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Peter brachte den »Gefangenen« bis zur nächsten Straßenecke, wo er den Polizisten entließ und ein Taxi heranwinkte. Er schob Frank hinein und folgte ihm.
»Nun, Mr. Alwin«, sagte er, als der Wagen in voller Fahrt war, »jetzt können Sie mir erzählen, wie alles gekommen ist.«
Frank lehnte sich in die Polster zurück und lachte nervös.
»Ich bin fast die ganzen letzten vierundzwanzig Stunden verfolgt worden, und ich bin durchaus nicht betrunken, aber elend hungrig.«
Peter überlegte, daß es jetzt gefährlich sein könnte, mit Alwin in ein Lokal zu gehen. Deshalb brachte er den Schauspieler zu seiner eigenen Wohnung und ließ aus einem nahen Restaurant das nötige Essen holen. Frank war noch so schwach, daß er auch während des Essens auf einer Couch liegen mußte. Schließlich hatte er seinen Hunger gestillt und reichte befriedigt das Tablett zurück.
»So, nun kann ich Ihnen meine Geschichte berichten.«
Peter hörte ihm eine halbe Stunde zu, ohne ihn zu unterbrechen.
»Das klingt fast wie ein Märchen. Wenn mir ein anderer das erzählt hätte, würde ich es ihm nicht geglaubt haben. Die Gesichter der beiden Männer haben Sie also nicht gesehen?«
Frank schüttelte den Kopf.
»Und Sie haben auch gar keine Anhaltspunkte, mit deren Hilfe Sie die Leute identifizieren könnten?«
»Nein. Nur eines ist sicher: Als ich über die Mauer kletterte, holte mich der eine der beiden ein und wollte mich festhalten. Ich schlug mit der Eisenstange zu – der Hieb ging an seinem Kopf vorbei, aber ich traf ihn an der Hand und muß seinen Daumen schwer verletzt haben. Das ging wenigstens aus dem hervor, was er kurz darauf dem anderen erzählte.«
Er sah Peter sonderbar an.
»Also, nun sagen Sie mir doch auch alles«, erwiderte Corelly. »Sie haben etwas auf dem Herzen, was Sie mir noch nicht anvertraut haben. Warum sollte ich nicht in den Wagen steigen?«
Frank Alwin sah zwar etwas besser aus, war aber noch sehr stark angegriffen. Seine Kleider waren nicht gereinigt, und er hatte sich nicht rasiert. Schwäche und Müdigkeit übermannten ihn plötzlich, und er schloß die Augen.
»Gute Nacht«, murmelte er leise und schlief gleich darauf fest ein.
Mr. Flint, der Chef der Geheimpolizei, hatte das Essen beendet und den Kellner um die Rechnung gebeten, als Peter wieder in dem Klub erschien, um ihm die neuesten Tatsachen mitzuteilen.
»Ich konnte leider nicht mehr aus ihm herausholen. Er ist mir direkt eingeschlafen«, sagte er enttäuscht. »Immerhin kann ich Ihnen eine sonderbare Geschichte erzählen, die ich unter gewöhnlichen Umständen nicht glauben würde.«
Flint hörte verblüfft zu.
»Das klingt ja wie eine Indianergeschichte aus Wildwest. Meinen Sie nicht, daß Frank Alwin die ganze Sache nur geträumt oder im Fieber erlebt hat?«
Peter schüttelte den Kopf.
»Nein, dazu ist er ein viel zu ernster und zuverlässiger Mann. Alwin war während des Krieges drei Jahre lang im Geheimdienst tätig.«
»Das habe ich vergessen. Jetzt, da Sie es erwähnen, besinne ich mich wieder darauf, daß man eine sehr gute Meinung von ihm hatte. Aber da nun drei so tüchtige Leute wie Sie, Alwin und Wilbur Smith zusammenarbeiten, muß es doch gelingen, dieses Verbrechen des goldenen Hades aufzuklären. Dort kommt übrigens Bankier Bertram mit seinen Gästen.«
Peter schaute interessiert hinüber, als nach den anderen Professor Cavan und Bertram aus dem großen Speisesaal traten.
