Ottilie Wildermuth
Bilder und Geschichten aus Schwaben
Ottilie Wildermuth

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Der Prinz aus Mohrenland.

In der obern Stube des Pfarrhauses zu Rebenbach saß der Maler, der eingebürgerte Freund des Hauses, vor seiner Staffelei, emsig beschäftigt mit einem Mädchenbilde, dessen Original in der muntern Wilhelmine, der jüngsten Tochter des Hauses, vor ihm saß. Das Bild der ältern Schwester, ein blühender Blondkopf, sah recht hübsch unter einem aufgeschlagenen Federhut vor; mit der nußbraunen Wilhelmine aber, der man durchaus nicht nachsagen konnte, daß ihr »der Schönheit eitles Gut zu Theil geworden,« wollte es nicht so recht gelingen.

»Ei, so sitze Sie doch gerade, bleib' Sie ruhig und seh' Sie mich an, wenn noch etwas aus Ihr werden soll!« rief der Maler ärgerlich. – »Ja, das meine ich, daß etwas aus mir werden soll,« sagte Wilhelmine lustig. »Ich sag' Ihnen, Sie müssen mich ähnlich malen, aber doch viel, viel hübscher als ich bin. Bei Dörtchen, da war's überflüssig, die kommt ihrem Bräutigam allezeit noch schöner vor als ihr Bild, aber ich, das wissen Sie wohl, ich muß mein Glück noch machen.« – »Ja, ein schönes Glück wird Sie machen, so eine unruhige Wachtel! Laß Sie sich nur noch ein Paar Sommer auf die Bleiche legen, daß Sie weiß wird wie andere Menschenkinder, wenn Sie nicht einen Mohrenprinzen will. Will Sie nur recht schön malen, daß Sie wenigstens einmal etwas vorstellt.« – »Ja, ja, das thun Sie, dann schicken wir das Bild in's Mohrenland, wo mein brauner Teint und mein Kartoffelnäschen Mode sind, dann merkt auf, was noch aus mir wird!«

Da ertönte von unten herauf eine vielstimmige Küchenmusik, Feuerknistern, Kaffeemahlen, Mörserstoßen, und außer Athem rannte die Magd die Treppe herauf: »Geschwind, kommen Sie, Jungfer Wilhelmine, der Herr Steuerrath aus L. sind drunten, und ein ganz fremder, fürnehmer junger Herr dabei, ein Kronprinz oder so etwas.« – »Das wird der Prinz aus Mohrenland sein, der mich heimführt,« rief Wilhelmine mit fröhlichem Lachen; »jetzt malen Sie mich nur aus dem Herzen, und das recht schön, ich muß hinunter!«

Flink hüpfte sie die Treppe hinab und überließ den brummenden Künstler seinem Schicksal. Drunten ging's hoch her, zwei Feuer loderten in der Küche, über einem brodelte die Kaffeepfanne, auf dem andern glühte das Waffeleisen. »Geschwind, Wilhelmine!« rief Dörtchen; »Du bist angezogen, trage die blauen Tassen hinein und lege den rothen Teppich auf den Tisch.« – »Und was gibt's denn? wer ist's? ist's richtig der Mohrenprinz?« – »Ach, Unsinn, der Steuerrath ist's und sein Sohn aus Holland.« – »Wie, der auf dem Kloster durchgegangen ist? Gib nur die Tassen, Dörtchen, mach den Kaffee gut, und die Waffeln gerathen Dir ja auch am besten, ich will alles drinnen besorgen.«

Drinnen saß denn der Herr Steuerrath und neben ihm ein junger Mann in fremder Offizierstracht, den der alte Herr mit väterlicher Freude als seinen lang verlorenen, nun glücklich wieder gefundenen Sohn vorstellte. Dem jungen Mann schien's noch nicht recht wohl in fremder Gesellschaft, er saß etwas beklommen und schweigsam da, während der Vater sein glückliches Herz in Worten überfließen ließ. Auch der Herr Pfarrer und die Frau Pfarrerin waren etwas verlegen und waren nicht schlüssig, welchen Ton sie anschlagen sollten mit dem wiedergekehrten Flüchtling, dessen freventliche Flucht schon so oft und scharf getadelt worden war, und dessen stattliches Aeußere ihnen nun doch so imponirte. So begnügten sie sich denn mit fleißigem Einschenken und dringendem Zureden. Die lebhafte Wilhelmine aber war nie in Verlegenheit; sie nahm den leeren Platz neben dem jungen Herrn ein, versorgte ihn gehörig mit den Tafelvorräthen, die das arme Dörtchen draußen im Schweiße ihres Angesichts bereitete, und wußte ihn bald so aufgeweckt und gesprächig zu machen, wie der Vater selbst ihn noch nie gesehen hatte.

