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Mason fand endlich den Hauptschalter auf dem Gang und drehte ihn an. Das Licht leuchtete wieder auf. Bray, der inzwischen den Hof abgesucht hatte, kam zurück und erstattete Bericht.
»Überall ist Blut«, sagte er. »Sehen Sie doch.« Er zeigte auf eine große, rote Stelle an der Tür. »Hier haben sie ihn hinausgetragen.«
»Gibt es denn vielleicht noch einen anderen Ausgang?« fuhr ihn Mason ärgerlich an.
Im Hof standen die Torflügel weit offen, ebenso in der Garage. Gregory Wicks' Taxi war verschwunden.
»Sie haben ihn im Wagen weggeschafft«, sagte Bray aufgeregt. »Es müssen mindestens zwei oder drei Mann gewesen sein.«
»Warum nicht vier oder fünf?« erwiderte Mason sarkastisch. »Sie können ja auch sechs oder sieben annehmen.«
»Ich wollte damit nur ausdrücken«, entgegnete der Inspektor kleinlaut, »daß ihn ein Mann unmöglich auf so weite Entfernung getragen haben kann. Am besten rufe ich Hilfe herbei.«
Er hatte die Trillerpfeife schon zum Mund erhoben, als Mason sie ihm aus der Hand schlug.
»Gibt es vielleicht kein Telefon?« knurrte er gereizt. »Ich will wissen, wer hier in der Nähe wach ist, aber ich will den Leuten keine Entschuldigung für ihr Wachsein geben! Lassen Sie alle Reservemannschaften sofort herkommen.«
Als Bray gegangen war, untersuchte Mason so schnell wie möglich den Hof. Er fand eine offene Grube, die von einem niedrigen Zaun umgeben war. Mit seiner Taschenlampe beleuchtete er den Schacht und sah unten Wasser aufblitzen. Es war ein Brunnen. Wie tief mochte er sein?
Plötzlich hörte er eine Stimme hinter sich.
»Haben Sie den Brunnen entdeckt?«
Er sah sich um und entdeckte Elk, der mit seinem weißen Verband gespenstisch aussah.
»Wußten Sie denn, daß ein Brunnen auf dem Hof ist?«
»Ja -- die Winde ist über Ihrem Kopf.«
Mason schaute auf und sah die eiserne Rolle.
»Gregorys Auto ist verschwunden«, sagte Elk. »Ich vermutete schon, daß so etwas passieren würde, und kam deshalb her.«
Die beiden gingen zur Garage und durchsuchten sie, aber sie fanden nur ein paar Werkzeuge, einen Reservereifen und mehrere Kannen voll Benzin. Die Blutspur führte bis zur Garage. Mason betrachtete sie und schüttelte den Kopf.
»Ich kann mir die Sache nicht erklären«, sagte er verzweifelt.
»Aber das war doch Weißgesicht. Und er hat den Doktor entführt. Der Kerl besitzt allerdings Frechheit!«
Sie hörten, daß Michael auf sie zukam, und schauten sich um.
»Wollen Sie jetzt Gregory verhören?« fragte der Reporter.
»Ich denke, er ist mit seinem Auto fortgefahren.«
»Das wollen wir erst einmal sehen«, erwiderte Michael.
Sie gingen rasch Gallows Alley entlang, bis sie zu Nr. 9 kamen. Der Mann auf der Treppe schnarchte immer noch.
Mason klopfte laut an die Tür, aber es antwortete niemand. Auch ein zweites Klopfen hatte keinen Erfolg.
»Er muß fort sein.«
Aber Michael schüttelte energisch den Kopf.
»Das glaube ich nicht. Wie konnte er denn aus dem Haus gehen, wenn der Mann hier liegt?«
Der Schläfer war nun wach geworden. Er stand geräuschvoll auf, gähnte und schimpfte. Bray erkannte in ihm einen berüchtigten Trinker der Gegend. Auf Befragen gab der Mann an, daß er etwa eine halbe Stunde nach Mitternacht hierhergekommen und eingeschlafen sei. Er hatte nicht gehört, daß jemand ins Haus gegangen war oder es verlassen hatte.
