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XVII

Nachmittags sperrte er sich in sein Arbeitszimmer ein und erprobte die neue Perücke am eigenen Leibe vor seinem Spiegel eines Charakterspielers. Sie saß wie angegossen, und man fühlte sie kaum. Ohne Zweifel, es war eine köstliche Perücke, denn sie machte sofort und wirklich und überall alt. – Die anderen Perücken machten nur bis zur Stirne alt; darunter blieb man, wer man war. Diese dagegen ließ es geradezu als überflüssig erscheinen, sich auch nur zu schminken.

»Was soll ich eigentlich hineinzeichnen in mein Gesicht«, dachte Ullrich, etwas verblüfft durch den augenscheinlichen Tatbestand seines Altgewordenseins. »Noch mehr Falten? Im Gegenteil, ich habe deren zu viele, wie ich jetzt eben entdecke! Hier um den Mund zum Beispiel und da unter den Augen! Überhaupt ist das ganze Gesicht so angespannt, so angestrengt –: ich beginne zu merken, daß das gar nicht nötig wäre. Im Gegenteil, im Gegenteil, da muß ich meinem eigenen Gesicht widersprechen. Locker lassen, nicht so mühsam, bitte, ist ja alles nicht der Mühe wert.«

»Aus diesen feinen, wirklich feinen weißen Haaren strömt Ruhe, man muß sie bloß auffangen. Ruhe strömt in alle Glieder, bis in die nervösen Fingerspitzen. Ganz langsam strömt und sickert sie, es dauert ein wenig, aber ich habe ja jetzt Zeit. Zeit habe ich jetzt. Ich werde schon nichts versäumen. Das Leben ist ohnehin verpfuscht. – Das glättet die Stirne, das taut die Augenwinkel auf, das löst die Lippen. Bis in die Beine, bis in die Füße strömt es hinunter; eine Beruhigung und Entlastung guter Art, eine Glätte wie Seelenfrieden strömt aus den feinen Haaren, vom Seidengrund her, und verbreitet Labsal über alles hin, was ich bin und war. Und die Pulse stechen nicht mehr, und das Herz klopft ruhiger, und der Blick steht still und schaut!«

Da knabberte etwas draußen an der Türe; es klang, als ob eine Maus knabberte? Herr Ullrich sprang eilig auf, so wie er war, die Perücke auf dem Kopf, lief zur Tür hin, drehte ganz rasch den Schlüssel um.

Es war eine gewaltige Schiebetür, er zog sie mit Kraft auf – da sah er noch, wie Elvira durch das Zimmer nebenan floh, in ihrer Hast die zweite Tür offen lassend, und wie sie im langen, dunklen Gang verschwand. Die kleine Elvira hatte offenbar nicht gewußt, daß ihr Herr Vater zu Hause war; sonst hätte sie gewiß nicht gewagt, einen solchen tollkühnen Versuch zu machen und in sein Arbeitszimmer einzudringen. Und nun war er doch zu Hause gewesen, und sie war ertappt worden; und jetzt floh sie, das scheue Gnu, auf lautlosen Füßen.

»Elvira,« rief Herr Ullrich, »Elvira!« Aber so bald kam sie nicht. Er war sehr ungeduldig nach ihr. Er stampfte sogar mit den Füßen auf. »So komme doch, Elvira!« – »Bitte komm! Bitte!« lockte er sie.

Und endlich kam sie. Erst sah Ullrich sie aus dem dunklen Gang hervoräugen, das mißtrauische Geschöpf. Dann aber kam sie.

Sie trat ein und stellte den rechten Fuß auf den linken. So sonderbar stand sie da und bat stumm um Entschuldigung, weil sie ins Arbeitszimmer ihres berühmten Vaters eingedrungen war, wo sie doch nichts zu suchen hatte. »Guten Tag, Papa«, sagte sie endlich. Sie schien nicht zu bemerken, daß der Vater sich plötzlich in einen Weißkopf verwandelt hatte. Aber vielleicht sagte sie nur nichts, vielleicht hatte sie alles sofort gesehen, und vielleicht wirkte die Perücke auch auf sie. Denn sie wurde zutraulicher. Sie kam näher und reichte dem Vater die Hand. Das allerdings tat sie ganz wie eine Dame.

»Du mußt jetzt jeden Nachmittag zu mir kommen, Elvira. Ich habe jetzt mehr Zeit.« (Eigentlich wußte er gar nicht, warum er plötzlich mehr Zeit haben sollte; aber er war überzeugt davon.) »Wie gefalle ich dir so, Elvira?« Und er wies nach seinem Kopf hin. Elvira errötete jäh. Oder vielmehr sie ward dunkelbraun. »Du gefällst mir gut«, sagte sie. »Besser als früher?« fragte Herr Ullrich weiter, und er neigte sich gegen ihr Gesicht.

Da schlang die schmale, schwarze Person die Arme um seinen Hals, aber ohne ihn zu küssen. Und doch bedeutete das mehr als unlängst der Kuß. Etwas mehr bedeutete es vermutlich.

»Na, geh nur«, sagte Herr Ullrich; weil er fühlte, daß sie unter den Neuerungen dieses Zusammenseins litt, daß sie einiges erst verwinden mußte. Sie war eine erstaunlich schüchterne Natur. Ihre schwarzen Augen brannten jetzt so verkohlend, von einer mächtigen inneren Erregung angezündet.

»Geh nur« – ich muß ja ohnehin bald ins Theater. Dann kannst du dir ruhig holen, was du hier gesucht hast. – Aber morgen nachmittag kommst du wieder, hörst du! Ohne daß ich dich rufe und früher als heute. – Ich brauche dich nämlich hier, bei mir. Hörst du, Elvira?«

Elvira nickte langsam und ernsthaft und entlief. Herr Ullrich aber, wieder allein geblieben, streifte vorsichtig die Perücke vom Kopf, und, sie auf der hohlen linken Hand wägend und schweben lassend, streichelte er sie mit der rechten. – Dann verpackte er sie wieder sorgfältig in das Seidenpapier.


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