Acht Jahre waren es, seit der junge Lindner in übermüthiger Knabenlaune die Klostermauern verlassen hatte, hinter denen, wie heutzutage, nur in viel strengerer Zucht als jetzt, die evangelische Jugend für den geistlichen Stand herangebildet wurde. Daheim, bei einem vielbeschäftigten Vater und einer lieblosen Stiefmutter war das Gefühl kindlicher Pietät und willigen Gehorsams nicht gepflegt worden, der Zwang und die Beschränkung widerstrebte seinem lebendigen Geist, für die Eltern war sein Herz verschlossen, und statt daß ein freundliches, vernünftiges Wort von daheim ihn hätte zurechtweisen können, reizten unzufriedene Knaben, seine einzigen Vertrauten, seinen Unmuth immer mehr. Der feurigste, der talentvollste unter den Knaben, wurde er von diesen vorgeschoben, wo es galt, eine vorlaute Aeußerung zu thun, einen Fehler auszubaden, bis er am Ende das Stichblatt aller Verweise und Strafen war, mit denen man das junge Volk unter dem Daumen zu halten gedachte. Der bloße Gedanke, den geistlichen Stand zu verlassen, wäre vom Vater als ein Sacrilegium angesehen worden; so beschloß Karl denn mit mehreren seiner Genossen, die verhaßte Kutte abzuwerfen und zu entfliehen. Wie das aber zu gehen pflegt, als der Entschluß zur Ausführung kommen sollte, ließen ihn Alle im Stich, er allein wollte nicht mehr zurück, und so halfen sie ihm denn, sich mit Lebensgefahr am Leintuch vom Fenster hinab zu lassen; darauf legten sie sich geruhig zu Bett.

Der Flüchtling eilte durch Nacht und Nebel mit scheuen Schritten vorwärts, voll Angst vor Verfolgung, neben der das Gefühl der Freiheit, der freudigen Begierde nach der »weiten Welt,« die einst so lockend vor ihm gelegen, kaum Raum gewinnen konnte, fort und immer fort, bis er endlich todtmüde in einer offenen Scheune sich zur Ruhe legte, um Gegenwart und Zukunft in tiefem Schlaf zu vergessen. – Er hatte sich die Freiheit, die weite Welt etwas anders gedacht, als er sie nun am andern Morgen fand, wie er mit wunden Füßen und hungrigem Magen – seinem schmalen Beutelein konnte er nicht viel zumuthen – auf Seitenwegen fortschlich und ängstlich jedem Vorübergehenden auswich, aus Furcht angehalten und erkannt zu werden.

Der junge Lindner war froh, am zweiten Abend seiner Flucht in einer überfüllten Schenke unterzukommen, wo er unter der lärmenden Menge sich unbemerkt glaubte. Wie verwundert und geschmeichelt war er aber, als er von zwei stattlichen Kriegsleuten in fremder Uniform sich angeredet, mit großer Freundlichkeit behandelt und sogar bewirthet sah! Wie leicht ward es diesen, die kurze Geschichte des sechzehnjährigen Knaben zu erfahren, wie entsetzlich schilderten sie ihm sein Loos, wenn er, wie ja wahrscheinlich war, erkannt und zurückgebracht wurde! Dagegen wußten sie ihm das Soldatenleben in ihrem Heere in glänzenden Farben zu schildern und namentlich die Aussichten für so geschickte junge Leute wie er. Da könne eine Offiziersstelle ja gar nicht fehlen, wenn er nicht nur lateinisch und französisch, sondern sogar griechisch und hebräisch verstehe; das könne in Holland nicht einmal der König. Ein altes, leidiges Spiel wiederholte sich, der verlaufene Knabe war eine leichte Beute für die Werber und der Nimbus verschwand nach kurzer Frist, als der zuvor so Geschmeichelte mit Härte zum Dienst angewiesen, und statt die verheißene Offiziersstelle zu bekommen, wegen seiner noch kleinen Gestalt mit Hohn als Tambour eingekleidet wurde.

