen die Eitelkeit dienen konnte, der aber mit einer Epheuguirlande so hübsch dekorirt war, daß er in der That viel größer erschien, als er eigentlich war; auf dem Tischchen nun standen in einem Milchtopf geschmackvoll geordnet die schönen Blumen aus Müllers Garten. Denkt nun von diesem Ameublement wie ihr wollt, ich versichere euch, mit den weißen Vorhängen, dem reingescheuerten Boden und den hellen Fenstern nahm sich's so freundlich aus, als nur irgend ein eleganter Salon, besonders wenn ein Paar helle blaue Augen, wie Klärchens, es so seelenvergnügt betrachteten. Der Bruder bewunderte die Blumen gehörig und rühmte besonders den herrlichen Geruch als wirksames Gegenmittel gegen den Duft vom Kuhstall, der sich gegenwärtig sehr unangenehm bemerkbar mache.

»Nein, wie Du undankbar bist,« sagte Klärchen vorwurfsvoll, »bist Du denn nicht wirklich gesunder, als je in Deinem Leben, und glaubst Du nicht, daß Du das dem Kuhstall verdankst, dessen Ausdünstung so bruststärkend ist? Andre Leute suchen mit Mühe und Kosten Wohnungen über Kuhställen auf, und wir haben's von selbst! und noch dazu kommt der Geruch blos durch die vordern Fenster, wenn man die schließt und das andere öffnet, so kommt von weitem der herrlichste Waldgeruch herein!«

Nun mußte Klara das Geschirr reinigen und ein wenig nachsehen, wie Katharina, die große Tochter der Hausfrau, die erst seit Kurzem angefangen, unter ihrer Anleitung Samstags die Stube hübsch herzurichten für den Sonntag, ihre Sachen angriff, dann brachte sie die angezündete Lampe dem Bruder auf's Pult und setzte sich mäuschenstill zur Seite mit ihrem Strickzeug. um seine Studien nicht zu stören, bis die Stunde schlug, wo sie sich in die anstoßende Kammer, die an allerhöchster Einfachheit noch den Preis über die Wohnstube davon trug, zur Ruhe begab.

Der Sonntag Morgen war angebrochen, so hell und schön, wie man sich nur einen Sonntag Morgen denkt. Obgleich Klärchen bereits in ihrem bescheidenen Sonntagsputz waltete, so war der Sonntag Morgen doch noch kein Ruhetag für sie. Zuerst hatte sie im Haus alles auf's sorgfältigste zu beschicken, dann half sie der Hausfrau ihre kleinen Mädchen strählen und zöpfen und eilte damit, um dem Bruder beizeit in seinen priesterlichen Ornat helfen zu können, eh sie, ein Weilchen vor ihm, zur Kirche ging; denn aus Ehrfurcht vor der geistlichen Würde wollte sie nie zugleich mit ihm gehen.

Jetzt aber war alles bereinigt, die Stube sah so sonntäglich und still aus, wie ein Hauskirchlein. Der Bruder war schon gerüstet, und so standen die Geschwister, eh das Läuten begann, noch still beisammen und sahen zu, wie die Dorfbewohner sich in kleinen Truppen zum Kirchgang anschickten, – da fühlte der Bruder einen Tropfen auf seiner Hand und sah erstaunt aufblickend Klara's Augen in hellen Thränen stehen. »Du weinst, Klärchen, was hast Du?« Die sah aus ihren Thränen so freundlich wie ein Mairöslein, »ach laß mich, es ist ja aus lauter Freude und Dank, daß mir's so gut geht; ja, und ich schäme mich auch, daß ich oft so verzagt und unmuthig habe sein können. Weißt, nach der Mutter Tod, wie ich bei der Frau Base war, wo wir den Kaufladen hatten, und dazu den Weinschank, da gab's eben gar keinen Sonntag; wenn ich zehnmal mein Buch zur Hand nahm, mußte ich's zehnmal wieder weglegen, an die Kirche war oft in sechs Wochen nicht zu denken, da war ich manchmal recht trostlos; die ganze Woche kam mir ohne Segen vor. Da schicktest Du mir einmal den Spitta, wo ich in dem schönen Morgengebet die Strophe fand:

Ich bitte nicht: gib mir viel äußere Stille,
Nein Herr. auch hier geschehe ganz dein Wille,
Doch gib du mir ein kindlich stilles Herz.

