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Niemand hätte wohl darauf geraten, daß der junge Mann, der eine Vormittagsstunde lang in so kleinen Lackschuhen die Kärntnerstraße auf und ab schlenderte, noch vor wenigen Jahren als Offizier eine Reihe von kriegerischen Heldentaten vollbracht hatte. Alles an ihm war ja so zart, weichlich. Die einst gewiß braungebrannte, rauhe Haut des edlen, schmalen Gesichtes war jetzt sanft rosig und offenbar ebenso sorgfältig gepflegt wie die der ringgeschmückten Hände. Eine hakige Narbe auf dem Rücken der rechten Hand erschien dank einer raffinierten Behandlung eher als kapriziöse Tätowierung denn die Spur eines Sprengstückes. Aus den eleganten Kleidern lugte allerfeinste Wäsche, aus allerhand Kleinigkeiten empfahl sich die allerletzte feinste Herrenmode.
Offenbar gelangweilt, bog Pantaleon, ehemals Freiherr von Hellenstein, endlich in eine Seitengasse ein und betrat eine vornehme Weinstube. In einer der kleinen, rotverhangenen Logen ließ er sich nieder, bestellte einen kleinen Imbiß, ein Glas Burgunder und eine Zeitung und ärgerte sich dabei über die Vertraulichkeit der jungen, aber fettstrotzenden Kellnerin. Bald gab es noch mehr Ärger, denn die Nachbarloge füllte sich mit einer kleinen Herrengesellschaft, deren laute Stimmen Pantaleons Nerven beleidigten. Eine davon erkannte er als die eines Menschen, den er noch vor einem halben Jahr Freund genannt hatte, seither aber geflissentlich vernachlässigte, den Reporter eines kleinen Wiener Blattes. Es war ein armer Teufel, dieser Grasböck, der sich eine Weinstube wie diese kaum aus eigener Tasche leisten konnte. Pantaleon wäre ihm nur ungern begegnet und wollte darum den Raum bald und unauffällig verlassen. Als aber nebenan der Name der Schauspielerin Martha Heger fiel, zögerte er.
»Wie alt kann sie eigentlich sein?« fragte eine Stimme.
Eine andere antwortete tief überzeugt:
»Mindestens vierzig.« Und eine dritte:
»Sie soll verheiratet sein.«
»Gewesen sein«, sagte der Reporter Grasböck. »Geschieden oder so etwas. Sie hat zuletzt den Bankier Silbermann gehabt. Er hat ihr ein Vermögen hinterlassen und sie braucht ihr Lebtag keinen reichen Freund mehr. Darum konnte sie sich auch einen Liebhaber nach Gusto zulegen, vor einem halben Jahr etwa. Er ist ein armer Schlucker, zufällig ein intimer Kriegskamerad von mir. Bis kürzlich noch waren wir so etwas wie Freunde, jetzt schaut er mich nicht mehr an, der gute Pant.«
»Pant?«
»Pantaleon, ehemals Baron Hellenstein. Sein Vater und Bruder sind im Krieg gefallen. Die Mutter lebt mit ein paar alten Verwandten von einem geringfügigen Pachtgut im Waldviertel. Viel zu beißen haben die Leute nicht. Der junge Pant hat es nach dem Krieg verpaßt, in eine Staatsanstellung zu rutschen. Er hat sich ein paar Jahre als Agent in feiner Wäsche durchgebracht, bis ihn die Heger entdeckt hat.«
»Also hat er sich verkauft.«
»Nein – nicht eigentlich. Denn er ist schwer in das Weib verschossen.«
»Was geht uns das jetzt an,« mahnte eine der Stimmen, »wir wollen doch wegen unseres Geschäftes mit der Heger –«
»Nicht so laut!« rügte Grasböck.
Pant benützte das Geräusch, das neu eintretende Gäste machten, um unauffällig den Raum zu verlassen. Er war verstimmt. Dieser Grasböck hatte ja nichts als die Wahrheit von ihm gesagt; aber es war das erstemal, daß er, Pant, über sein Verhältnis zu Martha Heger hatte sprechen hören, und zwar so elend nüchtern, so zynisch. Und das Gewissen des einst so streng erzogenen jungen Menschen rührte sich jetzt peinlicher, als wenn er sonst über das Leben nachdachte, das er seit einem halben Jahr führte. Nicht auf der landwirtschaftlichen Schule, nicht im Feld war er entgleist, von keinem der kriegsüblichen Laster war er angesteckt worden. Er hatte den Krieg wie unter den nahen Augen seiner Mutter erlebt. Auch die paar Jahre nachher hatten ihn die Besuche bei seiner Mutter und ihre häufigen Briefe vor dem Ärgsten bewahrt. Nun war er doch der Geliebte einer verheirateten, wenn auch geschiedenen Frau geworden und führte ein Leben, das eine Kette von Berauschungen war. Er entschuldigte alles mit seiner großen Liebe zu jener Frau. Aber auch diese Liebe hatte er zu entschuldigen. Dazu war nötig, sich als Passiven, Schwachen zu bekennen, was ihm schwer fiel. Darum versuchte er, aus der Schwäche eine Stärke zu machen, also eine stramme Theorie zu seiner weichlichen sittlichen Praxis zu gewinnen, die lockeren Grundsätze der Nachkriegsgroßstadt zu einem neuen Katechismus zu sammeln. Aber es gelang ihm nicht gut. Er besaß immer noch sein altes Gewissen. Die paar Worte, die er heute über sein Verhältnis zu Martha Heger gehört hatte, machten es ihm wieder einmal klar.
Er war also verstimmt. Dazu kam der Unmut, daß er Martha seit gestern nicht hatte sehen können. Ihr Vetter, ein Kriminalbeamter aus Prag, war bei ihr zu Besuch, wie alljährlich im Oktober. Sie weihte ihm ein paar Tage, denn sie mußte ihm dankbar sein. Er war es, der ihren Künstlerberuf entdeckt und nach Prag ihr erstes Engagement vermittelt hatte. Daß ihr philiströser Gatte später geräuschlos in die Scheidung der Ehe gewilligt hatte, war seiner Überredungskunst gelungen. Martha schenkte ihm also, wenn er kam, mehr Zeit als irgendwelchem Gast und begleitete ihn auf dem Rundgang zu seinen Wiener Bekannten. Pant hatte ihn vorgestern kennengelernt und wenig sympathisch gefunden. Der Mann war im Besitz eines geradezu furchtbaren Gesichtes, dessen Blässe wie ein Anflug von Schimmel aussah. Unter den graubuschigen Brauen lagen die kleinen schwarzen Augen unheimlich tief und stachen spitz aus ihren schmalen Schlitzen. Der Mund mit der seltsam verkürzten Oberlippe war beständig Hohn. Am furchtbarsten aber waren die zahllosen Falten anzusehen, die an der Nasenwurzel von überallher zusammenliefen, so daß sein Gesicht hinter einer Maske von wirrem Gedräht hervorzulauern schien. Ein wenig versöhnend war sein Prager gutes Deutsch, das er sanft, aber ohne slawische Melodie sprechen konnte. Pant war von ihm wie eine angenehme Selbstverständlichkeit im Hause behandelt worden, wie etwa ein geschätzter Verwandter. Trotzdem konnte Pant ihn nicht ausstehen. Die Aussicht, ihm heute beim Tee begegnen und abends neben ihm in der Theaterloge sitzen zu sollen, war ihm unangenehm. Um so heftiger sehnte er sich nach Martha. Ihre Zärtlichkeiten hatten in ihm jeden Geschmack an anderen, nicht gemeinsamen Genüssen verdrängt. Als er die Weinstube verlassen hatte, wußte er nichts anderes mit sich anzufangen, als wieder durch die Gassen zu traben. Im Schaufenster eines Photographen begegnete ihm Marthas neuestes Bild. Er besah es lange mit erhitztem Blut, obwohl er das gleiche daheim auf dem Schreibtisch stehen hatte. Wahrhaftig, sie sah nicht nur im Bilde wie kaum fünfundzwanzigjährig aus. Nur das mattbraune Haar erschien hier etwas zu dunkel und die leuchtende Zartheit der Haut des etwas vollen, hellenisch geschnittenen Gesichtes war im Bild kaum wiederzufinden. Pant führte die Fingerspitzen an die Lippen, um sie dann an die Glasscheiben des Schaufensters zu drücken.
Am Nachmittag saßen Martha, Pant und Doktor Geißler am Teetisch. Erst wagte es Pant nicht, in Gegenwart des Gastes anders sich zu benehmen als ein vertrauter Freund des Hauses ohne innigere Beziehung zur Hausfrau. Aber dann ermunterte ihn Martha selbst, indem sie ihre schöne Hand auf die seine legte. Er ergriff sie, behielt und drückte sie immer wieder leidenschaftlich, während der Doktor eine Reihe grimmig-heiterer Geschichten aus seiner kriminalistischen Praxis erzählte.
Da wurde ein Besuch gemeldet, der Journalist Grasböck.
»Der Zeitungsschmierer soll warten«, sagte Martha und füllte den Herren Tee nach.
Pant war unangenehm gestimmt, daß sein ehemaliger Freund dieses Haus betreten durfte. »Was will er?« fragte er Martha.
»Natürlich ein Interview für seine Zeitung.«
»Ich glaube kaum«, sagte Pant und erzählte von dem erhörten Gespräch in der Weinstube jenen Passus, der nun geheimnisvoll von einem Geschäft mit der Künstlerin gesprochen hatte. Da wurde Dr. Geißler aufmerksam und erkundigte sich noch angelegentlich nach der Persönlichkeit dieses Herrn Grasböck, den Pant vom Feld her zu kennen eingestanden hatte. Pant schilderte ihn gerecht als einen im Grund harmlosen Menschen, aber von großem Unbestand; heute feig, morgen zu einem heldenmütigen Streich fähig; heute träge, morgen betriebsam, Wochen hindurch sparsam bis zum Geiz gegen sich selbst, dann plötzlich genußvoll und verschwenderisch. Nein, einer Schurkerei hielt ihn Pant nicht für fähig und es erschien ihm zum mindesten überflüssig, nach ihm wie nach einem schwer Verdächtigen ausgefragt zu werden. Aber Doktor Geißler ließ nicht locker, bis Pant nichts weiter über ihn zu sagen wußte. Dann erhob er sich: »Bitte, liebe Kusine, lasse erst mich mit dem Manne sprechen.«
Pant und Martha waren sehr froh, einen Augenblick allein sein zu können. Nun erst begrüßten sie sich stürmisch–.