Eine lange, bittere, schwere Zeit erwartete den armen Karl, der sich der Klosterzucht nicht hatte fügen können. Nun lernte er erst, was gehorchen sei, die verschmähte Wissenschaft stand jetzt als ein unerreichbares, ewig verscherztes herrliches Ziel vor seinen Augen, die einst verworfenen Bücher wurden nun, wo er eines erhaschen konnte, seines Herzens Trost und Balsam, die einzige Lust seines freudelosen Lebens. In dieser harten Schule kam er zu früher Reife, er lernte, daß der Mensch ein Muß braucht, und daß zu frühe Freiheit auf einem oder dem andern Weg zu härterem Zwang führt; aber er lernte auch sein eigen Herz kennen, er lernte Gott suchen und finden. In die Heimath schreiben aus seinem jetzigen kläglichen Zustand, das wollte er nicht, sei es ein Rest von Stolz gegenüber der Stiefmutter, sei es eine selbstauferlegte Buße; er wollte liegen, wie er sich gebettet, bis Gottes Finger ihm einen lichtern Weg zeigen würde.

Ein Offizier, der ihn einst überraschte, wie er, über die Trommel gebeugt, in einem defekten Exemplar des Plutarch las, das er in einem Käsladen erbeutet hatte, befreite ihn von der lästigen Tambourstelle und hätte sich seiner wohl auch sonst angenommen, wenn er nicht schnell versetzt worden wäre. So war sein Schicksal wenig erleichtert, bis es ihm endlich gelang, dem König ein lateinisches Gedicht zur Feier seines Geburtstags zukommen zu lassen. Ueberrascht forschte dieser nach dem gelehrten Soldaten, erfuhr von ihm seine Geschichte und machte gut, was ihm in seinem Dienste Unrecht geschehen war. In einer Militärbildungsanstalt fand Karl Gelegenheit, seinen nun so mächtig erwachten Wissensdurst in geordnete Bahnen zu leiten, und obgleich ihm der König die Rückkehr freistellte, so zog er es vor, im Soldatenstand zu bleiben, der ihm mit der Beigabe der Wissenschaft nun lieb und werth wurde. Die Kriegszeiten waren freilich für den Augenblick vorüber und mit ihnen die Aussichten auf baldige Beförderung in der Welt, oder aus der Welt. So hatte es der junge Mann trotz seltener Kenntnisse noch nicht höher als zum Fähndrich gebracht. Das war indessen immerhin eine Stellung, in der er sich in der Heimath zeigen wollte und konnte, um so lieber, als er in einem Zeitungsblatt von daheim den Tod der Stiefmutter gelesen; und so stellte sich denn der langbeweinte, todtgeglaubte Sohn dem alten Vater zu dessen unaussprechlichem Jubel vor.

