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Der Raum war groß und langgestreckt. Früher hatte eine Möbeltischlerei ihre Werkstatt darin untergebracht, doch jetzt saßen an kleinen Tischen und Pulten Leute, die im Schein starker Lampen fleißig und schweigsam arbeiteten. Vom einen Ende des Raumes hörte man durch eine Holzwand das eintönige Stampfen einer Maschine.
Die Leute, die hier beschäftigt waren, setzten sich fast ausschließlich aus Ausländern zusammen. Es waren Druckereifacharbeiter, Lithographen und Graveure, und sie beschäftigten sich mit Arbeiten, die es durchaus nicht nötig hatten, sich vor dem Auge des Gesetzes zu verbergen. Es handelte sich hauptsächlich um die Herstellung von Kunstdrucken, für die auf dem Kontinent eine verhältnismäßig große Nachfrage bestand.
Nachfrage bestand auch für die Produkte, die die kleine Maschine im Hintergrund in gleichmäßigen Abständen auswarf – es waren vollendet gedruckte Fünfdollarnoten.
Die Druckmaschine war kleiner als die üblichen Banknotenpressen, doch waren die Scheine, die sie lieferte, tadellos. Auch ein geübtes Auge konnte keinen Fehler an ihnen entdecken.
Ein untersetzter Mann saß auf einem Stuhl neben der Maschine. Er kaute auf dem erloschenen Stummel einer Zigarre herum, seinen weichen Filzhut hatte er in den Nacken geschoben, die Hände tief in die Hosentaschen vergraben.
So lässig er dasaß, so scharf beobachtete er doch den Gang der Druckmaschine und jede Bewegung des Druckers, der die ausgeworfenen Scheine in kleine Bündel ordnete und sie dann sachgemäß mit einem Streifband versah. Als hundert solcher Bündel verpackt waren, legte der Mann auf dem Stuhl einen Schalter um, und die Maschine kam zum Stillstand.
»Genug für heute abend«, sagte er.
Mit einigen Handgriffen löste der Drucker die Platte, von der die Banknoten gedruckt worden waren, reinigte sie sorgfältig mit einer scharfriechenden Flüssigkeit und wickelte sie dann in Seidenpapier. Der Mann auf dem Stuhl streckte die Hand aus, nahm die Platte und steckte sie in seine Brusttasche. Er wartete noch, bis der Drucker eine Platte in die Maschine gespannt hatte, von der Etiketten für Lagerbier abgezogen wurden. Dann nahm er das übriggebliebene Banknotenpapier unter den Arm, schob die fertig gedruckten Noten in eine Aktentasche und öffnete die kleine Tür, die früher in das Büro des Möbeltischlers geführt hatte.
Dort schloß er einen Geldschrank auf, legte Banknotenpapier und Aktentasche hinein und verschloß die große Stahltür sorgfältig.
Von einem Tischchen nahm er eine Flasche Whisky und ein Glas. In letzter Zeit war er sehr nervös geworden. Verschiedentlich hatte es falschen Alarm gegeben, und besonders seit einigen Wochen mußte er ständig in der Furcht leben, daß die Polizei überraschend an die Tür klopfte.
Er goß sich einen kräftigen Schluck ein, trank aus und seufzte befriedigt. Morgen würden alle Banknoten sauber verpackt in zweihundert verschiedenen Briefumschlägen an die zweihundert Agenten in den Vereinigten Staaten abgeschickt werden, und so weiter jeden Tag dieser Woche.
Es war jetzt ein größerer Vorrat an Banknoten gedruckt worden, und die Platten würden trotzdem noch eine ganze Menge aushalten. Außerdem waren schon wieder neue in Vorbereitung, die einer der ersten Spezialisten auf diesem Gebiet graviert hatte – allerdings ganz gegen seinen Willen.
Er sah nach der Uhr – Viertel nach acht. Gemächlich schlenderte er durch den kleinen Maschinenraum zu der großen Werkstatt.
»Sie können für heute abend Schluß machen«, sagte er zu dem Meister, einem älteren Mann, der mit einer starken Lupe gerade eine Autotypie untersuchte.
Die Arbeitsstunden hier waren ganz unregelmäßig. Er richtete es immer so ein, daß die mit ehrlicher Arbeit beschäftigten Leute auch an ihren Pulten saßen, wenn die kleine Notenpresse in Betrieb war. Als weiteres Mittel, das dem ganzen Unternehmen einen harmlosen Anstrich geben sollte, diente die kleine Zeitung Helders, die in einem angrenzenden Nebengebäude gedruckt wurde.
Außer ihm und seinem Chef waren nur noch zwei Leute in das Geheimnis eingeweiht. Einer von beiden war der Drucker, der vormittags noch in einer anderen Stellung arbeitete. Er war ein verschwiegener Mann, auf den man sich verlassen konnte. Helder hatte ihn mit größter Sorgfalt ausgewählt.
Über den zweiten dagegen machte sich Tiger Brown Sorgen: Die Tatsache, daß dieser Mann ein Trinker war, hatte ihm schon manche schlaflose Nacht bereitet.
