Christoph Martin Wieland
Agathodämon
Christoph Martin Wieland

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Zweites Buch

I.

»Ich denke nicht, Hegesias, daß ein Mensch einen so besondern Mut, oder eine so heroische Bescheidenheit, vonnöten habe, wie die meisten vorauszusetzen scheinen, um einem andern Menschen zu gestehen, daß er nichts mehr als ein – Mensch sei.

Hätte ich mich verbindlich gemacht, dir von mir selbst wie von einer dritten Person zu reden, so könntest du ein billiges Mißtrauen in meine Wahrhaftigkeit setzen; denn noch nie hat ein Mensch sich selbst gesehen, wie er einen andern sieht. Aber ich versprach dir nur was ich halten kann, mich dir darzustellen wie ich mich selbst sehe: und so erwarte, daß ich von meinen Vorzügen ohne Anmaßung, von meinen Tugenden ohne Demut, und von meinen Fehlern ohne Verlegenheit sprechen werde. Hat die Eigenliebe demungeachtet geheime Täuschungen, die ich selbst nicht gewahr werden kann, und die einem unbefangenen fremden Auge vielleicht nicht entgehen, so laß mir die Entschuldigung zu gute kommen, daß ich mich zwar für keinen gewöhnlichen Menschen, aber, meines Übernamens ungeachtet, nur für einen Menschen gebe.

Ich rechne es nicht unter meine Fehler, daß ich mit einer Ruhmbegierde geboren bin, die keine andre Leidenschaft in mir aufkommen ließ, und vielleicht einen Alexander oder Cäsar aus mir gemacht hätte, wenn ich zu einem Throne geboren, oder in der Lage, worin man einen Thron erwerben kann, gewesen wäre.

Leidenschaften sind nicht (wie die Stoiker irrig lehren) Krankheiten der Seele: sie sind ihr vielmehr was die Winde einem Schiffe sind, das keine Seefahrt von einiger Bedeutung ohne sie vollbringen kann. Sie verstärken die demselben gegebene Bewegung; aber der Schiffer muß sie in seine Gewalt zu bringen wissen, wenn er nicht Gefahr laufen will, von ihnen verschlagen, oder an Klippen zertrümmert zu werden. Starke Leidenschaften zu regieren, werden freilich große Kräfte des Geistes erfordert; aber sie spannen auch diese Kräfte: und da die Stärke des Willens ohne Grenzen ist, so steht es immer in seiner Macht, auch die unbändigsten Leidenschaften, wie Virgils Neptun die stürmenden Winde, durch sein herrisches quos ego zu bändigen, und zu seinem eignen Zwecke dienstbar zu machen.

Die Umstände, in welchen ich geboren wurde, schienen dem Ehrgeiz, der sich früh in mir ankündigte, nicht die günstigsten zu sein. Denn eine wenig ausgezeichnete Hellenische Stadt in einer Asiatischen Provinz war seit einigen Jahrhunderten der Sitz meiner Voreltern, welche zwar immer unter die Ersten ihres Orts gezählt wurden, von denen aber keiner, meines Wissens, sich einen Namen in der Welt gemacht hat. Indessen verschafften mir der Rang meines Vaters unter seinen Mitbürgern und seine Glücksumstände zur Entwicklung der ungewöhnlichen Anlagen, die man bei mir zu entdecken glaubte, eine bessere Erziehung, als vermutlich jemals einem meiner Vorfahren zu Teil geworden war. Man gab mir die geschicktesten Lehrer, die man auftreiben konnte, und ich machte in allen Arten von Übungen des Körpers und des Geistes so rasche Fortschritte, daß ich die öffentliche Aufmerksamkeit schon in der ersten Jugend auf mich zog.

