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Drei Leute saßen in einem Privatzimmer des Northern-Hospitals zusammen und verglichen ihre Aufzeichnungen und Notizen miteinander.
»Frank«, sagte Wilbur Smith und schüttelte den Kopf, »wir können dich nicht frei umherlaufen lassen. Du mußt versteckt bleiben.«
Der Schauspieler lachte.
»Da gibt es gar nichts zu lachen«, fuhr Wilbur Smith ernst fort. »Diese Verbrecherbande ist hinter dir her. Man hat nur deine Spur noch nicht gefunden, sonst wärst du in diesem Augenblick nicht mehr am Leben. Du weißt zuviel, und vielleicht bilden sich die Verbrecher ein, daß du eine noch größere Kenntnis hast, als es den Tatsachen entspricht.« Er wandte sich an Corelly. »Nun, Peter, haben Sie den Buchladen von Rhyburn aufgesucht?«
Corelly nickte.
»Die Geschichte klärt sich nach und nach auf, aber je mehr ich mich mit der Sache befasse, desto mehr wird Miss Bertram belastet. Sie erinnern sich noch an den Higgins-Mord, bei dem die Frau des Spielers erschossen wurde?«
Die beiden anderen nickten.
»Laste sagte doch damals aus, daß seine Frau die Dollarscheine in einem Buch fand, das sie am gleichen Nachmittag bei Rhyburn gekauft hatte. In der nächsten Nacht wurde in dem Laden eingebrochen. Die Frau las sehr viel, und sie bekam diesen Band besonders billig, weil der Umschlag einen Tintenfleck hatte. Aus diesem Grund konnte sich auch Mr. Rhyburn genau auf den Verkauf besinnen, und dadurch war es mir möglich, weitere Nachforschungen anzustellen. Sie entsinnen sich doch noch, daß Rhyburn für gewöhnlich Miss Bertram eine Auswahlsendung der neuesten Romane in die Wohnung schickte. Sie behielt die Bücher zurück, die ihr gefielen, und sandte die anderen wieder in den Laden. Und das Buch, das Mrs. Laste kaufte, gehörte zu diesen. Zweifellos hatte sie darin verschiedene Tausendollarscheine versteckt gefunden. Wahrscheinlich hat sie sogar eine viel größere Summe entdeckt, als sie ihrem Mann sagte, da sie doch wußte, daß er alles verspielen würde.«
»Wie erklären Sie sich das?« fragte Wilbur Smith. »Behaupten Sie, daß Miss Bertram die Scheine zwischen die Seiten des Buches legte und sie später vergaß? Oder meinen Sie, daß sie die Scheine absichtlich darin verbarg und das Buch zurückschickte?«
»Ich habe noch keine Theorie, die die Sache erklären könnte«, erwiderte Peter. »Ich führe nur Tatsachen an.«
Er schien etwas nervös zu sein, und das war ungewöhnlich an ihm. Wilbur merkte es sofort.
»Merkwürdig ist nur, daß sich diese Ereignisse innerhalb von vierundzwanzig Stunden zutrugen: die Rückgabe der Bücher durch Miss Bertram, der Verkauf an Mrs. Laste und schließlich der Einbruch in den Bücherladen. Und kaum zwölf Stunden darauf ist dann Mrs. Laste erschossen worden!«
»Wir müssen zwei Dinge herausbringen«, erklärte Wilbur nach einiger Überlegung. »Zunächst müssen wir den Tempel in dem Garten wiederfinden, und dann müssen wir entdecken, wer dieser Rosie ist.«
»Ich werde mich vor allem mit letzterem beschäftigen«, entgegnete Alwin. »Als ich während des Krieges in Washington war, kam ich mit Lazarus Manton in Berührung, der trotz seines sonderbaren Namens ein hervorragender Polizeibeamter ist. Ich weiß nicht, welchen Rang er jetzt in Scotland Yard einnimmt. Ich habe ihm telegrafiert.«
»Vor allem müssen wir den Philadelphia-Bahnhof beobachten. Die Worte, die Alwin hörte, als er gefangensaß, müssen eine besondere Bedeutung haben. Das können Sie ja leicht veranlassen, Corelly.«
Peter nickte.
