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Ärgerlich wegen des großen Zeitverlustes und geringen Ergebnisses bei Untermüller machte sich Aurel Janowsky auf den Weg zu einem Freunde, den er bei Kasse und Laune anzutreffen hoffte. Henry Mayer-Lebeau, noch vor kurzer Zeit als Dilettant verdächtigt, hatte sich in die vorderste Reihe moderner österreichischer Tondichter vorgedrängt. Eben war eine Sammlung sehr aparter Lieder und »Symphoniette macabre« in Druck erschienen, was Vorschuß und fröhliche Stimmung bedeutete. Auf diese beiden Dinge setzte Janowsky Hoffnung, aber auch auf den Umstand, daß er, selbst leidlicher Musiker, mit ein paar Feuilletons über den »revolutionären Melodiker« dazu beigetragen hatte, die erste Bresche in die mauerharte Front einer verständnislosen Kritik zu brechen, was ja Dankbarkeit verdiente.
Mayer-Lebeau schlief noch, als Janowsky kam. Seine Mutter, ein einfaches, altes Weibchen, führte ihn ins Arbeitszimmer und bat zu warten. Ihr Sohn hätte die ganze Nacht gearbeitet. Wirklich lagen auf dem Tisch ganze Bogen Notenpapier mit musikalischen Notizen herum, der Flügel war noch offen und die Luft roch stark nach schwarzem Kaffee. Janowsky griff in ein offen daliegendes Zigarettenetui und ging rauchend auf und ab, um seine Ungeduld zu mildern. Da fiel sein Blick auf ein schäbiges Notenbuch, das aufgeschlagen auf dem Klavier stand. Seltsam, daß es etwas so Altes war wie Aubers » Fra Diavolo« im Klavierauszug. Neben dem Instrument lag auf einem Stuhl ein großer Stoß von Klavierauszügen der verschollensten Opern. Was hat Henry in der Nacht mit diesen Scharteken getrieben? fragte sich Janowsky, und ein Verdacht stieg unbestimmt in ihm auf. Was ihm weiter auffiel, war, daß » Fra Diavolo« verkehrt auflag. Sein Verdacht wurde bestimmter. Nun zog er aus dem Bücherstoß auf dem Stuhl ein Exemplar, aus welchem Papierschnitzel ragten, wie man sie einlegt, um gewisse Stellen leicht wiederzufinden. Es war die Oper »Die diebische Elster«. Janowsky schlug auf und blätterte langsam, wobei er das alte, halbzerrissene Buch verkehrt hielt. Da – diese mit Bleistift angezeichnete Arie, verkehrt gelesen – war das nicht der Anfang von dem großen Adagio aus der – » Symphoniette macabre« von Mayer-Lebeau? Ja, fast ohne Änderung. Bebend vor Freude über seine Entdeckung, suchte und fand Janowsky noch andere mit Bleistift bezeichnete Stellen. Es war kein Zweifel mehr, daß die unerhört eigenartige Melodienführung des Komponisten Mayer-Lebeau und wahrscheinlich auch seine ganz revolutionäre Harmonik, hinter der man eine neue, geheimnisvolle Theorie witterte, in dem verkehrten Notenlesen begründet war. Mit welch einfachen Mitteln arbeitet doch das Genie!
Janowsky wollte bei den Noten nicht ertappt werden. Er legte sie, nachdem er ihre Titel notiert hatte, samt dem » Fra Diavolo« auf den Stuhl zurück und schob diesen an die Wand. Das Klavier ließ er offen. Jetzt erschien auch der Tondichter in neuem, gelbgestreiftem Hausrock. Er sah in der letzten Zeit sehr soigniert aus, der schlanke Vierziger mit den schwarzglänzenden, drahtartig steif zurückgelegten Haaren. Janowsky bemerkte wohl, wie er erst einen ängstlich-ärgerlichen Blick auf das Klavier und dessen Umgebung warf, ehe er beruhigt und mit ein wenig Hohn in der Stimme seinen Gast begrüßte:
»So früh am Tag machst du Besuche? Wann arbeitest du eigentlich?«
»Dieser Besuch bei dir hat gedrängt, ich konnte ihn nicht aufschieben«, sagte Janowsky ernst.