Das tröstete mich ein wenig und ich versuchte im Herzen den Sonntag zu feiern, aber es wollte doch nicht recht gehen und ich meinte oft, ich werde in meinem Leben keinen Sonntag mehr haben. Und nun habe ich so schöne, stille Sonntage und darf das Gotteswort unverkümmert hören und von Dir!« – Der Bruder sah sie an, auch mit feuchtem Auge; was sie ihm gewesen, wie sie, ohne es zu ahnen, in sein durch Zweifel und lange Herzenseinsamkeit verstörtes Gemüth Licht und Frieden, Glauben und Lebensmuth gebracht, das konnte er ihr nicht mit Worten sagen, darum behielt er's lieber im Herzen.

Das Glöcklein von dem alten baufälligen Kirchlein unterbrach Klärchens Freudenpsalm, – freundlich grüßend schloß sie sich dem Zug der Dorfweiber an, um so die Feier ihres Sonntags zu beginnen, der vom Kirchgang bis zum Abendspaziergang eine ununterbrochene Kette von Freuden für sie war.

So freudenreich sind aber nicht nur Klärchens Sonntage, nicht nur die Abende, wo sie einen so unerhörten Profit gemacht hat, wie den mit der frischen Butter, – sie hat für jeden Tag ein besonderes Vergnügen, und das größte darunter ist ihre Industrieschule, in die wir sie am folgenden Nachmittag begleiten.

Die Industrieschule ist keine neue Stiftung von Klärchen, sie hat sie schon vorgefunden als sie vor einem halben Jahr des Bruders »ständige Amtsverweserei« mit ihm bezog, aber wie? – Unter der Leitung einer halb blinden Nähterin kamen vielleicht sechs oder acht der vielen Mädchen im Dorf mit einer verwahrlosten Arbeit, freudlose verdrießliche Geschöpfe, die durch das Keifen der Nähterin, durch das Geschrei kleiner schmutziger Geschwister, die ihnen nachgelaufen kamen, eben nicht aufgeheitert wurden. Schläfrig rückte das Geschäft vor, trotzig und mißvergnügt bei jedem Tadel der alten Lehrfrau liefen die Mädchen heim, wenn es ihnen einfiel; den Müttern war der Wunsch der jeweiligen Pfarrverweser, die Kinder in die Industrieschule zu schicken, höchst ungelegen, »geht schon viel Zeit mit der Schule drauf und die Mädchen lernen doch nichts.« Das Dorf war arm und der trübselige zänkische Geist, der sich leider so oft in die vielgepriesenen »friedlichen Hütten der Armuth« niederläßt, hatte schon die Seelen der Kinder vergiftet.

Nun sah's anders aus, seit Klärchen waltete. Eine große Anzahl saubergewaschener Mädchen (es blieb keine gern zurück) sitzt schon vor dem bestimmten Stundenschlag in der Schulstube mit den unerläßlichen kleinen Geschwistern; die Vorposten, die von dem Schulhaus bis an Klärchens Hausthür aufgepflanzt waren, um sie »auszupassen,« melden ihre Ankunft, die Kinder rüsten sich zum Empfang und ein Chorruf von »guten Morgen, Jungfer Klara!« schallt ihr entgegen, alle Hände strecken sich aus, um den ersten Patsch zu bekommen; »wer hat die saubersten Hände?« fragt Klärchen scherzend, »ich, ich!« und jedes besieht die seinigen wieder und sucht etwaigen Schmutz mit dem Mund oder den Kleidern zu reinigen, wahrend Klärchen allen nach und nach die Hand gibt.

