Christoph Martin Wieland
Agathodämon
Christoph Martin Wieland

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III.

»Diese Begebenheit machte wohl viel Aufsehens in Rom?« sagte ich.

»Nicht so viel als du zu vermuten scheinst. In einer so ungeheuern Stadt, wo jedermann mit sich selbst genug zu tun hat und des Neuen so viel ist, wird selbst von dem außerordentlichsten Ereignis nur so lange gesprochen, als es die Neuigkeit des Tages ist; und gemeiniglich langt es in den entferntern Regionen erst alsdann, wenn es in der, wo es sich zutrug, schon wieder vergessen ist, als ein bloßes Gerücht, oder gar in Gestalt eines Märchens an.«

»Apollonius verfehlte also am Ende dennoch seinen Zweck?«

»Ich glaube nicht, daß er sich mehr von der Sache versprach, als er wirklich erhielt. Es wurde freilich über diese Geschichte und über ihn selbst sehr ungleich geurteilt. Unter dem Volke hielten ihn viele für einen göttlichen Mann, einige sogar für einen Halbgott, die meisten für einen Zauberer. Die Leute aus den höhern Klassen hingegen, und wer für einen starken, über alle Vorurteile hinweg gesetzten Geist angesehen sein wollte, sprachen von ihm als einem Scharlatan, und affektierten, alles, was andere zu seinem Lobe sagten, mit Naserümpfen anzuhören. Doch muß ich hinzu setzen, daß dies lauter Leute waren, die ihn nie gesehen hatten: denn mir wenigstens ist noch kein Mensch vorgekommen, dem in seiner Gegenwart nicht so zu Mute gewesen wäre, als ob er vor einem höhern Wesen stände. Jener große Haufe zweifelte nicht daran, daß er das junge Mädchen wirklich durch seine magische Kunst ins Leben zurück gerufen habe; und wiewohl es ihnen schwer geworden sein möchte, zu sagen was sie bei diesem Worte dachten, so schien es ihnen doch etwas eben so natürliches, daß ein großer Zauberer Wunder wirke, als daß ein Bildhauer eine Menschen- oder Göttergestalt aus Marmor hervorbringe. Die andern hingegen erklärten die Sache, sobald sie sich genötigt sahen, sie als etwas geschehenes gelten zu lassen, für einen zwischen Apollonius, dem Mädchen und ihrem Liebhaber abgeredeten Handel, und glaubten den Schlüssel des Geheimnisses in dem Umstand entdeckt zu haben, daß mein Herr ein sehr ansehnliches Geschenk, welches ihm der Vater des Mädchens im ersten Überwallen seiner Freude und Dankbarkeit aufdringen wollte, ausgeschlagen, und sich bloß ausgebeten hatte, daß es ihrer Mitgift zugelegt werden sollte. Da es wohl wenig Römer gibt, die sich von der Möglichkeit einer uneigennützigen Handlung einen Begriff machen können: so meinten diese Leute, gerade dieser Umstand verrate das heimliche Einverständnis zwischen den Hauptpersonen des Spiels, und Apollonius habe sich die vornehme Miene einer großmütigen Uneigennützigkeit um so leichter geben können, da er sich die Entschädigung ohne Zweifel zum voraus von dem Liebhaber ausbedungen haben werde. Aber wer in diesem Tone von meinem Herren sprach, legte dadurch, außer seiner eignen niedrigen Gemütsart, nichts zu Tage, als daß ihm der Charakter, die Lebensart und die äußern Umstände des Mannes, von welchem er so ungebührlich urteilte, gänzlich unbekannt waren. Überhaupt wurde diese Auferweckungs-Geschichte nicht nur von denen, welche sie bloß andern nachsagten, sondern selbst von vielen Augenzeugen, so verschieden und mit so vielen Zusätzen und einander widersprechenden Umständen herum getragen, daß es mich wundern sollte, wenn sie nicht in der Erzählung des schwachköpfigen Damis, der damals eben von Rom abwesend war, eine ganz andere Gestalt bekommen hätte. Übrigens befestigte sich doch durch diese Begebenheit, ungeachtet sie so verschieden aufgenommen und gar bald durch andere Gegenstände verschlungen wurde, die öffentliche Meinung, daß Apollonius mehr wisse und könne als andre Menschen, und daß es besser sei, ihn zum Freund als zum Gegner zu haben: und dies, glaube ich, war alles, was er sich von ihr versprochen hatte.«

Ich. »Aus diesem einzigen Beispiel läßt sich schon hinlänglich abnehmen, was von einer Menge anderer, zum Teil äußerst ungereimter Wunderdinge zu halten sei, welche Damis, in einem Tone, der kaum an einer alten Wollespinnerin erträglich wäre, seiner Meinung nach zum Ruhm, aber in der Tat zum größten Nachteil seines Helden, zusammen gestoppelt hat. Ohne Zweifel wird an dem läppischen Märchen von Menippus und der Empuse zu Korinth noch weniger wahres sein, als an der Römischen Auferweckungsgeschichte?«

Kymon. »Ich erinnere mich eines Menippus, der ein sehr warmer Anhänger meines Herren war, und sich zu Korinth mit einer gewissen Lamia in einen Liebesknoten verstrickte, dessen Auflösung von meinem Herren auf eine seiner würdige Art bewirkt wurde.«

Ich. »Damis erzählt sein Märchen so umständlich und treuherzig, daß niemand, der an Wassernixen, Empusen, Eselsfüßlerinnen, und an die drei Gräen mit ihrem einzigen gemeinschaftlichen Aug und Zahn, glaubt, das geringste Bedenken tragen kann, es für wahr zu halten. Höre nur!