Der Gelehrte schien in der besten Laune zu sein. George Bertram schaute etwas düster drein.
»Wo bleibt denn die junge Dame?« fragte Flint.
Peter war auch erstaunt. Die beiden Herren warteten einige Minuten an der Tür des Restaurants, bevor sie erschien.
»Hallo!« sagte Peter zu sich selbst. »Da ist etwas nicht in Ordnung.«
Allem Anschein nach hatte Jose Bertram geweint, denn ihre Augen waren gerötet. Auch ihr Gang und ihre Haltung zeigten, daß sie deprimiert war.
Die drei verließen zusammen das Lokal. Ohne sich bei seinem Chef zu entschuldigen, ging Peter in den Speisesaal und traf dort den Oberkellner.
»Nun, was hat es denn hier gegeben, Luigi?«
»Ach, Sie meinen mit der jungen Dame?« fragte der kleine Italiener und lächelte. »Anscheinend eine Liebesgeschichte! Sie stritt sich mit ihrem Vater. Ich legte der Sache erst gar keine Bedeutung bei, aber dann verließ sie den Tisch und kam nicht wieder zurück. Es kam ja auch nicht darauf an«, meinte er mit philosophischer Ruhe. »Das Dessert taugte nicht viel. Unser Küchenchef hat heute einen schlechten Tag.«
Mehr konnte Peter nicht herausbekommen. Als er wieder an seinen Platz zurückkehrte, war Flint bereits verschwunden. Peter dachte an seine Verabredung mit Jose Bertram und beschloß, sie am nächsten Morgen aufzusuchen.
Daß eine junge Dame schließlich einmal bei Tisch weint, war besonders bei Miss Bertram, die ja bereits Proben ihres leicht erregbaren Temperaments abgegeben hatte, nicht weiter erstaunlich. Aber für ihn war sie doch nicht mit anderen jungen Damen zu vergleichen. Es war merkwürdig, daß er so dachte, denn er war im allgemeinen schwer zu begeistern, und es machte so leicht nichts auf ihn Eindruck.
Man hätte jedoch nicht behaupten können, daß sich Peter auf den ersten Blick in Jose Bertram verliebt hätte. Der Anblick der jungen Dame, die er nur ein einziges Mal vorher gesehen hatte, und zwar unter Umständen, die nicht gerade sehr günstig für sie waren, genügte jedoch, um sein Interesse zu wecken. Und während der Unterredung mit Flint dachte er eigentlich dauernd an sie. Aber das war noch keine Liebe, es war nur außerordentliches Interesse. Auch stöhnte und seufzte Peter nicht, weil sie einer höheren Gesellschaftsschicht angehörte als er, oder weil ihr Vater ungewöhnlich wohlhabend und sie deshalb für ihn unerreichbar war. Im Gegenteil, er hielt sich für gesellschaftlich gleichberechtigt mit ihr, und der Reichtum ihres Vaters machte auf ihn verhältnismäßig wenig Eindruck.
Bankier Bertram hatte drei Besitzungen: ein großes Haus in New York selbst, in dem er aber nicht wohnte, dann eine prachtvolle Villa auf Long Island und einen Landsitz in New Jersey. Und dorthin begab sich Peter am nächsten Morgen.
Die Familie bestand nur aus dem Bankier selbst und seiner Tochter; es wurden tatsächlich zwei Haushalte geführt, denn obwohl Jose in bestem Einvernehmen mit ihrem Vater lebte und ihn bis zu einem gewissen Grad liebte, hatte sie doch eine Wohnung für sich, die den einen Flügel des großen Gebäudes einnahm, während ihr Vater den anderen bewohnte.
Peters Auto fuhr den langen, von herrlichen Bäumen beschatteten Weg vom Tor zum Hauseingang entlang, und er dachte wieder an die Szene, als er sie in dem Geschäft getroffen hatte. Zu gern hätte er gewußt, warum sie im Klub geweint hatte, aber er zweifelte, ob es ihm heute gelingen würde, das Gespräch auf diesen Zwischenfall zu bringen.