Indessen trat Doktor Geißler in das Zimmer, wo der Journalist wartete. Ein langer, etwas nachlässig gekleideter Mensch mit immer unruhigen Augen und Fingern.
»Doktor Geißler –«, stellte sich der Gast Marthas mit schneidender Höflichkeit vor. Der andere sagte ziemlich schüchtern seinen Namen.
»Sie wünschen Frau Martha Heger zu sprechen. Sie sind Journalist. Aber es handelt sich um kein Interview.«
»Nein –« stammelte Grasböck verlegen. Er hatte heute seinen Mut nicht bei sich.
»Sondern um ein – sagen wir – Geschäft«, fuhr der Doktor fort. Sein Gesicht wurde ganz Hohn, Lauer, Haß, und er trat plötzlich einen Schritt näher, so daß der andere erschrak. »Ein – Geschäft –« wiederholte er.
Grasböck: »Ja – aber woher – wie –«
»Ich habe Ihnen schon gesagt, ich bin Doktor Geißler.
Nämlich der Kriminalkommissär. Wo sind die anderen drei?«
»Welche drei?«
»Ihre – sagen wir – Kompagnons bei diesem Geschäft.«
Der Journalist war erbleicht und begann zu schwitzen:
»Eigentlich handelt es sich um kein Geschäft, sondern um einen – Finderlohn.«
»Ja, ja, weil es sich um einen harmlosen Fund handelt, ich weiß, ich weiß.«
»Ich bin es, der zu Frau Heger kommt, weil ja der Finder todkrank zu Bett liegt.«
»Und die anderen?«
»Erwarten mich bei ihm.«
»Am besten ist es,« erhob der Kriminalkommissär drohend seine Stimme, »wir gehen sofort zu ihnen.«
Und schon faßte er Grasböck unterm Arm und drängte ihn sanft ins Vorzimmer.
Ein Zimmer im dritten Stockwerk eines uralten Hauses der Inneren Stadt. Das Durcheinander von staubigen, schadhaften Möbeln, von Geschirr und herumliegenden Kleidern ließ auf Junggesellenwirtschaft raten. In einem nicht sehr reinlich gehaltenen Bett lag ein alter Mensch mit verfallenem, blaufleckigem Gesicht, dessen weiße Bartstoppeln ebenso voll Schweiß waren wie die riesige Glatze. Von einem Tisch, der ans Ende des Bettes gerückt war und eine große Kognakflasche samt kleinen Gläsern und Tellern mit Resten von Selchfleisch trug, erhoben sich, als Doktor Geißler mit Grasböck eintrat, etwas erschrocken drei Männer, alle schon ergraut und recht bescheiden gekleidet.
»Der Herr ist Kriminalbeamter«, sagte Grasböck mit lebloser Stimme.
Die anderen schwiegen. Nur aus dem Krankenbett kam ein Stöhnen.
»Doktor Geißler. Darf ich um Ihre Namen bitten, oder besser, Besuchskarten?«
Sehr verlegen, aber eilig suchten sie in ihren Taschen.
»Und nun bitte ich die Herren, mich einen Augenblick mit dem Kranken allein zu lassen. Aber – nicht weiter als bis ins Vorzimmer, bitte.«
Sie gehorchten wie brave Schulkinder.
Nun setzte sich Doktor Geißler an das Bett des angstvoll dreinschauenden Kranken.
»Es geschieht Ihnen nichts. Wie heißen Sie?«
»Karl Wallner.«
»Aber zittern Sie nicht so. Wer sind die anderen außer Grasböck?«
»Zwei sind kleine Zeitungsbeamte und der dritte ein Pensionist vom Opernchor – wie ich.«
»Ich habe ja ihre Karten. Und wie kommen sie alle dazu, mit Frau Heger dieses – sagen wir – Geschäft machen zu wollen?«
»Geschäft–Geschäft – mir hat es sich um meinem guten Ruf gehandelt, daß man mir nicht ins Grab nachsagt, ich war ein Dieb, ein Fundverheimlicher. Nur um meinen guten Ruf, ehrlichen Namen –.« Der Kranke legte beteuernd die Hand an die Brust. »Und jetzt geht alles schlecht aus – jetzt weiß die Polizei – «
»Regen Sie sich nicht auf. Sie sind, das sehe ich, schwer leidend, wahrscheinlich an Leber und Herz. Erzählen Sie ruhig, wie alles gekommen ist. Wir werden trachten, daß die Geschichte gut für Sie endet.«
Und der alte Wallner, durch die freundlichen Worte des Kriminalbeamten ruhiger geworden, erzählte mit kleinen Pausen, während welcher er Atem sammelte oder mit einem Handtuch den Schweiß vom Gesicht wischte.
Vor etwa einem Jahr hatte er, damals Agent einer Teppichfirma, einmal das Haus des Bankiers Silbermann betreten und war, die Treppe zum ersten Stock hinaufgegangen, als eine elegante Dame mit allen Zeichen großer Aufregung ihm entgegeneilte und an ihm vorbeikam, ohne ihn anzusehen. Als er ihr nachsah, bemerkte er ein Päckchen, das auf einer Treppenstufe lag. Offenbar hatte es die Dame verloren. Er wollte ihr nach, aber es war keine Spur von ihr zu sehen, als er aus dem Portal getreten war. So kehrte er in den Hausflur zurück und öffnete neugierig das unverschnürte Päckchen. Das Papier enthielt einen blauseidenen Beutel und dieser ein altertümliches, langes Halsband von grünen Steinen, aber auch ein mehrmals gefaltetes Stück Papier. Erschrocken über das wahrscheinlich sehr kostbare Ding, überzeugte er sich noch, daß ihn niemand im Hause gesehen hatte, und eilte aufgeregt in seine Wohnung. Hier entfaltete er das Schriftstück. Es war die vom Bankier Silbermann gezeichnete und offenbar auch niedergeschriebene Urkunde, daß er dieses altgriechische Smaragdhalsband freiwillig und allen Rechtens der Schauspielerin Martha Heger geschenkt habe. Auch die genaue Beschreibung des Schmuckes enthielt die Schrift. Wallner wollte ihn ehrlich zurückstellen und freute sich im voraus des Finderlohnes. Aber bezaubert von dem Kleinod, behielt er es über Nacht. Am folgenden Tag suchte er in den Zeitungen die Verlustanzeige. Er fand sie nicht, wie auch später niemals. Dagegen las er, daß in derselben Nachmittagsstunde, da er im Hause Silbermanns seinen Fund getan hatte, der Bankier plötzlich an Gehirnschlag gestorben war. Immer wieder verschob es Wällner, das Halsband abzustoßen, obwohl ihn sein Gewissen quälte. Zuletzt fürchtete er, der so lange seinen Fund verheimlicht hatte, deswegen Unannehmlichkeiten. Übrigens meldete weder Martha Heger noch sonst jemand öffentlich den Verlust an; man legte scheinbar keinen Wert auf den Besitz des Schmuckes oder scheute sich, als Eigentümer sich zu bekennen. So ließ Wallner Monat um Monat vergehen, bis er schwer erkrankte und wußte, daß es mit ihm zu Ende gehe. Jetzt bedrängte ihn sein Gewissen doppelt und quälte ihn die Furcht, nach seinem Tode als Dieb entlarvt zu werden. So entdeckte er sich seinen Freunden, die feierlich gelobten, Stillschweigen zu halten und einen Weg zu suchen, der Eigentümerin den Schmuck zurückzustellen, ohne daß es Aufsehen gäbe. »Aber jetzt ist alles aus –,« schloß Wallner verzweifelt. »Es muß doch ein Verräter mitgespielt haben.«
»Der Schmuck wird ohne Aufsehen in die richtigen Hände kommen, wenn Sie ihn mir aushändigen. Wo haben Sie ihn?«
»Ich liege darauf. Zwischen den Matratzen –«
Ohne daß der Kranke protestierte, suchte Doktor Geißler das Verborgene und fand es.
»Haben Sie keine Verwandten?«
»Keine näheren, die sich je um mich gekümmert hätten. Ich bin längst Witwer und meine Tochter und mein Schwiegersohn sind seit ein paar Jahren tot. Nur eine Enkelin ist da, sie dient draußen in Bayern. Ich habe ihr schreiben lassen, daß sie kommen soll, wenn sie kann. Vielleicht kommt sie heute oder morgen. Ach, wenn sie nur nichts von der Schmuckgeschichte erfährt. – Sie ist kaum zwanzig und ein braves Kind.«
Aus dem Vorzimmer war schon während der mühsamen Erzählung Wallners immer erregteres Reden hörbar geworden. Jetzt wurde es recht laut.
»Und die draußen« – fragte Geißler, »sind ehrliche Leute?«
»Immer gewesen. Nur haben sie einen Finderlohn oder so etwas herausschlagen wollen. Es sind arme Teufel.«
Jetzt klopfte es und Grasböck trat an der Spitze der übrigen drei mit ziemlich erhobenem Haupte ein. Er hatte offenbar seinen Mut wieder gefunden.
»Verzeihen Sie«, rief er fast streng. »Sie haben sich als Kriminalbeamter nicht legitimiert.«
»Das tue ich nur, wenn ich amtshandle.«
»Sie amtshandeln ja – und wie!«
»Nein, ich bin in Prag tätig«, grinste Geißler, »und in Wien nur auf Urlaub. Ich habe hier nichts zu amtshandeln. Vertrete nur privat die Interessen meiner Verwandten, der Frau Martha Heger. Habe ich etwas anderes behauptet?«
Erst vergaßen Martha und Pant ganz darauf, wegen des Verschwindens und Fernbleibens des Doktors Geißler sich zu beunruhigen; später, als es beinahe Zeit war, ins Theater zu fahren, meinte Martha:
»Das ist so die Art meines Vetters. Plötzlichen Eingebungen folgen und andere vor Rätsel stellen. Ich bin neugierig, welches Abenteuer ihn angelockt hat.«
»Er hat mir ein paar glückliche Stunden geschenkt«, sagte Pant schwärmerisch. »Heute, wo wir nach dem Theater ohnedies bei den gräßlichen Schlesingers sein müssen, ach Gott!«
»Bereite sie in der Loge darauf vor, daß wir heute nicht lange bleiben werden. Sag, mein Schatzi, daß ich schon den ganzen Tag Kopfweh habe. Ein paar Stunden nach Mitternacht gehören uns dann noch, leider können wir meinen Vetter auch nicht gleich ins Bett schicken.«
»Du hast doch nicht wirklich Kopfweh?«
»Aber woher! Andere Schmerzen habe ich freilich, seelische.«
Sie lachte etwas gezwungen.