Die Leute in Gallows Alley wurden nun lebendig. Dunkle Gestalten zeigten sich an den Fenstern und kamen aus den Häusern. Sie sprachen nicht und waren unheimlich anzusehen.
Dann wurde plötzlich das obere Fenster von Nr. 9 aufgestoßen.
»Wer ist da unten?«
Mason erkannte sofort Gregory Wicks' schneidende Stimme.
»Ich möchte Sie sprechen, Gregory.«
»Wer ist denn da?«
»Chef Inspektor Mason. Sie können sich doch noch auf mich besinnen?«
Der alte Mann dachte nach.
»Nein, einen Chefinspektor Mason kenne ich nicht. Aber vor ein paar Jahren habe ich einen Sergeanten Mason gekannt.«
»Nun, das ist aber schon viele Jahre her«, meinte Mason lachend. »Also, ich bin Sergeant Mason. Kommen Sie herunter und lassen Sie uns herein.«
»Was wollen Sie denn?« fragte Gregory vorsichtig.
»Ich möchte mich einmal mit Ihnen unterhalten.«
Der Chauffeur zögerte noch eine Weile, dann schloß er das Fenster und kam die Treppe herunter. Gleich darauf öffnete sich die Haustür.
»Kommen Sie mit nach oben in mein Zimmer.«
Es brannte kein Licht im Haus, und die Beamten halfen sich mit ihren Taschenlampen. Auch das Wohnzimmer oben war dunkel.
»Nehmen Sie Platz. Hier ist ein Stuhl, Sergeant -- Inspektor. Ja, die Zeit vergeht!«
»Haben Sie denn kein Licht?«
Die Frage schien den Alten in Verlegenheit zu bringen.
»Doch. Irgendwo muß eine Lampe sein. Ich glaube, sie steht in der Küche. Sie sind doch zu dritt, nicht wahr? Meine Augen sind nicht mehr so gut wie früher, aber ich habe drei verschiedene Tritte auf der Treppe gehört, als wir heraufgingen.«
Michael ging nach unten und fand eine Petroleumlampe. Er steckte sie an und trug sie vorsichtig in das Wohnzimmer hinauf.
»Ich habe Ihre Lampe nicht gefunden, Mr. Wicks«, sagte er zu Masons größter Überraschung.
Der Alte lächelte.
»Na, was haben Sie denn da in der Hand? Stellen Sie doch die Lampe auf den Tisch, junger Mann, und versuchen Sie nicht, mich zum besten zu halten.«
Michael machte ein enttäuschtes Gesicht, und Mason grinste.
»Nun setzen Sie sich alle hin. Was wollen Sie denn von mir wissen?«
»Sind Sie heute nacht ausgewesen?« fragte Mason.
Gregory fuhr über sein unrasiertes Kinn.«
»Ja, für kurze Zeit«, erwiderte er vorsichtig. »Warum interessiert Sie denn das?«
»Fährt noch jemand anders Ihren Wagen?«
»Ja, ich habe ihn schon früher vermietet. Ich bin nicht mehr der Jüngste, und ein Taxibesitzer will schließlich auch leben. Das kann er aber nur, wenn der Wagen dauernd unterwegs ist.«
»Wer fährt denn Ihren Wagen?«
Der Alte gab erst Antwort, als Mason seine Frage wiederholte.
»Nun, sehen Sie ... mein Mieter ist ein Chauffeur.«
»Ist das der Mann, der das Zimmer im Erdgeschoß hat?«
»Jawohl, Sergeant -- ich meine Inspektor. Merkwürdig, wie schnell doch die Zeit vergeht. Ich kann mich noch erinnern, wie Sie Ihren ersten Streifen bekamen.«
Mason klopfte ihm freundlich aufs Knie.
»Wo ist denn Ihr Mieter jetzt?«
»Vermutlich ist er ausgefahren. Das macht er nachts gewöhnlich so. Ein sehr netter junger Mann, und ein ruhiger Mieter. Er ist ungefähr fünfunddreißig Jahre alt, hat aber früher viel Schwierigkeiten gehabt. Mehr weiß ich nicht von ihm. Er ist doch nicht wieder mit der Polizei in Konflikt gekommen?« fragte er plötzlich bestürzt.
