Christoph Martin Wieland
Agathodämon
Christoph Martin Wieland

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Sechstes Buch

I.

Apollonius hatte in der Unterredung, deren er mich diesen Morgen würdigte, das Wunder seiner plötzlichen Verschwindung aus dem Gerichtssaale Domitians, in eben der Stunde, da er sich seinen um ihn hoch bekümmerten Freunden zu Puteoli in Campanien sehen ließ, und den nicht weniger wunderbaren Umstand, daß er die Ermordung des Tyrannen, in dem nämlichen Augenblicke, da sie zu Rom sich ereignete, zu Ephesus in einer Art von Entzückung gesehen haben sollte, nur im Vorbeigehen, und auf eine Art berührt, die mir deutlich genug sagte, was davon zu halten sei. Indessen war ich doch um so begieriger, von der eigentlichen Bewandtnis dieser Begebenheiten unterrichtet zu sein, weil mir auch hier den Wundermärchen des Damis etwas Wahres zum Grunde zu liegen schien, und ich mit meinen Vermutungen darüber gern im klaren gewesen wäre. Noch mehr verlangte mich, den Grund des Mißverhältnisses zu erfahren, das zwischen meinem Helden und dem berühmten Philosophen Euphrates vorgewaltet hatte. Denn wie war es möglich, daß ein ehemaliger vertrauter Freund des Apollonius sein tödlichster Feind werden konnte? und wie konnte dies einem Manne begegnen, wie Euphrates, dessen Namen ich nie anders als mit Ehrerbietung nennen gehört hatte, und der in dem allgemeinen Rufe stand, nicht nur unter den beredtesten und gelehrtesten, sondern selbst unter den edelsten und liebenswürdigsten Männern des Jahrhunderts, der ersten einer zu sein.

Da die Tageshitze jetzt am größten war, fand ich den alten Kymon auf der Nordseite der Felsenwohnung bei einem Brunnen sitzen, mit einer leichten Arbeit beschäftigt, die für ihn eine Art auszuruhen war. Ich säumte nicht, ihm mein Anliegen zu eröffnen, und daß mich Apollonius an ihn gewiesen habe, um die Auflösung der besagten Rätsel von ihm zu erhalten. Der gefällige Alte war sogleich dazu bereit, und erteilte mir, in seiner eben so verständigen als treuherzigen Manier, folgenden Bericht.

