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Elftes Kapitel

Helene Schehle war eingesegnet worden. Der Prediger von der Jerusalemer Kirche hatte es getroffen mit dem Spruch, den er ihr gegeben hatte: ›Halte, was du hast, daß niemand deine Krone nehme.‹ Sie ging so stolz, als trüge sie wirklich eine Krone auf dem blonden Kopf. ›Prinzessin Helene‹ hieß sie im Halleschen Torviertel; es war Spott. Die Harmlosen sagten: ›die schöne Helene‹.

Schön war sie. Das sagte sich auch der Schmied, wenn er sie von seinem Hof aus durch die Toreinfahrt nach der Straße zu gehen sah. Da hieß es aufpassen. Schon kamen ihm die Gardekürassiere und die Dragonerleutnants aus der Kaserne an der Alexandrinenstraße auf den Hof gestiefelt. Und höflich waren sie: Herr Hofschmied hinten, Herr Hofschmied vorne. Was wollten sie? Hier war nicht die Reitbahn; die war weiter drüben an die alte Stadtmauer heran, mochten sie da mit ihren Sporen klirren und mit der Reitgerte an die Schäfte schlagen, hier auf seinem Hof hatten sie nichts zu suchen! Schlimm genug, daß die Herren, die noch immer das Maul voll hatten von ›Preußens Ruhm‹ und ihrem ›Für König und Vaterland‹, nichts anderes zu tun hatten, als herumzulungern.

Der Meister, der jetzt schon lange den Traum von Achtundvierzig begraben hatte, wurde in Stunden, in denen ihn etwas verdroß, zuweilen doch noch rebellisch; dann sehnte er sich nach dem tollen Jahr.

War's denn jetzt nicht traurig, ganz kläglich? Ehrsucht, Mißtrauen, Parteihaß, Kleinlichkeit überall. Immer mehr hing der König von seiner Hofpartei ab, und die wollte keine Reformen. Dichter hatten gesungen, die Not, den Hunger und den Volkszorn zur Entscheidungsschlacht aufzurufen, aber Erschießen, Einsperren, Wolle spinnen, das waren drei gute Mittel zum Stillemachen.

Die deutsche Kaiserkrone hätte der König sich aufsetzen können, aber der Junker sagte: »Aus Gnaden der Linken soll und darf der König nicht die Kaiserkrone empfangen. Preußen wird auch ohne sie stets in der Lage sein, Deutschland Gesetze zu geben.« Lächerlich, das zu sagen zu dieser Zeit! Vor der Hand ließ man sich von Österreich auf der Nase tanzen und vom ganzen Deutschen Bund. Mit Dänemark hatte man Frieden schließen müssen, Schleswig-Holstein im Stiche lassen. Erbärmlich!

Der Meister runzelte die Stirn: da verging einem ja wahrlich die Lust. Kein Wunder, daß so viele auswanderten! Die Witten war auch ihre Jungens los geworden – schon lange – sie hörte gar nichts mehr von ihnen; August Lehmann hatte ihm das erzählt. Nun ging die ganz Vereinsamte, wenn sie irgend Zeit hatte, nach dem Friedrichshain und besuchte ihre Luise. Armes Mädel! Auch ein Opfer. Es waren viele Opfer umsonst gebracht worden. Kein Wunder, daß die Leute nicht mehr an der Heimat hingen!

In Stunden solchen Nachdenkens ballte der Schmied die Faust: wenn doch mal einer dreinfahren möchte!

›Ein Mann und ein Ritter in dieser Zeit,
Ein Mann, frei von ihrer Erbärmlichkeit!‹

Und dann blickte er umher, eine Herausforderung lag in seinem Blick: hier wenigstens war er Herr, hier war sein Hof, hier war sein Haus, hier stand er und blieb er, und keiner, der ihm nicht paßte, hatte hier was zu suchen!

Der Altgeselle Peter grinste: hui, war der Meister fuchtig! Wegen der bunten Jacken. Das paßte dem Peter recht, er war aus Benrath bei Düsseldorf zu Haus, da hatten sie gar nichts übrig fürs Militär. Wenn der Meister wollte?! Fragend sah er Henze an, streifte die blauen Hemdärmel zurück von den sehnigen Armen und lachte, daß seine Zähne weiß blitzten im geschwärzten Gesicht: »Dat kann 'ne Spaß jeben!«

Da lachte Henze auch. Und dann rief er: »Gottlieb!« Der wußte schon, was er sollte: abplumpen.

Henze hatte es so an der Gewohnheit. War es ihm zu heiß geworden am Schmiedefeuer, rann ihm der Schweiß oder machte ihn etwas so zornig, daß ihm das Blut siedend zu Kopfe stieg, dann herunter mit dem Schurzfell, herunter mit Hemd und Hose. So wie Adam vorm Sündenfall.