Eh sich nun aber die Lehrstunde ordnet, haben Alle der Jungfer Klara etwas zu bringen oder mitzutheilen. Das eine hat ein neues Verschen gelernt, das andere ein Lob vom Schulmeister, eins kommt mit einem Sträußchen, das andere mit etwas Obst, – alle wissen Neues zu erzählen, bei dem Kätherle ist seine Dote gewesen, in des Ameiles Garten sind die Nägelein aufgegangen und das Agnesle hat gestern Nacht den Sternwagen am Himmel gesehen, gerad so wie's ihr die Jungfer Klara gezeigt hat. Ein kleines Mädchen sitzt ganz still und hat nichts zu geben und zu erzählen: »Aber Bärbele,« fragt Klara, »Du hast ja heut Nacht ein Schwesterlein bekommen?« – »Jo.« – »Habt ihr eine rechte Freude?« – »Noa. Der Vater sait, er häb' Mädla gnuag.« – »Ach das ist ein Spaß vom Vater, gib acht, wenn Du recht fleißig wirst und ihm helfen kannst, so sagt er: wenn ich nur noch mehr so brave Mädchen hätte, wie mein Bärbele.« Das Bärbele verzieht doch den Mund ein wenig zum Lächeln. »Und hast Du schon gesehen, was das Schwesterlein für nette Händlein hat?« »Noa.« – »Und für herzige Aeuglein, wo auf jedem ein ganz kleines Bärbele 'raus guckt?« Das Bärbele schaute groß auf, daheim hatte niemand von des Kinds Aeuglein gesagt. »Jetzt gib nur Acht, wie nett das ist, wenn es die Aeuglein aufmacht, und hüt' es recht fleißig, dann lacht's Dich einmal zuerst an.« Dem Bärbele war das Schwesterlein nun auf einmal wichtig geworden, und sie konnte kaum erwarten bis sie heim durfte.

Jungfer Jakobine, die alte Nähterin, die Klärchen in ihrer Würde gelassen und bestärkt hatte, kam jetzt an, die Mädchen gingen auf ihre Sitze und an die Arbeit, Klärchen sammelte die Kleinen, die seither auf dem Boden herumgekrabbelt, und sagte: »So, jetzt mach ich eine große Reise, wenn ich wieder komme und ihr bekommt ein gutes Zeugniß von Jungfer Jakobine, so erzähle ich eine schöne Geschichte und dann singen wir.« Das war nun ein Eifer unter den Mädchen!

Nun ging Klärchen mit den Kleinen in den Hof, wo sie statt allen kostbaren Spielzeugs einen Karren Sand hatte aufschütten lassen, eine unerschöpfte Quelle der Belustigung; da machte sie ihnen Gärtchen, Berge und Thäler in dem Sand, bis es Zeit war zu den Großen zurückzukehren, das ältere Mädchen, die nun an ihrer Statt die Kleinen hüten mußte, durfte dafür morgen zu ihr kommen und die versäumte Geschichte hören.

So verging der Nachmittag, und glücklich wie immer kam Klärchen heim. So hatte sie verstanden, leise und allmählig der Kinder Herzen aufzuthauen und ihren Blick hell zu machen für die kleinen Freuden des Lebens, die jedem offen stehen, dem Reichen wie dem Armen: Blumen und Bäume, Kinder und Vögelein, alles wurde jetzt den Kindern zu einer Quelle der Lust, und in so vielen jungen Augen durfte sie nun den Abglanz ihrer Herzensfreundlichkeit sehen.

