Edgar Wallace
Der Goldene Hades
Edgar Wallace

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7

Frank Alwin mußte geschlafen haben, nachdem die Leute fortgegangen waren. Er wachte mit Kopfschmerzen auf und fühlte sich furchtbar hungrig. Als er sich erhob, schmerzte sein ganzer Körper, aber er war jetzt doch bedeutend kräftiger.

Allem Anschein nach waren die Leute zurückgekehrt, während er schlief, denn auf dem Tisch stand ein großes Paket Schiffszwieback, Käse und eine Flasche Bier. Selten hatte es ihm besser geschmeckt.

Als er sich genauer umsah, entdeckte er auch das Bad. In dem Raum stand ein Schrank mit Wäsche, und darunter fand er auch Badetücher. Langsam und vorsichtig entkleidete er sich, und nachdem er ein nicht zu heißes Bad genommen hatte, war er gestärkt und erfrischt. Seine Taschen waren durchsucht worden, trotzdem hatte man ihm die goldene Uhr gelassen. Die Zeiger wiesen auf zwölf. Er wußte aber nicht, ob es Mittag oder Mitternacht war, denn kein Tageslicht fiel in diesen unterirdischen Raum. Nur eine elektrische Birne brannte an der Decke.

Die nächsten Stunden brachte er damit zu, sein Gefängnis genauer zu untersuchen, und machte dabei ein paar interessante Entdeckungen. Eine kleine Öffnung vom Badezimmer aus führte zu einem nicht allzu großen quadratischen Raum, der keinem besonderen Zweck zu dienen schien. Er hatte auch keinen Ausgang, wenigstens erschien es Alwin so. Aber in dieser Annahme irrte er sich. In einer der Wände befand sich eine Schiebetür, die allerdings jetzt geschlossen war. Der Raum war nur eineinhalb Meter im Quadrat und besaß keine Beleuchtung. Er überlegte sich, wozu dieses Zimmer dienen mochte. Zuerst hielt er es für einen Vorraum, aber dann sah er, daß es ein großer Luftschacht war. Ein reichlicher Strom frischer Luft kam von oben und machte den Kellerraum, in dem Alwin gefangensaß, überhaupt erst bewohnbar.

Er erinnerte sich jetzt daran, daß die Luft dumpf und abgestanden war, als er in den Keller getragen wurde. Erst später hatte sich das gebessert; wahrscheinlich hatten die beiden Männer die Tür zu dem Ventilationsschacht nachher geöffnet.

Er tastete an den Wänden entlang, und plötzlich fühlte er eine starke Eisenstange, die quer von einer Mauer zur anderen reichte, weiter oben eine zweite und eine dritte. Es war nicht nur ein Ventilationsschacht, man konnte auf diese Weise auch den Kellerraum verlassen. Er begann also unter Aufbietung aller Kräfte nach oben zu steigen; während er hinaufkletterte, zählte er die einzelnen Sprossen.

Zuerst war er skeptisch, denn die unterste Stange schien nicht ganz fest in der Mauer zu sitzen, aber weiter oben waren die Stangen vollkommen fest. Nachdem er achtundzwanzig Sprossen hinaufgeklettert war, faßte er mit der Hand ins Leere; erst als er weiter um sich tastete, entdeckte er eine kleine steinerne Plattform und kletterte darauf. Sie war dreieckig und bot gerade genug Raum, daß er sich hinsetzen konnte. Er suchte die Wand hinter sich ab und fand eine hölzerne Tür. Sie war sehr niedrig, aber man hätte hindurchkriechen können, wenn sie geöffnet gewesen wäre; leider war sie fest verschlossen. Rein instinktiv wußte er, daß das der einzige Ausweg war. Aber ohne Hilfe von außen hatte es keinen Zweck, weitere Anstrengungen zu machen.

Nach einer Weile suchte er mit seinen Beinen im Dunkeln wieder nach den eisernen Sprossen und stieg in den Keller hinunter. Er war schwach und müde, und als er sein Gefängnis glücklich wieder erreicht hatte, mußte er sich eine Stunde ausruhen, ehe er einen weiteren Versuch unternahm. Für gewöhnlich trug er einen Schlüsselring in der Tasche, aber der war ihm abgenommen worden. Auch eine Durchsuchung des ganzen Kellerraums förderte nichts zutage, was irgendwie einem Schlüssel ähnlich sah.