»Seelische – hab' ich Schuld daran?«
»Aber nein, mein Hasi.« Sie erhob sich von dem Hocker, auf dem sie, an Pant geschmiegt, gesessen war, und ließ ihre Fingerspitzen über sein Haar gleiten. »Oder bist du doch nicht ohne Schuld? Seit du neben mir bist, Pant, bekomme ich immer wieder so eine Art Angst –«
»Vor mir doch nicht?«
»Erstens einmal vor dem Spielen. Nein, nicht so. Angst vor dem Tage, da mich mein bißchen Kunst gar nicht mehr freuen wird.«
»Dann läßt du sie halt, ganz einfach. Und gehörst ganz mir, nur mir.«
»Was sagst du da, du Dummerl! Wenn ich meine Kunst nicht habe, bin ich – ein Nichts.«
Er hielt ihr den Mund zu und sie schwieg sichtlich gern eine Weile, um nach richtigen Worten zu suchen. Dann sagte sie sehr bestimmt: »Es ist so. Du würdest mich nicht lieben, wenn ich nicht die – sagen wir es heraus! – die gefeierte und umworbene Schauspielerin wäre, sondern als gewöhnliche Frau dahinaltern –«, sie wiederholte: »dahinaltern müßte.«
Pant hielt sich einen Augenblick lang die Ohren zu.
»Du mußt mich zu Ende hören. Was ich noch sagen will, drückt mich. Und es geht ja auch dich an. Also, du kennst dich selbst nicht, mein armes Haserl. Ja, du liebst mich, du liebst mich, du liebst mich – ich könnte es millionenmal sagen; aber nicht bloß die Frau, auch die Künstlerin, und du nimmst teil an dem Rausch des Ruhmes, den ich bis jetzt so geliebt habe. Dieser Rausch, ich weiß es, kleidet mich gut, erhält mich jung. Nur in diesem Rausch mit seinem sieghaften Selbstbewußtsein konnte ich dich erobern. Und wenn ich diesen Rausch einmal nicht mehr habe, bin ich eine simple, alternde Frau. Dann, ja dann –«
»Martha, Geliebteste, hör' doch so zu reden auf!« bat Pant, aber sie redete weiter, ohne ihn anzusehen.
»Nun liebe ich diesen Rausch nicht, mehr wie früher. Und zwar seit ich dich kenne. Ich spiele jetzt nicht mehr um seinetwillen. Wenn es nicht als Gemeinplatz in hundert alten Liebesgeschichten gedruckt stünde, würde ich sagen: Geliebter, ich spiele nur für dich. Nein, bleib sitzen, umarme mich später, Schatzi. Also, diese Angst habe ich: daß ich einmal nicht werde spielen können. Nicht spielen wollen können und du das vermissen wirst. Ebenso wie das zweite, daß wir jetzt miteinander leben; die immerwährenden bacchantischen Feste, die Champagnerräusche, die heißen Tänze, dann die tollen Reisen, wie wir sie diesen Sommer gemacht haben, wie Menschen, die nicht zur Besinnung kommen wollen –«
»Was redest du da von Besinnung? Fürchtest du – nein, soll ich fürchten, daß du zur Besinnung kommen könntest?« Pant war entsetzt.
»Nein, daß du zur Besinnung kommen könntest, wenn du aus diesen Betrunkenheiten einmal befreit bist, das fürchte ich, mein Pant. Daß ein allgemeiner Katzenjammer dann auch einer der Liebe sein könnte. Siehst du, ich für mich allein brauche keinen Rausch mehr und sehne mich nach anderem, nach Stille mit dir, nach Solidem, nach Echtheit, Einfachheit, nach – ach wie soll ich das sagen? – nach Sitte, nach – ich weiß nicht –.« Sie war verlegen, beklommen. Um so mehr, als Pant jetzt wortlos und reglos dasaß.
»Du bist es, Pant, der mich so ändert. Du mußt etwas von der Luft deines Elternhauses noch an dir haben, obwohl du es verleugnest. Ja, in deinem Elternhaus mit dir zu leben, in eurem Wald, auf eurer Berghöhe – das wünsche ich mir jetzt oft, sehr oft. Freilich bekommt der Rausch immer wieder die Oberhand, weil, nun ja, weil du ihn brauchst.«
Ganz mit dem Gedanken beschäftigt, wie sonderbar es war, daß Martha nach seinem Elternhaus Verlangen hatte und wie unfruchtbar dieses Verlangen war, schwieg er. Eine geschiedene Frau, eine Schauspielerin, eine Frau von so freien Gewohnheiten war auch nicht für eine Stunde im Haus seiner Mutter denkbar. Das machte ihm, wie schon öfter, viel Kummer.
»Du schweigst,« seufzte jetzt Martha, »du gibst mir recht.«
»Nein, niemals!« fuhr Pant auf.
Sie nahm seinen Kopf zwischen die Hände und küßte seine Stirn: »Jetzt genug. Ich habe höchste Zeit. Auf Wiedersehen!«
Sie lief aus dem Zimmer und Pant sah ihr bekümmert nach.
Doktor Geißler kam mit Verspätung in die Loge. Den Beutel mit dem Halsband trug er in einer seiner vielen Taschen, die alle aus Leder und nahtlos waren.
Er nahm neben Pant, also hinter dem Ehepaar Schlesinger, seinen Platz. Dabei bedeutete seine fürchterliche Grimasse die geringe Freude darüber, den unglaublich dicken und immerfort hüstelnden und unruhigen Kommerzialrat vor sich zu haben und das penetrante Parfüm der ebenfalls fetten Dame genießen zu müssen. Aber das schwerreiche jüdische Paar, kunstbegeistert, freigebig, im fürstlichen Stil gastfreundlich, und Martha seit Jahren in treuer Bewunderung ergeben, mußte ertragen, ja geschätzt werden. Übrigens war dieser Industrielle ein Mann von bekannter kommerzieller und menschlicher Rechtschaffenheit. So begrüßte Geißler ihn und seine Frau in der Pause um so wärmer, als Pant so seltsam zurückhaltend war, daß er fast verletzte. Pant war eben tief verstimmt seit dem Gespräch mit Martha am späten Nachmittag. Nicht einmal der rasende Beifall des Publikums für die Künstlerin freute ihn heute besonders. Sie spielte eine Rolle, die ihm Mißbehagen machte, nämlich eine – reine Frau. Sein Wissen um Marthas Vergangenheit quälte ihn. Nicht weniger ihre Kunst, ihre heutige Rolle so wahrhaftig zu spielen. Das fühlte er wie einen Betrug. Und daß man heutzutage eine Bühnengestalt bejubeln konnte, die ganz nach einer totgesagten Mädchenmoral zugeschnitten war, beunruhigte ihn. Und noch eins bedrückte Pant. Als er vor dem Theater noch rasch in seine Wohnung gegangen war, um sich umzukleiden, hatte er einen Brief vorgefunden, der ihm für den nächsten Sonntag den Besuch seiner Mutter ankündigte. Es waren kurze, kühle Worte, mit denen die Baronin einen sehr artigen Namenstagsbrief ihres Sohnes beantwortete. Pant fürchtete sich vor dem Sonntag. Erst der tobende Beifall, den Martha am Schluß des Stückes erhielt, freute ihn ein wenig.
Indessen war Geißler, kein besonderer Freund des Theaters, ruhig dagesessen und hatte das Erlebnis mit dem Halsband hin und her überlegt.
Warum hatte Martha ihm nie etwas von dem Verlust ihres Eigentums mitgeteilt? Und auch nicht der Polizei? War sie vielleicht doch nicht ganz rechtmäßige Besitzerin dieses uralten Kunstwerkes geworden, und hatte sich lieber nicht als solche bekannt, um nicht Unannehmlichkeiten zu haben? Diesen Verdacht verwarf er wieder, denn er traute seiner Kusine eine glatte Unehrlichkeit nicht zu. Wie sollte er ihr den Schmuck überreichen, mit welchen Worten, mit welchen – Fragen? Er liebte es, zu überraschen, zu verblüffen. Jetzt schon weidete er sich an der Vorstellung, wie starr Martha dreinschauen würde, wenn er mit seinem Schatz herausrückte.
Es war ein intim gestimmter Raum in der Wohnung des Kommerzialrats Schlesinger, wo das späte Abendessen genommen wurde. Der Hausherr wußte, daß Martha nach einem anstrengenden Abend größere Gesellschaft nicht liebte, und so war nur noch Pant und Geißler da. Die Stimmung der Gäste schien nicht warm werden zu wollen, worüber besonders der Hausherr unglücklich war. Martha klagte über Kopfschmerz, aber einer Schauspielerin glaubt man solche Indispositionen nicht leicht. Übrigens sprach sie dem Wein ungewöhnlich fleißig zu, als ob sie einen Kummer zu ertränken hätte. Und Schlesinger glaubte den Grund ihrer Verstimmung zu wissen. Mit der Zeit hielt er es nicht aus, davon zu schweigen, wie er es sich vorgenommen hatte. Es ergab sich ein Augenblick, daß er ihr heimlich sagen konnte:
»Lassen Sie sich doch nicht beunruhigen durch – no, durch den Besuch des Herrn Frey.«
Martha war sehr erstaunt.
»Welches Frey? Meines – ehemaligen Mannes?«
»Ich habe ihn gestern nachmittags am Eingang Ihres Hauses stehen sehen und mußte mir denken –«
»Bei mir war er nicht. Was sollte er auch von mir wollen?«
»Ich muß sie um Verzeihung bitten, wenn ich Sie beunruhigt habe.«
Martha machte ein finsteres Gesicht:
»Was tut er in Wien? Und gar vor meinem Haus? Vielleicht haben Sie sich getäuscht, lieber Freund.«
»Ich habe mit ihm gesprochen. Er hat sich seit –«
»Seit den fünfzehn Jahren –«
»Sehr verändert hat er sich. Schaut aus wie ein Greis. Muß krank sein.«
Der Kommerzialrat sah, daß sein Gast doch ziemlich neugierig war, weiteres zu hören. Aber er wußte nicht viel mehr, denn dieser Frey war sehr zurückhaltend gewesen. Auf die Frage nach seinem Aufenthaltsort hatte er überhaupt nicht geantwortet.