Oben im Vorderhaus verschob sich nicht mehr die Gardine, aber die Gesellen blickten wohlgefällig; »'ne Iserne!« hatte der Rheinländer anerkennend gesagt, und sie nannten ihn nun unter sich so. Dem Eisernen war es nie zu kalt zum Abplumpen. Kam andere schon beim bloßen Gedanken das Frösteln an, so schrie er immer noch: ›Gottlieb, plumpen!‹ Und Gottlieb hob und senkte den Schwengel, daß ihm der Kopf rot wurde. Der Eiserne hatte so bald nicht genug; er schüttelte sich in wollüstigem Schauer, daß das Wasser im Sprühregen spritzte, und stand dann in Luft und Licht, bis er, widerwillig fast, sich von Gottlieb das Laken umwerfen ließ, widerwilliger noch in die Kleider schlüpfte.

Der Schmied schlug eine dröhnende Lache auf, als ihm der Polizeikommissarius des Viertels zu wissen tat, daß er verklagt werden sollte wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses. Die Nachbarinnen im Nebenhaus, dessen obere Fensterreihe über den Schuppen wegschaute, beklagten sich. Sie konnten nicht mehr aus dem Fenster sehen, ohne daß der Schmied da unten spazieren ging, splitterfasernackend. Ein unerhörter Skandal!

»Na ja, stänkern und klatschen, spionieren und denunzieren, das liegt nu so in der Luft!« Henzes Lachen wurde ingrimmig. Wer hieß sie denn runtergaffen? Das war sein Hof, da konnte er machen, was er wollte. Als der Kommisiarius Besescheck einwenden wollte: die Fenster des Nachbarhauses sahen doch nun einmal auf den Hof, es schickte sich wirklich nicht, sich da nackt hinzustellen, wurde der Meister noch gröber: »Bin ich 'ne nackte Jungfer, daß ich mich schämen muß? Sagen Sie den Weibsbildern, sie sollen nich rauskucken, wenn's ihnen nicht paßt. Aber es juckt sie ja nur, den Mann zu sehen, wie Gott ihn geschaffen hat!«

Und dann sollte der Meister ja auch so unhöflich gewesen sein gegen verschiedene Herren vom Militär! Besescheck hatte auch davon gehört. »Aber Henze, ich begreife Sie nicht, gegen die Herren Offiziere, wie können Sie bloß!«

Der Meister lachte ihm ins Gesicht. »Wenn Sie sich wollen um jede Lauserei kümmern, denn borgen Sie sich gleich die Schluffen von meiner alten Majunke da oben, die schleicht auch allem nach. Na, ich danke, 'n Mannsbild und Klatsch! Aber na, nischt für ungut!« Er faßte den andern ganz freundschaftlich unter den Arm. »Nu kommen Sie mal rein ins Privatkontor. Gottlieb, 'n Kümmel! Oder Maraskino, Pfeffermünz, Danziger Goldwasser? Oder trinken Sie nu keinen Schnaps mehr bei mir?«

Natürlich trank Besescheck noch. Der Meister hatte die verschiedensten Schnäpse auf Lager: bitter, süß, scharf, mild, je nach Belieben. In dem kleinen Eckspind, in dem Schehle seine Mixturen bewahrt hatte, seine Tropfen, wenn die Anfälle kamen, stand jetzt eine ganze Reihe gebauchter Flaschen.

Gottlieb ordnete sie gewissenhaft, wenn der Meister sie durcheinander gestellt hatte. Er hielt erst jede Flasche prüfend gegens Licht; wenn nur noch ein Restchen drin war, dann kriegte das die Majunke, die schnapste auch gern. Dann wurde die Alte so vergnügt, daß sie anfing zu singen mit einer ganz dünnen, krähenden Stimme.

Die glücklichen Stunden der Stralauer Fischzüge wurden dann wieder lebendig in der Majunke; dort im Feuchten hatte man ordentlich Gebranntes auf die Lampe gegossen. Jetzt freilich konnte sie nicht mehr so weit hinaus, es war da auch längst nicht mehr so schön wie früher. Wohl feierten noch die Leineweber ihr Fliegenfest, die Kürschner ihr Mottenfest, aber nirgendwo waren mehr so viele Buden, so viele Karusselle, so viele feine Moritaten. In Stralau empfing einen nicht mehr der Riesenkrebs aus Pappe; die zinnernen Maulkörbe von früher gab's auch nicht mehr, nur noch Pappnasen, Brillen und Orden, Seelöwen und Pfefferkuchen. Nur noch ein Zirkus mit guten Pferden und alten Weibern war da, Knoblauchwürste, saure Gurken, Fusel und Menschen; Fische waren beim Fischfang ja immer das Wenigste gewesen. Die Majunke war ihrem Hausherrn dankbar, ein Gläschen von seinem Schnaps verschaffte ihr eine glückliche Stunde. Aber das hinderte sie doch nicht, ihn scharf zu kontrollieren.

Sie war den ganzen Winter von der Gicht geplagt gewesen und hatte im Bette liegen müssen, nun aber konnte sie wieder bis ans Fensterchen humpeln. Unterm vorgebauten Mansardenfenster stand ein Holztritt, auf dem Tritt ein Stuhl; wenn sie auf den nun noch ihr Bettpfühl legte, so kam sie gerade hoch genug, daß sie hinunteräugen konnte auf den Hof.