»Eine ziemlich schwierige Aufgabe. Ich habe zwei Beamte dorthin beordert, aber ich würde meiner Sache doch erst sicher sein, wenn ich eine größere Anzahl von Beamten zu diesem Zweck zur Verfügung hätte.«
»Wo haben Sie die Leute postiert?« fragte Smith.
»In den Warteräumen. Ich bin auch der Ansicht, daß wir den nächsten Schritt der Verbrecher auf dem Philadelphia-Bahnhof erwarten können . . . Ein paar Stunden meiner Zeit verwende ich an jedem Nachmittag auf die Lösung dieser Aufgabe. Aber worauf sollen wir denn achten? Alwin kann uns nicht helfen, die beiden Leute wiederzuerkennen, und da wir nicht genau wissen, was sie unternehmen werden, erscheint mir von vornherein die ganze Sache hoffnungslos.«
Aber trotz dieser pessimistischen Äußerung war Corelly am nächsten Tag doch auf der Station. Er hatte sich auf eine Bank gesetzt, so daß er die Menschenmenge beobachten konnte, die in ununterbrochenem Strom vorüberflutete.
Peter hatte dabei einen sechsten Sinn. Rein gefühlsmäßig wandte er seine Aufmerksamkeit einem Mann in mittleren Jahren zu, der eine Anzahl Pakete unter dem Arm trug. Er war müde, ließ sich auf einem freien Sitz nieder und legte die Päckchen neben sich auf die Bank. Es war nichts Auffallendes an dem Mann, und Peter sah wieder die Treppe hinauf, auf der die vielen Menschen herunterkamen. Als er den Blick dann wieder in die alte Richtung wandte, bemerkte er, daß sich ein anderer neben dem Mann niedergelassen hatte, jedoch nur eine Minute blieb, dann erhob er sich schon wieder und ging fort. Peter konnte die beiden nur von hinten sehen; der zweite kam ihm bekannt vor, wenn er ihn auch im Augenblick nicht identifizieren konnte. Der Mann mit den Paketen schaute auf die Uhr und erhob sich dann unentschlossen, nachdem er sich hilflos umgesehen hatte.
Peter beobachtete genau, wie sich der Mann einem der vielen Ausgänge zuwandte, die zu den Bahnsteigen führten. Bis jetzt hatte er noch keinen besonderen Grund, ihn zu verdächtigen, auch dann noch nicht, als in der Nähe des Ausgangs ein Mädchen auf ihn zutrat. Sie sprachen eine Weile miteinander, und er entnahm aus der Haltung des Mannes, daß das Mädchen ihm fremd sein mußte. Nach einiger Zeit gingen sie beide zu einer anderen Bank. Der Mann legte die Pakete darauf und zählte sie, während das Mädchen danebenstand. Dann nahm er eines der Pakete und reicht es ihr mit einem Lächeln.
Peter sah immer noch nichts Außergewöhnliches an diesen Vorgängen.
Er wird Einkäufe gemacht und dabei zufällig ein falsches Paket mitgenommen haben, dachte er. Das junge Mädchen hat Glück, daß sie ihr Eigentum zurückerhält, bevor es zu spät ist!