»Ach, das haben Sie wohl eben mit den Schwierigkeiten gemeint?« fragte Mason. »Wo ist denn Ihre Marke, Gregory?«
Die Marke ist für einen Chauffeur ungefähr das Heiligste, was er besitzen kann. Sie bedeutet ihm soviel wie einer Frau ihr Trauschein.
Gregory bewegte sich unruhig in seinem Stuhl und rieb sich verlegen das Kinn.
»Ich habe sie irgendwie verlegt«, erwiderte er unsicher.
»Gregory, wo ist Ihre Marke? Wenn Sie heute nacht fort waren, haben Sie sie doch getragen? Aber Sie sind gar nicht ausgefahren -- schon seit Monaten sind Sie nicht mehr ausgefahren. Das wissen Sie ganz genau, alter Junge.«
Mason klopfte ihm wieder freundlich aufs Knie, denn er hatte wirklich Mitleid mit dem Mann.
»Und ebenso genau wissen Sie, warum Sie nicht mehr ausgefahren sind. Der Doktor weiß es auch.«
»Hat er Ihnen etwas gesagt?« fragte Gregory schnell.
»Nein, das habe ich mir selbst gedacht. Sie wußten vorhin, daß eine Lampe ins Zimmer getragen wurde, weil Sie das Petroleum rochen, aber nicht, weil Sie die Lampe sahen. Höchstens haben Sie einen schwachen Schein bemerkt. Stimmt das?«
Der alte Mann fuhr erschrocken zusammen.
»Seit fünfundfünfzig Jahren habe ich meinen Führerschein, Mr. Mason«, sagte er bittend.
»Ich weiß. Ich hoffe auch, daß man Ihnen den Führerschein nicht nehmen wird. Nur dürfen Sie keinen Wagen mehr fahren, Gregory, wenn Sie fast blind sind!«
Mason sah, wie der alte Mann zusammenzuckte, und verwünschte sich selbst, daß er so brutal sein mußte.
»Meine Augen sind nicht mehr so gut wie früher, Mr. Mason -- aber ich wollte das nicht zugeben. Ich hatte meinen Führerschein und meine Marke all die Jahre lang, und ich wollte mich nicht von ihnen trennen. Als nun dieser junge Mann das Zimmer bei mir mietete und keinen Führerschein bekam, weil er einmal Unannehmlichkeiten mit der Polizei gehabt hatte, sagte er, daß er mit meinem Wagen ausfahren wollte. Und da habe ich ihm -- meine Marke geliehen. Das ist verboten, ich weiß es. Nun muß ich eben die Folgen dafür tragen.«
»Haben Sie Ihren Mieter eigentlich einmal gesehen?«
»Nein, gesehen habe ich ihn nicht. Aber ich habe ihn gehört. Manchmal besucht er mich, und wir sprechen dann miteinander. Ich höre ihn auch, wenn er unten in seinem Zimmer ist. Und er bezahlt seine Miete pünktlich.«
»Woher wissen Sie denn, daß er fünfunddreißig und ein netter junger Mann ist?«
»Das habe ich gehört -- ein Freund hat es mir erzählt.«
Mason ging mit seinen Begleitern die Treppe hinunter und versuchte, die Tür des unteren Zimmers zu öffnen. Das Schloß war leicht aufzubrechen, und nach kurzer Zeit traten die Beamten in den Raum.
In der Ecke stand ein Bett, aber seit langer Zelt, schien niemand darin geschlafen zu haben. Die Laken waren sauber zusammengefaltet, und das Kissen hatte keinen Bezug. Auf dem Fußboden lag ein großer, viereckiger Teppich. Ein Tisch, ein Stuhl und ein Spiegel über dem Kamin bildete die übrige Ausstattung des Raumes. Elk untersuchte den Spiegel und entdeckte, daß hinter ihm ein Loch in die Wand geschlagen war. Dort fand er eine Kassette.
»Vielleicht gibt uns das eine Aufklärung«, sagte Mason.
Er öffnete den Deckel und erblickte ein kurzes, starkes Messer. Die Klinge war mit Blut befleckt. Sorgfältig nahm er es heraus und legte es auf den Tisch.
»Mit diesem Messer wurde Donald Bateman erstochen!«