Das alles erfuhr die teilnehmende Wilhelmine, die mit ihren lebhaften Augen, ihren erstaunten Ausrufen gewiß eine gute Zuhörerin war, nicht an dem Einen Nachmittag, wohl aber nach und nach an den vielen, die der Fähndrich von nun an im Pfarrhause zubrachte und an denen das gegenseitige gute Einverständnis der jungen Leute immer mehr zunahm. Wilhelmine war sehr strebsamer Natur, alles Können und Wissen, bei dem sie einen praktischen Zweck sah, zog sie an. Musik hatte sie nie gelernt, auch nicht Zeichnen und Malen, dagegen erlernte sie vom Provisor französisch, der gewiß ein guter Lehrer gewesen wäre, wenn er es nur selbst verstanden hätte und nicht die Aussprache so mühsam aus der Grammatik hätte klauben müssen. Seither hatte sie jede Gelegenheit zum Parliren mit dem Maler, ja selbst mit reisenden Hühneraugenoperateurs, Firnißhändlern &c. fleißig benutzt und war jetzt höchlich erfreut über die Entdeckung, daß der Fähndrich vortrefflich französisch sprach und schrieb. Da wurde nun studirt und parlirt, daß das Dörtchen stets davon lief und der Maler oft warnend den Finger aufhob: »Hör' Sie, Wilhelmine, ich brauche Ihr Bild nicht fertig zu machen, der Mohrenprinz nimmt Sie vorher in originali fort!« Vater und Mutter waren über des Fähndrichs Zuspruch nicht sehr erbaut, bei Wilhelminens praktischer, thätiger Natur hatte aber das Beisammensein durchaus keinen sentimentalen Charakter; sie selbst schlugen auch die fremde Offizierswürde so niedrig an, daß ihnen kein Gedanke an die Möglichkeit kam, die reelle Wilhelmine könnte hier an etwas Ernstliches denken, zumal des Fähndrichs Urlaub demnächst zu Ende ging.

Der Urlaub ging nun freilich zu Ende und der Fähndrich war eine Zeitlang nicht im Pfarrhaus erschienen, als eines Tags der Dorfbote mit der Zeitung noch einen sehr schön überschriebenen Brief an den Pfarrer brachte, bei dessen Anblick Wilhelmine über und über erröthete und in lauterer Verlegenheit den eben gedeckten Frühstückstisch wieder abräumte, während der Vater den Brief langsam durchlas. Der Vater aber legte ihn wieder zusammen, steckte ihn ein und frühstückte, ohne ein Wort zu sprechen, dann ging er auf seine Stube, nachdem er Wilhelminen mit großem Nachdruck gesagt hatte: »Daraus wird nichts!« Da setzte die rasche Wilhelmine sich nieder, als ob sie gelähmt und gebrochen wäre an allen Gliedern. Also das war das Ende!

Ja, leider, das war's! Der Brief war eine Werbung in schönster Form gewesen. Der Fähndrich wollte Wilhelminen in sein neues Vaterland führen, wenn sie sich entschloß, dort sein bescheidenes Loos zu theilen; konnten aber die Eltern sich nicht von ihr trennen, so erbot er sich gern, »die Kugelbüchse mit der Feder« zu vertauschen und in der alten Heimath eine Stelle zu suchen, die er bei seinen Kenntnissen wohl zu finden hoffte. – Wilhelmine hätte nach keiner Seite hin eine Einwendung gehabt, ihr bangte nicht vor dem fernen Land und vor dem schmalen Fähndrichsgehalt; ihres kräftigen Sinnes, ihrer fleißigen Hand und ihres in der Familie wohlbekannten und vielfach belächelten Talents zum Sparen sich bewußt, hätte sie daheim oder draußen jedes Loos mit dem geliebten Manne getheilt. Aber Vater und Mutter waren ganz anderer Meinung. Seit Menschengedenken hatten in der Familie nur ganz solide, sichere Heirathen stattgefunden: Pfarrer, Stadtschreiber, Doctoren &c.; ein Fähndrich in Holland, oder gar ein aussichtsloser Stellenjäger im Vaterlande, das war undenkbar! Dafür hatte die Mama nicht seit Jahren Tischzeug und Bettbarchet gewoben und der Papa seine Kapitälchen verwaltet und vermehrt. Nein, da waren sie ihrem Kind eine bessere Versorgung schuldig. Der arme Fähndrich erhielt ohne Gnade einen Korb mit allerlei Achtungsversicherungen u. dgl., schon um des Papa willen! aber Korb bleibt Korb.