»Wenn du willst, Hegesias, so machen wir von Euphrates den Anfang. Du begreifst nicht, wie ein Mann von so vorzüglichen Eigenschaften erst ein vertrauter Freund, und zuletzt der tödlichste Feind meines Herren habe sein können. Ich würde es eben so wenig begreifen können, wenn es sich so verhielte: aber Damis, der immer mehr oder weniger sah als zu sehen war, hat die Sache auch hier übertrieben. Euphrates besaß das Vertrauen meines Herren niemals in einem besondern Grade. Er wurde zu Antiochia mit uns bekannt, und erklärte sich gar bald für einen warmen Verehrer des Apollonius. Unleugbar ist er ein Mann von nicht gemeinen Naturgaben; seine Gestalt ist edel, seine Gesichtsbildung offen und heiter, und sein ganzes Wesen hat etwas gefälliges und anziehendes, das ihn damals um so mehr zu seinem Vorteil auszeichnete, da er in Grundsätzen, Kostüm und Lebensweise den strengsten Stoicism profitierte. Wir andern waren alle von ihm eingenommen, und Apollonius fand keine Ursache, die angebotene Freundschaft eines so vorzüglichen und allgemein beliebten Mannes durch ein kaltes Betragen abzuschrecken. Er gestattete ihm freien Zutritt, unterhielt sich gern mit ihm, sprach rühmlich von seinen Talenten, und empfahl ihn sogar dem nachmaligen Kaiser Vespasian, der damals Statthalter in Ägypten war. Mehr brauchte es freilich nicht, um einen Damis glauben zu machen, daß die vertrauteste Freundschaft zwischen ihnen herrsche. Aber so weit kam es nie. Mit welchem Enthusiasm sich auch jemand an meinen Herren anzudrängen oder anzuschmiegen suchte, immer wußte er solche Leute unvermerkt so weit von sich entfernt zu halten als er für gut befand. Es war als ob er für jeden Menschen einen eigenen Zauberkreis um sich herum gezogen hätte, über den keiner hinüber könnte, dem er nicht selbst die Macht dazu gäbe. Ich hatte öfters Gelegenheit zu bemerken, wie sehr Euphrates sichs angelegen sein ließ ihm näher zu kommen, und durch welche feine Ausbeugungen Apollonius immer eine solche Stellung gegen ihn nahm, daß die gleiche Distanz zwischen ihnen blieb. Ich gestehe dir, ich wurde begierig, die Ursache dieses mir unerklärbaren Benehmens zu erforschen, und glaubte meine Sachen gar schlau gemacht zu haben, indem ich an einem Abend, da ich allein mit meinem Herren war, und er sich mit mehr als gewöhnlicher Traulichkeit und guter Laune mit mir unterhielt, Gelegenheit nahm, eine Vergleichung zwischen dem berühmten Cyniker Demetrius, einem seiner vorzüglich begünstigten Freunde, und dem Euphrates, zum Vorteil des letztern anzustellen. ›Wozu diesen Umweg, guter Kymon?‹ sagte mein Herr: ›frage mich lieber geradezu; denn ich sehe doch, daß du gern wissen möchtest, warum ich zwei an Grundsätzen und Sitten einander so ähnliche Männer nicht mit gleichem Vertrauen behandle. Ich will dir die Ursache sagen. Beide sind in diesem Augenblicke wirklich was sie scheinen; aber der Grund, warum sie es sind, ist nicht derselbe, und der eine täuscht sich darüber selbst, da hingegen der andere mit sich selber im klaren ist. Euphrates denkt, spricht und lebt wie Antisthenes und Zeno, weil niedrige Herkunft und Dürftigkeit ihm keinen andern Weg offen ließ, sich über die gemeinen Menschen zu erheben, und mit denen aus den obern Klassen gewisser Maßen in gleicher Linie zu stehen. Die Übereinstimmung seines Lebens mit seinen Grundsätzen zeichnet ihn unter dem großen Haufen der Stoiker und Cyniker zu seinem Vorteil aus, und erwirbt ihm, zu der Gabe sich beliebt zu machen, noch die öffentliche Achtung. Aber im Grunde kennt Euphrates sich selbst nicht. Er hängt von der Meinung, welche andre Menschen von ihm haben, ab; er liebt das Vergnügen, und schielt mit geheimer Lüsternheit nach den Gegenständen seiner unfreiwilligen Enthaltung. Wenn er nicht auf einem eben so üppigen Fuß lebt als die meisten, denen das Glück die Mittel dazu gegeben hat, so liegt es, glaube mir, nicht an ihm.‹ – Als mein Herr mir das alles sagte, hätte ich ihn gerne fragen mögen, woher er es wisse: aber ihn weiter zu fragen, nachdem er von einer Sache zu reden aufgehört hatte, getraute ich mir nicht; und es würde auch vergebens gewesen sein, denn auf solche Fragen gab er keine Antwort. Allein wenige Jahre nachher zeigte sichs, wie richtig er den weisen Euphrates ins Auge gefaßt hatte. Euphrates kam, von der Zeit an, da mein Herr sich öffentlich als seinen Freund bewies, in immer größern Ruf; er schlug nun seine Weisheitsbude bald in dieser bald in jener der ansehnlichsten Städte von Syrien, Ägypten und Asien auf, und bekam viele vornehme und reiche Schüler, von denen er sich seinen Unterricht wohl bezahlen ließ. Sein Ruhm und die Annehmlichkeit seines Umgangs öffneten ihm das Haus eines der vornehmsten und reichsten Römer in Syrien; er gewann die Zuneigung dieses Mannes, erhielt seine Tochter zur Ehe, und sah sich nun in eine Lage versetzt, die zu seiner natürlichen Sinnesart paßte. Der ehemalige Stoiker, der mit einem Epiktet und Demetrius wetteiferte, wer am wenigsten bedürfe, stimmte nun seine Philosophie nach seinen Glücksumständen um, und verwandelte sich mit der größten Leichtigkeit in einen eiteln, prachtliebenden und üppigen Aristipp. Mein Herr machte ihm anfangs einige freundlich-ernste Vorstellungen über einen so auffallenden Widerspruch mit sich selbst: da sie aber fruchtlos blieben und sogar übel aufgenommen wurden, brach er plötzlich allen Umgang mit ihm ab. Wir verloren den Mann, der uns nichts mehr anging, eine lange Zeit aus den Augen, und erinnerten uns seiner nicht eher wieder, als da wir berichtet wurden, daß Apollonius bei dem Kaiser Domitian heimlich als ein übelgesinnter, unruhiger und gefährlicher Mann angegeben worden, und daß Euphrates durch seine Verbindungen in Rom die Seele dieser Kabale sei. Mein Herr hielt es seiner unwürdig, dem Urheber dieser Verleumdung nachzuspüren. ›Ich kümmere mich nichts um unsichtbare Feinde‹, war alles was er sagte, da einige von dieser Sache sprachen, und es wahrscheinlich fanden, daß Euphrates die Hand im Spiel habe. – Und dies, Hegesias, ist alle Auskunft, die ich dir über die vorgebliche Feindschaft zwischen meinem Herren und diesem Philosophen nach der Welt geben kann.


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