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Nichts ist leichter im Französischen als schlechte Verse zu machen, nichts schwerer als gute. Drei Gründe machen diese Schwierigkeit zu einer fast unüberwindlichen: der Zwang zum Reimen; die sehr kleine Zahl edler und glücklicher Reime; die Unmöglichkeit jener Umkehrungen der Wortstellung, deren es im Lateinischen und Griechischen eine solche Fülle gibt. Mit Ausnahme ganz weniger genialer Dichter haben fast alle sich an der Sprache versündigt, oder an jener geheimen Logik, die dem Gedankengang zugrunde liegen muß, ohne daß man es merkt. Manchmal läßt man sich im Theater von einer pomphaften, mit Schwung vorgetragenen Versreihe blenden. Das unkritische Publikum klatscht, der Geschmackvolle ist unbefriedigt. Aber wie soll der Mann von Geschmack den anderen beibringen, daß die beklatschten Verse nichtsnutzig sind? Ich denke etwa so: Entkleidet die Verse des Rhythmus und des Reims, ohne sonst etwas an ihnen zu ändern. Dann erscheint die Schwäche und die schlechte Logik des Gedankens, die verfehlte Wahl des Ausdrucks, der grobe Sprachfehler, der Schwulst in seiner ganzen Häßlichkeit. Man mache diese Probe an Versen von Racine Racine – Jean Racine, französischer Dramatiker, † 1699 oder Boileau, Boileau – Nicolas Boileau-Despréaux, französischer Schriftsteller und Kritiker, † 1711 da findet man kein ungehöriges oder schlecht angebrachtes Wort, sondern stets einen glücklichen Ausdruck des Gedankens, wobei der Zwang des Reims den Sinn nicht im geringsten beeinträchtigt hat. – Aber nichts ist seltener bei unseren Dichtern, als daß sie französisch reden.
Die französische Sprache, mit ihren verfluchten Artikeln und Hilfszeitwörtern, eignet sich sehr wenig zum Lapidarstil. Um einen guten oder schlechten Gedanken auszudrücken, brauchen wir zwei oder vier Verszeilen. Daher der lächerliche Eindruck unserer Inschriften. Ein lateinischer Vers sagt mehr als vier französische.
Ob man Gott ganz selbstlos lieben kann? Ja, wenn Frau Guyon, Guyon – Jeanne Marie Guyon du Chesnoy, Calvinistin, Vertreterin des mystischen Quietismus, wurde von den Jesuiten bekämpft, † 1717 die Geschichte von der guten Alten gekannt hätte, die ein Kohlenbecken hereinbrachte, um das Paradies zu verbrennen, und einen Krug mit Wasser, um die Hölle auszulöschen, dann hätte sie wohl nicht so viel geschrieben. Aber sie liebte Gott und den Galimathias Galimatias – der oder das, sinnloses Geschwätz, Unsinn so von Herzen, daß sie durch ihre zärtliche Liebe viermal ins Gefängnis kam; was eine harte und ungerechte Behandlung war. Geht man von der Theologie zur Philosophie über, deren Dornen weniger lang und stechend sind, so scheint es klar, daß man etwas lieben kann ganz ohne selbstsüchtige Nebenabsichten. Wir sehen ein Meisterwerk der Malerei, der Bildhauerkunst, der Dichtung; wir hören eine Ohren und Seelen entzückende Musik; wir bewundern und lieben, ohne daß uns der geringste Vorteil daraus zufließt; es ist ein ganz reines Gefühl. Manchmal fühlen wir Verehrung, Hingebung für den Künstler; wir könnten ihn küssen, wenn er da wäre. Daran können wir unsere tiefe Bewunderung des ewigen Baumeisters der Welt, den Aufschwung unseres Herzens zu ihm klar machen. Wir sehen das Werk mit einem Staunen, in das Verehrung und das Gefühl unserer Nichtigkeit eingeht; und unser Herz erhebt sich zum Schöpfer des Werks. Was ist dieses Gefühl? Es ist nicht in Begriffe zu fassen, es ist eine Ergriffenheit, die mit unseren gewöhnlichen Gefühlsregungen nichts zu tun hat. Eine empfindsame, eine feinere Seele kann vom Schauspiel der Natur so hingerissen werden, daß sie sich zum ewigen Meister, der sie gebildet hat, hinaufsehnt.
Über Shakespeare: Ich habe gesagt, alle Gattungen seien gut, außer der langweiligen Gattung. Aber die Roheit ist keine Gattung.
Die Rolle Fulvias Fulvia – Ehefrau Marc Antons, † v.C. 40, Gestalt aus Voltaires Tragödie »Brutus« muß man noch ein bißchen überarbeiten. Sagen Sie mir, wo noch etwas schlecht ist; wo etwas gut ist, sagen Sie es auch. Ich bin gar nicht eigensinnig, gar nicht »verliebt in meine Bildsäule«. Wenn ich nicht feile, so ist mir eben nichts gekommen. Am guten Willen fehlt es nicht, nur an der Phantasie. Man hat die Gedanken nicht immer auf Kommando; es ist eine Sache der Gnade; sie kommt, wenn es ihr gefällt; sie ist wie die Liebe, sehr eigenwillig.
Herr von Thibouville ruft immer: Her mit dem fünften Akt! Weiß Gott, ich habe anderes zu tun. Man muß warten, bis die Eingebung kommt. Wehe dem, der dichtet, wenn er dichten will. Wer nicht Verse macht ohne und wider seinen Willen, macht schlechte Verse.
Wenn Sie mir ab und zu das Neueste berichten wollten von der Literatur oder vom öffentlichen Leben, so machen Sie mir eine große Freude; aber tun Sie sich ja keinen Zwang an! Man soll keine Verse machen und keine Prosa schreiben, nicht einmal ein Billettchen, wenn man sich nicht in Stimmung fühlt. Lust und Liebe müssen unsere Führer sein in allen Dingen. Wehe dem, der schreibt, weil er meint, er müsse schreiben.
Nichts kennzeichnet einen guten Kopf besser, als die Fähigkeit, sich klar auszudrücken. Verworren ist der Ausdruck nur, wenn der Gedanke es ist.
Sie schreiben mir von der Ausgabe unseres Freundes Cramer. Cramer – gemeint sind wahrscheinlich seine eigenen gesammelten Werke Wenn ich an all den Wust denke, den ich zusammengeschrieben habe, so wird es mir angst und bang und ich möchte mich gerne dahinter verstecken. Der Freund Gabriel hat mich nicht gefragt, als er all das dumme Zeug zusammentrug, um daraus eine fürchterliche Reihe von Quartbänden zu bilden. Ich habe ihm immer gesagt, mit so schwerem Gepäck gehe man nicht in die Nachwelt ein. Es gibt so viel Verse und Prosa auf der Welt, daß man sie satt hat. An ein paar Seiten Versen kann man seinen Spaß haben. Aber Benediktiner-Quartbände flößen Schrecken ein.