Ein Diener in vornehmer Livree nahm seine Karte entgegen.
»Miss Bertram erwartet Sie, soviel ich weiß. Sie hat mir gesagt, daß ich Sie ins Wohnzimmer bringen soll. Bitte, kommen Sie mit.«
Peter war nicht wenig erstaunt.
»Mr. Corelly«, meldete ihn der Diener an.
Jose trat einige Schritte vor, blieb dann aber plötzlich stehen und sah Peter entsetzt an. Überraschung, Bestürzung, ja selbst Furcht mischten sich in ihrem Gesichtsausdruck, so daß Peter ein Lächeln unterdrückte.
»Sie haben mich wohl nicht erwartet?« fragte er.
»Ich – ich . . .«, begann sie verwirrt. »Nein, ich erwartete . . . Haben Sie einen speziellen Wunsch?« fragte sie dann plötzlich. »Wollen Sie mich in einer besonderen Angelegenheit sprechen?«
Jetzt war allerdings Peter überrascht. Er sah, daß sie bleich wurde und sich auf den nächsten Stuhl setzte. Das kam so unvermittelt, daß Corelly ängstlich wurde. Er hatte derartige Symptome schon öfters in seinem Beruf beobachten können. Aber es dauerte nur ein paar Sekunden, dann hatte sie sich wieder gefaßt und erhob sich lächelnd.
»Ich hatte Sie gebeten, mich zu besuchen. Sie müssen mein sonderbares Benehmen verzeihen, aber ich habe heute morgen schwere Kopfschmerzen. Bitte, nehmen Sie doch Platz.«
Peter folgte ihrer Aufforderung, fühlte sich aber nicht recht wohl. Er glaubte einen gewissen feindlichen Ton aus ihrer Stimme zu hören. Ihre Gesichtszüge glichen plötzlich einer Maske, jeder Ausdruck war daraus verschwunden. Sie hielt sich vollkommen zurück und hatte wahrscheinlich einen bestimmten Grund dafür. Aber worum es sich handelte, konnte er auch nicht annähernd vermuten. Deshalb entschloß er sich, die Unterredung so bald wie möglich zu Ende zu bringen. Wie stets, war er sehr offen.
»Miss Bertram, Sie fürchten sich.«
»Da irren Sie«, erwiderte sie etwas steif und richtete sich gerade auf. »Warum sollte ich mich denn fürchten? Bilden Sie sich etwa ein, daß ich vor Ihnen Angst habe?«
»Nein, und doch sage ich Ihnen, daß Sie sich ängstigen«, entgegnete Peter langsam und mit Nachdruck. »Und es muß ein sehr wichtiger Grund sein.«
Er verzog die Lippen und sah sie ernst, fast feierlich an. Sie erwiderte seinen Blick zuerst tapfer, mußte dann aber doch die Augen senken.
»Mr. Corelly – ich sehe nicht ein, warum Sie sich über Dinge Sorgen machen sollten, die Sie gar nichts angehen. Ich bin sehr froh, daß Sie mich besucht haben, denn ich habe Sie ja dazu aufgefordert, aber es ist mir unangenehm, daß Sie so . . . so . . .« – sie zögerte, denn sie fand im Augenblick nicht das richtige Wort – »vertraut mit mir reden.«
»Sie fürchten sich unheimlich. So etwas habe ich noch nie gesehen«, sagte Peter. »Ich würde viel darum geben, wenn ich Ihnen aus Ihrer schwierigen Lage helfen könnte. Ich weiß, daß etwas Furchtbares geschehen ist.«
Sie sah ihn scharf und betroffen an, dann runzelte sie die Stirn. Zum erstenmal kam wieder etwas Farbe in ihre Wangen.
