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Nachwort

Heinrich Suso Waldeck
Persönlichkeit und Dichter

Von Dr. Viktor Suchy

Wenn wir dem vorliegenden Auswahlband aus der Prosa Heinrich Suso Waldecks den bescheidenen Untertitel »Erzählungen« geben, so mag dies manchem nicht ganz zutreffend erscheinen. Sie wären eher geneigt, Susos erzählende Stücke der kleinen Prosa zuzuordnen, da vieles in ihnen aus dem Bereiche des Aperçu und der Humoreske kommt. Trotzdem wollen wir es dabei bewenden lassen, da gerade in unserem Dichter so viel vom wirklichen Erzähler steckt, daß es manchesmal, um mit Rudolf Henz zu reden, nur »an dem Quentchen epischer Luft« fehlte, das ihn zu einem unserer größten Humoristen im Sinne Jean Pauls gemacht hätte.

So wie der Dichter in seinem Roman »Lumpen und Liebende« nach der schönen Charakteristik Josef Nadlers »mit dem Schleppnetz Gottes Gewimmel aus dem Großstadtgewässer Wiens, Käuze, Schufte und Engel fischt, alles Menschen und miteinander die Schöpfung, Geglückte und Mißratene«, so versuchen wir, aus der Schaffensflut des Dichters die Exemplare herauszuheben, die aneinandergereiht einen Querschnitt durch die gütige, vom Humor und der Satire durchblitzte Welt des Dichters geben. So enthält denn der Band Stücke aus den Märchen, darunter das bisher unveröffentlichte »Märchen vom Kirschenfresser«, vier in sich abgeschlossene Kapitel aus dem Roman »Lumpen und Liebende«, die bezaubernde Jugenderinnerung »Marguerite«, die Skizzen und Humoresken »Kunst um Mitternacht«, »Die Brüder Vogel« und »Der blaue Erdbeerkranz« sowie die Novelle »Der Weg zu ihrem Sohn«, die die Urform zu dem im Nachlaß des Dichters aufgefundenen Romantorso »Schloß Otten« darstellt, der später vielleicht den Titel »Tanz im Pelz« hätte tragen sollen. Auch »Der blaue Erdbeerkranz« ist ein Stück aus dem Nachlaß des Dichters.

Daß der liebenswerte Dichter, der uns aus seinem Werke anblickt, die Wiedergeburt der geliebten Heimat nicht mehr erleben durfte, erfüllt seine Gemeinde mit Trauer. Am 4. September 1943, vor seinem siebzigsten Geburtstag, hat ihn Gott abberufen aus einem Leben, das zuletzt ein Übermaß von Schmerzen und Bresthaftigkeit in sich barg. Für sie, die ihn kannten, und mehr noch für jene, die ihn kennenlernen sollen, sei eine kurze Skizze dieses Dichterlebens entworfen.