Sie trennten sich; der Mann nahm den Hut ab und wandte sich zu einem Ausgang; das Mädchen ging zur Treppe. Sie hatte gerade die Hälfte der Stufen zurückgelegt, als Peter sich entschloß, ihr zu folgen. Er verlor sie aber aus den Augen, und erst auf der Siebenten Avenue traf er sie wieder. Sie ging schnell und sah weder nach rechts noch nach links. Er überlegte gerade, ob er ihr weiter nachgehen sollte, als plötzlich ein Auto direkt vor ihr hielt. Sie öffnete die Tür und stieg ein, worauf sich der Wagen sofort wieder in Bewegung setzte. In diesem Augenblick kam Peter ein guter Gedanke. Er war ein vorzüglicher Läufer, und noch bevor das Auto zwanzig Meter weit gefahren war, sprang er auf das Trittbrett.
»Es tut mir leid, daß ich Sie störe«, sagte er kühl, »aber ich . . .«
Plötzlich brach er ab, denn die junge Dame war niemand anders als Jose Bertram.
Ein kleines Paket lag auf ihrem Schoß, von dem sie bereits das Papier entfernt hatte. Es war ein dicker Stoß von Banknoten. Ohne noch ein Wort zu verlieren, öffnete Peter die Tür der Limousine und setzte sich neben sie. Er nahm die Banknoten, ohne daß sie Widerstand leistete, drehte die oberste um und erkannte sofort den Stempel des goldenen Hades.
Auch jetzt wurde kein Wort zwischen ihnen gesprochen; Peter schien die Sprache verloren zu haben; Jose schaute geradeaus auf den Rücken des Chauffeurs. Erst als der Wagen an einer Kreuzung von dem Verkehrsschutzmann angehalten wurde, bewegte sie sich und gab dem Chauffeur eine Anweisung. Dieser änderte die Richtung und fuhr jetzt die Fünfte Avenue entlang, bis sie an die Glasscheibe klopfte. Vorher hatte sie die Banknoten in eine der tiefen Seitentaschen im Innern des Autos gelegt, und allem Anschein nach interessierte sie sich nicht weiter dafür, was damit geschah.
»Wir wollen in den Park gehen«, sagte sie.
Schweigend wanderten sie nebeneinander her.
Peter wußte kaum, wie er die Unterhaltung beginnen sollte, und sie befand sich offenbar in der gleichen Lage.
»Mr. Corelly«, sagte sie schließlich, »wieviel wissen Sie von der ganzen Angelegenheit?«
»Sie meinen von dem goldenen Hades? – Ziemlich viel, Miss Bertram. Aber ich hoffe, daß ich von Ihnen noch mehr erfahren werde.«
Sie preßte die Lippen zusammen, als ob sie fürchtete, sie könnte ihm ihr Geheimnis enthüllen.
»Ich bin nicht imstande, Ihnen etwas zu sagen. Welchen Zweck hätte es auch? Dieses Geld gehört mir. Es ist doch keine Übertretung des Gesetzes, wenn man eine große Summe bei sich trägt, nicht einmal in New York.«
»Aber es ist schon etwas Besonderes, wenn man Banknoten im Besitz hat, die den Stempel des goldenen Hades auf der Rückseite zeigen«, erwiderte Peter streng, »denn Banknoten mit diesem goldenen Stempel stehen im Zusammenhang mit einem furchtbaren Mord.«
Sie sah ihn erschreckt an.
»Mord!« wiederholte sie mit stockender Stimme. »Aber das ist doch nicht Ihr Ernst!«
»Ja, mit Mord und mit vielen schlimmen Dingen. Diese Banknoten haben Beziehung zu dem berüchtigten Higgins-Mord, und sie spielen auch eine Rolle bei der Entführung Mr. Alwins . . .«
»Aber das verstehe ich alles nicht«, erwiderte sie bestürzt. »Ich wußte wohl, daß das Ganze eine furchtbare Torheit und nicht recht ist, aber daß es sich um einen Mord handelte – nein, davon hatte ich keine Ahnung. Bitte sagen Sie mir doch, daß das nicht wahr ist!«
Jose war stehengeblieben und sah ihn verzweifelt an. Er legte die Hand auf ihren Arm, aber sie schrak zurück.