»Natürlich,« sagte Martha, »das hüllt er seit unserer Trennung in tiefes Geheimnis. Aber ich bin nicht neugierig darauf. Wir sind im Frieden geschieden und gehen einander nichts an.«
»Also ist er nicht bei Ihnen gewesen, gestern –«
»Nein«, sagte Martha, etwas verletzt. »Warum sollte ich lügen? – Aber vielleicht hat er es doch versucht, zu mir zu gelangen. Mein Portier kennt ihn nicht und hatte übrigens gestern den Auftrag, niemand einzulassen.«
Martha ging ins Nachbarzimmer, um ihren Portier anzurufen. Sie kam ziemlich erregt zurück und rief laut:
»Er wollte gestern wirklich zu mir.«
»Wer?« fragte Pant.
»Mein ehemaliger Gatte«, sagte sie lachend.
Von nun an war sie verwandelt. Sie sprühte von guter Laune. Trank und rauchte ungewöhnlich viel, sang und tanzte sogar auf dem Teppich wie eine Bacchantin dahin. Pant war wie von Sinnen und auch die drei übrigen konnten sich bald einer übermütigen Stimmung nicht erwehren. Herr Schlesinger wackelte vor Vergnügen auf seinem Sessel hin und her und seine Gattin schlang ihren dicken Arm wie toll verliebt um seinen Hals. Sogar Geißler glühte. Aber hie und da warf er einen raschen, finsteren Blick auf Pant hinüber. –
Martha sank erschöpft in die Ecke des Sofas und man brach in begeisterten Beifall aus. Frau Schlesinger ging hin und küßte die Tänzerin auf die glühende Stirn:
»Wer hätte geglaubt, daß Sie auch so eine fulminante Tänzerin sind!«
Geißler aber rief heiser:
»Das muß belohnt werden –«
Und er ließ etwas durch die Luft fliegen, so daß es Martha in den Schoß fiel. Es war ein Beutel. Sie öffnete ihn, zog das griechische Halsband heraus und ließ es nach einem Augenblick starrer Verblüffung wieder in sein Behältnis zurückfallen. Dann sagte sie ziemlich gleichgültig:
»Ach ja, mein verlegter Schmuck. Danke. Behalt ihn einstweilen bei dir.« Und warf ihn ruhig zurück.
Aber Geißler täuschte sich nicht darüber, daß sie erschrocken war. Es gelang ihr nun auch nicht mehr, die sprühende Laune zu behalten. Bald drängte sie heim. Sie hatte wieder Kopfschmerz. Als das Schlesingersche Auto gemeldet wurde, brach Martha' hastig auf und Pant war es sehr zufrieden, denn er hoffte, den Rest des Abends mit ihr allein verbringen zu dürfen.
Im Vestibül blieb Geißler vor einer großen Spiegelscheibe stehen, schnitt eine gräßliche Grimasse hinein und murmelte:
»Ich bin total in sie verliebt.«
Auch er verlangte noch weiter nach der Gesellschaft seiner schönen Kusine, aber sie sagte entschieden, als man im Auto saß: »Nein, ich habe jetzt wirklich Kopfschmerzen und gehe schnurstracks zu Bett.«
Am andern Morgen und Vormittag gelang es weder Geißler noch sonst jemand, Martha zu sehen. Erst beim Mittagstisch konnte Geißler erzählen, wie er zu dem Halsband gekommen war.
Als er geendet hatte, fragte Martha, während sie den Beutel, der auf dem Tisch lag, öffnete:
»Und du meinst, ich kann das Ding ruhig behalten?«
»Das glaube ich, so lange du mir nicht etwa von Umständen erzählst, die mir diese urkundlich bestätigte Schenkung in einem Licht erscheinen lassen –«
»Die Kette ist ehrlich mein Eigentum«, erhob jetzt Martha den Kopf.
»Davon bin ich ja felsenfest überzeugt. Was ich aber nicht verstehe, das ist deine Nachlässigkeit, den Verlust einer Sache von gewiß hohem Wert hinzunehmen, ohne einen Finger zu rühren, wieder zu deinem Eigentum zu kommen.«
»Du hast mein unbegrenztes Vertrauen, Ferdinand, und du weißt es. Ich will dir also alles sagen. Viel gibt es allerdings nicht zu enthüllen. Also: Was zwischen mir und dem Silbermann Jahre hindurch los war, weißt du und hast ihn gekannt. Du weißt auch, wie er mich geliebt hat.«
»Er war dir ganz und gar hörig.«
»Das war er. Jeden Wunsch hat er mir erfüllt. Er konnte zuletzt auch kein Geheimnis vor mir haben. So hat er mir eines Tages dieses Halsband gezeigt, das er vor allen anderen verborgen hielt. Warum, das weiß ich heute noch nicht. Ich glaube, er hatte eine Art abergläubische Liebe zu diesen Smaragden. In einem Raum neben seinem Schlafzimmer stand ein alter barocker Ofen, der mir gezeigt wurde. Er war innen mit Stahl gepanzert und das Türchen vorn war mit einem komplizierten Schloß versehen. Den Schlüssel trug er immer bei sich. Wie gesagt, eines Tages zeigte er mir das Halsband. Ganz freiwillig. Ich hatte ja keine Ahnung davon. Nicht aus Habsucht, nicht einmal mit besonderem Verlangen danach, habe ich ihn um die Kette gebeten. Heute noch sehe ich sein immer rotes Gesicht vor mir, wie es blaß wurde und wie ihm der Klemmer von der Nase fiel. So sehr erschrak er. »Wenn ich diese Steine verschenke, muß ich sterben«, sagte er traurig. Wer sagt das? fragte ich. »Träume haben es mir gesagt.« Ich, die ich doch auch abergläubisch bin, habe ihn zuerst tüchtig ausgelacht, dann aber ein wenig geschmollt, aber ich bestand nicht auf meinem Wunsch und er versperrte die Kette wieder. Aber nach ein paar Wochen saßen wir eines Nachmittags beisammen, da ging er und holte den Beutel, ohne daß ich ein Wort gesagt hätte, und legte ihn vor mich hin auf den Teetisch. Gehört er mir? fragte ich. Er seufzt und nickt. Sein Gesicht, nun, das sah dabei aus – ich kann's nicht schildern – wie das eines verängstigten kleinen Buben.«
Martha unterbrach sich und sah zur Seite, als schämte sie sich.
»War das an seinem Todestag?« fragte ihr Zuhörer mild.
»Ja. Ich habe ihm dankbar die Hand gedrückt und dann stießen wir mit Kognak an. Auf dein langes, langes Leben, sagte ich. Da läßt er das Glas fallen, taumelt und schlägt neben mir hin, aufs Gesicht. Ich läute dem Diener und dem Stubenmädchen. Sie heben ihn vom Teppich auf und ich sehe, daß er tot ist. Ich weiß vor Schrecken nicht, was ich tue, raffe Hut und Handtäschchen zusammen und renne davon. Auf dem Weg durch ein paar Zimmer fühle ich, daß ich den Beutel in der Hand halte. Wo ich ihn dann verloren habe, wußte ich nicht. Ich rannte zum nächsten Autostandplatz und fuhr heim.«
»Und warst ein paar Tage krank, über das Begräbnis hinaus. Das hast du mir geschrieben, aber nicht die Ursache davon.«
»Noch monatelang habe ich mich elend gefühlt. Ich war ja nicht schuld daran, daß Silbermann so plötzlich hat sterben müssen. Die Ärzte haben festgestellt, daß ihm der Gehirnschlag schon lange gewiß war. Aber, daß ich dabei sein mußte – entsetzlich! Und vor der Kette, da habe ich – damals – eine richtige Angst gehabt. Darum habe ich mich nicht weiter gekümmert. Pant hat mich dann aus meiner unbehaglichen Stimmung befreit.«
»Du hast ihm alles erzählt?«
»Nein, nichts. Aber ich habe ein neues Leben, Aufleben begonnen, wie er mir begegnet ist, mein Pant.«
»Und hast auch keine abergläubische Furcht mehr vor dem da?«
Martha nahm den Beutel fest in die Hand.
»Nein.«
»Dann bleibt nur noch übrig, die Aktiengesellschaft der redlichen Finder abzufinden. Ich habe ihnen versprochen, daß sie nicht zu klagen haben werden. Es wird irgendwer kommen und den Betrag holen.«
»Gut. Aber du verdienst doch vor allem einen Lohn.«
»Ich? Dann wünsche ich mir – einen Kuß.«
»Von deiner richtigen Kusine – pfui!«
Aber sie küßte ihn.
Gleich darauf wurde Martha von ihrem geschiedenen Gatten angerufen.
»Du verzeihst mir doch, daß ich dies eine Mal deine Ruhe störe. Aber ich habe dir gewisse Mitteilungen zu machen, die dir einmal wichtig werden können. Daß ich gestern versucht habe, bei dir vorzusprechen, dürftest du wissen. Heute aber meine ich, es wäre dir für ein kleines Gespräch ein neutraler Ort lieber. Per Telephon läßt sich das unmöglich machen.«
Frey hatte in recht bescheiden bittendem, wenn auch erregtem Ton gesprochen, Martha antwortete etwas barsch:
»Wenn es also sein muß, bin ich um vier Uhr im Café Hopfner.«
Sie hängte den Hörer geräuschvoll an seinen Haken:
»Schrecklich stürmt plötzlich die Vergangenheit auf mich ein.«
Dann rief sie Pant an.
»Ich habe nachmittags leider Besuch, der dich nicht interessiert. Aber um sechs – ja, hier. Theater sage ich ab. Ich fühle mich ziemlich erholungsbedürftig. Um sechs also.«
Ehe Martha, nicht in bester Laune, zu ihrem Gatten sich auf den Weg machte, verlangte jemand dringend mit ihr zu sprechen. Es war ein außergewöhnlich schönes Mädchen von kaum zwanzig Jahren, in ein dunkelgrünes Herbstmäntelchen gehüllt, von dem bescheidenen Wesen eines Dienstboten, aber in den Zügen des blumenhaft reinen Gesichtes auch Entschlossenheit und Mut verratend. Die Art, das blonde Haargelock zu tragen, war nicht bubenhaft, nicht aufdringlich, sondern recht weiblich und schlicht. Die blaßgrauen Augen sahen ebenso klug als unschuldig. Martha wurde durch den Anblick des Gastes besser gestimmt und bot freundlich einen Stuhl an.
