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7

Comstock Bell bewohnte ein Haus am Cadogan Square. Die Einrichtung seiner Wohnung zeugte von feinem künstlerischem Geschmack. Eine Reihe von Gemälden moderner Meister bewies sein eigenes Interesse, das er allem entgegenbrachte, was mit Kunst zusammenhing.

Um sechs Uhr abends kam Bell nach Hause und ging sofort in sein großes Arbeitszimmer, das auf der Rückseite des Gebäudes lag. Auf dem Rauchtischchen lagen ein Dutzend Briefe für ihn, die er gleich durchsah; meistens handelte es sich um Einladungen zu gesellschaftlichen Veranstaltungen.

Nachdenklich setzte er sich dann an den Schreibtisch und strich mit der Hand über die Tasten einer Reiseschreibmaschine, die vor ihm stand. Schließlich drückte er auf einen Klingelknopf und wartete, bis der Diener hereinkam.

»Ich habe doch gestern einen Gummistempel in Auftrag gegeben. Ist er schon gekommen?« fragte Bell.

»Jawohl, Sir. Vor einer Stunde wurde er abgeliefert«, entgegnete der Diener, lief hinaus und. kam gleich darauf mit einem Päckchen wieder zurück.

»Öffnen Sie es.«

In dem Päckchen lagen ein kleiner Gummistempel und ein Stempelkissen. Bell nahm den Stempel heraus und besah ihn eingehend von allen Seiten. Es war ein Faksimile seiner eigenen Unterschrift, und er hatte es bei seiner Bank durchgesetzt, daß ein Scheck ausgezahlt wurde, wenn er so gestempelt war. Es hatte lange Zeit gedauert, bevor sich die Bank damit einverstanden erklärte, und der Bankdirektor hatte ihm auseinandergesetzt, daß das ein großes Risiko sei.

Bell legte den Gummistempel in eine kleine Kassette, schloß ab und steckte den Schlüssel in seine Westentasche.

»Parker«, wandte er sich dann wieder an den Diener, »ich werde England in einigen Wochen verlassen, und ich möchte, daß Sie auf das Haus achtgeben. Selbstverständlich habe ich dafür gesorgt, daß Ihr Gehalt regelmäßig ausgezahlt wird. Einige andere Instruktionen erhalten Sie dann noch.«

»Werden Sie lange fortbleiben, Sir?«

Bell zögerte mit der Antwort.

»Es ist möglich, daß ich – einige Jahre im Ausland bin.«

»So lange, Sir?«

Wenn Bell erklärt hätte, daß er für den Rest seines Lebens fortbleiben wollte, hätte Parker auch nicht mehr gesagt.

Bell trat ans Fenster und schaute geistesabwesend hinaus. Der Diener machte eine Bewegung, als ob er gehen wollte. »Warten Sie noch einen Augenblick, Parker«, sagte Bell ohne sich umzudrehen. Er stand unentschlossen da, als ob er nicht wüßte, was er tun sollte. Irgendein Entschluß schien ihm schwerzufallen. »Ich werde mich verheiraten.«

Jetzt hatte er es gesagt und schien sich erleichtert zu fühlen. Vielleicht würde er jetzt den Mut finden, es auch allen seinen Bekannten mitzuteilen.

»Ich bin im Begriff, mich zu verheiraten«, wiederholte er halblaut.

»Darf ich mir erlauben, Ihnen mit allem Respekt zu gratulieren«, entgegnete Parker ein wenig kleinlaut.

»Wegen Ihrer Stellung brauchen Sie sich keine Gedanken zu machen. Für Sie wird sich nicht viel ändern, da ich mit meiner Frau im Ausland leben werde.«

Es trat eine Pause ein.

»Darf ich mir die Frage gestatten, ob ich die Dame kenne?«

»Das ist anzunehmen«, antwortete Bell und biß sich nervös auf die Lippen. »Wahrscheinlich kennen Sie sie.«

Wieder trat eine Pause ein, bis er plötzlich sagte: »In etwa einer Stunde erwarte ich Mrs. Granger Collak. Führen Sie die Dame herein.«

Parker machte eine Verbeugung und ging hinaus.

Bell setzte sich in einen Sessel.

Er dachte an Mrs. Granger Collak und an das, was über sie geredet wurde. Ihr Ruf war wirklich nicht der allerbeste. Diese ungewöhnlich schöne Frau führte einen Lebenswandel, den auch großzügige Leute als ziemlich unmoralisch bezeichneten.

