Edgar Wallace
Der Goldene Hades
Edgar Wallace

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5

Peter Corelly kam von seinem Besuch im Hospital zurück.

»Ein Schuß durch die rechte Schulter, beide Beine gebrochen, außerdem Schädelbruch, Gehirnerschütterung und einige wunde Stellen am Körper«, berichtete er dem Chef. »Die anderen Verwundungen sind nicht so wichtig. Die Schulterverletzung wird hoffentlich glatt heilen. Der Arzt hat nur wegen des Schädelbruchs Sorge. Man kann Wilbur Smith noch nicht genauer untersuchen, aber sein Zustand scheint sehr ernst zu sein.«

»Hat er denn das Bewußtsein wiedererlangt?« fragte Flint und spielte nervös mit dem Füllfederhalter.

Peter Corelly nickte.

Der Detektiv war groß und machte einen melancholischen, fast mürrischen Eindruck. Er ging etwas gebeugt, und seine hagere Gestalt täuschte die meisten Leute, so daß man ihn für schwach und kränklich hielt, aber er war weder das eine noch das andere. Er sah immer übermüdet und schläfrig aus – diesen Eindruck rief er mit Absicht hervor, damit andere Leute sich sicher vor ihm fühlten.

Er hatte schon viel erreicht; vor allem hatte er seine Schlagfertigkeit und seinen scharfen Verstand gezeigt, als er Madame Recamier verhaftete und ihre Schuld nachwies. Bei dieser großen Skandalaffäre waren verschiedene führende Persönlichkeiten der Gesellschaft entlarvt worden. Corelly hatte aber auch andere wichtige Kriminalfälle aufgeklärt. Zum Beispiel hatte er Eddie Polsoo achttausend Meilen weit verfolgt, nachdem dieser mit Mrs. Stethmans Vermögen durchgebrannt war. Und Eddie hatte erfahren, was hinter der scheinbaren Lethargie Corellys steckte.

»Ich habe Ihnen jetzt alles erzählt, was ich von der Geschichte weiß, Corelly«, sagte der Chef, »und Sie wissen ebensoviel wie Smith selbst. Es ist nun äußerst wichtig, daß die Bande entdeckt und bestraft wird. Die Polizei ist selbst angegriffen worden, indem man einen ihrer besten Beamten überfiel. Und das obendrein am hellen Tage! Aus diesen Tatsachen können wir schließen, daß es sich um eine sehr große Organisation handelt, die jedenfalls stärker und gefährlicher ist, als der arme Wilbur Smith selbst annahm.«

Peter nickte.

»Dann muß ich die Sache eben in die Hand nehmen. Das ist doch wohl der Sinn Ihrer Darlegungen.«

Flint sah ihn scharf an.

»Sie tun so, als ob Ihnen das unangenehm wäre. Ich verstehe Sie nicht«, erwiderte der Chef bitter. »Sie haben ja früher studiert, so daß Sie sich auch einem anderen Beruf hätten zuwenden können. Aber nachdem Sie nun einmal bei uns sind, dachte ich doch, daß Sie sich für die Arbeit sehr interessieren würden!«

Peter unterdrückte allem Anschein nach ein heftiges Gähnen.

»Ja, ich bin bei der Geheimpolizei aus dem einfachen Grund, weil ich dadurch meinen Lebensunterhalt verdiene. Das ist die ganze Erklärung. Es ist nicht gerade angenehm, wenn man seine Nase in anderer Leute Angelegenheiten stecken soll, und ich kann nicht sagen, daß mich die ganze Sache sehr begeistert. Ich habe mir ja schon gedacht, daß ich diesen Fall übernehmen muß . . . Bis Smith wieder soweit gesund ist, daß er auf der Bildfläche erscheinen kann, wird es immerhin ein paar Wochen dauern – das heißt, wenn er überhaupt wieder gesund wird«, fügte er düster hinzu.

»Seien Sie doch nicht so ein Pessimist«, entgegnete der Vorgesetzte fast ärgerlich. »Und machen Sie sich jetzt an die Arbeit!«

Peter Corelly ging in das Büro von Wilbur Smith, wo er sich den bequemsten Sessel aussuchte. Dort machte er es sich gemütlich und fiel sofort in Schlaf. Drei Beamte kamen herein, sahen ihn und schlichen auf Zehenspitzen wieder hinaus. Als aber Flint selbst zufällig den Raum betrat, wurde er ärgerlich, packte Corelly an der Schulter und rüttelte ihn wach.