»Ich bin nur eine Hausgehilfin, gnädige Frau. Mein Großvater ist Herr Wallner, der Ihr Halsband gefunden hat. Weil er schwer krank ist, bin ich zu ihm gekommen, von Bayern her, heute früh.«
»Und Sie kommen wahrscheinlich um den Finderlohn.«
»Nein, nein. Mein Großvater hat mir alles erzählt und bereut jetzt, daß er den Schmuck solang behalten hat –«
Das Mädchen war schamrot geworden. Martha fragte:
»Wie heißen Sie?«
»Luise Wallner. Mein Großvater schickt mich, ich soll Sie um Verzeihung bitten. Von einer Belohnung kann keine Rede sein, eher von einer Bestrafung, ja, gewiß.«
»Überlassen Sie das mir, Fräulein Luise. In diesem Augenblick habe ich keine Zeit. Sie sehen, ich bin im Begriff, auszugehen. Aber kommen Sie morgen, so zwischen elf und zwölf, dann reden wir weiter. Nur noch eins: Sie sind in Stellung?«
»Ich war's bis gestern. Aber ich muß ja wohl jetzt Krankenpflegerin sein, das ist meine Pflicht. Leider dürfte das nicht lange dauern. Ich glaube, der Kranke hat nicht mehr lange zu leben.«
»Und dann?«
»Dann muß ich mir wieder einen Posten suchen.«
»Vielleicht können Sie zu mir kommen. Aber Sie scheinen mir für ein Stubenmädchen, sagen wir, zu – distinguiert.«
Luise Wallner lachte:
»Was nicht noch. Bei meiner letzten Herrschaft war ich freilich wie das Kind im Haus, habe Bücher lesen dürfen und Französisch lernen, auch Maschinschreiben. Ach, ich habe mich immer so nach einer besseren Bildung gesehnt.«
»Und Sie kehren auf Ihren Posten nicht mehr zurück?«
»Nein, ich habe zuviel Heimweh nach Wien gehabt.«
»Gerade ein solches Mädchen wie Sie würde ich brauchen, Luise. Aber davon reden wir noch.«
Martha entließ das Mädchen sehr freundlich:
»Also morgen zwischen elf und zwölf.«
Als die Schauspielerin das Kaffeehaus betrat, erhob sich in einer der letzten Logen ein Mann von recht müdem, kränklichem Aussehen und ganz ergrautem Haar. Sie trat langsam, wie widerwillig, an seinen Tisch und setzte sich ihm gegenüber, ohne ihm die Hand zu reichen und ohne ihm ins Gesicht zu sehen. Er mußte sich offenbar zusammennehmen, um seine Erregung zu unterdrücken und halbwegs ruhig zu sagen:
»Ich danke dir dafür, daß du gekommen bist. Viel Zeit will ich dir ja nicht rauben.«
»Dafür werde ich sehr dankbar sein.« Sie wollte eigentlich nicht so verletzend sein, aber die Vermutung, Unangenehmes hören zu sollen, machte sie übellaunig.
»Du hast bis jetzt den Ort, wo ich lebe, nicht erfahren und ich kann dir ihn auch heute nicht verraten«, sagte Frey bedauernd. »Aber –«
»Ich habe mich auch nicht sehr dafür interessiert, wo du dich aufhältst.«
»Ich und – dein Kind.«
»Mein Kind? Es ist nur das deine, du hast es mir ja genommen.«
»Wozu ich das Recht hatte und du nicht allzu ungern deine Zustimmung gegeben hast, damals, als du nichts als eine ganz freie Künstlerin sein wolltest.«
»Wenn du sagen willst, ich hätte den Buben nicht trotzdem sehr lieb gehabt, so lügst du. Daß ich ihn seither nicht sehen konnte, ist dein Wille. Du hast ihn gut versteckt, damit ich ihn mit meinem Wesen und meinen Ansichten von Leben und Welt nicht anstecke. Du hast ihn jedenfalls sehr fromm erzogen.«
»Ich habe ihn, unseren Karl Friedrich, versteckt, ja. Wie ungern – das ahnst du ja nicht. Ebensowenig, wie ich danach verlange, daß es nicht mehr nötig wäre. Er ist jetzt dreiundzwanzig.«
Martha unterdrückte die mütterliche Neugierde und fragte nicht weiter. Frey seufzte:
»Ich hoffe doch, daß er seine Mutter wieder sieht und ihrer sich freuen wird, wenn sie – anders geworden ist.«
»Wer weiß, ob ich nicht einmal anders werde –« sagte Martha so ernst und mild, daß Frey überrascht sie ansah. Er wagte es jetzt, wärmer zu reden:
»Wenn der Beweis dafür da wäre, dann, ja, dann würde dir ein alter guter Freund von mir das Geheimnis, wo unser Karl zu finden ist, verraten. Ich selbst habe nur kurze Zeit mehr zu leben. Darum bin ich ja hergekommen. Du sollst nicht nur wissen, daß dein Sohn ein guter, edler Mensch geworden ist, sondern auch, daß er sich sehnt, seine Mutter einmal in der Nähe zu haben.«
»Mit seiner lasterhaften Mutter darf er nicht zusammenkommen. Gut.« Martha redete jetzt bitter. »Und wenn die böse Mutter einmal sich bekehren sollte, wer ist jener alte Freund, der sie dann mit Karl zusammenführt?«
»Der Advokat Doktor Grimm. Und wenn der alte Herr es nicht erleben sollte, dann der Erbe seiner Kanzlei, sein ältester Sohn. Du kennst ja beide.«
»Von diesen Leuten läßt du mich – bespitzeln!« fuhr Martha auf.
»Nein, nein«, beteuerte Frey, »von niemand. Du bist ja eine berühmte Frau und alle Welt interessiert sich darum, wie du lebst, weiß und redet davon. Verzeih!«
Heftig rührte Martha jetzt in ihrer Schokolade, ohne zu trinken. Sie schwankte zwischen versöhnlicher Stimmung und Unwillen. Jene kam von dem mitleiderweckenden Anblick des kranken Frey; auch hörte sie schon aus dem Ton seiner Stimme heraus, daß er sie noch immer liebte und wußte sie, daß er um sie litt. Aber gegen die Demütigung, ihres Sohnes unwürdig erachtet zu werden, wehrte sich zornig ihr Stolz, wenn sie sich auch sagen mußte, sie selbst hätte, wäre ihr Sohn nahe gewesen, die Art ihrer Lebensführung vor ihm geheimgehalten.
Frey schwieg jetzt lange. Die Aufregung hatte ihn atemlos und matt gemacht. Sein Gesicht war eingefallen und Schweiß stand ihm auf der Stirne. Martha dachte indessen an Pant und daran, daß auch er eine Mutter hatte. Plötzlich überkam sie Furcht vor der unbekannten Frau und zugleich vor der Möglichkeit, Pant zu verlieren. Den Mann, der da gebeugt und hüstelnd vor ihr saß, hatte sie einmal geliebt. Heute begriff sie das kaum. Sie war blutjung gewesen, als sie ihn heiratete, sie die verwaiste, arme Schneiderstochter den vermögenden Kaufmann, der sie einmal auf einer Dilettantenbühne gesehen hatte, um sie liebzugewinnen. Nach einigen Jahren war ihre Liebe zu dem für sie zu philiströs rechtschaffenen Mann kühl geworden und nur der Knabe Karl Friedrich hielt sie beide zusammen, bis auch diese Bindung nicht stark genug war und das Verlangen der hochbegabten und leidenschaftlichen Frau, ihre Kleinwelt mit einer größeren zu tauschen, endgültig siegte. Sie liebte später keinen von den Männern, die ihr auf dem Wege zu dem Ruhm einer großen Künstlerin mit glühender Verehrung begegneten, obwohl es nicht ganz wenige waren, die einige Zeit lang, manchmal nur ganz vorübergehend, ihr sehr nahekommen durften. Nur den Baron Pantaleon Hellenstein liebte sie. Und in dieser Liebe war etwas von jenem Mütterlichen, das seit der Trennung von ihrem Kind unterdrückt war und gewartet hatte; das erhob auch Widerspruch in ihr, wenn sie sich überschwenglichen Freuden nur des Geschlechts hingab, und verlangte nach anderen, reineren Formen des Umgangs mit dem Geliebten ...
Martha schob die kalt gewordene Tasse von sich: »Hast du mir noch etwas zu sagen?«
Frey schüttelte betrübt den Kopf. Sie reichte ihm die Hand: »Lebwohl.«
Daheim suchte Martha in einer alten Perlmutterkassette herum, bis sie ein paar Lichtbilder eines Kindes gefunden hatte. Einige davon zeigten auch sie selbst und ihren Gatten. Bald versperrte sie alles wieder. Sie hatte das Bedürfnis, sich die Hände zu waschen.
Als Pant kam, sagte sie von ihrer Begegnung im Kaffeehaus keine Silbe. Später berichtete sie ihrem Vetter.
Am nächsten Vormittag kam Luise Wallner in einem dunklen Kleid und mit geröteten Augen. Ihr Großvater war nachts gestorben. Er war ihr ja nicht viel gewesen, aber doch der einzige nahe Verwandte, dem sie aus der Fremde hatte schreiben können, wie ihr ums Herz war. Die fast zärtliche Teilnahme Marthas tröstete sie weit mehr, als sie das viele Geld freute, das ihr in die Hand gezwungen wurde. Obwohl sie sonst zu klug und vorsichtig wäre, eine Stellung anzunehmen, ohne über die »Herrschaft« und die Hausverhältnisse ziemliche Klarheit zu haben, sagte sie doch ja und legte ihre Hand froh in die der Schauspielerin, als ihr diese so freundlich zuredete:
»Wenn das Begräbnis vorüber ist und alles Drum-und-Dran, dann kommen sie zu mir und bleiben, hoffentlich, für lange oder immer. Ich habe ja Stubenmädchen und Extramädchen, aber jemand, der Maschine schreibt, ist mir sehr willkommen. Als eine Art von Sekretär hilft mir ja ein Baron Hellenstein, aber so ein junger Mann, natürlich, ist nicht immer zur Stelle, wenn man ihn braucht.«
Seltsam, diesem einfachen, noch fremden Mädchen gegenüber schämte sich Martha der Verstellung. Auch über den Ton, mit dem sie sprach, wunderte sie sich selbst; er war ausgesprochen mütterlich. Sie war ihn an sich selbst nicht gewohnt, seit ihr Sohn nicht mehr bei ihr war. Nur Pant konnte ihn hie und da hören, wenn ihre Leidenschaft ruhigere Tage hatte.
