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Der Brunnen im Sand

Die Julka war ein Soldatenweib und lebte mit ihrem kleinen Knaben im Dorf, während der Mann dem Schall des Kalbfells bald dahin, bald dorthin folgte. Eines Tages sagte sie zu einer alten Nachbarin:

»Es ist wohl viele Meilen weit dahin, wo jetzt mein guter Mann im Feldlager weilt. Aber ich habe eine so wilde Sehnsucht, ihn zu sehen, daß ich den Weg über die große Sandheide nicht scheue. Ich bitte dich, nimm dich derweilen meines Kindes an.« Sie zog hernach ihr bestes Kleid an, tat Käse und eine Pulle Wein in ihren Binkel und machte sich auf den Weg.

Als sie am letzten Häuschen des Dorfes vorbeiging, hörte sie im Fenster einen Mann zu seinem Weibe sagen:

»Sieh, Malka, da geht die gute Julka. Gewiß gedenkt sie ihren Mann zu besuchen. Ein liebendes, treues Weib, übrigens auch ein fleißiges und höchst anständiges, ganz davon zu schweigen, daß sie sehr hübsch ist.«

»Jawohl, aber sie versteht es nicht, sich anzuziehen.«

Julka dachte: Soll ich jetzt umkehren und dieser Malka in die roten Haare fahren? Aber Umkehren bringt Unglück. Komme ich nur wieder, dann will ich dieser bösmäuligen Hexe das Nötige sagen und antun.

Sie ging mit bitterem Herzen aus dem Dorf in die große Sandheide und dachte dabei an nichts anderes als an die rote Malka und ihren bösen Mund. Als sie des Mittags rastete und ihren Käse aß, schmeckte er bitter, so auch der Wein, den sie trank. Und als sie weiter wanderte, rief sie immer wieder in die Luft:

»Was? Ich verstehe nicht, mich anzuziehen? Das lügst du in deinen dicken Hals hinein, neidische Malka.«

Dabei geriet sie von dem bißchen Weg ab und ins Ungefähr. Sie irrte nun den heißen Tag und auch die Nacht lang über den Sand dahin. Ihr bißchen Wein hatte sie längst ausgetrunken und so litt sie Durst. Am anderen Tag brannte die Sonne noch heftiger, und nirgends war ein Wässerchen zu sehen, davon zu trinken, nicht einmal ein Gräschen oder grünes Blatt, es zu kauen. Am dritten Tag endlich, da sie sich nur mehr mühselig schleppte und vor Durst zu sterben meinte, sahen ihre fieberglühenden Augen ein Fleckchen sonnverbrannten Rasens nahe. Als sie dahin kam, saß ein uralt graues Männchen mit großen Bockshörnern an einem runden Brunnen und vor ihm lagen Eimer und Hakenstange. Julka war zu schwach und elend, um vor dem Gehörnten zu erschrecken und warf sich auf die Knie:

»Ich flehe dich an, sage mir ehrlich, ob ich gut angezogen bin.«

»Das bist du«, grinste der Alte. »Du hast, mir schon gefallen, als du vorgestern aus deinem Hause tratest.«»

»Ich danke dir, du wahrhaftiger Mann. Jetzt gib mir zu trinken, sonst verdurste ich.«

»Hm, trinken – trinken. Dies ist der Brunnen des Vergessens. Wenn du von ihm kostest, wirst du deines Ehemannes dich nicht mehr entsinnen. Du wirst zwar über den Sand und dahin gelangen, wo dein Mann lagert, aber nicht wissen, weshalb du dort bist. Und solltest du ihm begegnen, wirst du ihn nicht erkennen. Und sollte er dich umarmen wollen, wird er zu hören bekommen: Laß ab von einer anständigen Jungfrau, wildfremder Klachel!«

»Meines Mannes soll ich vergessen? Ach, warum bin ich in diese Wüstenei gegangen! Um eines Mannes willen, der sich um sein Weib nicht kümmert, von seinem Solde vielleicht Schnaps und Weiber sich kauft und meiner vergißt. Auch ich will seiner vergessen, sonst sterbe ich vor Durst. Gib zu trinken!«

»Hm, trinken – trinken. Dies ist der Brunnen des Vergessens. Du würdest auch deines Kindes vergessen, das du der alten Nachbarin übergeben hast. Solltest du den Weg in dein Dorf zurückfinden und man brächte dir deinen kleinen Knaben, so würdest du unwillig sagen: Was soll ich mit diesem fremden Balg? Und kein Mensch könnte dich glauben machen, auch nicht das weinende Kind, daß du seine Mutter bist.«

»Ich Unglückselige!« rief jetzt Julka. »Meines Kindes soll ich vergessen? Niemals!« Sie sank in den Sand und heulte. Und als sie ausgeheult hatte, rief sie, ihr Gesicht mit den Händen verbergend:

»Ehe ich hier im Sande mit so jungen Jahren zugrunde gehe, will ich alles vergessen, auch mein Kind. Gib mir zu trinken.«

»Hm, trinken – trinken. Dies ist der Brunnen des Vergessens. Du würdest dich auch niemals mehr jener Worte entsinnen, die vorgestern in der Frühe die rothaarige Malka von dir gesprochen hat!«

»Ich verstehe mich nicht anzuziehen – das hat sie gesagt, die verlogene Schlange. Das soll ich vergessen? Nicht in Ewigkeit.«

Der Alte ließ dennoch den Eimer in den tiefen Brunnen hinab und zog ihn wieder herauf. Er war voll kühl duftenden Wassers.

»Trink und vergiß!«

»Nie und nie!«

Das Weib biß in den Sand, blieb auf dem Antlitz liegen und trank nicht. Noch ein letztes Mal keuchte es: »Nicht in Ewigkeit!«

»Amen«, sagte der Alte, tat zwei seiner langen Finger in den Mund und ließ einen Pfiff ertönen. Da flogen viele Raben herbei und ließen sich zu seinen Füßen nieder. Er lud sie lachend ein:

»Heute bekommt ihr guten Fraß. Da liegt nämlich ein Wanderbinkel, in dem noch ein Stück Käse steckt. Er gehört euch, dazu auch, was daneben liegt und am Verenden ist.«


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