»Sagen Sie, was hat das zu bedeuten?« fragte der Chef streng. »Sie treiben Ihre Gleichgültigkeit doch ein wenig zu weit, ich dachte, Sie hätten sich sofort aufgemacht, um die Mörder Ihres Kollegen zu verfolgen.«

Peter blinzelte ihn an, und dann streckte er sich.

»Sie haben vollkommen recht«, entgegnete er ruhig, »aber ich habe die letzten drei Nächte überhaupt nicht geschlafen, weil ich mich bereits mit der Sache befasse. Man kann also wohl annehmen, daß ich etwas müde bin.«

»Wie kommen Sie denn dazu, sich mit der Aufklärung des Falles zu beschäftigen, bevor Sie den Auftrag dazu haben?« fragte Flint erstaunt. »Ich habe Ihnen doch erst heute die näheren Umstände erzählt.«

»Ich verfolge die Geschichte schon über eine Woche«, entgegnete Peter gähnend. »Wenn ich nicht so furchtbar schläfrig gewesen wäre, hätte ich vielleicht Smith noch warnen können. Auf jeden Fall« – er sah nach der Uhr – »passiert in der nächsten Viertelstunde noch nichts. Aber dann habe ich eine Zusammenkunft verabredet.«

Flint schloß die Bürotür.

»Jetzt sagen Sie mir alles, was Sie von dem Fall wissen.«

»Das ist nicht gerade sehr viel«, gestand Peter und schüttelte traurig den Kopf. »Sie sehen, ich habe die Sache von einer anderen Seite aus angepackt als Smith. Ich habe auch die Geldscheine gesehen, die den Stempel des goldenen Hades auf der Rückseite tragen. Die Sache begann etwa vor sechs Monaten. Damals war ich hinter Tony Meppelli her, der bei einem Frühstück einem anderen Desperado einen Dolch zwischen die Rippen jagte und dann verschwand. Um meine Nachforschungen durchführen zu können, war es wichtig, in einer ärmlichen Gegend der Stadt zu wohnen. Ich mietete mir also ein Zimmer. Bei derselben Frau wohnte auch ein Mädchen, die in einer Fabrik arbeitete; schön war sie nicht, ebensowenig interessant, aber man konnte sich auf sie verlassen. Außerdem hatte sie eine optimistische Lebensanschauung, und wenn es überhaupt etwas gibt, was das Leben lebenswert machen kann . . .«

»Hören Sie bloß mit Ihren philosophischen Erörterungen auf«, erwiderte der Chef ärgerlich, »und kommen Sie endlich zu Tatsachen.«

»Das junge Mädchen hieß Madison. Ob der Madison Square nach ihr benannt ist oder umgekehrt, konnte ich nicht herausbekommen. Sie ging eines Abends zur Versammlung einer frommen Gemeinschaft, der sie angehört, aber kaum war sie ein paar Schritte von dem Haus entfernt, als sich ein Mann an sie wandte. Er schien plötzlich aus der Dunkelheit aufzutauchen. Natürlich war sie daran gewöhnt, daß die Männer sie ansprachen, aber sie machte sich weiter nichts daraus. Sie wollte ihm gerade ein paar unfreundliche Worte sagen, als er ihr ein großes Paket in die Hand drückte.

›Mögen die Götter Glück bringen!‹ sagte er leise zu ihr und verschwand wieder in der Dunkelheit. Sie hat sein Gesicht nicht gesehen, aber als ich sie ausfragte, erklärte sie, daß es sich um einen gebildeten Mann handeln müsse. Zufällig kam ich die Treppe herunter, als sie in ihre Wohnung zurückkehrte, und sie erzählte mir damals alles ziemlich genau. Zuerst glaubte ich, man hätte ihr einen Ziegelstein oder eine Bombe in die Hand gedrückt und gab ihr den guten Rat, das Päckchen in mein Zimmer oder vielmehr in mein Atelier zu tragen. Ich spielte dort die Rolle eines armen, aber begabten jungen Malers. Als ich das Packpapier entfernt hatte, entdeckte ich zu meinem Erstaunen, daß vier dicke Stöße Banknoten darin enthalten waren. Jedes Bündel enthielt dreißigtausend Dollar.