»Miss Bertram, warum lassen Sie mich Ihnen nicht helfen? Das ist mein größter Wunsch. Ich helfe gern einem Menschen, aber bei Ihnen ist es noch etwas Besonderes. Ich kann mit Ihnen sprechen wie ein Bruder – warum trauen Sie mir nicht?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Nein, das können Sie nicht – Sie können mir nicht helfen«, entgegnete sie hoffnungslos. »Ich bin es auch nicht so sehr, die Hilfe braucht.«
»Wer denn?«
»Das kann und darf ich Ihnen nicht sagen. Ich wünschte, es wäre mir möglich – ach, es ist zu schrecklich!«
Er faßte sie am Arm und führte sie einen einsamen Seitenweg entlang.
»Sagen Sie mir wenigstens, seit wann Sie etwas von dem goldenen Hades wissen.«
»Seit zwei Tagen.«
Er nickte.
»Da haben Sie also während des Essens, das Ihr Vater in dem Klub gab, davon erfahren?«
Sie warf ihm einen schnellen Blick zu.
»Beantworten Sie bitte meine Frage. War es tatsächlich bei dem Essen?«
»Ich wußte es vorher nicht genau, ich hatte nur eine Ahnung – an dem Abend wurde es mir zur Gewißheit.«
»Haben Sie damals erfahren, daß Sie heiraten sollen?« fragte er nach kurzem Zögern.
Sie nickte. Aber die Frage ihrer Verheiratung schien unwesentlich zu sein im Vergleich mit einer viel ernsteren und größeren Sache.
»Ich muß jetzt aber zurückgehen«, sagte sie plötzlich. »Bitte begleiten Sie mich nicht, wir werden beobachtet.«
Sie reichte ihm die Hand und wandte sich zum Gehen.
»Wenn ich Ihre Hilfe nötig habe, Mr. Corelly, dann telefoniere ich Ihnen – ich habe Ihre Nummer, sie steht auf der Karte.«
Ohne ein weiteres Wort ging sie fort, und Peter folgte ihr langsam. Er sah gerade noch, wie ihr Wagen abfuhr, dann kehrte er zu seinem Büro zurück. Ein Brief lag auf seinem Schreibtisch, aber er machte sich nicht die Mühe, ihn zu öffnen. Bequem setzte er sich in seinen Stuhl, legte die Füße auf den Tisch und dachte lange nach. Und je mehr er überlegte, desto mehr wunderte er sich, und schließlich merkte er, daß er sich selbst eine Theorie bildete, obgleich er doch Theorien haßte.
Schließlich nahm er den Brief und öffnete ihn.
Es war nur eine kurze Mitteilung von Frank Alwin. Er hatte nicht auf die Handschrift geachtet, sonst hätte er den Briefumschlag natürlich sofort geöffnet.
Mein lieber Corelly,
Eben habe ich dieses Telegramm auf meine Anfrage bekommen. Was halten Sie davon?
Mit verbindlichem Gruß
Frank Alwin.
Peter entfaltete das Telegramm und las:
Der einzige uns bekannte Mann mit dem Spitznamen ›Rosie‹ ist John Cavanagh, gewöhnlich Rosie Cavanagh genannt. Er wurde vor vier Jahren aus dem Zuchthaus entlassen, nachdem er wegen schweren Betruges eine Strafe von zehn Jahren in Portland abgesessen hatte. Das Verbrechen hat er durch spiritistische Sitzungen vorbereitet. Cavanagh hat eine gute Erziehung genossen; er muß jetzt im Alter von etwa fünfundsechzig Jahren stehen. Gestalt klein. Besitzt umfassende Kenntnisse in der griechischen Mythologie, hält sich, soweit hier bekannt, in Spanien auf. Weitere Nachforschungen sind bereits in die Wege geleitet.
Peter sah von dem Telegramm zur Decke, dann wieder auf das gelbe Formular. Ein ironisches Lächeln spielte um seinen Mund.