Es war bald Abend, als sie nach Haus kam, da kommt ihr der Bruder eilig und sorgenvoll entgegen: »Klärchen, was anfangen? wir bekommen einen Gast!« – »Ist das so arg?« fragt Klara lächelnd, »wir haben ja schon mehr gehabt.« »Ja, aber nicht zum übernachten; mein Universitätsfreund, der Erne, den Du auch einmal als Student gesehen hast, ist hier, er hat beim Schultheißen, zu dem er eben gegangen ist, ein Geschäft wegen eines Schuldners und will bei uns übernachten, wo nehmen wir Platz her, wo ein Bett? und das Essen? Erne ist verwöhnt, so ein reiches Muttersöhnchen!« Klärchen aber hatte mit der Geistesgegenwart einer ächten Hausfrau bereits ihre Vorräthe in Gedanken überschlagen (war freilich bald geschehen) und war schon beruhigt. Das Essen machte ihr gar keine Sorge: »weißt Du nicht, daß wir noch grünen Thee in der Büchse haben? Thee ist ein recht anständiges Abendessen; nur schad, daß unsere eigene Butter zu End ist, aber ich weiß ein Weib, die heute ausgerührt hat; freilich gehört zu einem eleganten Thee nachher Schinken oder kalter Braten, das gibts hier nicht, aber halt! weichgesottene Eier gibt man ja in England dazu und ich habe ganz frische, weißt, von unsern eigenen,« und Klärchen begann ihre Tafel zu rüsten und Anstalten zu treffen, ganz glücklich, daß sie so ein Haus mache.

Der Gast kam viel früher als sie erwartet hatten, und Klärchen hatte noch gar nicht an's Nachtlager für ihn gedacht! Gar gern hätte sie die Herrn ein wenig spazieren geschickt, um das große Problem zu lösen, wie man drei Betten aus zwei macht, aber es begann eben zu regnen und der Gast war so gut aufgelegt und unterhielt das Geschwisterpaar so lebendig, daß sie eine Weile ihrer Sorgen vergaß. Mit dem Schuldner, da war's freilich eine verdrüßliche Geschichte, er hatte wenig Aussicht auf Bezahlung. »Das ist nun das dritte Kapital von meines Vaters Erbe, mit dem ich in Gant gerathe,« sagte er verdrüßlich zu dem Pfarrverweser, »wie geht denn Dir's?« »Ich bin noch mit keinem Kreuzer in Gant gekommen,« versicherte er treuherzig, »mit keinem Pfennig,« bestätigte Klärchen fröhlich lachend, indem sie aufstand, um ihren Thee zu serviren. Das Theegeräthe war etwas mangelhaft: ein irdener Kochtopf vertrat die Stelle der Theekanne, und um die Blätter abzuhalten, mußte der Thee durch den eisernen Schaumlöffel gegossen werden; Milch, Brod und Butter war aber vortrefflich und Erne zeigte sich nicht als verwöhntes Muttersöhnchen, er that der Bewirthung alle Ehre an. Aber inmitten der fröhlichen Unterhaltung und ihres wirthlichen Waltens fiel dem Klärchen die Beherbergung des Gastes wieder schwer auf's Herz. –

Die Bäuerin hatte wohl drunten in dem Kämmerlein, das zugleich Klärchens Vorratskammer war, eine leere Bettstelle, in der vor Zeiten der Aehne geschlafen hatte, aber die Betten darin waren längst vertheilt; nun hatte sie gedacht aus Bettstücken von ihrem und des Bruders Bett ein drittes zu konstruiren, aber der Gast saß just in der Stube, wo das Lager des Bruders stand, und ihr Kämmerlein hatte keinen eignen Ausgang; dies Kämmerlein für den Gast zu räumen, ging auch nimmer an, da es der unbedachte Bruder bereits als seiner Schwester Zimmer genannt hatte.