Doktor Geißler ließ sich heute kaum blicken. Martha ahnte, daß er insgeheim die Spur ihres geschiedenen Gatten verfolgte.
Der Sonntag kam und Pant ging für eine kleine halbe Stunde in die nächste Kirche, denn er wollte nicht lügen, wenn ihn seine Mutter, die er für heute erwartete, fragen würde, ob er eine Messe gehört hätte. Danach aber reute ihn die Feigheit, die ihn zum Heuchler gemacht hatte. Er wollte, das beschloß er nun und gelobte sich's fest und feierlich, seine Wandlung zum freien, heutigen Menschen seiner Mutter – nein, nicht gestehen, sondern entschieden rühmen. Im Schlafzimmer seiner Wohnung, die ihm Martha so kostbar eingerichtet hatte, ging er auf und ab, warf hie und da mit erhobenem Haupt einen langen Blick in den großen Spiegel, um erst sich selbst jenen Respekt einzuflößen, den er heute seiner Mutter mit der klaren Erklärung beibringen wollte, daß er sich ihrem Gängelband entwachsen fühle und es sich ernstlich verbiete, durch sie oder Onkel Tiburz oder Tante Anna Charlotte in seinen moralischen Anschauungen und Lebensgewohnheiten beunruhigt zu werden. Er wußte ja, warum die Mutter heute kommen wollte. Ihr letzter Brief war so zögernd, kurz und kühl gehalten, daß sie Verstimmung über etwas verrieten, von dem zu sprechen sie für später verschob. Sie wußte zweifellos von Wiener Bekannten um seine Sache mit Frau Martha Heger. Aber er wollte ihr schon mit der nötigen Entschiedenheit antworten, wenn sie sich in seine Liebe mischte. Wie ein Redner vor seinem Auftreten Worte, Haltung und Gebärden vorbereitet, so tat es Pant vor dem Spiegel. Er wurde immer mehr mit sich zufrieden und begann schließlich das Torerolied aus Carmen vor sich hin zu pfeifen. Dabei sah er nach der Uhr. Es war beinahe Zeit, zum Bahnhof zu gehen. Da ging das Telephon. Er meinte, Martha wolle ihn grüßen und ihm Mut machen, obwohl er solchen sich selbst schon beigebracht hatte; aber es war die Stimme seiner Mutter:
»Grüß dich Gott! Ich wohne im Parkhotel. Komm!«
»Sofort, Mutter!«
Es wurde ihm ein wenig unwohl und er stürzte ein großes Glas Kognak hinunter, ehe er ging und während er feststellte, daß seine Mutter weder vom Bahnhof abgeholt werden noch seine Wohnung hatte betreten wollen.
Baronin Maria Hellenstein empfing ihren Sohn in einem recht bescheidenen Hotelzimmer. Auf dem Tisch stand ein viereckiges Ding, das Pant an der Umhüllung als das kostbare Necessaire erkannte, das er zum Namenstag der Mutter geschickt hatte, ohne bisher erfahren zu haben, daß es Freude gemacht hätte. Die Baronin ließ sich schweigend die Hand küssen, die war ziemlich rauh. Ein Blick in das Antlitz dieser noch nicht sechzigjährigen Frau ließ Pant erschrecken, denn sie sah wie eine Greisin und sehr verhärmt aus. Wie sie ihn nun, der ihr erblaßt gegenübersaß, mit Augen voll Liebe und Angst ansah, entfiel ihm die Kraft zur Beschwerde darüber, daß die Mutter seine Wohnung mied, und, wie er fühlte, auch der Mut, gegen kommende Vorwürfe sich zu verteidigen. Aber sie machte ihm keinen Vorwurf, sondern ergriff nur seine Hand:
»Willst du nicht heimkommen? Der Onkel ist bereit, dir alles zu übergeben, und Tante Anna ist einverstanden. Wir werden uns mit Gottes Hilfe auf unserer kargen Scholle durchbringen. Du hast etwas gelernt und was wir drei alten Leute in unserer Rückständigkeit nicht können, wirst du imstande sein, mein Kind.«
Sie bat fast demütig. Wie um seinen Groll zu retten, sah Pant finster zu dem viereckigen Karton hinüber, der verschnürt auf dem Tische stand. Die Baronin antwortete dem schweigenden Vorwurf:
»Das dort ist zu kostbar für mich – und – nicht mit deinem Gelde gekauft. Ich kann es nicht annehmen.«
Sie sagte das so mild, daß Pant ein mutiges Wort nicht herausbrachte. Und der Vorwurf, der in den Worten »nicht mit deinem Gelde« lag, erfüllte ihn mit Scham. Er fühlte, wie er errötete.
»Ich kann nicht heim –«, stammelte er, fürchtend, daß er jetzt von Martha reden müsse. Aber die Mutter fragte nicht weiter, sondern legte nur ihre faltige Hand über die Augen. Nun sah er, wie ihre Schultern zuckten. Sie weinte.
»Habe Geduld mit mir, Mutter!« bat er jetzt und fiel zu ihren Füßen auf die Knie. »Ich kann nicht – plötzlich – alles ändern, ich werde nachdenken und will mich bemühen.«
Sie sprich getröstet über sein Haar hin, während sie mit der anderen Hand das Taschentuch über die Augen führte.
»Du versprichst es, und ich vertraue dir, Kind.«
Sie fühlten beide, daß sie jetzt von anderen Dingen reden mußten. Und so sagte die Baronin, als ihr Sohn ihr wieder gegenübersaß:
»Onkel Tiburz wird immer schwächer. Man muß ihn an- und auskleiden, er füttert auch nicht mehr die Hühner, sondern sitzt den ganzen Tag bei seinen Schachproblemen. Dafür ist Tante Anna unverwüstlich und arbeitet für zwei Mägde, du weißt ja. Ihre einzige Erholung ist das bißchen Jagd. Sie hat heuer den Füchsen übel mitgespielt.«
Pant lächelte bei der Erinnerung an die alte jungfräuliche Jägerin, wie sie mit kurzem Röckchen über den dürren Waden, uralter Lederjacke um die eckigen Schultern und ein schäbiges Steirerhütchen auf dem wirren Grauhaar durch den Wald pirschte. Aber es stieg auch die Furcht in ihm auf, diese robuste Verwandte könnte ihn einmal im Interesse der Familienehre derber ins Gebet nehmen, als die Mutter es soeben getan hatte, falls er – nein, er war in dieser Stunde wenigstens halb entschlossen, seine Leidenschaft für Martha zu bekämpfen und allmählich sich von ihr zu lösen. Dabei fühlte er sich freilich sehr elend. Eine Zeitlang hörte er nicht, was die Mutter redete und sah grübelnd zu Boden. Endlich gab er sich einen Ruck, fragte nach allerhand, was die Pachtwirtschaft daheim betraf, und freute sich, als die Mutter mit so dankbarem Eifer antwortete. Als es Zeit wurde, zum Bahnhof zu fahren, wagte er es nicht, ihr ein Auto anzubieten, und so stiegen sie in die Straßenbahn. Den Karton mit dem kostbaren Necessaire trug Pant mit, um ihn unter die Wagenbank zu schieben und nicht mehr hervorzuholen.
Abends fragte Martha, als sie nach dem Theater heimfuhren:
»War deine Mutter lieb zu dir?«
»Sehr lieb«, antwortete Pant beklommen und einsilbig.
»Kann ich – können wir vielleicht etwas für sie tun?«
»Ich glaube nicht – nein, nein!«
Es klang so ablehnend, daß Martha verstimmt wurde und kein Wort mehr von Pants Mutter sprach.
Daheim fand sich Doktor Geißler vor, bereit zur Abreise. Er war nicht zu halten. Aus dem Faltengitter seines Gesichtes schauten Scham und Niedergeschlagenheit.
Die nächsten Wochen waren für Martha und Pant keine besonders glücklichen. Martha glaubte den Einfluß der Mutter auf ihren Geliebten mit jedem Tag mehr zu fühlen. Darin täuschte sie sich. Seine Leidenschaft wurde andersher von ihr abgelenkt. Von dem jungen Mädchen, das sie ins Haus genommen hatte. Luise Wallner war schnell aus ihrer Dienstbotenstellung zu der einer Art Hausbeamtin herausgewachsen. Sie schrieb Maschine, auch französische Briefe, las schön und verständnisvoll vor, besorgte Einkäufe, die man nur Leuten von Geschmack, Geschick und hoher Vertrauenswürdigkeit machen läßt, und zeigte sich auch in Toilettefragen bald als unentbehrliche Ratgeberin. Das eine bedauerte Martha, daß Luise immer schwermütiger wurde, ohne ihr den Grund zu verraten. Pant aber wußte diesen, denn auf seine Frage hatte sie offenherzig geantwortet:
»Es ist hier nicht alles so, wie ich es gewohnt bin. Sie nämlich, Herr Baron, gehören eigentlich – verzeihen Sie – nicht hierher.«
»Werden Sie meinetwegen fortgehen?«
»Wahrscheinlich.«
»Dann gehen wir beide.«
Sie sah ihn erstaunt und etwas unwillig an: »Wohin?«
»Zu meiner Mutter.«
Da verstand sie ihn nun nicht und schwieg. Aber Pant, erschrocken über das, was er unbedacht gesagt hatte, suchte es lachend zum Scherz zu stempeln. Es gelang ihm nicht. Ein so kluges Mädchen wie Luise durchschaute ihn. Sie sah ihn mitleidig und sinnend an, ehe sie still aus dem Zimmer ging. Von da an war ein schweigendes, keusches Einverständnis zwischen ihnen. Aus vielen Kleinigkeiten des Benehmens wußten beide, daß sie einander liebten und daß diese Liebe täglich wuchs.
