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Gold starrte Bell einen Augenblick lang fassungslos an.
»Was ist denn los?« fragte Bell verwundert.
»Nichts«, entgegnete Gold kurz, drehte sich um und verließ den Raum, ohne sich zu verabschieden.
Comstock Bell sah ihm kopfschüttelnd nach.
»Wissen Sie, was er hat?« fragte er Helder, dem gegenüber er sich stets einer sehr kühlen Höflichkeit befleißigte.
»Keine Ahnung, Mr. Bell. Gold scheint heute ein wenig nervös zu sein – mit mir hat er sich vorher auch fast gestritten.« »Warum sagten Sie denn, daß Sie keine amerikanischen Banknoten hätten? Sie haben doch einige in der Tasche.«
Vor dem Mittagessen hatten die beiden eine kleine Meinungsverschiedenheit wegen Washingtons Bild auf den Fünfdollarscheinen gehabt. Sie verglichen verschiedene Banknoten miteinander, und Helder war mit einigen Scheinen Comstocks zum Fenster gegangen, um sie genauer zu betrachten.
»Hatte ich ganz vergessen«, brummte Helder. »Abgesehen davon war ich sowieso nicht in der Stimmung, Gold eine Gefälligkeit zu erweisen.«
Bell zuckte die Achseln und wollte sich verabschieden, als Helder ihn zurückhielt.
»Sagen Sie, Mr. Bell, kennen Sie einen gewissen Willetts?«
»Nein«, entgegnete Bell. »Wie kommen Sie darauf?«
Helder rieb sich das Kinn.
»Ach, ich habe keinen besonderen Grund«, sagte er dann. »Aber wenn Sie einmal etwas Zeit übrig haben, würde ich mich gern mit Ihnen unterhalten.«
»Über diesen Mann?« fragte Bell scharf.
»Ja, auch über ihn – und über andere Dinge.«
Comstock Bell zögerte.
»Schön, ich werde an einem der nächsten Tage in Ihr Büro kommen.«
Mit einem Kopfnicken verabschiedete sich Bell und verließ den Klub. Er überquerte die Pall Mall und schlenderte dann ziellos durch den Park.
Es war ein herrlicher Frühlingstag, ganz dazu gemacht, alle Sorgen zu vergessen, doch Bell nahm keine Notiz von seiner Umwelt; er hatte einen Plan gefaßt, einen schrecklichen Plan, wie er sich selbst immer wieder sagte – trotzdem wollte er ihn unter allen Umständen ausführen, wer auch immer der Leidtragende sein würde. Einmal mußte er zur Ruhe kommen und endlich diesem schrecklichen Zustand ein Ende machen.
Es war ein Plan, der in allen Einzelheiten genau durchdacht war. Tag für Tag und Nacht für Nacht hatte er ihn immer wieder durchkalkuliert und jeden Zug festgelegt.
»Wer auch immer der Leidtragende sein wird ...«, murmelte er vor sich hin und seufzte.
Als er zum Victoria Memorial kam, überquerte er die Straße und nahm seinen Weg entlang Constitutional Hill. In seinem Plan fehlte noch ein einziges Glied – er brauchte noch einen Helfer. Zuerst hatte er an Gold gedacht, diesen Gedanken aber sehr bald wieder aufgegeben. Gefühlsmäßig wußte er, daß sich Gold für keine noch so hohe Summe für so etwas hergeben würde.
Er ließ gerade im Geist alle seine Freunde und Bekannten Revue passieren, als neben ihm ein Taxi hielt. Gold sprang aus dem Wagen, bezahlte den Chauffeur und kam dann auf ihn zu.
»Ich bin Ihnen vom Klub aus gefolgt, Mr. Bell. Könnte ich einen Augenblick mit Ihnen sprechen?«
»Alle Leute scheinen das Bedürfnis zu haben, sich mit mir zu unterhalten«, entgegnete Bell freundlich. »Ich habe mich übrigens in Gedanken gerade sehr intensiv mit Ihnen beschäftigt.«
Sie verließen die Hauptstraße und bogen in eine Nebenstraße ein, die zu einer kleinen Parkanlage führte.