»I seh mal an, was jeht 'n da vor?« Den Schuppen, unter dem sonst die Pferde standen, hatten sie abgerissen und eine Mauer aufgebaut, eine hohe Mauer, die stand dem Nachbarhaus gerade vor der Nase. Aus dessen oberer Fensterreihe konnte man nun nicht mehr hinüberblicken in den Schmiedehof. Wie würden sich die Weibsen drüben bosen, nun konnten sie den Meister nicht mehr sehen, wenn er nackt an der Pumpe stand! »So'n Aas, nee, so'n Aas!« Die Majunke rieb sich kichernd die Hände. Das war mal ein Genesungsfest!

»Da haste mir ja jar nischt von jesagt!« Sie machte Gottlieb ordentlich einen Vorwurf daraus.

Er lachte verschmitzt: »I, wo wer ick! Is denn so'ne Überraschung nich ooch was wert?« Er streichelte die Alte zärtlich. Sie war eine rechte Hexe, das sah er ein, aber was hatte er doch für eine Angst um sie gehabt diesen Winter! Da war er morgens in aller Frühe schon zu ihr heraufgelaufen, hatte ihr gefeuert mit des Meisters Kleinholz, mit des Meisters Kohlen: hatte sie mittags gespeist mit der Meisterin besten Bissen, hatte ihr abends wieder gefeuert mit des Meisters Kohlen, hatte so gehörig den Ofen vollgestopft, daß es hübsch warm blieb auch während der Nacht. Und hatte sie gehoben, gebettet, gepäppelt und hatte auch während aller Arbeit immer Zeit gefunden, zu ihr hinaufzuhuschen, flink und lautlos wie eine Maus. Sie hatte immer so viel zu quengeln, zu klagen, zu stöhnen, sich den Tod zu wünschen, er hätte gar keine Ruhe gehabt, hätte sie ihn nicht wenigstens alle zwei Stunden einmal angefahren und mit ihm gegrummelt. Gott sei Dank, daß sie nun wieder so weit war!

Ihre Äugelchen funkelten ordentlich, sie stieß ihm mit der spitzigen Nase fast ins Gesicht: »Na, un er un die Frau – was 's denn da los?«

Was sollte da los sein? Gottlieb tat verwundert. Der Meister und die Meisterin, o, die lebten so weit ganz gut, die zankten sich nicht, die prügelten sich nicht.

»Aber – aber –,« drängte die Alte.

»Na, wenn ick 'ne Frau hätte,« setzte da Gottlieb ein – es erleichterte ihn förmlich – »ick würde ja anders mit meine Frau leben. Mein Schnuteken, mein Pusselken, det braucht ja nich zu sind, aber doch 'n bißken Liebe! Was hat denn der Mensch sonst auf der Welt?« Er stieß einen Seufzer aus, ganz elegisch sah er drein.

Die Majunke guckte ihn schlau an: »Na, naaa?!« Dann aber kicherte sie: »'n bißken Liebe, ei weh! Da hat der Meester jenug von. Die kleene Mieze in die Ritterstraße, un drüben die hübsche Schlächterfrau, un denn – ick bin ja man en armes Weib, den janzen Winter hab ick ins Bett vertrauern müssen – un denn mindestens noch drei andere, von denen ick alleene schon was weiß. 'n bißken Liebe!« Sie lachte, daß sie ins Husten kam. »Nee, ach nee, was der Junge so dusselig red't!«

»Davon rede ick doch nich!« Gottlieb war ganz ärgerlich. »So die richtije Liebe meine ick, die Liebe zu 'ne Frau, die einem janz alleine jehört. Un der man ooch janz alleine jehört.« Er stieß wieder einen Seufzer aus: »Det muß wirklich scheen sind! Aber mir haben se ja untern Torweg jefunden, in'n Packpapier.«

Als Gottlieb von ihr gegangen war, blickte die Majunke noch lange nachdenklich nach der Tür, durch die er verschwunden war: das sah sie wohl, dem seine Zeit war gekommen. Ob's schon eine Bestimmte war?! Ihre Augen funkelten vor heller Neugier; aber es war diesmal nicht Neugier allein. Ach ja, so lange möchte sie nun doch noch leben, bis der Gottlieb eine Frau hatte, eine, die ihm von Herzen gut war! –

Gottlieb hatte recht gesehen: das fehlte zwischen Meister und Meisterin, was die Ehe zur Ehe macht, zu jener Gemeinschaft, die nicht nur darin besteht: ›Mann und Weib, ein Leib‹. Er nannte es: ›'n bißken Liebe‹. Es war das Sich-verstehen, das keiner Worte bedarf; das Vertrauen: du gehörst zu mir, ich gehöre zu dir. –

Der Meister baute jetzt; er hatte sehr viel damit zu tun, er entwickelte solches Geschick dabei, daß der Maurermeister Kuhlemann, den er sich angenommen, eigentlich gar nichts dabei zu sagen hatte. Wo anders hätte der Herr Maurermeister sich das nicht gefallen lassen, er ließ sich nicht gern dreinreden, aber mit dem Henze war eben nicht gut Kirschen essen, und zudem zahlte der gut und pünktlich, war überhaupt ein angesehener Mann im Viertel, dem jeder gebaut hätte. Und dann führte er einen ausgezeichneten Schnaps. Kuhlemann verschwand gern im Privatkontor. Auch der Polizeikommissar fand sich, nun er einmal den Weg gefunden hatte, öfters da ein.