Was ohne Zweifel das meiste zu dem unmäßigen Beifall, womit mir geschmeichelt wurde, beitrug, war eine vorzüglich glückliche Gestalt und Gesichtsbildung, die mich vor allen jungen Leuten meines Alters auszeichnete, und allem andern, wobei ich mir selbst einiges Verdienst zuschreiben konnte, einen höhern Glanz und Wert zu erteilen schien.«

»Das kann ich mir vorstellen!« unterbrach ich ihn; »nach dem zu urteilen, was du noch mit sechsundneunzig Jahren bist, mußt du mit sechzehn von den Malern und Bildnern schrecklich verfolgt worden sein.«

»Wie ungereimt es immer sein mag«, fuhr Agathodämon fort, »daß die Menschen (zumal unsere Hellenen) eine ungewöhnliche Schönheit durch die schwärmerische Achtung, die sie ihr beweisen, gleichsam zu einem Verdienst erheben, da sie doch, ihrem wahren Werte nach, selbst unter den Geschenken der Natur eines der letzten ist: so muß man doch gestehen, daß keine andere Eigenschaft so schnell zu unserm Vorteil einnimmt, die Herzen der Menschen so leicht in unsere Gewalt bringt, und sie so geneigt macht, uns als eine Art höherer, von den Göttern besonders begünstigter, Wesen zu betrachten.

Ohne zu behaupten, daß diese außerordentliche Parteilichkeit, wovon ich bereits als ein kaum angehender Jüngling von allen Arten Menschen tausend Beweise erhielt, gar keinen Einfluß auf meine Sinnesart gehabt hätte, erinnere ich mich doch sehr deutlich, daß ich mich selbst nicht höher darum schätzte, und daß ich diejenigen mit einer Art von Verachtung ansah, die einen so hohen Wert auf Vorzüge setzten, gegen welche ich gleichgültiger zu sein glaubte, als es sich vielleicht in der Tat verhielt. Gewiß ist, daß ich schon damals einen Ehrgeiz in mir fühlte, dem weder die Meinung andrer von mir, noch mein eigenes Bewußtsein genug tun konnte. Zwar stand das Ideal, zu welchem ich aufstrebte, noch in unberechtigten Verhältnissen und unbestimmten Formen, als eine helldunkle Riesengestalt, vor mir, mehr einem Nachtgespenst als einem Götterbilde ähnlich, und, gleich dem Proteus der Fabel, immer seine Gestalt wechselnd: aber eben diese Unbestimmtheit gab meiner Einbildungskraft freieres Spiel, und trieb mich, mit rastlosem Eifer allen Arten von wahren und vermeinten Vollkommenheiten, deren Züge ich in ihm vereiniget sah, nachzujagen.

Es bedarf kaum erwähnt zu werden, daß ich in den Jahren, wo der Knabe sich in den Jüngling zu verlieren anfängt, mich, nach alter Hellenischer Sitte, von einer beschwerlichen Menge so genannter Liebhaber belagert sah, welche nichts unversucht ließen, um sich in meine Gunst einzuschleichen, und einander darin zuvorzukommen. Der kalte Stolz, womit ich auf sie alle herabsah, sicherte zwar die Unschuld und den guten Ruf des Jünglings: aber ich gewöhnte mich doch dadurch, einen rauschenden Hof um mich her zu haben, überall Aufsehen zu erregen, und derjenige zu sein, von welchem am meisten und mit übertriebener Bewunderung gesprochen wurde; und da das Gewohnte unvermerkt in Bedürfnis übergeht, so hatte dieser Umstand vielleicht mehr Anteil, als ich mir selbst bewußt war, an der Wahl der Lebensart, für welche ich mich in der Folge bestimmte.

Ich hatte in diesen Jahren, die man unter den Händen der Pädagogen und Pädotriben hinbringt, eine Menge berühmter Namen kennen gelernt, und von den Männern, welche sie führten, nur eben so viel gehört, um vor Begierde zu brennen, hinter keinem von ihnen zurück zu bleiben, und, wo möglich, alles, worin sie einst groß gewesen waren, in mir zu vereinigen. ›Warum‹, dachte ich, ›sollt es einem Menschen nicht möglich sein, alles zu werden was Menschen waren? Was ist dem unverdroßnen Fleiß und dem hartnäckigen Willen unmöglich?‹


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