Er schaute sich in dem Zimmer um und mußte trotz seiner Sorgen, die ihn bedrückten, lächeln. Sollte er sie heiraten, dann würde sie das Haus vollständig auf den Kopf stellen. Mit seinem großen Vermögen würde sie höchstwahrscheinlich auch bald fertig sein – oder zumindest in aller Harmlosigkeit versuchen, ihn finanziell zu ruinieren. Die Leute würden hinter seinem Rücken lachen und ihn bemitleiden – aber was brauchte das ihn schließlich zu kümmern. Wenn nur seine Mutter nichts davon hörte; doch die wohnte in den Vereinigten Staaten und lebte so zurückgezogen, daß der Londoner Klatsch kaum zu ihr dringen konnte. Sicher, ein wenig bestürzt wäre sie bestimmt über die leichtlebige Schwiegertochter; schließlich gab es aber noch schlimmere Dinge auf der Welt.

In gewisser Weise war Mrs. Granger Collak eine sehr kluge Frau, vor allem hatte sie es auch verstanden, bei allen ihren Eskapaden stets einen gewissen Stil beizubehalten. Er wußte zum Beispiel, daß sie schweigen konnte wie das Grab, wenn es not tat. Das hatten selbst die schlauesten Rechtsanwälte erst kürzlich während ihres skandalösen Ehescheidungsprozesses erfahren.

Jetzt wollte sie reisen und brauchte Geld. Das konnte er ihr geben. Er wollte dafür nur von ihr verlangen, daß sie sich so anständig wie möglich betrug.

Um sieben Uhr geleitete Parker die Dame in das Arbeitszimmer.

Sie trug ein Schneiderkostüm, das in seiner Einfachheit ihre extravagante Erscheinung unterstrich.

»Bitte nehmen Sie hier Platz.«

Er schob einen großen, bequemen Klubsessel an die Seite seines Schreibtisches, so daß sie ihm schräg gegenübersaß.

»Nun, Mrs. Collak, was kann ich für Sie tun?«

»Sie meinen, wieviel Geld nötig ist, um meine Sorgen zu verjagen?« fragte sie lächelnd. »Ich denke, dreitausend Pfund würden genügen. Natürlich könnte ich auch mit weniger verreisen«, fügte sie hinzu, »und am liebsten würde ich Sie überhaupt nicht darum bitten.«

Er öffnete eine Schublade seines Schreibtisches und holte ein Scheckbuch heraus. Mit der nicht verbundenen Hand riß er einen Scheck heraus.

»Füllen Sie ihn bitte aus«, sagte er und reichte ihn ihr. »Und machen Sie ihn zahlbar für den Überbringer.«

Erst jetzt sah sie, daß seine rechte Hand verbunden war.

»Haben Sie sich verletzt?« fragte sie erschrocken.

»Nicht so schlimm.« Bell gab ihr seinen Füllfederhalter, holte dann aus einer anderen Schublade die Kassette und öffnete sie. Sorgfältig drückte er den Stempel auf das Farbkissen, nahm den Scheck und stempelte seine Unterschrift darunter.

»Man wird Ihnen diesen Scheck einlösen«, sagte er. »Und nun möchte ich noch kurz mit Ihnen sprechen.«

Sie faltete den Scheck zusammen, steckte ihn in ihre Handtasche und lehnte sich in ihren Sessel zurück.

»Bitte, glauben Sie nicht, daß ich Ihnen Ermahnungen mit auf den Weg geben will, die dreitausend Pfund wert sind«, begann er lächelnd. »Ich möchte über eine Angelegenheit mit Ihnen sprechen, die mich angeht.« Er rutschte nervös auf seinem Stuhl hin und her. »Ich will mich nämlich verheiraten.«

»Das freut mich aber«, sagte sie erstaunt. »Wer ist denn die Glückliche?!«

»Ich weiß es noch nicht.«

Sie beugte sich etwas vor und runzelte die Stirn.

»Das wissen Sie nicht? Mein lieber Comstock, was soll denn der Unsinn?«

Er schüttelte den Kopf.

»Es ist kein Unsinn«, erwiderte er. »Ich habe mich noch nicht entschieden, ich wollte Sie fragen...«

Er machte eine Pause. Irgend etwas hinderte ihn daran fortzufahren.

»Nun?«

»Ach, ich kann es Ihnen nicht sagen.«

Sie schaute ihn aufmerksam an, dann lachte sie.

»Wirklich, Comstock, Sie sind zu komisch – sagen Sie mir doch, wer es ist, und ich werde Sie sehr gern beraten.«

»Ich muß mir alles noch einmal gründlich überlegen«, gestand er verlegen und erhob sich.