Es hämmerte, es klopfte, es ratterte, es stäubte, es krachte, es lärmte – das ganze Glashaus wurde umgebaut. Man hatte unten vom Flur nach oben durchgebrochen, wo so lange altes Gerümpel gelagert hatte hinter den großen Scheiben. Es gab eine wunderschöne Halle, groß, hoch, luftig und hell, eine Halle, deren Wände der Meister täfeln ließ wie einen Rittersaal, in dem Feste gefeiert werden sollen.

Das Privatkontor war noch unangetastet; da saß es sich so gemütlich drin. Das sollte auch vorderhand so bleiben; nur ein bequemes Kanapee kam hinein, damit der Meister hier schlafen konnte, die Frau nicht zu stören brauchte, wenn er spät nach Hause kam.

So rasch die Mauer in die Höhe geschossen war und ein neuer Schuppen davor, so rasch entstand auch der Glashausumbau. Die Nachbarn hatten erst gewaltig gezetert: unerhört, ihnen eine Mauer vor die Nase zu setzen! Sie sahen ja nichts mehr aus ihren Fenstern – da prozessierten sie!

Aber der Polizeikommissar bedeutete sie, daß sie wenig Glück damit haben würden. Gegen die Bauordnung war nicht verstoßen, und der Schmied war in seinem Recht; er war doch keine nackte Jungfer, warum hatten sich die Frauenzimmer so dumm gehabt!

Henze triumphierte; er hatte noch dazu die Lacher auf seiner Seite. Der Vorfrühling war günstig zum Bauen gewesen. Wenn die Nachtigallen hinten im Garten anfingen zu schlagen, konnte er schon einladen zum Einweihungsfest. Vorerst aber hatte er noch einen kleinen Ärger – oder war es kein Ärger, war vielleicht etwas wie Genugtuung dabei? Mit der Meisterin hatte er keine Kinder. Doch aus Häsen meldete ihm die Ehmichs Cille, daß sie vor sechs Wochen einen Jungen bekommen hatte, Anfang Februar; einen kräftigen Jungen. Sie selber schrieb sehr gedrückt, sie hatte lange elend und krank gelegen, und die Leute lachten sie aus.

Häsen – Häsen! Und er hatte geglaubt, so ganz damit fertig zu sein! Der Meister hatte erst starr gestanden, seltsam bestürzt: im April war er in Häsen gewesen, es konnte schon stimmen! Aber er raffte sich bald auf: nun, das war doch noch kein Unglück! Es kam ihn sogar eine Freude an: ein Junge! Der setzte nun das Geschlecht in Häsen fort!

Er schrieb der Cille, sie brauchte sich nicht zu grämen, für den Jungen schickte er. Sie sollte ihn nur zu 'nem Kerl erziehen. Und wenn sie Geld hatte, dann fiel es auch den Häsenern gar nicht mehr ein, über sie zu spotten; im Gegenteil.

Henze war ganz befriedigt. Er hätte sogar gern von seinem Jungen erzählt – aber wem? Nun, dem Gottlieb. Doch der wurde ganz rot vor Schreck: wenn das die Meisterin erfuhr!

»Na, was denn dann?!« Sorglos lachte der Meister. Was ging die das an?! Aber dann sah er seine Frau an mit Blicken, die ein plötzliches Mitleid geschärft hatte: die hatte ja kein Kind. Doch – die Helene! Aber das war ja kein Kind von ihm! War sie betrübt darüber? Er sah in ihre Augen. Aber die waren ihm zu tief; er kam nicht auf den Grund. Und als er den Arm um sie legte, streifte sie seinen Arm ab. Sie wollte sein Mitleid nicht.


Bei dem Fest, das der Meister gab, als sein Glashausbau fertig war, hätte Johanna gern gefehlt. Es widerstrebte ihr; es stieg etwas wie ein dunkler Haß in ihr auf gegen diese Halle, die getäfelt war wie ein Rittersaal. Mit wem wollte er darin Feste feiern?

Was, sie wollte nicht dabei sein? Das gab's nicht! Wenn Henzes Augen so blitzten, sein Ton so herrisch wurde, seine Lippen sich so energisch aufeinander setzten, hatte die Frau fast Angst vor ihm. In einem nervösen Schreck zuckte sie zusammen an ihrem Nähtisch.

»Immer stichelste, strickste, kniebelste – sei doch mal vergnügt!« Er stand in der Stube, breit und fröhlich; einen ganzen Strom von frischer Luft hatte er mit hereingebracht. Da sah sie ihn seltsam an, und ihr Gesicht war so bleich dabei, daß es selbst ihm auffiel. Was hatte sie nur? Warum war sie denn traurig? –

Auch Helene mußte mit bei dem Feste sein. Ihre Mutter hatte zwar die Einwendung gemacht, Helene wäre noch zu jung, aber da war er heftig geworden: »Willste aus dem Mädel 'ne Duckmäuserin erziehen? Lenchen ist stramm, gesund – warum soll sie nich dabei sein? Spiel du man nich immer die Feine. Mädel is Mädel – in einem Punkt sind sie sich alle gleich!«

Sollte das eine Anspielung sein? Die Frau sah ihn an mit einem schreckensstarren Blick: wollte er ihr etwas vorwerfen?