Nun kam aber dem Klärchen eine gescheidte Idee, – sie ging hinunter und hieß nun in der Dämmerung der Hausfrau Mädchen sich im Gärtchen aufstellen, das unter ihrem Kammerfenster war, dann ging sie oben in ihr Kämmerlein und warf dem Mädchen ihr Bett hinunter; einen Strohsack gab ihr die Bäuerin dazu und sie und die Kathrine räumten und kehrten und putzten die alte Milchkammer dergestalt her, daß sie einem ganz respektablen Gaststüblein, – wenigstens einem Bruderloch, wie man Gaststübchen zweiten Rangs betitelt, – ähnlich sah. Denn das Klärchen war ganz blutdürstig geworden und hatte jeden brauchbaren Artikel ihres Gemachs nach und nach hinunter geworfen; den netten in Papier gefaßten Spiegel, den ihr der Bruder auf dem letzten Jahrmarkt gekauft, praktizirte sie unter der Schürze hinunter, Blumen schaffte Kathrine herbei, kurz, es machte sich höchst anständig und sie setzte sich wieder ganz unbefangen, als ob nichts geschehen wäre, zu den Herrn. Der Bruder war indeß wie auf Nadeln gesessen mit der heimlichen Frage:

Kann ich denn Betten aus der Erde stampfen,
Wächst mir ein Zimmer auf der flachen Hand?

Das Klärchen aber versichert nur so en passant, das Gastzimmer sei längst gerüstet, wie? war dem Bruder ein Räthsel, und höchlich erstaunte er, als er ziemlich spät dem Gast hinunter leuchtete, die alte Rumpelkammer so gar nett zugestutzt zu finden.

»Aber, Klärchen, wie hast Du's denn gemacht?« »Ging alles ganz gut, leg Dich nur schlafen!« rief Klärchen und ging eilig in ihr Stübchen, damit er nicht sehen sollte, wie sie es zu Gunsten des Gastes geplündert hatte.

Das Klärchen war früh am Morgen wieder wach und munter, um neue Anstalten zur Bewirthung des Gastes zu machen, der noch tief in den Federn steckte, ohne Ahnung, daß seine freundliche Wirthin dafür sich mit dem Strohsack begnügt hatte. Nach langem Kampf, ob sie nicht sogar der profitablen Henne an's Leben solle, entschied sie sich aber doch für eine andere Mahlzeit, die wie das Abendessen unter Lust und Scherzen verzehrt wurde.

Viel so luxuriöse Gäste hätte freilich das genügsame Pfarrhaus nicht brauchen können: mit dem Quantum Kaffee, das Klärchen heut zum Frühstück verwendete, hätte sie den Bruder wohl eine Woche lang erquickt, denn sie selbst trank keinen und behauptete, Milch sei ihr viel gesunder. Als sie gar noch des Nachbars Michele in die Stadt sandte, um Fleisch zu holen, und abermal einen Griff in des Bruders Pult machte, der die Kasse enthielt, da fragte der leise ganz ängstlich: »wirst doch den Kronenthaler nicht genommen haben?« was den Gast, der's zufällig hörte, zu herzlichem Lachen brachte.

Nein, der Kronenthaler war's nicht gewesen, und die glücklich einfallende Taufe aus dem Haus eines der Dorfhonoratioren hätte das Geschwisterpaar in Stand gesetzt, diese üppige Lebensweise noch länger fortzusetzen, wenn nicht der Gast wieder abgereist wäre.

Dieser Besuch und die äußerst honnete Weise, mit der man ihn bewirthet habe, füllte wieder ein neues rosenfarbenes Blatt in Klärchens Erinnerungen. Ob die holdselige Wirthin auch bei dem Gast einen so freundlichen Eindruck hinterlassen, so daß er noch den Versuch wagen wird, für sein schön ausgestattetes Pfarrhaus diesen Edelstein zu gewinnen, oder ob das Klärchen noch das Glück erlebt, den Bruder in ein rechtes wirkliches Pfarrhaus zu begleiten, das bleibe der Zeit und der Phantasie meiner Leser überlassen.


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