Des Dichters bürgerlicher Name ist Augustin Popp. Er kam am 3. Oktober 1873 in Wscherau bei Pilsen als ältestes Kind des Schullehrerpaares zur Welt. Die Vorfahren des Vaters waren Bauern des Egerlandes, der Vater der Mutter war Wunderarzt in Wscherau, der sich Waldek schrieb, die alle aus dem Oberösterreichischen stammten, wo die Seinen Lehrer und Kaufleute waren. Darüber berichtet uns der Biograph Susos, Franz Ser. Brenner, in einer kürzlich veröffentlichten biographischen Studie. »Die Furche«, Nr. 35, vom 31. August 1946. Der begabte Knabe kam in das Gymnasium von Pilsen, das sich gerade damals zur Fabriksstadt entwickelte. Dort mag der Keim sozialen Empfindens, für das später so manches Gedicht Zeugnis ablegen sollte, in das Herz Augustin Popps gelegt worden sein. Nach allerlei tollen Knabenstreichen gelang ihm nach seinen eigenen Worten, die »Überwindung« des Gymnasiums »und der junge Augustin begann, wie sein großer Namenspatron, vorerst ein flottes Weltleben«. Da erschütterte ihn die Missionspredigt eines Redemptoristen und er trat im Sommer 1895 in ihr Kloster zu Eggenburg in Niederösterreich ein. Nachdem er die einfachen Ordensgelübde abgelegt hatte, begann er in Mautern in der Steiermark das Studium der Theologie. Zur Erntezeit des Jahres 1900 steht Augustin Popp als geweihter Priester am Altare des Herrn. Im gleichen Jahre hatte der Tod seinen Vater in die Ewigkeit heimgeholt. »Nach dreijähriger Tätigkeit als Lehrer im Redemptoristenseminar zu Katzelsdorf bei Wiener Neustadt und an anderen Orten kam er nach Wien«. Schon damals merkte er, »daß er den Anforderungen des strengen Ordenslebens nicht gewachsen war. Arzt und Seelenführer rieten ihm, in Rom um Dispens von den strengen Ordensgelübden nachzusuchen. Bevor noch die Erledigung kam, brach der Priesterdichter seelisch zusammen. In den folgenden Jahren wirkte er als Seelsorger im Viertel unter dem Manhartsberge«. Das Wanderblut, das von seinem Großvater her in ihm lebendig war und von dem unsere Erzählung »Marguerite« ein dichterisches Zeugnis ablegt, war auch in Augustin Popp lebendig. Im Jahre 1906 ging er aus der Wiener Erzdiözese als Kaplan nach Steiermark. Allerlei Mißverständnisse bewogen ihn, sich nach Sachsen um Aufnahme als Seelsorger zu wenden. Als sein Gesuch unerledigt blieb, ging er einfach durch und lebte nun von 1906 bis 1913 in Dresden als freier Schriftsteller. Diese Zeit, die der Dichter später selbst als seine »wirre Zeit« bezeichnete, ist für den Biographen reichlich dunkel und wir wissen nicht, ob sie jemals wird ganz aufgehellt werden können. 1913 ist Augustin Popp wieder in Wien und vorerst als Redakteur beim »Neuigkeits-Weltblatt« tätig. Die Hilfe seines Studienfreundes Prof. Dr. Franz Luger ermöglicht es ihm, von 1918 an wieder hauptamtlich in der Seelsorge zu wirken. Er ist Kooperator in der Pfarre St. Othmar im dritten Wiener Bezirk und erteilt Religionsunterricht an einer Mittelschule. Da seine Gesundheit noch immer nicht die beste ist, tritt er im Jahre 1924 als Kooperator offiziell in den Ruhestand, bleibt aber weiterhin Seelsorger bei Klosterfrauen und im Lainzer Krankenhaus.

In diesen Jahren wurde der Lyriker Augustin Popp entdeckt. »Der Germanist Dr. Fritz Michaelis, der an der gleichen Schule wie Suso unterrichtete, gewann das Vertrauen des verschüchterten Dichters. Dr. Oskar Kotann, Dr. Hermann Goja und Dr. Franz Luger bewogen ihn, seine Gedichte, die sie, und manch andere im Laufe der Jahre gesammelt hatten, herauszugeben.« Im Jahre 1926 erschien in der Offizina Vindobonensis der erste Gedichtband » Die Ant1itzgedichte«. Der bescheidene Augustin Popp nannte sich in Verehrung für den großen Mystiker als Dichter Heinrich Suso und fügte den Geburtsnamen seiner geliebten Mutter, Waldeck, hinzu. Die Stadt Wien verlieh ihm ihren Lyrikpreis und mit einem Male war der Dichter bekannt geworden und versammelte in der Leostube, im Kaffee Fichtehof, durch Jahre hindurch allwöchentlich seine Getreuen. Ein Kreis namhafter Dichter, Schriftsteller und Musiker, Bildhauer, Maler und Kunstfreunde versammelte sich hier und diente der heiligen Flamme der Kunst. Bedeutende Persönlichkeiten wurden in diesen Kreis geladen, und wenn wir die Bücher der Leostube durchblättern, so lesen wir unter den vielen Namen die Eintragungen von Theodor Csokor, Siegfried Freiberg, Gertrud von Le Fort, Paula Grogger, Rudolf Henz, Franz Krieg, Josef Lechtaler, Rudolf List, Erika Mitterer, Josef Mumbauer, Friedrich Muckermann, Paula von Preradovic und viele, viele andere. 1930 erscheint der Roman » Lumpen und Liebende«, 1933 das Märchenbuch » Hildemichel« und im gleichen Jahre die Krönung des lyrischen Werkes: » Die milde Stunde«. Bald war Heinrich Suso Waldeck als Mitarbeiter der verschiedenen Blätter und Zeitschriften gesucht und sein Urteil in literarischen Dingen hatte Gewicht.

