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Die Premiere spielte er unter Alkohol. Er trank abwechselnd Sekt und Bordeaux.

Es waren wüste Gegenden, durch die er im Verlauf dieses Abends gelangte, unheimlich abgelegene Orte seines Innern, die er noch nie betreten hatte. Alles ging so erschreckend ins Weite. Manchmal tauchten die Partner dicht bei ihm auf, dann schwammen sie wieder fort. Ein Tisch kreiste heran. In seiner gewohnten Ecke fand Kusofkin ein Fenster vor, das in einen gemalten Garten führte; dort war ihm eine Tüllgardine beigesellt, mit der er sich anfreundete.

Links unten an der Rampe glotzten rote Lichter, rechts oben am Proszenium blaue. Ganz rückwärts im schwarzen riesenhaften Grab des Raumes strömte ein Scheinwerfer, eine wilde Lichtquelle im Gebirge. Vom Publikum sah man nur etliche fahle aufgedunsene Masken. Enthauptete! dachte Kusofkin.

Die Klee erschien ihm als ein lieblicher Totenkopf, in den Höhlen ihrer Augen geisterte es liebenswürdig. Auch Mascha war da, aber sie hüpfte so seltsam bei jedem Wort, wie ein kleiner schwarzer Wasserkäfer.

Kusofkin konnte nur mühsam ein Lachen zurückhalten. Da sah er, wie unten zu seinen Füßen ein Menschenkopf – aber dort gehören ja überhaupt keine Menschen hin, dachte er – sich mit einem großen Taschentuch den Schweiß abwischte, während der Mund unablässig zischte und Worte ausspuckte; er erkannte die Souffleuse.

Da erklang ein sphärenhafter Geisterchor: »Üb immer Treu und Redlichkeit –«. Es waren hohe Knabenstimmen. – –

Ullrich-Kusofkin erschien nach dem ersten Akt an der Rampe und verbeugte sich. Er verbeugte sich auch viele Male nach dem letzten Akt.

Er war eingeschlossen in einer langen Reihe der Darsteller, welche sich an den Händen hielten. Die Reihe ging von links nach rechts. Rechts zog ihn die Klee, er stolperte und riß Langenbruch nach, der links energisch gegenstemmte. Herr Ullrich kam auch allein heraus – nach einem sinnlosen Wortwechsel mit dem Direktor hinter den Kulissen. Und er verbeugte sich, verbeugte sich. Sein furchtbar blasses Gesicht drückte einen grausamen Triumph aus. Ein schmutziges Weinen saß in seiner Kehle. –

Nachts im Schlaf bedrängte ihn unaufhörlich der Choral »Sieg, dein Donner soll erschallen!« mit einer brausenden, ohrenbetäubenden Feierlichkeit. Es war wie ein gigantisch anschwellendes Ohrensausen.

Morgens, als er gegen zehn Uhr erwachte, tastete er, noch bei geschlossenen Augen, gewohnheitsmäßig nach dem Tischchen neben seinem Bett, einem niedrigen, sechseckigen, arabischen Tischchen. Zuerst griffen seine Finger in den kalt gewordenen Kaffee. Sie zogen sich zurück und glitten weiter und faßten Papier, großes unebenes Papier mit kleinen Rillen: die Zeitungen!

Sofort fuhr er hoch mit dem heftig schmerzenden Kopf, und gewaltsam riß er die Augen auf: ja, da waren sie, die Zeitungen, ein ganzer Stoß Zeitungen, die Morgenblätter, die Kritiken! – »Kritik« hatte schon die dreijährige Elvira gesagt, wenn sie irgendwo einen Fetzen Zeitungspapier fand, und sie hatte dazu ein übertrieben ernsthaftes Gesichtchen gemacht. –

Und es wurde Abend, da war Premiere, und es wurde Morgen, da kam die Kritik –: ein Tag. Und wie viele solcher Tage in dreißig Jahren!

Und mit der Kritik kam der Kaffee ans Bett des angstvollen Schläfers, lautlos wurde das Frühstück hingestellt, wie in der Kindheit, zu Hause, an Sonn- und Feiertagen.

Es war das Privileg des Gymnasiasten gewesen, und der berühmte Mann hatte es beibehalten. Und bitte, nicht wecken! Unter keinen Umständen wecken!

Den Gymnasiasten weckte dazumal das Gefühl eines bevorstehenden Fußballmatches; oder die Liebe, die mit ihm einen Ausflug ins Grüne verabredet hatte.

Den Schauspieler, der sich angstvoll in den Schlaf verwühlte wie in ein heißes, zerdrücktes Kissen, weckte die innere Gewißheit, daß die Zeitungen dalagen.

Die Stunden Schlafs waren die Gnadenfrist des Verurteilten gewesen; indessen waren die Zeitungen geschrieben, ausgedruckt und ausgetragen worden. Nun lagen sie da! Das Herz, das alles weiß, gab ihm einen Rippenstoß: Die Kritik ist erschienen!

Kritik! Kritik! – Mochte der Kaffee kalt geworden sein. – Kritik! Niemand im Hause durfte sie lesen, bevor er sie las. – Und keine Menschenseele durfte dabei sein, wenn er sie las.

Die Frau mußte leise vom Bett geschlichen sein, bevor er auffuhr. Kein Zeuge sollte die zitternden Hände sehen, die nach der Zeitung griffen, niemand sein Gesicht, nachdem es die Kritik gelesen hatte. Er war mit seiner Kritik allein.


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