Henze dachte gar nicht daran. Er ärgerte sich nur, daß seine hübsche Stieftochter, auf die er so stolz war, nicht dabei sein sollte. »Was, Lenchen, du bist gerne dabei?«

Helene hatte der Mutter am Nähtisch gegenüber gesessen, zierliche Stiche an einer feinen Hemdenpriese gemacht, nun ließ sie die Arbeit in den Schoß sinken, legte den Kopf auf die Seite und sah unter den langen Wimpern verstohlen zu ihm auf. Mußte sie? Sie wäre lieber nicht dabei. Wen lud er denn ein?

»Na, meine Freunde! Den Besescheck, den Kuhlemann, August Lehmann – der will noch seinen Schwager mitbringen, den Kürschner Siebert – meinen alten Meister, den Schlosser Rummel, lade ich auch ein. Und dann den Schlächtermeister von drüben, und Bäcker Piesisch und Klempner Schmedewald und Schuhmacher Feierabend und Schornsteinfegermeister Dusterberg und dann noch – – – –«

Das Mädchen hatte rasch den Kopf gehoben mit einer Bewegung, die ihr schon als Kind eigen gewesen war. Ihre Lippen zuckten verächtlich. »Die gefallen mir nicht!«

Ihr Kopfwerfen reizte ihn: sollte er sich von dem hochmütigen Ding seine Freunde herabsetzen lassen? »Du bist mit dabei,« schrie er und schlug auf den kleinen Nähtisch, den Frauen mitten zwischen ihre Garnrollen hinein.

»Du hast mir gar nichts zu sagen!« Helene stand auf, warf ihr Nähzeug hin und ging aus der Stube, den Kopf im Nacken, mit stolzem Schritt.

Ängstlich sah Johanna nach ihrem Mann: was würde er nun sagen? Er schalt ja so wie so schon über ihre Art der Erziehung.

Aber er lachte: das gefiel ihm von dem Mädchen, daß es nicht einfach so über sich bestimmen ließ, daß es wußte, was es wollte und was es nicht wollte.

Und er lud noch den Stallmeister vom Hippodrom, den Herrn von Goldenap, ein, wenn er auch sonst gegen Offiziere war, sie sämtlich von seinem Hof heruntergefegt hatte. Dies war ein Entgegenkommen für Helene. Der würde ihr vielleicht besser gefallen als die Handwerksmeister. Der hatte Manieren, trotz der roten Nase, die er sich angesoffen hatte im Stall.

Der Meister sah seiner Stieftochter nach den Augen; das ganze Fest hätte ihn nicht gefreut, wenn er sie hätte dabei entbehren sollen. Er ging ihr nach Tag für Tag: ob sie sich nicht jetzt besonnen hatte? Sie schmollte nicht mehr mit ihm, das bemerkte er mit Genugtuung. Er hatte ihr aber auch beständig etwas zuliebe getan: ihr Kleid bewundert, ihr ein goldgelbes Kanarienvögelchen gekauft und ihr aufs Zimmer gestellt und Blumentöpfe an ihr Fenster.

Helene wehrte sich innerlich gegen seine Freundlichkeit, nur knapp sagte sie: »Danke!« Aber dann konnte sie doch nicht anders: wenn er's denn so gern haben wollte! Errötend sagte sie: »Was soll ich denn anziehen zu deinem Fest?«

Da schloß er sie in die Arme in solchem Freudenausbruch, daß sie erschrak. Ihre Busenkrause war zerknittert, ihr Haar verwirrt. Sie flüchtete aus dem Zimmer. – – –

Die Halle im Glashaus hatte Henze schön dekorieren lassen; zwei Lorbeerbäume zierten den Eingang. Der Tisch war gedeckt wie bei einer Hochzeit; vom Konditor ein Tafelaufsatz mit dem Wagen der Venus von Täubchen gezogen, stand mitten darauf.

Die Meisterin im braunseidenen Kleid mit einer Krinoline empfing die Gäste; sie sah gut aus, sie verstand es, sich nach der neusten Mode zu kleiden. Nur ihre Augen hätten anders blicken müssen.

Die Handwerksmeister waren ganz erstaunt: so 'ne feine Frau hatte der Henze? Sie hatten sie noch nie zu sehen bekommen.

»Du,« flüsterte August Lehmann seinem Schwager Siebert zu, »ick wünschte, ick hätte ooch 'n Paar Handschuhe bei mir!«

Der Kürschner zwängte sich gerade die seinen verstohlen auf. Ein Glück, seine Male hatte ihm welche in die Tasche gesteckt.

August war fast ärgerlich auf seine Frau: daß Mieke nicht auch daran gedacht hatte! Herrjeh, und wie die Tochter fein aussah! Langhängende Sammetbänder hatte sie um die Handgelenke, ein ausgeschnittenes Kleid an mit einer gestickten Berte. Wirklich wie 'ne Prinzessin! Und die Frau im braunseidenen Kleid mußte auch mal bildschön gewesen sein in ihrer Jugend! Lehmann war ganz verwirrt. Er war froh, daß er ans Ende der Tafel zu sitzen kam, weitab von den Damen: über was hätte er sich mit denen wohl unterhalten sollen?