Als Menippus einst einen Spaziergang von Korinth nach dem Hafen von Kenchreä machte, begegnete ihm ein Gespenst in Gestalt einer schönen Frau. Sie nahm ihn bei der Hand, sagte ihm: sie liebe ihn schon seit langer Zeit; sie sei eine Phönizierin, und wohne in einer von den Vorstädten von Korinth. Wenn er sie begleiten und den Abend bei ihr zubringen wollte, sollte er sie singen hören, und einen Wein zu trinken bekommen, wie er in seinem Leben noch keinen gekostet habe; auch sollte er keinen Nebenbuhler zu fürchten haben, und, wofern er sich ihr ganz ergeben wolle, die Treue einer Turteltaube bei ihr finden. Menippus ließ sich verführen, folgte der vermeinten Schönen, und lebte von nun an auf einem vertraulichen Fuße mit ihr. Zu Korinth hieß es, Menippus sei so glücklich gewesen, sich die Gunst einer schönen und reichen Ausländerin zu erwerben; und viele seines gleichen fanden ihn um so beneidenswürdiger, da er, außer einer blühenden Jugend und einer athletenmäßigen Art von Schönheit, nichts aufzuweisen hatte, was die Wahl der fremden Dame rechtfertigen konnte. Aber Apollonius wollte die Korinther und seinen jungen Freund nicht länger im Irrtum lassen. Er nahm den letztern vor, betrachtete ihn eine Weile von Kopf zu Fuß, als ob er (sagt Damis) ein Bildhauer wäre, der ihn abbilden müßte, und redete ihn endlich mit diesen Worten an: ›Schöner junger Mensch und Günstling schöner Damen, du wärmst eine Schlange in deinem Busen! Du hast dich einer Person ergeben, die nie die deinige werden kann. Glaubst du etwa sie liebe dich wirklich?‹ – ›O gewiß‹, versetzte Menippus, ›und so zärtlich als ich nur wünschen kann.‹ – ›Und du gedenkst sie zu heiraten?‹ – ›Warum nicht?‹ – ›Wird die Hochzeit bald vor sich gehen?‹ – ›Vielleicht schon morgen.‹ – ›Gut‹, sagte Apollonius, und ließ es dabei bewenden. Die Geliebte des jungen Menschen hatte inzwischen das Hochzeitfest wirklich veranstaltet. Die dazu eingeladenen Gäste waren versammelt, die Tafeln aufgeschmückt, der Schenktisch mit goldnen und silbernen Gefäßen belastet. Man erwartete nur noch die Braut, als Apollonius unerwartet herein trat. ›Wo ist denn die Schöne‹, fragte er, ›um derentwillen alle diese Zurüstungen gemacht sind?‹ ›Sie wird sogleich erscheinen‹, sagte Menippus errötend, und stand auf, vermutlich um sie abzuholen. ›Wem gehört‹, fragte Apollonius, ›alles dies Gold und Silber und das übrige prächtige Geräte, womit dieser Saal geschmückt ist, dir oder der Dame?‹ ›Der Dame‹, erwiderte Menippus; ›denn dieser Mantel ist meine ganze Habe.‹ ›Du wirst durch alles, was du hier glänzen siehst, nicht reicher werden‹, versetzte Apollonius. ›Habt ihr‹, fuhr er zu den Gästen fort, ›jemals den Garten des Tantalus gesehen?‹ – Sie antworteten: ›Ja, im Homer; denn in den Tartarus sind wir nie hinab gestiegen.‹ – ›So wißt ihr‹, versetzte Apollonius, ›daß dieser Garten ist und nicht ist. Gerade so verhält es sich auch mit den Reichtümern, die ihr hier sehet. Alles ist bloßes Blendwerk; und damit ihr sogleich die Wahrheit meiner Worte erkennet, so sage ich euch, daß die Königin dieses Fests (sie war eben herein getreten) eine von den Empusen ist, die man im gemeinen Leben Lamien zu nennen pflegt. Sie sind sehr lüstern, aber nicht nach den Freuden der Liebe, sondern nach Menschenfleisch; und wenn sie junge Männer durch die Lockspeise der Wollust anködern, so geschieht es bloß um sie aufzufressen.‹ – Die vermeinte Braut stellte sich über diese seltsame Rede eben so erstaunt als beleidigt, und erlaubte sich in der ersten Bewegung einige heftige Ausdrücke gegen die Philosophen: aber wie sie auf ein einziges Wort des Apollonius alles Gold- und Silbergeschirr, und die elfenbeinernen Tische und alles übrige Hausgeräte, samt dem Gastmahl, den Köchen und den Aufwärtern, verschwinden sah, wurde sie auf einmal geschmeidig, und flehte dem Philosophen, sie nicht zu quälen und zum Geständnis dessen, was sie wäre, zu nötigen. Aber er setzte ihr nur desto härter zu, und ließ nicht eher von ihr ab, bis sie bekannte, sie sei wirklich eine Empuse, und habe den Menippus bloß darum so gut gehalten, um ihn recht fett zu machen und dann aufzufressen; denn das Fleisch schöner Knaben und Jünglinge sei ihre gewöhnliche Nahrung, weil sie gar süßes Blut hätten.«


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