Wilhelmine weinte bitterlich; das war nun das erstemal in ihrem ganzen Leben, daß sie auch gehofft und geträumt hatte, und so war's zu nichte geworden! Damals waren noch die alten Zeiten unbedingten kindlichen Gehorsams, und es fiel ihr nicht ein, mit Thränen und Ohnmachten einen Sturm auf das strenge Vaterwort zu versuchen, um so weniger, als weder Mutter noch Schwester auf ihrer Seite waren. Der Fähndrich fügte sich nicht so geduldig; es war diesmal keine versagte Knabenlaune, es war der tiefgegründete Wille eines Mannesherzen, der hier gebrochen werden sollte. Die alte Abenteuerlust seiner jungen Jahre kehrte wieder; er vermochte mit vieler Mühe Wilhelmine zu einer Zusammenkunft im Schulhaus und theilte ihr hier einen keck entworfenen Entführungsplan mit. Damit kam er aber übel an bei einem Mädchen von so klarer Einsicht in die Lebensverhältnisse, die in die strenge Zucht und Sitte des Elternhauses nicht hinein gebunden, sondern hinein gewachsen war. Das Vaterhaus verlassen ohne Elternsegen, ohne Hochzeitfeier und bräutliches Geleite, und sei's gestanden, auch ohne Aussteuer – nein, nein, davon konnte die Rede nicht sein! »So geht's nicht, lieber Karl,« sagte sie traurig; »was sein soll, schickt sich wohl; ist's Gottes Wille, daß wir zusammenkommen sollen, so wird's wohl auf rechtem Wege geschehen.« – So schied denn der Fähndrich nach kurzem schmerzlichem Abschied, viel trauriger und hoffnungsloser als vor Jahren der flüchtige Klosterschüler. Das eine Versprechen hatte er noch von Wilhelminen erlangt, daß sie ihm durch seinem Vater hie und da einen Gruß oder ein Briefchen schicken wolle.

Wilhelmine war keine sentimentale Natur; sie starb nicht am gebrochenen Herzen, sie verhauchte sich nicht in Seufzern, sie war nach wie vor früh und spät im Hause flink und rüstig an der Arbeit, aber ihre alte Fröhlichkeit kehrte doch nicht wieder, und die französischen Studien lagen gänzlich darnieder. Daß sie bei Niemand daheim Anklang fand für das, was ihr Herz bewegte, das entfremdete sie etwas von Mutter und Schwester, und als ein verwittweter älterer Bruder eine der Schwestern zur Leitung seines Haushalts verlangte, da erbot sie sich rasch dazu; es war ihr jetzt recht lieb, so viel allein zu sein, und sie konnte hier leichter ihre freilich höchst sparsam unterhaltene Verbindung mit Karl fortsetzen.

Eins war's, was ihr bisher immer ein unerfüllter Wunsch geblieben: sie hätte Karl so gern ein Zeichen ihrer Liebe gesandt. Eine Haarlocke hatte er freilich, aber sie hätte ihm so gern auch etwas Rechtes zu Liebe gethan; hatte er doch keine Mutter, die für ihn sorgte. Mit Malen konnte sie nicht umgehen, ihr Bild, das der Maler nun recht ähnlich und doch hübsch vollendet hatte, konnte sie ihm leider nicht wohl schicken, maßen es zwei Schuh groß war und nicht ohne Willen der Eltern hätte versandt werden können. Da kam ihr in der größern Freiheit, die ihr beim Bruder blieb, ein anderer Gedanke. Sie holte ihre sorgfältigst verwahrte Sparbüchse hervor, in der sich noch jeder Kreuzer befand, den sie als Kind zu Aepfeln oder Bretzeln bekommen hatte, und ob der sie schon oft geneckt worden war. Nun aber dauerte sie's nicht, für einen großen Theil ihres Schatzes zehn Pfund des auserlesensten Flachses zu kaufen. Den Tag über besorgte sie emsig den Haushalt des Bruders, hütete die Kinder, strickte und flickte unverdrossen; bei Nacht aber, wenn die Kleinen zu Bette waren und der Bruder in Gesellschaft, da holte sie Rocken und Rädchen und spann bis tief nach Mitternacht so feine silberweiße Fädchen, daß Königin Bertha sich nicht hätte daran schämen dürfen. Wie viel liebe trauliche Gedanken hat sie da hineingesponnen, bis sie im Frühling den reichen Schatz von seidefeinem Garn dem bewundernden Weber übergeben konnte! Der Sommer ging ihr hin ohne Wechsel, ohne Freude, ohne Hoffnung. Es war ihre erste Freude nach langer Zeit, als sie die schöne feine Leinwand blendend weiß von der Bleiche erhielt und nun wieder ihre Nächte dazu verwenden konnte, mit den allerfeinsten Stichen Karl sechs Hemden, Meisterwerke der Nähterei, zu verfertigen. Ihr jungen Damen von heutzutage, was ist ein gemaltes Albumblatt, ein perlengesticktes Cigarrenetui, eine gehäkelte Börse gegen die liebevolle Treue und Fürsorge, gegen die geduldige Ausdauer, die in solch einer Arbeit liegt.