»Ich möchte ganz offen mit Ihnen reden«, sagte Gold nach einigen Minuten nachdenklichen Schweigens. »Sie haben sich wahrscheinlich gewundert, warum ich Sie vorher im Klub einfach stehenließ und fortging?«
»Ein wenig seltsam fand ich das schon«, gab Bell zu.
»Meine Eile war durchaus gerechtfertigt. Ich habe jemand aufgesucht, um ihm einen Verdacht mitzuteilen – dieser Verdacht hat sich bestätigt.«
»Ich verstehe Sie gar nicht, was soll denn das alles bedeuten?« entgegnete Bell ein wenig ärgerlich.
»Zwei der Fünfdollarnoten, die Sie mir gaben, waren gefälscht.«
»Gefälscht?«
»Ja, es besteht gar kein Zweifel«, erklärte Gold. »Tausende von gefälschten Scheinen sind schon seit einiger Zeit im Umlauf. Von wem haben Sie die Banknoten bekommen?«
»Ein Mann, den ich im Savoy-Hotel traf, brauchte englisches Geld – ich habe ihm einige Scheine gewechselt.«
Gold sah ihn scharf an.
»Was wollen Sie damit sagen?« fragte Bell. Er wurde immer ärgerlicher. »Glauben Sie vielleicht, ich würde Ihnen etwas vorlügen?«
»Und wie hieß der Mann?«
In diesem Augenblick erinnerte sich Bell daran, wie die Scheine in seinen Besitz gekommen waren – er hatte sie ja von Helder erhalten! Der hatte ihm unter einem fadenscheinigen Vorwand die falschen Noten untergeschoben. Schon wollte er es Gold sagen, als ihm plötzlich ein Gedanke kam – hier war sine günstige Gelegenheit, die er für die Ausführung seines Planes benutzen konnte.
»Der Mann hieß Willetts«, sagte Bell langsam.
»Willetts? Sie haben mir doch neulich erzählt, daß Sie ihn überhaupt nicht kennen?«
»So? Nun, wahrscheinlich habe ich den Herrn, von dem Sie sprachen, nicht mit dem Mann in Verbindung gebracht, den ich im ›Savoy‹ traf«, erklärte Bell.
Gold schüttelte den Kopf.
»Na schön«, meinte er. »Ich werde diesen Willetts ausfindig machen. Eine Ahnung sagt mir, daß mir große Unannehmlichkeiten erspart bleiben, wenn ich dieses Rätsel gelöst habe.«
»Und mich werden Sie dadurch von noch größeren Schwierigkeiten befreien«, murmelte Comstock Bell.
Gold verabschiedete sich von Bell, der seinen Spaziergang fortsetzte, stieg in ein Taxi und war gleich darauf mitten in der City.
In der Thread Needle Street stieg er aus und kam schließlich durch viele enge Gäßchen zur Little Painter Street. An einem alten Haus entdeckte er das Schild, das er suchte: »Harald S. Willetts, Börsenmakler.«
Er stieg bis zum dritten Stock empor und klingelte an einer Tür, die auf einem Messingschildchen die gleiche Aufschrift trug.
Niemand antwortete. Auch auf sein energisches Klopfen hin blieb alles stumm.
Er ging die Treppe wieder hinunter und fragte den Hausmeister. »Wissen Sie, wann Mr. Willetts anzutreffen ist?
»Bin ich ein Hellseher?« entgegnete der Hausmeister mürrisch. Erfahrung hatte ihn gelehrt, nicht allzu mitteilsam zu sein.
Gold steckte eine Hand in die Tasche, zog eine Pfundnote heraus und wedelte damit dem Hausmeister vor der Nase herum.