Viele Arme, aber auch viele Spekulanten suchten den Dichter auf. Manchmal konnte er in diesen Jahren Bedürftigen durch seine Beziehungen zu den verschiedensten Menschen Arbeit und Brot verschaffen. Fast ununterbrochen hielt ihn die Krankheit in den Klauen der Qual. Bei Zigaretten und schwarzem Kaffee trotzte er seinem bresthaften Körper seine Werke ab. Noch manches Buch hat der Staatspreisträger Suso Waldeck geplant. Da brach das Jahr 1938 herein und brachte ein jähes Ende. Der Dichter, der jahrelang der Träger der »Geistlichen Stunde« in der Ravag war, wurde von diesem Institut gekündigt. »Ein förmlicher Verfolgungswahn ließ ihn gesundheitlich neuerdings zusammenbrechen.« Finanziell ausgeblutet, denn die Gelder des Staatspreises waren an Bedürftige und Arme verteilt, fand der Dichter Zuflucht bei den Klosterfrauen in der Kaiserstraße und später in deren Filiale in St. Veith im Mühlkreis ein neues Heim. Tante Marcsa (Fräulein Maria Sipöcz) mühte sich von Wien aus und Schwester Lioba war in rührender Weise um den Kranken besorgt. Die tatkräftige Hilfe Kardinal Innitzers, »die meist durch Dr. Franz Jesinger erfolgte, der auch im Auftrage des Oberhirten das Grab des Dichters segnete«, und die Bemühungen des treuen Freundes Ernst Scheibelreiter sicherten ihm die Existenz. So schön man ihm aber auch das Leben in St. Veith machte, so furchtbar litt der Dichter, der die künstlerische Aussprache zu seinem Schaffen brauchte wie einen Bissen Brot, unter der Vereinsamung. Nur ganz selten konnte er ein literarisches Gespräch führen und der Krieg zerriß manche liebgewordene Verbindung. Das schwere Leiden des Dichters nahm seinen unerbittlichen Fortgang und nach einem unendlich harten Todeskampf legte der fast Siebzigjährige seine Dichterseele in die Hände des Todesengels, der sie am 4. September 1943 unserer irdischen Zeitrechnung vor das gütige Antlitz Gottes des Ewigen zurückbrachte.

Überblickt man das vorliegende Gesamtwerk unseres Dichters, so scheinen sich, gemessen an der Bandzahl, die lyrischen und epischen Werke die Waage zu halten. Der Dichter ist aber viel mehr Lyriker als Epiker gewesen und hat, wie andere junge Leute auch, früh begonnen, seine Verse zu schreiben. Was ihn von seiner Generation scheidet, ist die künstlerische Formzucht und sein sprachliches Verantwortungsgefühl, die ihm erst ein Menschenalter später erlauben, seine Verse der Öffentlichkeit zu übergeben. Da hat jedes seiner Gedichte seinen eigenen Duft und seine eigene Witterung. Da steht, wenn ich so sagen darf, jede Verszeile in dem ihr zugemessenen seelischen Raum. Suso Waldeck war sich der Macht des Wortes bewußt, das ihm immer echteste Wirklichkeit blieb. So trägt auch seine Prosa die Züge des Lyrikers, die von der zuchtvollen Kunst gebundener Rede herkommen. Darum gelingt ihm besonders die Kleinform der Skizze und des Märchens und darum wird sein Roman im Grunde eine kleine »Bildergalerie«, aus der uns bald lächelnd, bald ernst die Konterfeie der Lumpen und Liebenden anblicken, deren minutiöses Detail mit unendlicher Liebe gestaltet ist. Schade, daß ihm wirklich dieses »Quentchen epischer Luft« gemangelt hat, das ihn zum großen Humoristen hätte machen können. Wir wollen die Schwächen unseres Dichters nicht übersehen. Was seiner Epik fehlt, ist im Grunde die große kompositorische Linienführung, die immer wieder der Detailkunst zuliebe gesprengt und geopfert wird. Wenn ihn manche Literarhistoriker zu den Naturalisten zählen wollen, dann ist dies nur bedingt richtig. Viel eher dürfen wir ihn einen Realisten nennen, der die Welt und ihre Bürger kannte, der den Dingen und den Menschen in das Antlitz sah, aber nun nicht, gleich dem naturalistischen Photographen, bloß das Liniengewirr seiner Modelle abzuschildern bemüht war, sondern der als wahrhafter Seelenkenner tiefer, bis auf den Grund der Seelen und der Dinge sah und diesen Grund zu gestalten versuchte.