Die Hemden waren abgesandt und mit Freuden aufgenommen worden, der Bruder hatte eine Haushälterin und Wilhelmine ward heimberufen, weil Dörtchen nunmehr als wohlbestallte Frau Amtmännin das Elternhaus verließ. Da war es aus mit der Freiheit, auch merkte der Vater bald die geheime Korrespondenz, die wieder eifriger denn zuvor betrieben wurde. Das war äußerst fatal, daß das Mädchen um so eine aussichtslose Geschichte sich jede Möglichkeit einer soliden Partie verderben sollte. Der Fähndrich war zwar Lieutenant geworden und Wilhelmine hatte stolze Hoffnungen auf dieses Avancement gebaut, aber der Vater fand das immer noch keine Versorgung; so sprach er denn noch einmal ein ernstes Wort mit Wilhelmine und diese brachte das letzte Opfer kindlichen Gehorsams. Sie schrieb Karl den letzten Brief, fest, klar und entschieden. Sie gab ihm sein Wort zurück und bat ihn, nicht in trübseliger Einsamkeit in der Fremde zu bleiben; sie sei fest entschlossen, sich dem Willen ihrer Eltern zu fügen, und wünsche ihm Gottes Segen zu jeder andern Verbindung, die er schließen werde.

So war's zum zweitenmal aus, und dieser zweite Abschied fiel Wilhelminen viel schwerer als der erste; die Hoffnung ist solch ein Gut! Der Spruch: »was sein soll, schickt sich wohl,« den sie so oft im Munde geführt, wurde nicht mehr vernommen, und langsam und trübselig verflossen Tage und Wochen.

Da kam eines Abends der Steuerrath, der lange nicht mehr im Pfarrhaus eingesprochen hatte, auf einem steifen Rappen angeritten. Verwundert über den späten Gast, eilt der Pfarrer hinaus und wollte ihm vom Pferd helfen. Der alte Freund sah sehr bekümmert aus, reichte vom Pferd herab dem Pfarrer einen Brief, sagte mit gedämpfter Stimme: »Da lesen Sie!« und ritt davon, ehe der erstaunte Pfarrer zu Wort kommen konnte, obgleich's auf dem Rappen nicht zu schnell ging. Wilhelmine hatte alles gesehen, sah den Vater mit dem verhängnißvollen Brief in's Zimmer kommen, hörte, wie er Licht verlangte und schweigend damit auf seine Stube ging, und durfte gar nichts sagen und nichts fragen. Ob sie die Nacht geschlafen, das weiß ich nicht.

Jede Prüfung aber gewinnt ein Ende. Nach dem Frühstück wurden Wilhelmine und die Mutter auf des Vaters Zimmer berufen und ihnen der Inhalt des Briefs mitgetheilt. Er war von einem holländischen Offizier, einem Freunde Karls, der dem Vater schrieb, daß der junge Mann schon einige Wochen, seit Empfang des letzten Briefs aus der Heimath, leidend und in gedrückter Stimmung gewesen sei, nun aber an einem hitzigen Fieber schwer krank darnieder liege. All seine Fieberreden und Phantasien drehen sich um eine Wilhelmine, so daß er und der Arzt vermuthen, daß ein Herzenskummer der Hauptgrund seiner Krankheit sei. Da ihnen nun in seinem Bekanntschaftskreise in Holland keine Wilhelmine bekannt sei (wie er denn überhaupt nie weibliche Bekanntschaft gesucht), so denke er, die Betreffende werde wohl in seiner Heimath zu finden sein. Er bat nun den Vater, nachzuforschen, ob und wo eine solche Wilhelmine existire und dieselbe nicht vielleicht für seinen armen Sohn zu gewinnen sei, da darauf der Arzt die letzte Hoffnung für seine Genesung baue.