Henze strahlte, er nötigte seine Gäste beständig zum Trinken. Gottlieb konnte gar nicht rasch genug um den Tisch rennen, um immer wieder einzuschänken. Lieschen Krausnick aus Lübben im Spreewald, das neue Mädchen, das erst seit kurzem bei der Meisterin diente, half dem lahmen Gottlieb beim Servieren; die war flinker auf den Beinen als er und allerliebst anzusehen mit ihren roten Backen und dem dicken Nest der dunklen Haare.

Henze kniff sie in die frische Wange, als sie sich überbeugte, um nach seinem Glas zu langen.

Da warf ihm Gottlieb einen bitterbösen Blick zu: was, fing er mit der auch schon an? Aber er würde es dem Lieschen sagen, vor dem Meister mußte sich ein Mädchen in acht nehmen, dem war nicht zu trauen.

Auch Helene, die dem Stiefvater gegenüber saß an der Seite des Stallmeisters, hatte dieses In-die-Backen-kneifen bemerkt; sie wurde glühend rot. Eben hob der Schmied sein Glas gegen sie, er wollte ihr zutrinken – wie schön sah sie heute aus! – da sah sie mit leerem Blick an ihm vorbei, sie tat, als bemerke sie ihn nicht.

Der Stallmeister erschöpfte sich in galanten Redensarten. Um den Blick des Stiefvaters zu vermeiden, der sie beständig suchte, wendete Helene sich ganz ihrem Tischherrn zu.

Goldenap hatte lange nicht neben einem so feinen Mädchen gesessen. Es kamen ihm Erinnerungen an eine Zeit, in der er öfter neben jungen, wohlerzogenen Damen gesessen hatte, wenn auch keine von ihnen vielleicht so schön gewesen war wie dieses Fräulein hier. Er sagte ›gnädiges Fräulein‹; er fand ganz die guten Manieren seiner Leutnantszeit wieder, die ihm nach und nach doch etwas abhanden gekommen waren im Stall.

Das ›gnädige Fräulein‹ tat ihr wohl. Der Herr von Goldenap nahm also nicht Anstoß daran, daß der Mann ihrer Mutter ein Schmied war? Wenn nur das Hufeisen über der Toreinfahrt nicht gewesen wäre! Dadurch sah man es gleich, daß hier eine Schmiede war.

Ihre Augen leuchteten; aus der Glocke des weißen Mullkleides, das von unendlich vielen kleinen Volants wie mit Schaum bedeckt war, wuchs ihr Oberkörper gertenschlank, darüber das reine Gesicht wie eine leicht-rosig behauchte Blume. Sie trug eine grüne Girlande auf dem Haar, rechts und links in den vollen Tuffs der Schläfenlocken ein Bukett von Moosrosenknospen.

›Engelhaft‹, dachte der Stallmeister. Er wurde ganz traurig – seine verwünschte rote Nase, und überhaupt seine ganze geknickte Existenz! Ob es ihm wohl noch einmal gelingen würde, sich heraufzurappeln?! Er hatte es kaum je so schmerzlich empfunden wie heute, daß er seine Standesehre verspielt hatte. Komisch, und diese hier war doch nur eine Schmiedstochter! Eine Mesalliance! Er hätte es gar nicht nötig gehabt, sich zu schämen; aber er tat's. Er nahm sich zusammen vor diesem Mädchen, er hätte sich keinen der Scherze erlaubt, wie er sie sich sonst nicht übel nahm. Im Stall hatten sie ein weißes Pferdchen, ein Schimmelchen, das mußte auch immer ganz besonders gestriegelt werden. Das glänzte wie ein Stern. An dieses dachte er, wenn er das Mädchen ansah.

Henze hatte schon zu lange an sich gehalten, jetzt hielt er's nicht mehr aus. Warum ging das so steif zu?! Wenn er es recht bedachte, war's in Häsen damals eigentlich viel lustiger gewesen. Aber hier sollte es auch lustig sein. War das eine Einweihung, ein Fest in seinem neuen Glashaus?! Das kam davon, Johanna machte ein Gesicht, ein Gesicht! Der August, der gute Kerl, hatte ordentlich Bange gekriegt, saß da unten am Tisch mit geducktem Buckel, sagte kein Wort, stopfte nur stillschweigend in sich hinein. Und Lenchen lachte auch gar nicht – Jugend muß lachen –, hörte ernsthaft zu, was der langweilige Kerl, der Stallmeister, ihr ins Ohr tutete. Nur ganz selten lächelte sie ein wenig, verzog den Mund um ein winziges bißchen, zeigte aber nicht ihre ganzen schönen weißen Zähne. Das mußte anders werden!

»Gottlieb!«

Der Gerufene kam hochrot, angejächt wie ein Jagdhund mit lechzender Zunge; die Haare hingen ihm vom Schwitzen lang ins Gesicht. Denn je stiller die Gäste waren, um so öfter hatte er einschänken müssen. In den Ecken standen schon Batterien geleerter Flaschen, und sie saßen doch erst ein paar Stunden.