Sie zuckte die Schultern, stand ebenfalls auf und gab ihm die Hand.

»Es tut mir wirklich leid, daß Sie sich mir nicht anvertrauen wollen. Ich gehe jetzt wohl am besten. Haben Sie vielen Dank, Comstock.«

Er machte eine abwehrende Handbewegung.

»Sprechen wir vorerst nicht mehr darüber«, meinte er. »Ich werde Sie in den nächsten Tagen noch einmal aufsuchen. Sie werden die Stadt doch nicht sofort verlassen?«

»Nein, ich bleibe bis Ende der Woche in London.«

Er begleitete sie bis zur Haustür und öffnete diese.

»Leben Sie wohl – und meinen herzlichsten Dank«, sagte sie noch einmal.

»Auf Wiedersehen also!« verabschiedete sich Comstock Bell. »Vielleicht komme ich schon morgen zu Ihnen, wenn ich mehr Mut habe.«

Sie dachte über seine Worte nach, als sie zu ihrer Wohnung in der Nähe von Knightsbridge zurückfuhr, und konnte sich sein sonderbares Benehmen nicht erklären.

Als Bell allein war, setzte er sich in einen Sessel und schaute gedankenverloren vor sich hin.

Er ließ sich ein einfaches Abendessen in die Bibliothek bringen, und nachdem er gegessen hatte, verschloß er die Tür. Parker, der vorbeiging, hörte das Klappern der Schreibmaschine.

Um neun Uhr öffnete Bell die Tür wieder und ging nach oben in sein Zimmer. Dort klingelte er nach Parker.

»Wer ist noch im Haus?« fragte er.

»Thomas sitzt in der Küche, Sir.«

»Sagen Sie ihm, daß er warten soll, bis ich nach ihm klingle. Ich möchte, daß Sie zur Charing Cross Station fahren und fragen, um wieviel Uhr die Nachtpost vom Kontinent ankommt.«

»Soll ich nicht telefonieren, Sir?«

»Nein, gehen Sie bitte selbst«, entgegnete Bell ungeduldig. »Ich möchte, daß Sie sich persönlich ganz genau erkundigen. Sollte ich nicht mehr zu Hause sein, wenn Sie zurückkommen, rufen Sie mich bitte im Klub an.«

Er wartete, bis Parker das Haus verlassen hatte, dann begann er sich hastig umzuziehen. Aus einem gut verschlossenen Schrank holte er einen abgetragenen Anzug heraus und zog ihn an. Ein weicher Filzhut und ein Regenmantel vervollständigten seine Kleidung. Aus einer Schublade seines Schreibtisches nahm er ein dickes Paket Banknoten und ließ es in seine Tasche gleiten. Prüfend sah er sich im Zimmer um – der Anzug, den er ausgezogen hatte, fiel ihm ein. Er hängte ihn über einen Bügel in seinem Kleiderschrank und verschloß die Tür. – Gleich darauf eilte er die Treppe hinunter, öffnete vorsichtig die Haustür und trat auf die Straße.

Sein ganzes Handeln war zielbewußt und energisch. Ohne nach rechts und links zu sehen, machte er sich in schnellem Tempo auf den Weg. Er vermied belebte Straßen, machte verschiedene Umwege und gelangte schließlich zur Kings Road in Chelsea. Gleich darauf bog er in eine Gasse ein, die zum Themseufer führte.

Es hatte zu regnen begonnen; der Fluß lag schwarz vor ihm, Nebelschwaden trieben über die Wasseroberfläche. Das grüne und das rote Licht eines Schleppdampfers schimmerten schwach durch den milchigen Dunst. Bell ging am Ufer entlang, bis er zu einer kleinen Treppe kam, die direkt zum Fluß hinunterführte.

Ein kleines Ruderboot hatte dort angelegt. Zwei Leute in glänzendem Ölzeug saßen auf den Ruderbänken.

»Lauder!« rief Bell.

»Jawohl, Sir«, antwortete eine Stimme, und das Boot wurde durch einen Ruderschlag bis unmittelbar an den Fuß der Treppe gebracht.

»Geben Sie mir Ihre Hand, Sir.«

Bell packte die Hand, die sich nach ihm ausstreckte, und sprang gewandt in das Boot. Die beiden Männer ruderten mit weitausholenden, kräftigen Schlägen auf die Mitte des Flusses zu.