Ein steinern Herz und nicht ein christlicher Pfarrherr hätte es sein müssen, der hier widerstanden hätte. Wilhelmine zerfloß fast in Thränen. »Hör', Wilhelmine,« begann der Vater, »der Lieutenant hat nichts, und er bekommt nichts, den Steuerrath haben seine Stiefkinder um alles gebracht; Du bekommst eine Aussteuer, sonst aber keinen Heller, da ich mein redlich Erspartes nicht unter solch fremd Volk geben werde; merke das wohl! Willst Du den Lieutenant?« – »Freilich, Papa, freilich!« rief Wilhelmine eifrig mit getrockneten Augen. – »Wenn Du im Lande heirathest, so bekommst Du viertausend Gulden Heirathgut, und kannst eine ansehnliche Frau werden; besinne Dich wohl, das war Dir sonst nicht gleichgültig.« – »Papa, ich habe schon lange Zeit zum Besinnen gehabt und ich denke, wenn mich der liebe Gott sparsam werden ließ, so war das, weil er wohl wußte, daß ich's noch brauchen könne. Ich habe schon alles bedacht, Papa, ich brauche keine Magd, ich kann für zwei arbeiten und will nebenher noch ein schön Stück Geld mit Feinnähen verdienen, wenn es sein muß. Man braucht ja nicht zu wissen, daß ich's bin, und wenn ich rechne, was Karl an Wäsche und Kleidern ersparen wird, wenn ich für ihn sorgen kann –.« – »Schon gut, schon gut,« unterbrach sie der Vater lachend; »ich glaube wohl, daß Du nicht verdirbst; wenn's der Mama recht ist, so sag' dem Matthes, daß er den Braunen einspannt, so können wir's selbst dem Steuerrath ausrichten.«

So flink war noch nie ein Fuhrwerk bereit gewesen, Papa Steuerrath fertigte auch alsbald einen Kurier ab, um den Brief mit der Freudenbotschaft auf's nächste Postamt zu bringen; etwas gekränkt blieb er aber dennoch über die Härte des Pfarrers, die seinen Sohn in solche Lebensgefahr gebracht, bis nach vierzehn Tagen die trostvolle Kunde kam, daß die Heilsbotschaft sich als solche erwiesen habe, und Karl auf dem besten Wege zur Genesung sei.

Da war nun das Schuldbuch vernichtet, ausgesöhnt die ganze Welt! Wilhelmine nahm sich nicht Zeit, in süßen Gefühlen zu schwelgen, es schien, als ob mit ihrem Brautglück ein paar hundert Ameisen und Bienen in sie gefahren wären, so emsig und unverdrossen war sie in Ausrüstung und Vermehrung ihrer Vorräthe; alles erschien ihr brauchbar für ihr künftiges Vaterland, das sie sich wie am Ende der Welt liegend und als halbes Sibirien vorstellte. »Die verdirbt nicht!« war die stehende Redensart in der Familie, wenn man sie so eintragen sah.

Der Lieutenant kam, genesen und stark, in schönster Uniform, um seine theuer errungene Braut heimzuführen. Was sein soll, hat sich wohl geschickt. Wenn ich einmal Ehestands- und nicht Heirathsgeschichten erzähle, so wüßte ich allerlei Schönes von dem Ehestand der Wilhelmine zu berichten, wie sie bescheiden anfing und wie sie ein emsiges, sparsames Hausmütterchen blieb, auch als Ehre und Wohlstand mehr und mehr in ihr Haus einzogen, wie sie als glückliche Frau und Mutter an der Seite des stattlich dekorirten Obristen die Jugendheimath wieder besuchte und wie dieses treuverdiente Glück sich als ein probehaltiges erwiesen. Nun schläft sie an des Gatten Seite, den sie treulich und rüstig verpflegt, nachdem ihr noch vergönnt gewesen, ihr goldenes Hochzeitfest mit ihm zu feiern. Gott schenke ihnen fröhliche Urständ!


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