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Gibt es Zwecke in der Welt?

Teleologie oder mechanistische Weltauffassung?

Wenn eine Uhr nicht verfertigt ist, um Zeit und Stunde anzuzeigen, dann will ich gerne gestehen, daß die Zweckursachen Wahngebilde sind; dann lasse ich mir's gefallen, daß man mich einen Cause-finalier, Cause-finalier – ein Sucher nach den letzten Ursachen von allem, ein Zweckursachenmann das heißt: einen Dummkopf schilt.

Und doch scheinen alle Teile der Maschine dieser Welt füreinander bestimmt zu sein. Einige Philosophen tun sich etwas darauf zugute, sich über die schon von Epikur und Lukrez abgelehnten Zweckursachen lustig zu machen. Lustig machen sollte man sich, meines Bedünkens, über Epikur und Lukrez. Da sagen sie einem, das Auge sei nicht dazu gemacht, daß man sehe, man habe sich seiner nur zu diesem Zweck bedient, als man merkte, man könne die Augen dazu brauchen. Hört man sie, so ist der Mund nicht zum Sprechen und Essen gemacht, der Magen nicht zum Verdauen, das Herz nicht zur Aufnahme des Blutes aus den Blutadern und zu seiner Überleitung in die Schlagadern, die Füße nicht zum Gehen, die Ohren nicht zum Hören. Dieselben Leute würden ohne weiteres zugeben, daß die Schneider ihnen Kleider machen, sie zu kleiden, die Maurer Häuser, daß sie darin wohnen. Aber der Natur, dem großen Wesen, der Allvernunft, streiten sie kühn ab, was sie ihren niedersten Arbeitern zugestehen.

Man darf gewiß keinen Mißbrauch mit den Zweckursachen treiben. Wir haben bemerkt, daß der Herr Prior im »Schauspiel der Natur« behauptet, der Ozean habe dazu seine Gezeiten, daß die Schiffe leichter in die Häfen einlaufen können und daß das Meerwasser nicht versumpfe. Er wird uns nicht weismachen, daß die Beine zum Tragen von Stiefeln und die Nasen zum Tragen von Brillen geschaffen sind.

Will man sicher gehen in der Frage nach dem richtigen Zweck für das Wirken einer Ursache, so muß man die Wirkung zu jeder Zeit und an allen Orten beobachten können. Schiffe hat es nicht zu jeder Zeit und auf allen Meeren gegeben; darum kann man nicht sagen, der Ozean sei der Schiffe wegen da. Man fühlt, wie lächerlich die Behauptung ist, die Natur habe sich jederzeit unseren willkürlichen technischen Erfindungen angepaßt, die doch alle so spät erst aufgetaucht sind. Aber das ist klar, daß die Nasen zwar nicht der Brillen wegen, aber des Riechens wegen da sind und daß es Nasen gibt, seit Menschen da sind. Und so sind uns auch die Hände nicht gegeben, um die Handschuhmacher ins Brot zu setzen, aber sie sind sichtlich für alle die Leistungen da, zu denen uns die Mittelhand- und die Fingerknochen und die Bewegungen des Handwurzelbandes instandsetzen. Cicero, der an allem zweifelte, hat doch an den Zweckursachen nicht gezweifelt.