Martha aber bemerkte nichts. Nur das eine fühlte sie, daß Pant immer verlegener und kühler wurde. Manchmal überkam sie der Wunsch, seine Mutter kennenzulernen und irgendwie entscheidend um Pant mit ihr zu kämpfen. Dann wieder dachte sie, demütig bei ihr zu betteln. Dazwischen bedachte sie immer wieder, daß ihr Gatte krank sei und sie bald von einem Bande befreit sein würde, das sie in den Augen der Mutter zur Ehebrecherin machte und eine Heirat mit Pant hinderte; daß ihr Geliebter sich über dieses Hindernis hinwegsetzen könnte, glaubte sie für jetzt nicht mehr. Warum hatte sie früher nicht versucht, ihn so an sich zu binden? Da er noch den Anschauungen seiner Familie trotzig gegenüberstand und sich dessen rühmte? Jetzt machte er sie öfter durch irgendein Wort erstaunen, das für ganz andere Sitten redete, als die von ihnen bis jetzt geübten und verteidigten. Sie stellte fest, daß seine Mutter aus ihm redete. Damit hatte sie wohl recht; aber auch Luise Wallner sprach aus ihm. Seltsam, daß sie selbst, die freie, selbstgesetzliche Frau, immer mehr an der alten, überwundenen Moral heimlich den Geschmack wiederfand. Es war wohl ihr Altern schuld daran, dachte sie, und dann die Liebe zu Pant, der sie ansteckte. Darin hatte sie wohl recht. Aber auch Luise Wallner war schuld.
Marthas Gesundheit war nicht die beste. Mit Mühe trat sie in Serienaufführungen auf, die ihr ohnedies zum Ekel geworden waren, und sagte häufig ab. Endlich schickte sie der Arzt in ein Sanatorium, wo man sie auf ein Gallenleiden behandelte. Ihre Schönheit litt jetzt von Tag zu Tag empfindlicher. Die Augen sanken in dunkelgraue Schattenringe und die Haut des Gesichtes wurde fahl wie die ihrer Arme und Hände. Voll unwilliger Scham war sie, wenn Pant sie besuchte, und immer in Angst, das Alter würde nach so langem Zögern um so grausamer ihren schönen Körper überfallen. Sie forschte peinlich in Pants Benehmen und Reden und täuschte sich nicht darüber, daß jetzt viel Konventionelles dabei war.
Eines Morgens kam ein Brief an, der sie zum Erstaunen der Ärzte anscheinend plötzlich gesund machte. Doktor Grimm, der Rechtsanwalt, teilte trocken, mit, daß sein alter Freund, ihr geschiedener Gatte, vor einer Woche an Herzlähmung gestorben sei. Sie verließ aufgeregt das Krankenbett und eilte zum Telephon. Aber dieser Doktor Grimm sagte ihr nichts weiter als das, was in seinem Brief stand. Sie war zornig. Aber die Antwort war immer:
»Bedauere. Sie wissen doch, unter welchen Bedingungen ich Ihnen nähere Auskunft geben darf?«
»Sie spielen also den Sittenrichter über mich?«
»Bedauere, ja.«
»Sie verweigern einer Mutter, ihr Kind aufzusuchen?« Bedauere, ja.«
An demselben Morgen erhielt Pant ein Telegramm von Tante Anna Charlotte. Der alte Baron war schwer krank, die Katastrophe kaum vermeidlich. Pant eilte mit der Nachricht zu Luise. Sie waren gute, glückliche Kameraden geworden.
»Jetzt muß ich endlich heim, Gott sei Dank. Ich komme nur wieder, um Sie, Luise, zu holen, wenn ich – wenn Sie –«
Sie schlug die Hände vors Gesicht und Pant erschrak. Aber als sie die Hände wieder fortnahm, lachten ihre Augen glücklich.
»Ja, ich habe Sie sehr lieb«, sagte sie dann ruhig. »Über alles lieb.«
Er küßte rasch ihre Fingerspitzen und eilte davon.
Vor dem Hause stieg Martha aus dem Auto. Es verletzte sie, daß Pant nicht fragte, warum sie so plötzlich heimkomme. Als er von seiner Heimreise zu dem sterbenden Onkel sagte, war sie bestürzt.
»Mein Mann ist gestorben«, sagte sie dann, hoffend, es werde irgendwie auf Pant wirken. Aber er sagte nur kühl, wie früher der Rechtsanwalt:
»Bedauere.«
Und fort war er.
Der Arzt hatte ihr das Versprechen abgenommen, daheim das Bett aufzusuchen. Aber Martha dachte nicht daran, sondern ging aufgeregt aus einem Zimmer in das andere. Nicht einmal Luise durfte ihr nahen. Plötzlich kramte sie die Bilder ihres Gatten und Kindes aus, legte sie aber gleich wieder fort. Bei diesem Umherstöbern stieß sie auch auf eine Menge eigener Jugendbildnisse. Sie sah sie nicht an, sondern warf sie zornig auf ihren Platz zurück. Zuletzt kam ihr der seidene Beutel mit dem alten Halsband unter die Finger. Sie warf es auf den Tisch und läutete Luise.
»Werfen Sie das alte Ding irgendwohin. Es bringt mir Unglück.«
»Darf ich zuerst nachsehen?«
Erschrocken hielt Luise die Edelsteine in der Hand:
»Ist das nicht echt?«
»Ja, aber seit ich's habe, ist alles Glück dahin. Behalten Sie das Hexending auf Ihre Gefahr hin, oder schmeißen Sie es lieber in die Donau.«
Luise ließ den Beutel in die Tasche ihrer weißen Schürze gleiten und wollte verwirrt gehen. Aber ihre Herrin rief sie zurück:
»Keinen Menschen habe ich, dem ich mich anvertrauen könnte«, weinte sie heftig auf, »als Sie, Luise. – Bleiben Sie – setzen Sie sich zu mir!«
Sie schüttete sich dem Mädchen ganz aus, erzählte ihr, freilich in krauser Reihenfolge, ihr Leben von Jugend an ohne viel Beschönigung und zuletzt von ihrer Angst um Pant.
Luise hatte vor Mitleid, Scham und so etwas wie Selbstvorwürfen wegen Pants große Mühe, ein Wort herauszubringen.
»Beten wir, daß Sie, gnädige Frau, den Weg finden.«
»Welchen Weg?«
»Zu Ihrem Sohn.«
»Und Pant? – Jetzt, wo ich für ihn ganz frei bin – jetzt, meinen Sie, soll ich auf ihn verzichten?«
»Ach!« seufzte Luise nur. Sie kam sich falsch vor gegen die Frau, die sich ihr da so offen anvertraut hatte. Aber sie konnte dennoch unmöglich ein Geständnis tun, das die ohnehin Gequälte und noch Kränkliche jetzt nicht ertragen würde. Der Versuch, die Herrin mit Worten zu trösten, die der religiösen Sprache angehörten, mußte mißlingen, ließ die Zuhörerin nur abweisend den Kopf schütteln, wenn sie darüber auch nicht sehr unwillig schien. Das Geheime, das sie mit Pant hatte, hemmte Luise zuletzt so und beklomm sie so stark, daß sie etwas unvermittelt ihre Herrin verließ. Zuvor versuchte sie noch, das Halsband zurückzugeben, aber es wurde entschieden abgelehnt.
Nach ihrer Beichte empfand Martha wenig Erleichterung. Bald stellte sich auch die Reue ein, die ihr Stolz darüber empfand, daß sie sich einem so tief unter ihr stehenden Geschöpf, einer Hausgehilfin, anvertraut hatte. Sie empfand das Bedürfnis, Luise immer wieder unter einem geringfügigen Vorwand zu rufen und ihr allerhand unwichtige Aufträge zu geben, um durch geänderte Haltung den früheren Eindruck allzu großer Vertraulichkeit abzuschwächen. Luise kam immer verweint, doch sie wußte kaum, warum sie in ihrem Zimmer immer wieder in Tränen ausbrach. Sie fühlte sich der Liebe Pants sicher, hatte nichts zu bereuen und fürchtete nichts, nicht einmal den Augenblick, da ihre Gebieterin ihr Geheimnis erfahren würde. Aber sie empfand sich als Braut und als Braut weint jedes seelengesunde Mädchen.
*
Pant fand den Großonkel nicht mehr lebend. Er schämte sich, nicht herzlichere Trauer zu empfinden, obwohl ihn der Verstorbene sicher sehr geliebt hatte. Diese Liebe war freilich immer in jener Zurückhaltung versteckt gewesen, die zum Wesen dieses alten Hellenstein gehört hatte.
