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Langweilig, es zu konstatieren; Aber das »Gnadenbrot«, mit Charakterspieler Ullrich in der Hauptrolle, lockte so leidlich Leute ins Theater; zum Sterben zu viele, zum Leben zu wenige. Die Kassenrapporte waren nicht klein genug, um das Stück abzusetzen, und nicht groß genug, um es zu halten. – Was den Hauptdarsteller anlangte, so war es auf die Dauer nicht zweifelhaft, daß der tüchtige Mann immer schlechter und schlechter spielte. Er trumpfte immer weniger auf, er wich vor der Rolle zurück.
In aller Demut drückte er sich um die Paradestellen und vermied die packenden Momente. Sonst war es seinen Partnern kaum möglich gewesen, ihre Sätze und ihre Körper neben ihm einzuschmuggeln. Wo man hintreten wollte, stand bereits Ullrich; und man mußte schon von guten Eltern sein, um an ihm vorbei zu lavieren und – wenigstens für einen Augenblick – einen Streifen schwarzen Publikums zu ergattern.
Das hatte sich alles geändert. Neuerdings hielt Ullrich sich wieder an die Ecken – man mußte ihn förmlich aus allen Winkeln kratzen, wie Herr Langenbruch sich ausdrückte. Die Klee sagte es noch witziger: es sei, als ob er gar nicht mehr den Kusofkin, sondern geradezu Verstecken spielte. Und die Partner sahen sich gezwungen, zu improvisieren, nur um Ullrichs Pausen auszufüllen.
Der Kusofkin hat da einen Horatio, einen gutmütigen, aber ziemlich einsilbigen Freund, den alten Iwanow. Der Darsteller dieser Neben- und Schattenrolle avancierte allmählich zum Chargenspieler ersten Ranges, so dringend zwang ihn Herr Ullrich, die Gelegenheit auszunutzen. Er hielt dem bisher eingeschüchterten Talente des unbekannten Mimen so herzlich den Reifen und ermunterte ihn solange, bis er sprang. Er animierte ihn zu Spieleinfällen und unterstrich sie hernach, so daß das Publikum plötzlich auf das neue Gesicht aufmerksam wurde; und eine Laufbahn begann.
In den Kulissen stehen und zuschauen durfte, wer da wollte. Niemand traf ein böser Blick des einst – wann war es nur – so gefürchteten Ullrich. Und da man merkte, daß sogar die Statistinnen, ja die Volontärinnen der Statisterie ihn auf offener Szene angrinsen durften, ohne daß er es übel zu nehmen schien; mehr noch, daß er sich immer häufiger mit den Theaterarbeitern unterhielt, bei ihnen stehend und mit ihnen politisierend; daß er einmal sogar der Souffleuse den Arm bot, um ihr aus dem Kasten zu helfen: entschloß man sich höheren Orts, wenn auch schweren Herzens, ihn in der Gage zu drücken.
Der Direktor hatte es in einer schlaflosen Nacht erwogen. Dem Regisseur fiel es zu, den Versuch mit eigenem Leibe zu unternehmen. Die Kugel rollte langsam hin, aber sie kam rasch, und mit rotem, freudeglänzendem Kopfe zurückgesprungen. Und meldete der hoch aufhorchenden Direktion, daß Charakterspieler Ullrich die unverschämteste aller Zumutungen mit einem Gleichmut quittiert hatte, den man schon eine Art Heiligkeit nennen müßte.
Es verbreitete sich also das Gerücht, daß Herr Ullrich in seinen Bezügen wesentlich gekürzt worden war. Da verstand Fräulein Dahnke, daß sie nie mehr seinen Blick auf sich ziehen würde. Und in ihrer Schutzlosigkeit begann sie darüber nachzudenken, ob sich eine Aussprache, ja vielleicht sogar eine Versöhnung mit dem Regisseur noch länger vermeiden ließe. –