Die Tatsache besonders läßt sich kaum leugnen, daß die Zeugungsorgane dazu da sind, daß die Gattung fortgepflanzt wird. Diese Einrichtung ist höchst wunderbar, noch wunderbarer aber ist der Gefühlseindruck, den die Natur mit der Wirkung dieser Einrichtung verknüpft hat. Epikur mußte gestehen, daß die Lust etwas Göttliches ist und daß diese Lust eine Zweckursache ist, durch die unaufhörlich gefühlsfähige Wesen ins Leben treten, die dieses Gefühl sich nicht selbst haben geben können. Dieser Epikur Epikur – griech. Philosoph, lehrte die sinnliche Wahrnehmung als Grundlage aller Erkenntnis war – für seine Zeit – ein großer Mann. Er sah, was Descartes Descartes – René Descartes, franz. Philosoph und Naturforscher, plädierte für die umfassende Anwendung der Vernunft, Gewißheit über die eigene Existenz als denkende Substanz gibt ihm sein »Cogito, ergo sum«, † 1650 in Abrede stellte, was Gassendi Gassendi – Pierre Gassendi, franz. Naturforscher und Philosoph, machte sich verdient um die Durchsetzung Galileis Fallgesetzen, beobachtete 1631 erstmalig einen von Kepler vohergesagten Merkurtransit, wandte sich energisch gegen die unbesehene Übernahme Aristoteles' Meinungen. (»...welche Faulheit, statt mit den eigenen Augen nur mit den Augen des Aristoteles zu sehen und statt die Natur selbst nur die Schriften des Aristoteles über die Natur zu studieren!«). † 1655 behauptete und Newton bewies, daß es nämlich keine Bewegung gibt ohne leeren Raum. Er erfaßte den Gedanken, daß Atome notwendig seien als letzte Bestandteile der unveränderlichen Gattungen: das sind sehr philosophische Gedanken. Und vor allem, vor der Sittenlehre der rechten Epikureer Epikureer – Anhänger der Philosophie Epikurs, heute meist in mißverstandener Bedeutung Bezeichnung eines Genußmenschen muß man die höchste Achtung haben. Sie bestand in der Enthaltung von der Teilnahme am politischen Leben, da es sich mit der Weisheit nicht vereinigen lasse, und in der Freundschaft, ohne die das Leben eine lästige Bürde sei. Im übrigen aber ist die Naturwissenschaft Epikurs ebensowenig annehmbar als die kannelierte Materie von Descartes. Man muß sich doch die Augen gewaltsam verschließen, wenn man behauptet, in der Natur sei kein Plan zu sehen; ist aber ein Plan in ihr, so hat sie auch eine vernünftige Ursache, so existiert ein Gott.

Da kommt man uns mit der Unordnung auf der Erdkugel, mit den Vulkanen, den wandernden Sandflächen, den Bergen, die zusammengestürzt sind und anderen, die sich neu gebildet haben durch Erdbeben. Aber wenn die Naben eurer Wagenräder Feuer fangen, folgt daraus etwa, daß es nicht wahr ist, daß euer Wagen eigens dazu gebaut wurde, um euch von einem Ort zum andern zu befördern?

Die Gebirgsketten, welche die beiden Halbkugeln bekrönen und mehr als sechshundert Flüsse, die vom Fuß dieser Felsen zum Meer eilen, alle die Bäche, die aus eben diesen Wasserbehältern herab diese Flüsse speisen, nachdem sie das Land befruchtet haben, die tausend Brunnen aus denselben Quellen, die Tiere und Pflanzen tränken, alles das ist doch wohl ebensowenig ein Werk des Zufalls und einer Fallbewegung der Atome, als die Netzhaut, die die Lichtstrahlen aufnimmt, die Kristalllinse, die sie bricht, der Ambos, der Hammer, der Steigbügel, das Trommelfell des Ohrs, das die Töne aufnimmt, die Bahnen des Bluts in unsern Adern, die Zusammenziehung und das Erschlaffen des Herzmuskels, dieses Hebels in der Maschine, die das Leben wirkt.

Aber, heißt es nun, wenn Gott offensichtlich etwas planmäßig gemacht hat, dann muß er alles planmäßig gemacht haben. Es ist lächerlich, die Vorsehung in einem Fall anzuerkennen und in den anderen Fällen zu leugnen. Was geschaffen wurde, ist alles vorhergesehen und geordnet eingerichtet. Keine geordnete Einrichtung ohne Zweck; keine Wirkung ohne Ursache; also ist alles gleicherweise Ergebnis und Erzeugnis einer Zweckursache, also kann man mit demselben Recht sagen, die Nasen seien gemacht zum Brillentragen und die Hände zur Schmückung mit Ringen, wie man sagt, die Ohren seien gebildet zum Vernehmen von Tönen und die Augen zur Aufnahme des Lichts. Nach meiner Meinung aber folgt aus diesem Einwand nichts, als daß alles nähere oder entferntere Wirkung einer allgemeinen Zweckursache ist; daß alles die Folge allgemeiner Gesetze ist.