Wir sahen uns erstaunt an, dann betrachteten wir verblüfft die Scheine auf dem Tisch.

Als ich sie genauer prüfte, bemerkte ich, daß ein Stempel auf die Rückseite gedruckt war. Er stellte eine Art Götzenbild dar, und die Druckfarbe war später mit Goldbronze eingestäubt worden. Ich sah aber gleich, daß es jemand gemacht haben mußte, der von den Dingen nichts verstand, denn die Umrißlinien waren nicht scharf.«

»War es tatsächlich echtes Geld?«

»Daran war nicht zu zweifeln. Ich bekomme nicht viel Geld in die Finger, aber ich verstehe doch, echtes von falschem zu unterscheiden. Das junge Mädchen war außer sich vor Freude. Sie gehörte zu den einfachen Gemütern, die noch an Wunder glauben. Und nun zeigte sich, daß sie im stillen einen großen Plan gefaßt hatte. Sie wollte ein großes Haus für junge Mädchen bauen, die ihren Lebensunterhalt durch Arbeit verdienen müssen. Ja, auch der Optimismus solcher einfachen Gemüter ist an sich . . .«

»Fangen Sie nur nicht wieder an, dummes Zeug zu faseln. Erzählen Sie Ihre Geschichte weiter«, brummte Flint.

»Sie war fest davon überzeugt, daß ihr diese Gabe vom Himmel zugesandt worden sei, und besprach mit mir schon wichtige Fragen, zum Beispiel, ob die Schlafzimmer weiß gestrichen werden sollten, oder ob sie hellblau hübscher wären. Auf jeden Fall brachte sie das Geld in ihr Zimmer, und ich ging auf die Straße. Ich war sehr überrascht und erstaunt und nahm mir vor, an diesem Abend früh nach Haus zu gehen. Aber ich kam auf die Spur Tony Meppellis. Er hatte ziemlich viel Feuerwasser getrunken und war in großer Fahrt. Ich habe schon häufiger beobachtet, daß die Leute, wenn sie trinken . . .«

»Darauf kommt es jetzt nicht an. Sie sollen mir die Geschichte weitererzählen.«

»Also, es gelang mir damals, Tony zu verhaften und in eine Zelle einzuliefern«, erklärte Peter, der sich nicht so leicht einschüchtern ließ. »Und als ich meine Aufgabe gelöst hatte, kehrte ich zu meiner Wohnung zurück und packte meine Sachen. Ich wollte ausziehen, aber die Nacht noch bequem und in aller Ruhe schlafen.

Es war nahezu ein Uhr, als ich zu meiner Pension zurückkam. Zu meinem Erstaunen sah ich, daß noch Licht in dem Wohnzimmer der Wirtin brannte. Das war mir sehr recht, denn ich mußte doch vor allem meine Rechnung bezahlen. Als ich die Tür öffnete, sah ich das junge Madchen. Sie hatte auf mich gewartet und erzählte mir nun eine sonderbare Geschichte. Ich hatte kaum das Haus verlassen, als ein Auto vor der Tür hielt. Ein älterer Mann stieg aus, der eine schwarze Tasche trug. Er gab sich als Generaldirektor der Nationalbank aus und sagte ihr, daß er durch den Herrn aus dem Schlaf geweckt worden sei, der ihr das Geld gegeben hätte. Der Wohltäter fürchtete, daß sie es verlieren würde, und deshalb habe er ihn geschickt, um das Geld zur Bank zu bringen. Er stellte ihr eine Quittung aus.

Sie zeigte mir ein vorgedrucktes Formular der Bank. Soweit war die Sache in Ordnung; das Papier war auch mit dem Namen des Generaldirektors der Nationalbank unterschrieben. Die Quittung lautete auf hundertzwanzigtausend Dollar.«

Peter machte eine Pause.

»Und was geschah weiter?« drängte Flint.

»Das war das letzte, was ich von dem Geld gehört habe. Auch den Direktor der Nationalbank hat sie nie wieder gesehen.«

»Natürlich war es gar nicht der Direktor«, erwiderte Flint und lächelte.