»Gottlieb, die Knallbonbons!«

Henze hatte sich das ausgedacht, schon vom Braten ab sollte ordentlich geknallt werden, nicht erst bei der Torte. Er griff in den Korb, den ihm Gottlieb präsentierte. Er hatte das extra so bestellt: auf jedem Knallbonbon war die Blume aufgeklebt, zu der der innen eingewickelte Vers paßte. ›Blumensprache‹! Das würde Spaß machen.

Er reichte dem schönen Mädchen die rote Rose: »Da, Lenchen, knall mal!«

Ich liebe dir, ich liebe dich!
Wie's richtig is, ich weeß es nich,
Doch klopft mein Herz so schnelle.
Ich lieb nich auf den dritten Fall,
Ich lieb nich auf den vierten Fall,
Ich lieb auf alle Fälle.

Nun würde sie ihn doch ansehen müssen!

Aber sie verzog keinen Augenblick den Mund, sie äußerte kein Entzücken, sie errötete nur ganz leicht und wendete sich gleich wieder ihrem Stallmeister zu. Der hatte eine weiße Rose gewählt, er reichte sie ihr mit einer Verbeugung.

Wenn mein Herz von Lieb gebrochen
Und ich in das Grab gekrochen,
Dann besuche meinen Hügel,
Breite aus der Sehnsucht Flügel,
Weine eine Träne drauf:
Dann wach ich zum Himmel auf!

Sie lasen den Zettel zusammen; Helene mit einem belustigten Lächeln, er mit einem ganz ernsthaften Gesicht.

Der Meister hatte seine Gäste richtig veranschlagt. Die Knallbonbons machten munter. Hier knallte es – da knallte es – man lachte, man neckte, man achtete es nicht, daß man sich die Finger verbrannte.

»Meister, knallen Sie mal – immer feste – tüchtig!«

Piesich und Schmedewald knallten. Bäcker Piesichs Frau hatte Geld und hieß Hannchen; Donnerwetter, dies paßte ja großartig:

Goldlack:
Hannchen, pump mich 'was!
Mich fehlt's an's Notwendigste!

Und Klempner Schmedewald hatte einen bösen Drachen.

Narzisse:
Jrausam biste jejen mir,
Fieke, ich verachte dir!

Schmedewald, der sich sonst nicht traute, geriet ganz außer sich vor Entzücken: haha, das brachte er seiner Alten mit, jetzt gab er's ihr mal durch die Blume!

August Lehmann hatte auch geknallt. Er war ganz gerührt, er kriegte fast das Weinen: wenn er das seiner Mieke mitbrachte!

Augentrost:
Ich sah dir, Engel, lange nicht!
Mir fehlt, was dieses Blümchen spricht.

Sorgfältig wickelte er das Zettelchen um das Schokoladenkügelchen, steckte beides wieder in die Umhüllung und versenkte es in seine Tasche. Da kam nun noch ordentlich was vom Süßen dazu.

Knall – knall – es war die reine Schlacht. Flintengeknatter – Trommelwirbel. Piesich konnte das großartig mit dem Munde nachmachen. Überall Gelächter.

Johanna Henze hatte mit niemandem einen Knallbonbon gezogen; es hatte sich keiner an sie herangetraut. Sie saß da wie geistesabwesend; sie konnte nicht mitlachen. Da streckte sich ihres Mannes Arm lang und stark zu ihr über den Tisch; sie schreckte auf, sie griff nach seiner Hand: was würde er ihr reichen?!

Noli me tangere:
Laß mir sind!

Weiter nichts – weiter hatte er nichts für sie?! Es quoll in ihr auf wie Schmerz und Erbitterung. Aber die Tränen, die ihr kommen wollten, preßte sie herunter. Ein Zug von Verachtung zog ihre Mundwinkel herab.

Henze ärgerte sich über seine Frau; er hatte den Ausdruck der Verachtung in ihrem Gesicht wohl bemerkt. Kein Wunder, daß die Tochter so war, wenn die Mutter es ihr vormachte! Hochmütige Weiber! Er schlug an sein Glas, und als das Gelächter nicht gleich aufhörte und das Stühlerücken und das Füßescharren, erklang sein Glas noch einmal lauter.

»Sst – sst!«

Der Gastgeber war aufgestanden, groß, breit stand er hinter seinem Tisch. Beide Hände hatte er auf die Tafel gestützt, die Füße waren ihm etwas schwer, er hatte hastig getrunken. Glühend rot war sein Gesicht.

»Freunde,« schrie er, »trinkt aus! Laßt euch einschenken! Trinkt wieder aus! Stoßt mit mir an auf mein neues Glashaus, und daß wir oft frohe Feste drin feiern. Wenn es euch gefällt, dann kommt man oft wieder. Ich freue mich über mein schönes Glashaus, ich freue mich über jeden Gast. Ihr sollt hochleben! Und eure Frauen lade ich's nächste Mal auch mit ein. August, prost, deine Mieke! Piesich, Ihr Hannchen! Siebert, auf Malen!« Er hob sein Glas. »Nachbar, auf Ihre Gattin! Die schöne Schlachterin, sie lebe hoch!« Seine Augen blitzten und blinkten, das ganze Gesicht strahlte vor Übermut.

Die anderen wanden sich vor Lachen, jeder wußte, daß er mit der hübschen Frau des dicken Schlächters poussierte.

»Hoch, hoch, hoch!« Sie stimmten alle jubelnd mit ein.