Es klopfte leise an die Hintertür des Büros, in das Brown inzwischen wieder zurückgegangen war. Tiger drehte das Licht aus und öffnete vorsichtig. Diese zweite Tür führte direkt in einen Schuppen und von dort ins Freie.
»Schon gut, ich bin's.«
Mit diesen Worten trat Helder ein und schloß die Tür.
»Haben Sie bis jetzt gedruckt?«
»Vor zehn Minuten sind wir fertig geworden«, entgegnete Brown.
»Sehen Sie zu, daß Sie noch heute nacht alles fortsenden können.«
Helder war äußerst aufgeregt und nervös.
»Was ist denn los?« fragte Brown scharf.
»Ich weiß es selbst nicht genau«, war die mürrische Antwort. »Ich werde das Gefühl nicht los, daß mir jemand auf Schritt und Tritt folgt.«
»Dann ist es ausgesprochen blödsinnig, daß Sie hierherkommen«, fuhr Tiger ihn ziemlich respektlos an.
»Ich mußte aber noch heute abend mit Ihnen sprechen«, entgegnete Helder hastig. »Brown, die Sache wird im höchsten Grade brenzlig. Verbrauchen Sie so schnell wie möglich alles vorrätige Notenpapier, und vernichten Sie dann die Platten. Wir müssen die Druckerei hier schließen, verstanden?«
Tiger Brown nickte; offensichtlich fiel ihm ein Stein vom Herzen.
»Je eher, desto besser! Wir haben schon viel zu lange gewartet. Seitdem Iwan verhaftet worden ist, brennt mir der Boden unter den Füßen.«
»Verhaftet worden?« Helder taumelte fast. »Warum ist er verhaftet worden? Und wann ist das passiert?« Sein Gesicht war kreidebleich geworden, seine Hände zitterten. »Wenn er nicht die Klappe hält, sind wir verloren. Und es sollte mich wundern, wenn ihn Gold nicht zum Sprechen bringt! Wo ist er?«
»Das weiß ich selber nicht. Glauben Sie vielleicht, daß es zu meinen Lieblingsbeschäftigungen gehört, in den einzelnen Polizeigefängnissen nachzufragen? Was seine Schweigsamkeit betrifft, so können wir übrigens ziemlich beruhigt sein. Reden tut er eigentlich nur, wenn er besoffen ist – und zu einem Rausch wird ihm die Polizei ja wohl kaum verhelfen.«
»Warum haben Sie mich denn nicht benachrichtigt?« fragte Helder und fluchte leise, »jetzt können wir nur hoffen, daß Iwan dichthält – dann kommen wir vielleicht noch einmal mit einem blauen Auge davon. Glücklicherweise ist die Polizei halb davon überzeugt, daß Comstock Bell mit der ganzen Geschichte zusammenhängt. Man sucht ganz Europa nach ihm ab! Und solange man hinter ihm her ist, läßt man uns hier hoffentlich in Ruhe.«
»Aber nehmen Sie doch einmal an, er taucht plötzlich wieder auf«, meinte Brown.
»Ich glaube kaum, daß das geschieht«, entgegnete Helder lächelnd. »Der Verdacht, den ich habe, scheint sich zu bestätigen; morgen werde ich mich vergewissern können, ob ich richtig vermute. Übrigens sind tatsächlich fast alle amtlichen Stellen in London der Ansicht, daß Comstock Bell in Zusammenhang mit der Falschgeldaffäre steht.«
»Was sagt man denn in London sonst noch über die falschen Banknoten? Ich habe schon seit Tagen keine Zeitung mehr gelesen.«
Helder sah ihn erstaunt an.
»Na, das sollten Sie aber tun, mein Lieber. Die amerikanische Regierung hat ... «
Er brach plötzlich ab, weil er sich überlegte, daß es eigentlich gar nicht klug sei, diesem Mann zu erzählen, daß eine Belohnung von einer Million Dollar für denjenigen ausgesetzt war, der entscheidend zur Festnahme der Falschgeldbande beitrug.
»Was hat die, amerikanische Regierung getan?« erkundigte sich Brown neugierig.
»Sie hat eine große Belohnung ausgesetzt«, entgegnete Helder ruhig. Tiger würde es ja auf irgendeine Weise doch erfahren. »Diese Belohnung wird an jedermann ausgehändigt, mit Ausnahme der Leute, die direkt an den Fälschungen beteiligt sind.« Er betonte jedes Wort des letzten Satzes. »Das heißt, zwei bekommen diese Belohnung unter keinen Umständen – nämlich Sie und ich.«
Tiger Brown schenkte sich ein neues Glas Whisky ein. Helder beobachtete ihn, und plötzlich kam ihm der Gedanke, daß Brown sehr gefährlich werden konnte. Nun, dann würde es Mittel und Wege geben, ihn für allemal loszuwerden.
»Was werden Sie denn mit Maple anfangen?« fragte Brown plötzlich.