»Das konnte man sich ja von vornherein denken.«

»Das ist alles sehr sonderbar. Ich verstehe nicht, warum man ihr zuerst das Geld gibt und es ihr später wieder abnimmt. Haben Sie schon eine Lösung gefunden?«

»Ich stelle niemals Theorien auf«, entgegnete Peter. »Dadurch werde ich nur in der Arbeit behindert. Es genügt mir, wenn ich ein paar Tatsachen habe. Und als ich vor etwa einer Woche erfuhr . . .«

Plötzlich hielt er inne und fragte unvermittelt:

»Kennen Sie eigentlich einen gewissen Fatty Storr?«

Der Chef nickte.

»Ja. Fatty ist Engländer. Ziemlich groß, sieht aber ungesund aus, noch viel schlimmer als Sie selbst. Wir kennen ihn sehr gut – bringt gefälschtes Geld unter die Leute. In der letzten Zeit habe ich ihn nicht mehr gesehen. Die Leute nennen ihn Fatty, weil er so mager ist!«

»Man hat ihn in letzter Zeit nicht gesehen, weil er große Schwierigkeiten hat. Vor ein paar Wochen wurde er auf der Straße beobachtet. Er war sehr gut gekleidet, und daraus ging unzweifelhaft hervor, daß er wieder geschäftlich tätig ist. Man sah, wie er vor einem großen Geschäft stand. Er zog eine Banknote aus der Hüfttasche, faltete sie zusammen und steckte sie gleichgültig in die Westentasche. Er wurde beobachtet –«

»Wer hat ihn denn gesehen?« fragte Flint schnell.

»Ich habe ihn gesehen«, entgegnete Peter ruhig, »denn ich beschattete ihn, und das ist natürlich die sicherste Art . . .«

»Warum haben Sie das nicht gleich gesagt?«

»Also, er ging in das Geschäft, machte einen kleinen Einkauf und gab dem Kassierer einen Hundertdollarschein. Es mag sein, daß es einige Zeit dauerte, bis die Banknote gewechselt werden konnte. Vielleicht hat Fatty aber auch irgendeine Bewegung unter den Angestellten falsch aufgefaßt. Jedenfalls verließ er den Laden in großer Eile und ging fort. Als er sich umwandte, sah er aber mich und hörte auf zu gehen.«

»Wartete er auf Sie?« fragte Flint.

Peter schüttelte den Kopf.

»Wenn ich sage, er hörte auf zu gehen, dann meine ich doch, daß er anfing zu laufen. Und das versteht Fatty glänzend. Nach kurzer Zeit verlor ich ihn in einem Labyrinth von kleinen Straßen und Gassen, aber später sah ich ihn wieder. Er sagte, daß er mit einem echten Geldschein gezahlt hätte, und ich brachte ihn zu dem Geschäft zurück.

Zuerst wollte er nicht hineingehen, aber schließlich redete ich ihm gut zu. Wir sprachen mit dem Geschäftsführer. Fattys Schein war bei der Kasse angenommen worden, und ich ließ ihn mir zeigen. Als ich die Note umwandte, sah ich auf der Rückseite den goldenen Hades.

›Das ist ja der Mann‹, sagte der Geschäftsführer. ›Er ist fortgegangen, ohne auf das Wechselgeld zu warten. Hat er den Schein gestohlen?‹

›Ist er gefälscht?‹ erkundigte ich mich.

Das wurde vom Geschäftsführer verneint. ›Es kommt ja nicht häufig vor, daß bei uns mit einer Hundertdollarnote bezahlt wird; aber wir haben unsere Methoden, Banknoten zu prüfen. Der Schein ist echt.‹«

»Aber das wird ja immer verwirrter und unheimlicher«, sagte Flint verzweifelt. »Wie erklären Sie sich denn die ganze Sache?«

»Das kann ich im Augenblick noch nicht sagen, das will ich ja erst noch herausbringen. Am meisten erstaunt war Fatty selbst. Er wäre beinahe ohnmächtig geworden, als er erfuhr, daß er echtes Geld unter die Leute gebracht hatte. Ich nahm ihn zur Polizeistation mit, aber unterwegs verlor er die Fassung und fing an, zu weinen und zu heulen wegen der vielen hunderttausend Dollar, die er einem kleinen Jungen gegeben hatte.«

»Dann haben Sie sich also schon länger mit der Sache beschäftigt?« fragte Flint erstaunt.