So schuf Suso Waldeck, der im Volkhaften seiner österreichisch-südböhmischen Familienheimat wurzelte und dem Wien zur geliebten neuen Heimat wurde, zeitlebens aus dem lebendigen Herzen des Seins. An den dunklen Kreuzwegen des Denkens und des Blutes vorbei führte ihn sein Weg in die Mystik wahrhafter Gotteserkenntnis. Das Böse wie das Gute, das Heilige wie das Profane bannte er in nimmermüdem Schaffensdrang ins Bild, mit dem er Gott seinem Herrn dienen wollte. Suso Waldeck war als Österreicher ein Mensch des schönen Gleichgewichts. Seiner tiefen Geistigkeit und echten Frömmigkeit ist der feine und stille Humor, das Kind der Herzensgüte, eng verschwistert. Leopold Liegler nannte ihn zu seinem sechzigsten Geburtstag richtig einen »echten Priester, zwischen Schöpfer und Geschöpf gestellt, der teilnimmt an der ganzen Breite des menschlichen Daseins, vom Erhabensten bis zum Niedrigsten«. Das Instrument seiner Sprache gleicht einer Orgel, die im Pleno mit allen Farben den Ewigen preist und in der vox coelestis die Schönheit des »reinen Gedichtes« verkündet. Ein Meister der Rhythmen, war er sich des ewigen Rhythmus göttlicher Schaffenskraft in aller Demut bewußt und keine Vermessenheit kam ihn an, tiefer als Gott sehen zu wollen. Für ihn blieb, um das schöne Bild aus seinem Märchen »Lindchen und Windchen« zu gebrauchen, Gott der »Grundbaß aller Dinge«. Wir wissen uns daher mit Rudolf Henz einig, der in seiner Gedächtnisrede von seinem Werke ausführt: »Wer ihm nahen und von ihm beschenkt sein will, muß um die Gültigkeit, um die innere Gewalt des Wortes wissen. Er wisse, daß er bei Suso Waldeck nicht auf einen dichtenden Philosophen trifft, dem er mit Kategorien beikommt oder irgendwelchen Systemen. Er war nicht einmal so viel Philosoph, daß einer aus seinen Gedichten eine bestimmte Haltung zur Zeit oder eine Vision des Kommenden bilden könnte. Nein, unser Dichter war kein Philosoph, aber in jedem Vers und noch viel handgreiflicher in seiner Prosa, im Gespräch ein Weiser ... Ein Mystiker, sein Wahlname bezeugt es, doch einer, der die Welt niemals verläßt oder verliert, ein Mystiker des wirklichen Lebens, ein Dichter.«

So läßt sich unser Dichter, der gleich George und Hofmannsthal ein Zauberer des Wortes war, der über den weitausschwingenden rhythmischen Atem der Griechen verfügte, dem die Phantasie des E. T. A. Hoffmann nicht fremd war, in kein System der Literaturgeschichte pressen. Wenn wir aber in unserer unheilvollen Zeit mehr denn je des heilen und heilmachenden Wortes bedürfen, so werden wir wieder zum Wort dieses Dichters und Priesters, die beide aus dem Logosgedanken schaffen, zurückkehren müssen.


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