»Diese deine Miene kenne ich, lieber Freund. Wieviel soll es sein?«
»Du irrst, Mayer, wenn du meinst, ich komme um Geld, das du jetzt allerdings in Fülle hast. Ich komme in einer Gewissensangelegenheit.«
»Deines Gewissens?«
»Und des deinigen, Mayer. Schau mich an, wie übernächtig ich aussehe, Die ganze Nacht habe ich deinetwegen mich in Gewissensqualen gewälzt wie in Dornen.«
Mayer-Lebeau lachte: »Zu welchen deiner tückischen Anschläge ist das wieder die Einleitung?«
»Laß den Scherz. Der bittere Ernst ist, daß ich ein Schwindler bin, der ich Lobeshymnen über einen Komponisten schreibe, der ein noch größerer Schwindler ist, wenn auch mein Freund. Freilich habe ich lange nicht ahnen können, daß er aus alten Partituren abschreibt, verkehrt abschreibt und ein wenig ändert, wo es sein muß.«
Mayer-Lebeau war blaß geworden. Er setzte sich und warf seinem Gast einen wutvollen Blick zu:
»Weißt du das ganz bestimmt?«
»Ganz bestimmt, leider. Ich besitze ein Verzeichnis jener verblichenen Opern, die der erwähnte Komponist in gewissenloser Weise ausgebeutet hat. Ich selbst bin blamiert, wenn ich nach meinem Gewissen handle und widerrufe, was ich Begeistertes über ihn geschrieben habe, über diesen Herrn –«
»Ich mag seinen Namen nicht wissen«, sagte Mayer-Lebeau tonlos. »Behalte ihn für ewig bei dir. Du wirst es nicht zu bereuen haben, und dein Gewissen wird sich beruhigen. Wie geht es dir sonst?«
»Schlecht. Ich habe kein Geld.«
»In solchen Fällen, lieber Aurel, komm' immer zu mir, wie es unter guten Freunden üblich ist. Wieviel brauchst du?«
*
»Immer kommst du mir ins Atelier, wenn ich am dringendsten zu arbeiten habe.« Der kleine Maler Pomasel schüttelte unwillig sein Pudelhaupt. »Vor dem Mittagessen, wenn mein Magen leer ist, du weißt ja, habe ich die schönsten Inspirationen und Visionen.«
»Na, na! Deine Inspirationen! Übrigens gehe ich gleich wieder weg, sobald du mir zehn Schilling geliehen hast.«
»Heutzutage einen Maler anpumpen, dazu gehört Kühnheit. Seit langem habe ich kein Bild verkauft. Jetzt endlich ist ein Auftrag für einen heiligen Christophorus gekommen, ein Altarbild. Schau dir die Masse Leinwand an und bedenke, was für Batzen Geld sie mich kostet, dazu die Farben.«
»Deine Frau –«
»Immer die paar Netschen, die meine Frau hat! Sie ist übrigens schlecht auf dich zu sprechen, Janowsky. Laß dich bei ihr nicht blicken.«
»Gefällt ihr vielleicht mein Band Novellen nicht, den ich ihr geliehen habe?«
»Du hast es erraten. Sie hat kein Vertrauen zu deiner Schriftstellerei. Wie du weißt, liebt sie französische Lektüre und hat in ihrer Bibliothek eine Masse alter französischer Geschichten, darunter einen Band – ich glaube Deschamp heißt der Mann, oder so –, aus dem hast du deine Novellen einfach zurechtgeschneidert.«
Janowsky schwieg betroffen.
»Ihr Schriftsteller macht es euch leicht. Andere Namen der Personen für die französischen, statt eines Schlosses in der Provence eines in Österreich, statt eines Vicomte einen Freiherrn und so weiter, und die neue Novelle ist fertig. Ganze Seiten Dialog hast du von diesem Deschamp wörtlich abgeschrieben.«
»Diesmal ja, sonst nicht. Und warum greift man zu solchen Mitteln? Weil man ein Bettler ist, in deprimierenden Verhältnissen, wo die Inspiration und Vision trotz leerem Magen nicht kommen will, man aber schreiben muß. Und dann, woher weißt du, daß dieser Deschamp der letzte Erfinder seiner Novellen ist? Kind, das du bist! Seit Jahrhunderten heißt Schriftsteller sein, Redakteur sein. Es sind immer dieselben alten Stoffe, die redigiert, akkommodiert, frisiert werden, mit ganz wenigen Ausnahmen.«
»Ich habe längst geargwöhnt, daß ihr alle Abschreiber seid.«
»Nun, lieber Freund Pomasel, ihr Maler seid die frecheren Abschreiber. Ihr schreibt schamlos die Natur ab. Ließe man euch mit eurer Phantasie allein, was käme heraus? Nichts, ihr Motivenjäger, ihr Modellkopierer, ihr Anatomieschüler, ihr Galerienschnüffler!«
Pomasel lächelte verächtlich und zeigte so dauernd den Rücken, daß sich Janowsky-Deschamps entrüstet empfahl.
Pomasel sperrte die Tür hinter ihm ab. Dann öffnete er eine Truhe, die in einer Nische stand, entnahm ihr einen Stoß von Zeitschriften und setzte sich gleichmütig an den Tisch. Er blätterte bedächtig und schnitt hie und da eine der Illustrationen heraus. Da war der photographische Bericht eines Wochenblattes über eine Überschwemmung des Theißufers. Er schnitt jenes breite Stück, das drei Bäume sehen ließ, wie sie aus der starken Strömung ragten, mit der Schere heraus. Es war eine Landschaft, wie geschaffen für ein Bild des heiligen Christophorus, der das Christuskind durch die Wellen trägt. An die Stelle der drei Bäume mußten die Füße des Heiligen und sein mächtiger Wanderstab ins Wasser getaucht werden; das Spiel der Wellen um diese Hindernisse war ja prächtig da. Der heilige Christophorus selbst wurde einem Anzeigenteil entnommen. Da war eine Kraftnahrung angepriesen und das suggestive Bild des Riesen Atlas dabei. Er trug die Weltkugel auf der Schulter, die er mit der einen Hand stützte, während er mit dem anderen Arm auf die Schutzmarke hinwies. Pomasel schnitt aus und klebte alles in die Wasserlandschaft, nachdem er die Weltkugel beseitigt hatte. Statt dieser mußte ein Christuskind auf die Schulter. War bald geschehen. Er stieß auf zwei Seiten Photos: »Welches ist das schönste Kind? eine Preisrundfrage an unsere Leser.« Eine dieser kindlichen Nuditäten war bald ausgeschnitten, aufgeklebt. Das Altarbild »Der heilige Christophorus« war im wesentlichen fertig. Er kam sehr vergrößert als Zeichnung auf die grundierte Leinwand.