Das »Schloß« war ein sehr einfaches Gebäude, fast einer riesigen Scheune ähnlich, trug ein weit aufsteigendes, zum Teil noch mit uralten Schindeln gedecktes Dach und hatte außer einem großen, hallenartigen Vestibül, dessen Wände mit vielen verblichenen Jagdbildern bedeckt waren, keinen imposanten Raum, der wahrhaft herrschaftlich gewirkt hätte, sondern die knarrige Holztreppe führte zu einem Labyrinth von niedrigen Zimmern und Zimmerchen, die das einzige Stockwerk und einen guten Teil des Dachraumes ausfüllten. Das Gebäude hatte ehemals als Jagdschloß, als Nonnenkloster und als Zufluchtsort verschiedenartiger Hellensteins gedient, die entweder zu arm oder zu weltflüchtig gewesen waren, um draußen das große Leben mitzumachen. Die nächste Umgebung dieses nicht herrlichen, aber doch eigenartig lieben Herrenhauses unterschied sich fast in nichts von einem gewöhnlichen größeren Bauernhof. Die Besitzer des Gutes mit seinen wenig fruchtbaren, weil hoch im Bergwald gelegenen Gründen waren Pants reiche Verwandte, die in der Oststeiermark und im fruchtbaren Marchfeld begütert waren. Sie hatten vom armen alten Baron Tiburz einen geringen Pachtschilling eingehoben, aber sich weiter nie ernstlich um ihn oder Pants Mutter gekümmert. Diese war wohl sicher, dem Verstorbenen als Pächterin nachzufolgen; sie, und längst nicht mehr Baron Tiburz, hatte ja eigentlich im ungestört friedlichen Bunde mit ihrer älteren Kusine Anna die Wirtschaft geführt. Pant hatte niemals viel davon wissen wollen, einmal im Schloß Ottenberg als Landwirt einzuziehen. Jetzt, wo der Tote in der kahlen ehemaligen Klosterkapelle aufgebahrt lag, fühlte er, daß er dieses Haus mehr lieben konnte, als er gewußt hatte und daß eben dieser immer ernste Mann, der da schwarzgekleidet in einem schmalen, aber überaus langen Sarge lag, schon weil er ihm den heiteren, gutmütigen, früh als Offizier gestorbenen Vater so gar nicht hatte ersetzen können, die größte Schuld daran trug, daß er die Nähe auch seiner Mutter floh und auch seiner gar nicht geringen Zuneigung zu der wortkargen, aber gütigen Tante Anna nicht viel zuliebe tat. Daß er jetzt in diesem Hause wie ein Mensch umherging, der sein zukünftiges Heim gefunden hat, und trotz der Trauertage fröhlich war, hatte seinen Grund darin, daß er jetzt ein Heim suchte, vor allem für Luise. Er dachte sie in diese alten Zimmer hinein, in den großen Obstgarten, in den herrlichen Wald. Dabei störte ihn nur der Gedanke, daß er ein armes Mädchen heimbringen werde, wo doch Geld, Geld und wieder Geld so nötig gewesen wäre, um aus dem Gut mehr Nutzen herauszuschlagen oder es gar in eigenen Besitz zu bringen. Daß seine Mutter auf einer reichen Heirat ihres Sohnes nicht bestehen würde, wenn sie Luise nur einmal kennengelernt hätte, dafür bürgten ihm das Herz jener ebenso wie die Klugheit und Arbeitsfreude, die er an dem Mädchen kannte. Immerhin betrübte Pant die Gewißheit, daß beide Frauen weiterhin ein Leben fast ohne Annehmlichkeiten führen sollten, um ihm den Betrieb des Anwesens zu verbilligen.
Erst als man den alten Baron begraben hatte, entschloß sich Pant, seiner Mutter die Wandlung, die mit ihm vorgegangen war, zu offenbaren. So ganz überrascht war die kluge Frau nicht, denn sie hatte es ihrem Sohne längst angesehen, daß er jetzt ein besseres Gewissen habe, und sie vermutete auch, daß irgendeine Frau dahinterstecke, denn er ließ hie und da ein Wort fallen, das den Willen zu einer Ehe von altbewährtem christlichem Zuschnitt offenbarte. Sie machte nicht etwa gute Miene zum bösen Spiel, als Pant von der Armut Luisens sprach, sondern freute sich ehrlich, daß er ein braves Mädchen und daß er überhaupt gewählt hatte, am meisten freilich darüber, daß er seine Leidenschaft zu Martha überwunden hatte. Von einer Ehe mit der nun Verwitweten hätte sie sich keinen Segen versprochen, trotz dem ihr bekannten Reichtum. Tante Anna war ganz derselben Meinung, sagte aber doch scherzhaft seufzend:
»Wir haben kein Glück mit dem Geld und werden unser Lebtag arme Hasen bleiben. Onkel Tiburz hat vierzig Jahre um das kostbare Halsband gebetet, aber – tralala!«
»Um welches Halsband?« fragte Pant.
»Du hast die Geschichte vergessen«, sagte die Baronin. »Wir haben schon sehr lange nicht davon gesprochen, dem Onkel zulieb. Er hat aber noch am Sterbebett inbrünstig gebetet, daß der Schmuck doch noch zum Vorschein und in unsere Hände komme. Der Arme! Diese Hoffnung haben wir anderen längst aufgegeben.«
Pant erinnerte sich jetzt dunkel, daß die Verarmung des Barons mit dem Verlust eines wertvollen Schmucks irgendwie zusammenhing. Aber das Nähere mußten die beiden Frauen wieder erzählen. Wie Baron Tiburz mit dem Tode seiner überschwenglich geliebten Frau den Halt verloren, und ein sehr ansehnliches Vermögen fast verschwendet hatte. Als er zur Besinnung kam, verkaufte er alte, kostbare Schmucksachen, um mit dem Erlös ein neues Leben als Landwirt zu beginnen. Ein altgriechisches Halsband aus wunderbaren Smaragden wollte er dem British Museum verkaufen und sein bester Freund, ein junger Graf, reiste damit als Kurier nach London. Eine Depesche von dort überraschte den Baron mit der Nachricht von dem sehr hohen Angebot. Aber während der Verhandlungen kam dem Grafen der Schmuck auf eine später nie erklärte Weise abhanden und er erschoß sich in einem Londoner Hotel.
Die Baronin verließ das Zimmer, in welchem die drei unter einer riesigen Petroleumlampe beisammensaßen, als die wenigen Trauergäste abgereist waren. Sie kehrte mit einem Päckchen wieder, das alte Zeitungsausschnitte, behördliche Benachrichtigungen und Privatbriefe enthielt, was alles die Angelegenheit mit dem gestohlenen Schmuck betraf. Aber auch Bilder von diesem, teils Photographien, teils Zeichnungen, waren vorhanden, die Pant in Unruhe versetzten. Er kannte das antike Halsband, das Martha Heger besaß, und es entsprach auffallend diesen Bildern. Besonders das Mäandermotiv, das in der Verkettung der Edelsteine sich wiederholte, machte ihn stutzen. Aber er sagte kein Wort davon, weil er von Martha nicht mehr sprechen wollte. Er erbat sich nur das wiederverschnürte Päckchen, weil er seinen Inhalt ganz genau durchsehen wolle.
Es reute ihn, daß er von Martha so verletzend kalten Abschied genommen hatte, auch empfand er deutlich, daß ihre Liebe nicht jener Rausch der Sinne war, den er selbst überwunden hatte, sondern im Grunde ein Tieferes und Reineres, und es kam ihn Mitleid an; darum nahm er sich vor, Martha gut zu behandeln und die endgültige Trennung nicht in schroffer Art zu vollziehen. Aber der Hauptgrund, warum er, als er Martha gegenübertrat, die alte Maske trug, war doch ein anderer und seiner schämte er sich ein wenig, ohne ihn aber auszuschalten. Er wollte Zeit gewinnen, das alte Halsband zu sehen und zu untersuchen, wenn es ihm auch zu abenteuerlich schien, daß es das ehemalige Besitztum seines Großonkels sein könnte.
Martha, krank nicht nur körperlich, sondern auch von Zweifel, Ängsten und Ungeduld halb wahnsinnig, jubelte befreit auf, als Pant sie wegen seines kühlen Benehmens herzlich um Verzeihung bat und ihre Hände so innig küßte, wie nur jemals.
»Du bist der Alte! Du bist wieder mein Pant!« rief sie weinend und umschlang seinen Hals. »Alles ist wieder gut! Ich werde noch einmal jung und schön werden! Und wir werden glücklich sein, Pant!«
Unter dem Vorwand, sie dürfe sich als Genesende nicht sosehr erregen, ging er auf keine leidenschaftliche Szene ein und zwang sie, ihm ruhig gegenüberzusitzen und von ihrer Krankheit, von den empfangenen Besuchen, von kleinen häuslichen Dingen zu reden. Endlich konnte er sich nicht enthalten, ein gewisses Päckchen hervorzuziehen und seinen Inhalt vor Martha auszubreiten. Sie war konsterniert. An zwei Verbiegungen der Verbindungsglieder zwischen den Edelsteinen, die da auf den Lichtbildern deutlich zu sehen waren, erkannte sie mit Schrecken, daß es sich um das vor wenigen Tagen an Luise übergebene Kleinod handle. Pant hatte sie in der Nacht nach dem Abend bei Schlesinger gestanden, es von einem begeisterten Freund des Theaters als Geschenk erhalten zu haben.
»Was soll ich jetzt tun, um Gottes willen?« klagte sie jetzt. »Ich habe das Eigentum deines Onkels verschenkt.«
Pant wurde blaß:
»Verschenkt! Wem?«
»Luise Wallner doch nicht?«
»Ja. Weil ich dachte, es bringe mir Unglück. Aber sie muß es wiedergeben.«
Ein Stein fiel Pant vom Herzen. Er hinderte Martha, die Luise läuten wollte, konnte aber einstweilen kein Wort sagen.
»Du bist der Erbe nach dem Baron?« fragte Martha erregt.
»Meine Mutter ist es. Das Halsband hat ungeheuren Wert«, stammelte Pant und wies auf einen Zeitungsausschnitt, der mit einer gewaltigen Ziffer die Tausende Pfund Sterling als Schätzungswert anzeigte.«
»Luise muß zurückgeben, sorge dich nicht, Pant!«
»Es ist nicht nötig«, sagte jetzt Pant und wurde feuerrot. »Luise ist meine Braut.«
*
Seit dem Nervenzusammenbruch, mit dem die letzte Liebschaft der berühmten Schauspielerin Martha Heger geendet hatte, waren zwei Jahre vergangen. Sie war auffallend rasch alt geworden und kränkelte beständig. Der Bühne hatte sie Lebewohl gesagt und es hieß, sie führe in ihrer Villa das Leben eines Sonderlings. Sie hielt sich in unnahbarer Einsamkeit und im Telephonbuch war ihre Nummer verschwunden. Ihre Domestiken waren jetzt durchwegs alte Leute.
Seit etwa einem Jahr hatte sie begonnen, abends arme, kranke Menschen in ihrer Wohnung zu besuchen und zu beschenken. Jetzt sah man sie in auffällig unmodernen Kleidern täglich morgens zur Kirche gehen. Das setzte ihrem absonderlichen Verhalten die Krone auf, wenigstens in der Meinung jener Journalisten, die von Zeit zu Zeit die Öffentlichkeit mit wahren und erfundenen Geschichten von der gefallenen Bühnengröße Martha Heger unterhielten.
Eines Tages geschah das Unwahrscheinliche, daß sie verreiste. Das hing mit einem kurzen Brief des Rechtsanwaltes Doktor Grimm zusammen:
»Verehrte gnädige Frau! Ich beehre mich, Ihnen mitzuteilen, daß Ihr Herr Sohn, der Franziskanerpater Benno Frey, den innigen Wunsch hat, Sie zu sehen. Falls Sie einen ähnlichen Wunsch hegen, bin ich gern bereit, seinen Aufenthaltsort in Westdeutschland mitzuteilen.«