Durch den Lärm tönte wie eine Posaune die gewaltige Stimme weiter, die etwas rauh geworden war vom Trinken: »Und nun, Freunde, gibt's Bowle. Und nu trinkt mal auf meinen Jungen, 'nen kleinen Jungen, den ich –« er stockte plötzlich.

Ein Plumps, ein Geklirr. Gottlieb hatte die ganze Bowle hinfallen lassen; dicht neben dem Redner. Er hatte sie gerade auf den Tisch setzen wollen.

Wütend brüllte der Meister: »Ungeschickter Deibel!« Er war ganz und gar begossen.

Totenblaß bückte sich Gottlieb und las die Scherben zusammen. Lieschen Krausnick half ihm schluchzend dabei; sie war so erschrocken.

Der Meister hatte den Faden verloren; er mußte sich auch erst abtrocknen, so naß war er geworden.

Helene Schehle war aufgesprungen, sie sah, daß ihre Mutter jäh erblaßte, die Augen schloß, sich schwer gegen den Stuhl lehnte. Ein Wehlaut wurde übertönt von Lachen, von Geschrei und Händeklatschen; das wirkte jetzt doppelt laut nach peinlichen Augenblicken plötzlicher Totenstille.

Man konnte nichts mehr verstehen vor all dem Gelächter, gar nichts anderes mehr hören. Die Gäste waren aufgesprungen, lachend umstanden sie den Meister: na, der sah gut aus!

Aber Henze lachte jetzt nicht. Er starrte Gottlieb an, plötzlich ernüchtert – sollte ihn der vor einer großen Dummheit bewahrt haben? Er wußte nicht recht, was er bereits gesagt hatte. Einen raschen Blick warf er nach seiner Frau hin: was machte die für ein Gesicht?

Aber die Meisterin winkte Lieschen heran und gab der noch ihre Serviette: »Da, trockne den Meister ab!« Und dann stand sie auf: »Mahlzeit!« Sie neigte den Kopf rundum. Die Herren waren jetzt gewiß lieber unter sich, das Essen war zu Ende, sie und ihre Tochter wünschten noch gute Unterhaltung.

›Wie 'ne vornehme Dame,‹ dachte August Lehmann. Er wisperte seinem Schwager ins Ohr: »Du, so 'ne Benehmigung haben unsre nich!« Aber im Grunde war er doch froh, daß die nicht seine Frau war. »Du, was war denn das mit dem Jungen? Was hat Henze gesagt?«

Siebert war auch nicht ganz dahintergekommen: es war dem Henze im Tran wohl nur so was rausgefahren. Aber daß da etwas nicht ganz geheuer war, das fühlte er. Das fühlten sie alle.

Henze hatte Johanna nicht zurückgehalten; er war jetzt froh, daß sie ging. Und auch, daß Helene nicht mehr dasaß neben dem Stallmeister.

Jetzt war man ungeniert, jetzt war man ganz unter sich. Es war heiß geworden im Glashaus. Die Herren legten die Röcke ob; sie saßen in Hemdärmeln um den Tisch. Nun die Frau im braunseidenen Kleide weg war, fühlten sie sich alle erleichtert. Auch das Fräulein hatte gestört.

Nur Goldenap trauerte seiner Dame nach. War er denn immer noch so dumm, sich so rasch zu verlieben wie zur Leutnantszeit? Damals hatte er gleich Feuer gefangen. Aber jetzt war es eben etwas anderes: die Schmiedstochter war nicht nur jung und schön, sie hatte auch Geld. Wenn er die bekam, konnte er noch einmal ein neues Leben anfangen! Er stieß einen tiefen Seufzer aus und starrte nachdenklich ins Leere; unbewußt griff seine Hand nach dem Glas. Er leerte Glas auf Glas; röter glühte seine Nase und immer röter. –

Zum Vorderhaus hinüber tönte Gesang aus dem Glashaus. Helene war zu Bett gegangen, es war ja schon spät. Sie hatte noch viel gelacht über die Gesellschaft drüben: waren das Spießbürger! Haha, die langen Bratenröcke! Und aus den Ärmeln steckten die roten Fäuste! Und wie sie sich eingegurgelt hatten in hohe Halsbinden! Sie hatte gelacht, daß ihr die Tränen aus den Augen liefen. »Ach je, ach je, Mama! Nein, eh ich so einen heiratete, lieber ginge ich in die Spree!«

Die Mutter hatte nichts darauf erwidert, als: »Geh zu Bett! Geh doch jetzt zu Bett!« Ungeduldig hatte sie es gesagt, sie wollte allein sein, sie mußte jetzt allein sein. Mit wilder Gebärde hob die Frau beide Hände an die Schläfen, starrte mit wirren Augen ins Dunkle: was hatte er gesagt, – was hatte er gesagt?!

– ich hab 'nen Jungen – 'nen kleinen Jungen – – –

Von wem?! Wo?! – – – – –

»Ungeheure Heiterkeit is meines Lebens Regel,
Kommt mir so ein Grobian, so ein wahrer Flegel –«

johlte es vom Glashaus herüber.

Sie hielt sich die Ohren zu. Er hatte einen Jungen – einen kleinen Jungen – von wem – wo?!


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