»Ja, nun haben Sie es richtig erfaßt. Daß Fatty nichts weiter sagen wollte, ist wohl selbstverständlich, aber er verlangte dringend, entlassen zu werden. Er wollte den Jungen suchen, dem er die vielen Banknoten gegeben hatte. Als er sah, daß ich ihn verfolgte, glaubte er, daß es sich um falsches Geld handelte. Ich wollte ihn heute hierher ins Präsidium bringen, damit Wilbur Smith ihn verhören könnte. Ich glaube auch, daß die Beamten von der Polizeistation ihn inzwischen hier abgeliefert haben.«

»Dann sehen Sie einmal nach, wo er jetzt steckt. Und wenn er hier sein sollte, bringen Sie ihn zu mir.«

Peter nickte und ging zu der Zelle, in die man Fatty gebracht hatte.

Fatty sah verwahrlost aus; die Tage der Haft hatten ihn schwer mitgenommen.

Der Mann hatte eine niedrige Stirn und trug das graue Haar zurückgebürstet. Er saß auf einem Stuhl, aber zu beiden Seiten stand ein Polizeibeamter. Als Peter erschien, sah Fatty ihn düster an.

»Sie haben mich jetzt lange genug gefangengehalten. Dazu haben Sie überhaupt kein Recht. Ich bin englischer Untertan und ich werde mich beim englischen Gesandten über die Art und Weise beschweren, wie Sie mich behandelt haben, Sie gemeiner Schuft!«

»Aber Fatty«, erwiderte Peter vorwurfsvoll, »können Sie sich denn nicht einmal anständig benehmen? Kommen Sie mit, der Chef will Sie sprechen. Dem können Sie alles erzählen. Der ist auch eher geneigt, Sie milder zu behandeln als ich, denn der hat eine Familie und Kinder.«

Fatty machte ein böses Gesicht, folgte aber schließlich den Wärtern, die ihn zu Flints Büro brachten.

»Hier ist der Kerl«, sagte Peter.

Flint nickte dem Gefangenen zu. Er kannte ihn schon seit vielen Jahren.

»Beobachten Sie doch die unzulängliche Entwicklung der Stirn, die Verlagerung der Schläfen und die allgemeine Form des Wasserkopfes . . .«

»Die Vorlesung über Anthropologie können Sie später halten, wenn ich nicht dabei bin«, versetzte Flint. »Also, mein Junge, jetzt wollen wir uns mal ein wenig unterhaken. Wir haben Sie mit dem Geld geschnappt, das Sie gestohlen haben . . .«

»Was wollen Sie?« unterbrach ihn der Gefangene heftig. »Was für gestohlene Sachen hatte ich denn? Das Geld, das ich bei mir hatte, war vollkommen echt, Sie können mir nichts anhaben, weil ich echtes Geld ausgegeben habe.«

»Deshalb machen wir Ihnen keinen Vorwurf. Aber wir können Sie verhaften, weil Sie im Besitz einer großen Geldsumme waren. Es kommt nicht darauf an, ob es sich um echte oder gefälschte Banknoten handelt, sondern darauf, daß Sie vermutlich nicht auf ehrliche Weise in den Besitz dieser Summe gekommen sind.«

»Wir kennen Sie nur zu genau«, fügte Peter hinzu, »und wir wissen, daß Sie nicht imstande sind, Geld im Schweiße Ihres Angesichts zu erarbeiten. Sie schwitzen höchstens, wenn Sie davonlaufen.«

»Also, Fatty, erzählen Sie schon alles, was Sie wissen. Sonst werden Sie noch wegen Mordes angeklagt.«

»Ich habe niemand ermordet«, erwiderte der andere erschreckt.

»Ja, das können Sie leicht sagen, aber an dem Geld, das Sie in der Tasche hatten, klebt Blut.«

»Das wollen Sie mir nur weismachen«, entgegnete der Gefangene ungeduldig.

»Nein, durchaus nicht. Der Chef spricht ganz offen mit Ihnen. Soviel wir bis jetzt herausbekommen haben, handelt es sich um zwei, vielleicht auch um mehr Morde, die mit diesem Geld in Zusammenhang stehen. Aber das wußte ich noch nicht, als ich Sie verhaftete. Also machen Sie weiter keinen Unsinn, und sagen Sie alles, was Sie wissen. Ich möchte Ihnen von vornherein erklären, daß wir die Mitteilungen haben müssen, ganz gleich, ob Sie wollen oder nicht. Sie sind doch ein vernünftiger Mann und wissen ganz genau, daß weder der Chef noch ich Ihnen etwas vormachen wegen der Morde.«

»Was wollen Sie denn wissen?« fragte der Gefangene, nachdem er einen Augenblick nachgedacht hatte.