Nicht allerorten und nicht jederzeit dienen die Steine zu Bauten; nicht alle Nasen tragen Brillen, nicht alle Finger tragen Ringe, nicht alle Beine sind mit Seidenstrümpfen versehen. Ein Seidenwurm ist also nicht zur Bekleidung unserer Beine geschaffen, so wie allerdings unser Mund zum Essen geschaffen ist und unser Hintern, daß wir mit ihm auf den Abort gehen. Es gibt also unmittelbare Wirkungen, die durch die Zweckursachen hervorgebracht sind, und Wirkungen in sehr großer Zahl, die entfernte Erzeugnisse dieser Ursachen sind.

Was mit der Natur zusammenhängt, ist gleichförmig, ist unwandelbar, ist das unmittelbare Werk des Meisters; er hat die Gesetze geschaffen, nach denen der Mond und die Sonne gemeinsam, jener zu drei Vierteln, diese zu einem Viertel, die Ebbe und Flut des Meeres bewirken; er hat der Sonne jene Drehungsbewegung verliehen, kraft der jenes Gestirn in siebeneinhalb Minuten Lichtstrahlen aussendet in die Augen der Menschen, der Krokodile und der Katzen. Aber als wir uns nach Verlauf vieler Jahrhunderte endlich einfallen ließen, Scheren zu erfinden und Bratspieße, die einen, um den Schafen die Wolle abzuscheren, die andern, um sie zum Schmausen zu braten, kann man daraus etwas anderes schließen, als daß Gott uns nun einmal so geschaffen hat, daß wir eines Tags uns dem Gewerbfleiß und den Gewohnheiten der Fleischfresser zuwenden mußten?

Aber sicher sind die Schafe nicht eigens zum Schmausen und Braten geschaffen worden, da doch mehrere Völker sich dieser Abscheulichkeit enthalten. Die Menschen sind nicht eigens dazu geschaffen, sich gegenseitig abzuschlachten, da die Brahmanen Bramahnen – buddhistische Priester und die ehrwürdigen Primitivchristen, die man Quäker Quäker – eine im 17. Jahrhundert von C. Fox begründete Religionsgemeinschaft, wegen der Ablehnung des Kriegsdienstes verfolgt, sie haben keine Sakramente und leisten Friedensarbeit. Die Gründung des US-Staates Pennsylvania war stark vom Quäkertum beeinflußt. heißt, niemand umbringen. Aber der Teig, aus dem wir geknetet sind, bringt oft Schlächtereien hervor, wie er Verleumdungen hervorbringt und Eitelkeiten und Verfolgungen und Flegeleien. Nicht als ob die Bildung des Menschen gerade die Zweckursache unserer Tollheiten und Dummheiten gewesen wäre; denn eine Zweckursache ist etwas, das allgemein und unabänderlich zu allen Zeiten und an allen Orten wirkt. Aber die Greuel und Narrheiten der menschlichen Gattung liegen darum doch in der ewigen Naturordnung. Wenn wir unser Getreide dreschen, so ist der Dreschflegel die Zweckursache der Aussonderung des Korns. Aber wenn dieser Dreschflegel beim Dreschen tausend Insekten zermalmt, so ist das zwar nicht Wirkung meines ausdrücklichen Willens, und doch auch nicht Wirkung des Zufalls; diese Insekten haben sich eben diesmal unter meinem Dreschflegel befunden und sie mußten sich darunter befinden.

Es ist eine Wirkung der Naturordnung, daß ein Mensch ehrgeizig ist und daß er manchmal andere Menschen als Soldaten anwirbt, daß er siegt oder geschlagen wird; aber nie wird man sagen dürfen: der Mensch ist von Gott geschaffen, um im Kriege umgebracht zu werden.

Die Werkzeuge, die uns die Natur verliehen hat, können nicht immer wirkende Zweckursachen sein. Die Augen, die zum Sehen gegeben sind, sind nicht immer offen; jeder Sinn hat seine Ruhezeiten. Es gibt sogar Sinne, die man nie gebraucht. Eine arme einfältige Person zum Beispiel, die man mit vierzehn Jahren in ein Kloster gesteckt hat, schließt auf immer die Pforte, aus der ein neues Geschlecht herausgehen sollte. Aber die Kraft dazu ist immer noch da; und sie wird wirken, sobald sie frei ist.


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