»Haben Sie wirklich keine Ahnung?«
Das war das richtige Mittel; in weniger als zehn Minuten hatte Gold alles in Erfahrung gebracht, was der Hausmeister selbst wußte – leider war das nicht viel.
»Ich habe den Herrn nur immer bei Dunkelheit kommen und gehen sehen. Er arbeitet nie hier und läßt wohl nur seine Post hierher schicken.«
»Wie lange hat er das Büro schon gemietet?«
»Ungefähr seit zwei Jahren. Soviel ich weiß, hält er sich meistens außerhalb Londons auf, manchmal fährt er wohl sogar nach Amerika.«
»Ist er Amerikaner?« fragte Gold hastig.
»Das kann ich Ihnen nicht sagen. Ich weiß nur, daß er die Miete regelmäßig bezahlt und daß er sein Büro nur selten betritt. Wenn Sie es sehen möchten, zeige ich es Ihnen gern.«
Sie stiegen die Treppe hinauf, und der Hausmeister öffnete die Tür. Gold trat in einen kleinen Raum, in dem ein Rollschreibtisch, ein Sessel und ein Schreibtischstuhl standen. Außerdem gab es noch ein Regal mit Büchern über Finanzwesen und Börsenjahrbüchern. Das war die ganze Einrichtung.
»Ein merkwürdiger Schreibtisch«, sagte Gold sehr liebenswürdig. »Ich würde mir dieses Modell gerne einmal ansehen.«
Der Hausmeister, der ein sehr geschäftstüchtiger Mann war, konnte an dem Schreibtisch durchaus nichts Besonderes entdecken. Er verstand aber auch so gut genug, was der Besucher wollte. Schließlich war eine Pfundnote keine Kleinigkeit und erforderte eine gewisse Gegenleistung. Also murmelte er vor sich hin, daß er schnell etwas im Treppenhaus nachschauen müsse, und ließ Gold allein.
Innerhalb einer Minute hatte Gold an einem großen Schlüsselbund, den er aus der Tasche zog, den richtigen Schlüssel ausgewählt und den Schreibtisch geöffnet.
Er war leer, vollständig leer. In keiner Schublade konnte er auch nur ein einziges Stück Papier entdecken. Welchem Beruf Willetts auch nachgehen mochte – und Gold hatte hierüber seine ganz besonderen Ansichten –, jedenfalls übte er ihn nicht in diesem Büro aus.
»Wie oft kommt Mr. Willetts eigentlich hierher?« fragte er den Hausmeister, als er mit ihm zusammen die Treppe wieder hinunterging.
»Wenigstens einmal im Monat – aber ich weiß nie vorher an welchem Tag.«
»Können Sie ihn mir ungefähr beschreiben?«
»Er hat eine dunkle Gesichtsfarbe und dunkles Haar, meistens hält er sich etwas gebückt ...«
»Ist er groß und schlank?«
»Nein. Ich würde ihn als mittelgroß bezeichnen. Diesen Eindruck hatte ich wenigstens, als ich ihm auf der Treppe begegnete.«
»Wie ist seine Stimme?«
»Gut, daß Sie danach fragen – er spricht mit einem ausländischen Akzent, ungefähr so wie ein Franzose.«
»Schön, sagen Sie Mr. Willetts bitte, wenn er wieder herkommt, daß ich ihn gern gesprochen hätte.«
»Und wie ist Ihr Name?«
»Comstock Bell«, entgegnete Gold seelenruhig.
Der Hausmeister sah ihn erstaunt an.
»Sie sind doch nicht Mr. Comstock Bell!«
Gold lächelte.
»Na ja, ich wollte sagen, daß mich Mr. Bell hierhergeschickt hat«, erklärte er freundlich. »Aber woher wollen Sie eigentlich wissen, daß ich nicht Mr. Bell bin?«
»Weil Mr. Bell erst vor zwei Tagen hier war, um mit Mr. Willetts zu sprechen«, erwiderte der Hausmeister.