»Vor allem sagen Sie uns, wie Sie in den Besitz des Geldes gekommen sind und was passierte, als ich hinter Ihnen her war?«

Fatty sah die beiden Beamten argwöhnisch von der Seite an. Er hatte seine Erfahrungen mit der Polizei und war ziemlich schlau und gerissen.

»Nun gut, ich werde Ihnen alles sagen, was ich weiß, aber ich verpfeife niemand – das heißt niemand, der ähnliche Geschäfte betreibt wie ich.«

Der Chef nickte.

»Sie brauchen nicht zu fürchten, daß ich Sie frage, woher Sie Ihr Falschgeld beziehen.«

»Gut, dann ist die Sache in Ordnung«, erwiderte der Mann erleichtert. »Ich bekomme mein Geld von einem bestimmten Mann. Wir treffen uns an einer verabredeten Stelle, und er gibt mir die Banknoten zusammengebündelt. In jedem Paket sind zweihundert Scheine. Wenn ich Geld brauche, schicke ich ihm einen Brief, dann trifft er mich nachts in einem abgelegenen Vorort von New York an einer Stelle, wo nicht viele Polizisten Wache halten und wo ich unbekannt bin. Ich muß Ihnen das noch genauer erklären, sonst hat die ganze Geschichte, die ich berichten kann, keinen Wert. Vor etwa einer Woche habe ich dem betreffenden Mann geschrieben, einen Tag vor meiner Festnahme.

Der Geschäftsgang, der sich im Laufe der Jahre herausgebildet hat, ist folgender:

Ich schicke ihm echtes Geld, er kommt dann an den Treffpunkt und gibt mir das gefälschte. Manchmal machen wir es auch anders. Wenn jemand von der Polizei in der Nähe ist, gehen wir die Straße weiter, und zwar immer in nördlicher Richtung, dann können wir uns beide später immer wieder finden.

Als ich nun letzthin zu der Stelle kam, wo ich meinen Geschäftsfreund treffen wollte, stand dort ein Polizist. Verabredungsgemäß ging ich weiter nach Norden zu. Ich bin etwa eine Meile gegangen, aber ich konnte nichts sehen. Ich habe den Eindruck, daß wir uns nicht getroffen haben, weil zuviel Leute auf der Straße waren. Schließlich kam ich zu einer ziemlich einsamen Stelle und ging an einer hohen, glatten Mauer entlang. Dort blieb ich stehen. Ich dachte, daß mein Freund wahrscheinlich hinter mir herkäme. Ich wartete ungefähr fünf Minuten und hielt scharf Ausschau nach der Polizei. Plötzlich hörte ich auf der anderen Seite der Mauer ein Geräusch, als ob die Sehne eines Bogens losgelassen würde, dann fiel etwas zu meinen Füßen nieder.«

Er machte eine eindrucksvolle Pause.

»Was war es denn?« fragte Peter Corelly.

»Ein Pfeil, und zwar ein kurzer, stumpfer Pfeil, wie man sie im Völkerkundemuseum findet. Ich hob ihn auf und sah, das ein kleines Päckchen daran festgebunden war. Kurz entschlossen riß ich die Schnur ab und ging zur nächsten Lampe, um zu sehen, was das Paket enthielt – ich fand das Geld darin.«

»War sonst nichts in dem Päckchen enthalten?«

Fatty schüttelte den Kopf.

»Ich dachte bestimmt, daß es das Falschgeld wäre, das mir mein Freund über die Mauer herüber zugeworfen hätte, ging also geradeaus weiter, bog um eine Ecke und sah, wie zwei Männer aufeinander einschlugen.«

»Jetzt kommt ein interessanter Teil«, sagte Peter nachdrücklich. »Ich vermutete schon, daß Sie die beiden treffen würden, die miteinander kämpften.«

»Ich wollte vor allem nicht in Händel verwickelt werden und ging daher auf die andere Straßenseite.«

»Wie der Pharisäer in der Bibel«, murmelte Peter.

»Unterbrechen Sie ihn nicht dauernd, Corelly«. entgegnete der Chef. »Fatty, fahren Sie fort.«

»Dann hörte ich, wie mein Name gerufen wurde, und wer war es wohl, der mich rief?«

»Ihr Freund, der Ihnen das Falschgeld bringen wollte«, erklärte Peter. »Ich kenne ihn. Es ist ein gewisser Cathcart.«

Fatty sah ihn furchtsam und erschrocken an.