Einige Zeit später machte er seine zweite Entdeckungsreise und nahm diesmal die untere Eisenstange mit, die er aus der Wand gezogen hatte. Es war eine lange, mühevolle Arbeit, bis er die Tür aufgebrochen hatte, aber schließlich gelang es ihm. Nachdem er hindurchgekrochen war, befand er sich in dem Raum zwischen dem niedrigen Dach und der Decke des obersten Stocks. Am Rand des Daches konnte er durch eine Luke den grünen Rasen unten sehen. Plötzlich hielt er auf seinem Erkundigungsgang inne und lauschte. Er hörte Stimmen. Das mußten die beiden Männer sein, die ihn gefangengenommen hatten. Hastig kletterte er wieder in den Keller hinunter. Kaum lag er auf dem Bett, so öffnete sich die Tür, und die beiden traten ein. Einer trug ein Tablett mit Speisen, der andere setzte zwei Flaschen Bier auf den Tisch. Die Gesichter der beiden waren wie am vorigen Abend mit Taschentüchern verdeckt.

»Hallo«, sagte der eine, und Frank erkannte an der Stimme Tom. »Nun, wie geht es Ihnen jetzt?«

»Ich fühle mich ganz gut«, erwiderte Frank.

»Hoffentlich bleibt es so«, meinte der andere düster. »Hier haben wir Essen für Sie auf den Tisch gestellt.«

Tom sah sich im Zimmer um, dann betrachtete er Alwin.

»Haben Sie den Weg ins Badezimmer gefunden? Ich möchte Ihnen übrigens etwas sagen, junger Mann.« Seine Stimme war ernst und klang fast drohend. »Sie befinden sich in einer sehr schwierigen Lage, und wenn Sie lebendig hier herauskommen sollten, dann haben Sie Glück. Eigentlich müßten Sie längst tot sein, und wenn Rosie – wenn ein Freund von mir nicht eine solche Dummheit gemacht hätte . . .«

»Es hat wohl keinen Zweck, Ihnen zu sagen, daß Sie ein sehr schweres Verbrechen begangen haben«, unterbrach ihn Frank.

»Hören Sie mit dem Unsinn auf. Sie sollten sich vielmehr darüber klar sein, daß vielleicht ein noch schwereres Verbrechen begangen wird. Noch sind Sie am Leben, und Sie sollten eigentlich alles daransetzen, daß dieses Abenteuer nicht mit Ihrem Tod endet. Sie sind doch ein guter Freund von Wilbur Smith? Also können Sie ihn doch leicht überreden, daß er sich nicht mehr mit dem goldenen Hades befassen soll. Auch er lebt noch . . .«

»Wie meinen Sie das?« fragte Frank. »Sie haben doch nicht etwa gewagt –«

»Regen Sie sich nicht auf. Natürlich haben wir es gewagt. Wir haben unsere Pläne beinahe durchgeführt, und wenn Rosie – wenn nicht einer von uns einen groben Fehler gemacht hätte, dann wäre auch niemand verletzt worden. Smith weiß eine ganze Menge, und wenn er schwierig wird und sich mit den Angelegenheiten des Schatzamts befaßt, müssen wir natürlich Gegenmaßnahmen ergreifen. Aber soweit darf es gar nicht erst kommen. Es wäre also das beste, wenn Sie ihm schrieben. Sagen Sie ihm in dem Brief, sie würden alles erklären, wenn Sie ihn wiedersehen könnten. Teilen Sie ihm auch mit, daß es Ihnen jetzt ganz gut geht. Er soll mit weiteren Maßnahmen so lange warten, bis Sie ihn gesehen haben. Die Banknoten wollen wir ja gar nicht, außerdem sind sie nicht mehr in seinem Besitz. Wir wollen nur, daß er seine Nachforschungen nicht fortsetzt. Mr. Alwin, Sie sind ein vernünftiger Mann. Wollen Sie Ihrem Freund das schreiben?«

Frank schüttelte den Kopf.