»Darüber wollte ich mich gerade mit Ihnen unterhalten«, entgegnete Helder, der unruhig in dem kleinen Raum hin und her ging. »Wir müssen noch heute mit ihm reden –« Er brach mitten im Satz ab und lauschte. »Was war das?«
»Ich habe nichts gehört«, erwiederte Brown. »Die Leute nebenan machen Schluß, da gibt es natürlich allerhand Lärm.«
Helder schlich zu der Tür, durch die er hereingekommen war, und horchte angespannt.
»Dort draußen steht jemand«, flüsterte er Brown zu.
»Sie sind wirklich übernervös – es ist bestimmt niemand da.«
Helder knipste das Licht aus, schloß die Tür auf und öffnete sie mit einem Ruck.
Niemand. Der Strahl seiner Taschenlampe wanderte durch den leeren Schuppen bis zur Tür – sie war angelehnt.
Die beiden Männer sahen sich an und liefen dann zu der Schuppentür. Helder spähte vorsichtig hinaus – er sah eine Gestalt, die sich im tiefen Schatten der Rückwand des Gebäudes zu einem kleinen Tor zuschlich, das einen Zugang durch die hintere Umfassungsmauer bildete. Brown riß einen Revolver aus der Tasche, aber Helder packte ihn am Arm.
»Sie sind wohl ganz verrückt! Wollen Sie uns die Polizei unbedingt auf den Hals hetzen? Los, schnell, hinter ihm her!«
Die beiden rannten hinter der Gestalt drein, die gerade durch das Tor schlüpfte. Sie hörten das Schnappen des Schlosses und eilige Schritte, die sich auf der Straße entfernten.
»Haben Sie einen Schlüssel? Ich habe meinen oben gelassen.«
Brown durchsuchte nervös seine Taschen, fand den Schlüssel endlich und schloß mit zitternder Hand auf.
Sie traten auf die Straße, und wieder war es Helder, der den Fliehenden zuerst entdeckte. Es war jemand von sehr kleiner Statur. Beide sahen ihn deutlich, als er an einer Straßenlaterne vorbeieilte.
»Wir müssen ihn erwischen! Laufen Sie, so schnell Sie können!«
Die Gestalt verschwand um eine Ecke, und gleich darauf hörten sie einen Motor aufheulen. Als sie in die Nebenstraße einbogen, sahen sie, wie sich ein Wagen mit abgeblendeten Lichtern entfernte.
»Schnell!« rief Helder. »Mein eigenes Auto steht dort drüben.«
Er stürzte zu dem Wagen, beide sprangen hinein, Helder gab Gas, und sie nahmen die Verfolgung auf.
»Ein Glück, daß mein Wagen hier stand«, keuchte Helder. »So haben wir noch eine Chance, ihn zu erwischen. Ich hatte den Eindruck, daß es kein Erwachsener, sondern ein Junge ist ...«
»Glauben Sie wirklich, daß er was gehört hat?«
»Ganz bestimmt. Er muß unmittelbar an der Tür gelauscht haben.«
»Na, viel gehört hat er ja nicht«, meinte Brown.
»Die Tatsache allein, daß er uns belauschte, genügt mir«, entgegnete Helder grimmig.
Helder war ein guter Fahrer und hatte einen so starken Wagen, daß die beiden roten Schlußlichter, denen sie folgten, immer näher kamen.
Sie sausten durch die City, die Queen Victoria Street und dann das Themseufer entlang. Helders Nerven vibrierten, als sie sich dem Ende der breiten Uferstraße näherten. Auf der rechten Seite hob sich der große Gebäudekomplex ab, der in der ganzen Welt berühmt ist.
»Wenn er bei Scotland Yard hält, müssen wir noch diese Nacht England verlassen – und hoffentlich gelingt es uns dann noch.«
Er atmete auf, als der Wagen an dem großen Torbogen! des Polizeipräsidiums vorbeiraste, rechts einbog und über die Westminster Brücke fuhr. Am ändern Ufer bremste das Auto scharf, jemand sprang heraus, und als die Verfolger eben anhielten, lief der Unbekannte bereits eine lange Treppe hinunter, die zum Fluß führte.
»Jetzt haben wir ihn!« rief« Helder triumphierend.
Er eilte hinterher, so schnell er konnte, doch auf den untersten Stufen machte er erschrocken halt. Ein kleiner Landungssteg lag vor ihm, grell beleuchtet vom Scheinwerfer eines Motorboots, in dem zwei Leute saßen. Und unmittelbar vor ihm stand – Mrs. Verity Bell.
»Gehen Sie ruhig wieder fort, Mr. Helder«, sagte sie und richtete so nebensächlich eine langläufige Pistole auf ihn, als ob es ein Sonnenschirm sei. »Sie haben meinen Mann eines Verbrechens beschuldigt, das Sie selbst begehen«, fuhr sie fort. »In Ihrem eigenen Interesse kann ich Ihnen nur raten, sich jetzt in acht zu nehmen.«