»Machen Sie sich weiter keine Sorgen, ich weiß, daß es Cathcart war, weil er am nächsten Morgen halbtot von der Polizei an der Grenze von Jersey City gefunden wurde. Wie er dorthin gekommen ist, wissen die Kerle, die ihn niedergeschlagen haben, am besten. Nun, was haben Sie dann getan?«

»Ich machte, daß ich verschwand«, sagte Fatty kurz. »Ich war jedenfalls nicht daran beteiligt, ich wollte damit nichts zu tun haben.«

»Also, dann wäre die Sache erledigt«, meinte der Chef. »Was haben Sie mit dem Geld gemacht?«

»Ich gab es einem Jungen, als ich vor Mr. Corelly fortlief. Ich sage Ihnen die reine Wahrheit. Als ich die Straße entlangeilte, überholte ich ihn. Er trug eine große Tasche an einem Riemen über die Schulter; sie sah aus wie ein Postsack, in dem die Briefe aus den Kisten abgeholt werden. Ich stopfte ihm das Bündel Banknoten in die Tasche und sagte, er solle es zu seinem Vater bringen. Und wenn ich diese Minute tot umfallen soll, das ist die Wahrheit.«

»Würden Sie den Jungen wiedererkennen?«

»Selbstverständlich«, erwiderte Fatty verächtlich. »Glauben Sie denn, ich laufe mit geschlossenen Augen herum?«

Flint sah zu Peter hinüber.

»Nun, Corelly, was halten Sie von der Sache? Glauben Sie die Geschichte?«

Peter nickte.

»Ja, meiner Meinung nach ist das wirklich alles passiert. Aber ich warne Sie, Fatty, Sie sind in großer Gefahr. Wenn Sie ohne polizeilichen Schutz in New York herumlaufen, werden Sie wahrscheinlich ermordet werden.«

Fatty sah ihn bestürzt und verängstigt an.

»Sie wollen mir nur Angst machen«, protestierte er.

Peter schüttelte den Kopf, ging zur Tür, öffnete sie und rief den Polizisten, der den Mann von der Wache zum Polizeipräsidium gebracht hatte.

»Bringen Sie ihn zur Wache zurück und entlassen Sie ihn, wann er es will. Vielleicht ist es besser, wenn Sie bis zum Einbruch der Dunkelheit warten. Ich gebe Ihnen den Rat, Fatty, New York so schnell wie möglich zu verlassen.«

Fatty sah den Detektiv an und lächelte dann.

»Ich weiß schon, was Sie wollen«, entgegnete er ironisch. »Aber ich bleibe so lange in New York, bis ich die hundert Dollar zurückbekomme.«

»Das ist die größte Dummheit, die Sie machen können«, sagte Peter und schloß die Tür hinter ihm.

»Was werden Sie nun unternehmen?« fragte der Chef.

»Ich warte auf die nächsten Ereignisse. Es wird sehr bald etwas passieren. Die Sache ist noch lange nicht zu Ende, und –«

Telefonklingeln unterbrach ihn. Flint nahm den Hörer ab.

»Wer ist da?« fragte er und runzelte die Stirn. Dann hörte er einige Zeit zu, was von der anderen Seite gesagt wurde. »Wann war das . . .? Wo . . .? Hat denn der Geschäftsführer Sie nicht erkannt? Ich werde einen Beamten schicken, der die Sache in Ordnung bringt.«

Er legte den Hörer auf und sah zu Peter hinüber.

»Kennen Sie Miss Jose Bertram?«

»Sie meinen die Tochter des großen Bankiers?« fragte Peter. »Ja, die kenne ich, soweit es einem gewöhnlichen Menschen vergönnt ist, ein Mitglied der oberen Vierhundert zu kennen. Aber warum fragen Sie danach?«

»Sie wurde im Augenblick von dem Privatdetektiv der Firma Rhyburn verhaftet.«

»Wie kommen denn die Idioten darauf, sie zu verhaften?« erwiderte Peter erstaunt. »Man ist doch nicht so dumm, die Tochter des reichen Bertram zu verhaften! Was soll sie denn getan haben?«

»Sie soll versucht haben, eine gefälschte Hundertdollarnote zu wechseln.«


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