»Nein«, erklärte er entschieden. »Wilbur Smith soll ruhig die Verfolgung Ihrer Bande wieder aufnehmen. Wenn Sie ihn in Ihrer Gewalt hatten und am Leben ließen, wird Ihnen das noch sehr leid tun.«

Der andere sah ihn lange und durchdringend an.

»Nun gut, ich habe noch niemand kaltblütig umgebracht, aber vielleicht sind Sie der erste.«

Dann wandte er sich um und ging zu einem der Kästen, in dem der andere schon herumkramte. Leise wechselten sie beim Hinausgehen ein paar Worte. Frank verstand nur: »Um neun Uhr nach der Sitzung.«

Frank aß von den Speisen, denn er war sehr hungrig. Dann wartete er, bis es vollkommen ruhig geworden war, stieg wieder die Leiter hinauf und durchsuchte das niedrige Dach. Aber nirgends fand er einen Ausweg.

Eine Möglichkeit gab es allerdings, und Frank war fest entschlossen, es mit ihr zu versuchen. Den ganzen Nachmittag arbeitete er so angestrengt, wie er es noch nie in seinem Leben getan hatte. Der Kopf, die Arme und Beine schmerzten, als er um sieben Uhr in den Kellerraum zurückkehrte und sich müde und vollkommen erschöpft aufs Bett legte.

Die Hauptschwierigkeit für ihn lag darin, daß er nicht einschlafen durfte. Trotzdem war er bereits im Halbschlaf, als er ein Klopfen über seinem Kopf hörte und wach wurde. Er lauschte angestrengt. Das Geräusch konnte nicht von der Tür kommen, auch nicht von der Eisenleiter. Einen Augenblick zögerte er, dann zog er seine Schuhe aus, kletterte den Schacht in die Höhe, kroch durch die zertrümmerte, niedrige Tür, legte sich auf den Boden und preßte das Ohr auf die Dielen.

Bisher hatte er gezögert, die Decke des ersten Stocks zu zerstören, denn er wußte, daß er unweigerlich entdeckt werden würde, wenn der Putz von der Decke herunterfiel und sich andere Leute im Zimmer unten aufhielten. Aber jetzt war seine Neugierde zu groß geworden. Er suchte in seinen Taschen und fand einen Bleistift. Vorsichtig entfernte er ein Brett, das auf dem Fußboden lag, dann bohrte er mit dem Bleistift ein Loch in die verhältnismäßig dünne Putzdecke, so daß er nach unten sehen konnte. Er entdeckte aber nichts als einen Teil des mit schwarzen und weißen Fliesen belegten Bodens. Darauf vergrößerte er das Loch und gab sich alle Mühe, zu verhindern, daß der Putz nach unten fiel. Ab und zu hörte er auf zu arbeiten und lauschte, aber er konnte kein Geräusch vernehmen. Nach und nach erweiterte er das Loch in der Decke derartig, daß es beinahe so groß war wie seine Hand. Dann hörte er plötzlich Schritte in dem unteren Raum und verhielt sich ganz ruhig. Jetzt konnte er alles deutlich erkennen. Unter ihm befand sich ein kleiner Saal; die Decke wurde durch zwei Reihen korinthischer Säulen gestützt, die sich von einem Ende des Raumes bis zum anderen hinzogen. Der hinterste Teil war durch einen langen Samtvorhang abgetrennt. Auf einem Marmorunterbau stand eine kleine Statue, die durch ein weißes Seidentuch verdeckt war.

Während er noch alles genau betrachtete, öffnete sich plötzlich der dunkelblaue Samtvorhang, und zwei Männer traten ein. Von Kopf bis Fuß waren diese in lange, braune Kutten gekleidet, ihre Köpfe waren in Mönchskapuzen verborgen. Frank betrachtete sie erstaunt. Sie näherten sich dem Marmorunterbau in großer Verehrung, legten die Hände zusammen und neigten die Köpfe. Langsam gingen sie vorwärts, bis sie dicht vor dem Marmorunterbau standen. Der erste der beiden, der auch der größere war, ließ sich auf die Knie nieder, der zweite näherte sich dem Sockel und nahm das weißseidene Tuch von der Statue.

Frank erschrak, denn als das Tuch gelüftet wurde, zeigte sich ein goldenes Bild auf dem Altar. Er irrte sich nicht, es war der goldene Hades mit einem Dreizack in der Hand.


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