»Wir sind da! Hier liegt die ›Seabreaker‹.«

Der eine der Männer zeigte auf einen Schlepper, der direkt vor ihnen lag. Es war ein großes, starkgebautes Schiff, das durchaus auch auf offener See fahren konnte.

Das Boot legte an der Steuerbordseite an und machte an einem Tau fest. Bell kletterte eine Strickleiter hinauf und schwang sich, oben angelangt, über die Reeling.

»Sie müssen unbedingt ein ordentliches Fallreep beschaffen, Captain«, sagte er.

Ein kräftiger, untersetzter Mann mit dichtem, graumeliertem Vollbart legte die Hand zum Gruß an den Südwester.

»Ich habe es schon in Auftrag gegeben, Sir.«

»Es wäre mir lieb, wenn Sie dafür sorgten, daß es schon morgen angebracht wird«, erklärte Bell. »Ich werde jetzt das Schiff inspizieren.«

Der Dampfer war ganz neu und für einen Schlepper wirklich ein Muster an Sauberkeit und Ordnung. Eine ganze Anzahl von Lampen beleuchteten das Oberdeck. Achtern, wo sich sonst bei einem solchen Schiff die Vorrichtungen zur Befestigung der Schleppseile befinden, war das große, breite Deck mit Glaswänden abgeschlossen und zu einem geschmackvoll eingerichteten Raum umgewandelt. Auch hinter dem Kartenzimmer lag noch eine andere große Kabine. Comstock stieg die Leiter zu der kleinen Kommandobrücke hinauf und begab sich in diesen Raum.

Die geräumige Kabine war in zwei Einzelräume unterteilt und mit schönen Möbeln ausgestattet worden. Ein Bett stand unter dem einen Fenster und ein wertvoller Schreibtisch unter dem andern. Auf dem Fußboden lag ein hübscher Teppich. Außer durch die Seitenfenster erhielt die Kabine auch noch von oben Licht, sie war mit Milchglas abgedeckt. Eine Tür führte in ein kleines, ebenfalls luxuriös ausgestattetes Badezimmer.

Auch dieses inspizierte Bell kurz und ging dann in den nebenan liegenden Raum. Dort stand an einer Wand ein großer Bücherschrank; ein breites Sofa und ein Teppich vervollständigten die Ausstattung.

»Kommen Sie herein, Captain Lauder«, sagte Bell durch die geöffnete Tür zu dem Mann, der draußen wartete.

Lauder trat näher.

»Bitte nehmen Sie Platz. Sie kennen also genau Ihre Instruktionen?«

»Jawohl, Sir.«

»Sind Sie mit dem Schiff zufrieden?«

»Vollkommen. Ich bin letzte Woche damit bei starkem Südwest in die Nordsee gefahren, und das schlechte Wetter hat ihm nicht im geringsten geschadet.«

»Wie steht es mit der Besatzung?«

»Sie ist unbedingt zuverlässig, Sir. Ich habe meine beiden Söhne mit an Bord genommen. Sie haben vor einiger Zeit ihr Steuermannsexamen gemacht. Unten im Maschinenraum arbeitet mein Bruder Georg mit seinem Sohn und einem andern mit ihm befreundeten jungen Mann.«

»Dann haben wir ja fast die ganze Familie beisammen.« Bell lächelte. »Aber letzten Endes hängt doch alles von Ihnen ab, Lauder.«

»Mir können Sie völlig vertrauen«, entgegnete der Kapitän ruhig. »Ich werde niemals vergessen, was ich Ihnen verdanke.« »Ich selbst bin Ihnen zu Dank verpflichtet, aber darüber wollen wir nicht mehr reden. Wenn Sie Ihr Fallreep angebracht haben, fahren Sie nach Gravesend hinunter und warten dort weitere Befehle ab. Sie können ruhig an Land gehen, bis ein Telegramm von mir eintrifft. Dann tun Sie alles, was in dem versiegelten Brief steht, den ich Ihnen gegeben habe. Und bedenken Sie immer, daß ich nichts von Ihnen verlange, was gegen die Gesetze verstößt. Weder Sie noch die Mannschaft brauchen sich die geringste Sorge zu machen.«

»Davon bin ich überzeugt.«

»Legen Sie dieses Geld in Ihren Safe.« Bell holte ein kleines Paket Banknoten aus der Tasche. »Es reicht einige Zeit für alle Ausgaben und Löhne.«

Ohne ein weiteres Wort zog er dann seinen Mantel wieder an, stieg in das Boot hinunter und ließ sich an Land rudern.


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