»Sie sagen, Sie würden viel darum geben, mir zu helfen?« erwiderte sie mit stockender Stimme. »Das klingt aber doch ganz sonderbar!«
Er hatte den Eindruck, daß sie das nur sagte, um keine Stockung in der Unterhaltung eintreten zu lassen.
»Ich habe absolut keine Sorgen«, fuhr sie etwas ruhiger fort. »Warum sollten Sie mir helfen?«
Während sie dies sagte, sah sie zum Fenster hinaus.
»Ich erwarte sehr bald einen anderen Besuch«, erklärte sie nach einer kurzen Pause. »Hoffentlich halten Sie mich nicht für unhöflich, wenn ich diese Unterhaltung jetzt abbreche.«
Er erhob sich und trat zu ihr.
»Miss Bertram, ich kam heute nur mit der einen Absicht hierher, unsere Bekanntschaft zu erneuern, und zwar unter angenehmeren und günstigeren Umständen. Wenn es möglich wäre, hätte ich gern ein paar Fragen an Sie gerichtet. Gewiß, ich kenne Sie nicht näher, und ich habe durchaus kein Recht, mich um Ihre privaten Angelegenheiten zu kümmern. Ich habe auch nicht das Recht, Antworten auf meine Fragen zu verlangen oder Ihnen mein Vertrauen aufzudrängen. Aber ich möchte doch dies eine sagen: Es gibt keine Schwierigkeiten und keine Sorgen, bei denen ich Ihnen nicht helfen könnte.«
Sie erhob sich schnell, ging an ihm vorbei zum Fenster und wandte ihm den Rücken zu.
»Gehen Sie jetzt bitte«, entgegnete sie leise. »Ich – ich glaube, daß Sie es gut meinen, aber unglücklicherweise können Sie mir nicht helfen. Leben Sie wohl!«
Peter zögerte noch einen Augenblick, dann nahm er seinen Hut und ging zur Tür. Er hatte die Hand bereits auf die Klinke gelegt, als sie ihn zurückrief. Sie streckte die Hand aus, und er ergriff sie.
»Leben Sie wohl!« sagte sie noch einmal. »Wenn ich wirklich in eine sehr schwierige Lage komme, bitte ich Sie vielleicht, mir zu . . .« Sie brach ab und zuckte die Schultern. »Aber welchen Zweck hat das!« rief sie plötzlich leidenschaftlich. »Meine Schwierigkeiten sind ja so nebensächlich . . . Was kommt es auch darauf an, Mr. Corelly?«
Er fühlte die furchtbare nervöse Spannung, in der sie sich befand.
»Was kommt es darauf an?« fuhr sie aufgeregt fort. »Früher oder später muß ich doch heiraten, und ein Mann ist ebenso gut oder schlecht wie der andere . . .«
Peter nickte.
»Also dann werden Sie heiraten? Das ist allerdings eine genügende Erklärung. Würden Sie mir noch gestatten, zu fragen, wer der glückliche Mann ist, dem Sie Ihre Hand reichen?«
Sie sah ihn an, und ihre Lippen verzogen sich verächtlich.
»Er ist der Erwählte der Götter«, erwiderte sie bitter.
Peter atmete tief.
»Ist es etwa der goldene Hades, der das bestimmt hat?«
Sie schrak zusammen und wurde rot.
»Woher wissen Sie denn das?« fragte sie leise.
Ohne noch ein Wort zu sagen, verließ sie das Zimmer. Er wartete, bis sich die Tür hinter ihr schloß, dann ging auch er. Auf der Fahrt zum Portal des großen Gartens begegnete er Professor Cavans Butler.
Um Himmels willen, dachte er betroffen, sie wird doch nicht diesen alten Kerl heiraten!
Plötzlich fielen ihm Franks Worte ein: »Ich habe ihm den Daumen schwer verletzt!«
Peter wollte schon dem Chauffeur zurufen, daß er anhalten sollte, aber dann gab er diese Absicht wieder auf und lehnte sich zurück.
Er hatte trotz des schnellen Tempos, in dem sein Wagen vorüberfuhr, gesehen, daß der Butler einen Verband an der Hand trug.