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VIII

Der Charakterspieler Ullrich war schon um neun Uhr früh ins Theater gekommen, hatte zuerst angeordnet, daß seine Garderobe gelüftet werde, und sich dann höchst unlustig zu schminken begonnen.

Auf dem Wege ins Theater war ihm der heute besonders strahlende Sonnenschein höchst unangenehm gewesen. Unter dieser grellen Wärme zog sich die Haut seines Gesichtes empfindlich zusammen, wie in Abwehr eines feindlichen Elementes. Erst im künstlichen Licht der Garderobe, bei dicht verhängtem Fenster, und als er die fettige Schicht der Schminke auf seinen Wangen fühlte, wie sie alle Poren verklebte, begann er sich wieder wohl zu fühlen.

Und nun ging er an die Arbeit. Bald dicht am Spiegel klebend, bald zurückweichend, um einen Überblick zu haben, arbeitete er eine Stunde lang in völliger Hingegebenheit, dazu leise und fröhlich ein Kinderlied summend; erst »Wer will unter die Soldaten –«, dann »Fuchs, du hast die Gans gestohlen –« und schließlich »Üb immer Treu und Redlichkeit –«, dessen erste Strophe er oft wiederholte. Besonders bei dem »Keinen Finger breit« gelangen ihm die besten Tupfen und Striche. –

Die Perücke saß leidlich und sollte ihm den Grundcharakter eines beschränkten alten Mannes geben. Aber nun, als ein bewährter Meister der Maske, zeichnete und wischte und modellierte er den eigentlichen Kusofkin, mit seinen vielen Fältchen der Resignation, des lebenslangen Verzichtes, mit den Schatten der Entbehrung, mit den Krähenfüßen gezwungenen Lachens und den Mulden und Rinnen der vergeblichen Tränen.

Was sich um diese Mundwinkel herum an Demut abspielte, an zitternder, verdrängter Zärtlichkeit, an verhehltem Jammer, das genoß der Charakterspieler Ullrich, indem er es einzeichnete, mit ganzer tiefer Seele. Er erlebte die Geschichte eines Lebens, während er auftrug und wieder wegnahm. Er ließ sich von dem inneren Bilde, das dieses Gesicht in seinem Herzen spiegelte, die Hand führen, zitternd vorwärts und stockend und wieder abgelenkt, wie ein Medium sich die Hand führen läßt.

Er war so versunken und vertieft in den inneren und äußeren Spiegel, zwischen denen beiden er arbeitete, daß ihn nicht einmal die nüchterne Stimme Langenbruchs in der Garderobe nebenan störte.

Langenbruch war später gekommen, aber nun sprach er unaufhörlich, nörgelte an seinen Leibsklaven herum, die ihn bedienten, und ließ an jedem Kleidungsstück eine unsägliche Pedanterie aus. Sonst ging Herrn Ullrich gerade dieser Nachbar bös auf die Nerven. Heute murmelte er nur, mitten im Singen: »Armer Teufel, dieser Langenbruch«, als sich ein Gesprächsfetzen wie »Solch einen Friseur sollte man ausstopfen!« hereindrängte.

Langenbruch ließ sich soeben von dem vermickerten Friseur, einem sorgenzerfressenen neunfachen Familienvater, die Bonvivantmiene rund um die unablässig schimpfende Fresse schminken. –

Als der Charakterspieler Ullrich sein Kostüm anlegte, die schmalen taubengrauen Hosen mit Steg, den alten Bratenrock und den Vatermörder-Kragen mit breiter Krawatte – lauter peinlich saubere Stücke, jedes wie eine Charaktereigenschaft einem alten, gutmütigen Pedanten angepaßt und durch kleine übertriebene Details skurril gemacht –: da fühlte er, wie die christliche Ruhe, in deren Schatten ein Kusofkin gelebt haben mag, ihre weiten Flügel über sein Herz ausbreitete. Diese Flügel waren, von oben her gesehen, schwarz, von unten her empfunden, wenn man sich unter sie duckte, grau. – Der Garderobier des Meisters Ullrich, ein blonder, fetter, sanftmütiger und gefräßiger Bursche, bemerkte: »Kein Stäubchen an dem Rock!« Herr Ullrich lächelte zufrieden und betrat die Bühne.


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