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Viertes Kapitel
Hänschen als Haustöchterchen

Der Tag des Damenkaffees war herangekommen. Frau Wallenberg, die an schwachen Nerven litt, befand sich in erheblicher Aufregung. Würde auch Luise, das »Trampeltier«, alles so machen, wie sie es ihr eingetrichtert hatte? Herr Regierungsrat hatte gleich nach dem Mittagessen Reißaus genommen und sich in sein Bureau gerettet. Hänschen hätte es dem Vater gern nachgemacht. »Ich werde Lore besuchen,« hatte sie schon vorher verkündet, um sich möglichst weit aus dem Wege zu räumen.

Aber sie stieß bei Mutter auf unvorhergesehenen Widerstand.

»Nein, Hänschen, du bist kein kleines Kind mehr. Die jungen Mädchen haben überall zu den Kaffees mit Hand angelegt. Beim Ablegen der Sachen geholfen, Milch und Zucker und Kuchen herumgereicht. Es kann dir nur nützlich sein, wenn du ein wenig gesellschaftlichen Schliff bekommst.«

»Was – ich soll bei dem Kaffeemops dabei bleiben? Das überleb' ich nicht!« Hänschen machte ein höchst unglückliches Gesicht.

Aber Mutti wünschte nun mal, daß Hänschen sich als aufmerksames Haustöchterchen präsentieren sollte. Luise, die sich erkundigt hatte: »Wieviel Mann kommen denn?« – besaß sicher noch weniger gesellschaftliche Umgangsformen als Hänschen. Zur Bedienung von vierzehn Damen war sie allein auch nicht zuverlässig genug. Beim Decken der Tafel hatte Hänschen ebenfalls mithelfen müssen. Allerdings warf sie dabei ein Hyazinthenglas um, vergaß Teelöffel zu legen und zerknüllte die saubergeplätteten Servietten. Aber immerhin – es war doch ein Anfang von hauswirtschaftlicher Weiblichkeit.

Am letzten Tage sagte noch eine Dame wegen Migräne ab. Mutter jammerte. Was nun? Dreizehn durfte man auf keinen Fall bleiben. Eine oder die andere der Damen war vielleicht abergläubisch und nahm in der verhängnisvollen Zahl nicht am Tisch Platz.

»Hänschen, du mußt aushelfen und dich als vierzehnte mit zum Kaffee setzen.«

»Ich bin doch keine olle Tunte,« erhob der Backfisch wenig respektvoll Einspruch. »Setz' doch Pitt mit ran.« Und plötzlich machte Hänschen ein spitzbübisches Gesicht. Sie begann sich mit einem Male auf den »Kaffeemops« zu freuen.

Mit dem Glockenschlag vier erschienen die ersten. Hänschen in einer weißen Kieler Bluse, die widerspenstigen Locken möglichst glatt gebürstet, öffnete.

»Guten Lag, mein Sohn,« Frau Tierarzt Schultze war etwas kurzsichtig. Auch sah Hänschen in der Matrosenkleidung mit den kurzen Haaren in der Tat wie ein Junge aus. Hänschen lachte ungeniert hell auf, was den Besuch höchst befremdete. Auch die mit ihr zugleich gekommene Dame lächelte. »Es ist ja die Tochter des Hauses – wie heißen Sie doch, liebes Kind?«

»Hänschen« – war die Antwort.

»Na also, ich sag's doch – es ist ein Junge!«

Hänschen konnte sich vor Lachen gar nicht beruhigen. Darüber vergaß sie ganz, die Damen hineinzubitten. Als sie sich endlich ihrer Pflicht erinnerte, öffnete sie das Empfangszimmer, und da sie die Mutter nicht darin erblickte, drängte sie sich vor den Besuch durch die Tür, laut rufend: »Mutti – es sind schon welche da.«

Frau Regierungsrat machte ein peinlich verlegenes Gesicht und sagte: »Aber Hänschen!«

»Wieso rufen Sie Ihr Töchterchen mit dem Knabennamen Hänschen, gnädige Frau,« erkundigte sich Frau Tierarzt, nachdem man Platz genommen.

»Mein kleiner Hans ist mir an Scharlach gestorben. Und als uns kurz darauf unser Töchterchen Hanna geboren wurde, rief ich es mit dem mir so lieben Namen,« berichtete die Wirtin mit leiser Stimme.

Hänschen war schon wieder im Vestibül, da es aufs neue schellte.

Diesmal gelang das Hereinführen vorschriftsmäßig. Nur der Anhänger von Frau Oberstabsarzt Samtmantel mußte beim Aufhängen daran glauben.

Auch die Hüte behandelte Hänschen wenig liebevoll. Mit argwöhnischen Augen sahen die Damen zu, wie das junge Mädchen ihre daheim in Seidenpapier sorgsam verpackte Kopfbedeckung knuffte und, unbekümmert um Reiher und Feder, aufeinanderstapelte.

Frau Oberpräsident erschien mit ihrer Mutter, einer alten Frau Geheimrat. Dieselbe lahmte und ging daher am Stock. Sie trug einen vorn aufgeschlagenen Hut, wie er gerade modern war.

»Warum schauen Sie mich denn so an, liebes Kind?« Der alten Dame mußte Hänschens unausgesetztes Anstarren auffallen.

»Ach, ich überlegte bloß, ob Sie wohl mit dem alten Fritz verwandt sind – Sie haben solche Ähnlichkeit mit ihm,« meinte Hänschen freimütig.

»Was – ich mit Friedrich dem Großen?« Die liebenswürdige Dame lachte herzlich. »Höchstens den Krückstock haben wir gemeinsam.«

»Nein, auch den Dreimaster.« Hänschen wies auf den Hut, während Frau Oberpräsident fand, daß sie ein ganz naseweiser Backfisch sei.

»Sind wir vollzählig?« erkundigte sich drin die Wirtin.

»Alle Mann da,« beteuerte Hänschen.

Eine der Damen begann die Häupter zu zählen, während Luise mit der Kaffeekanne die Runde machte.

»Dreizehn – Himmel –« sie machte erschreckte Augen.

»Es kommt noch ein Gast.« Hänschen ließ Zuckerdose und Sahnentopf im Stich und lief zur Tür. Bald darauf führte sie mit durchtriebenem Gesicht ein seltsam aussehendes Persönchen zu dem leeren Platz. Es war klein, trug einen langen Kleiderrock, darüber einen Spitzenumhang der Mutter. Auf dem weißen krausen Haar wippte ein schwarzer Federhut, der irgendeinem der Gäste gehörte. Darunter schaute ein ziemlich unglücklich aussehendes Pudelgesicht hervor.

»Fräulein Pitt,« stellte Hänschen lachend vor – »kusch' dich –« Sie wies auf den vierzehnten leeren Stuhl, auf welchem Pitt, in der Pfote Mutters Pompadour, gehorsam Platz nahm.

»Ein Hund – beißt er auch nicht?« Die Nachbarin rückte ängstlich zur Seite, während der neue Gast die Kuchenschüssel zu beschnuppern begann.

»Mein guter Federhut!« Frau Oberstaatsanwalt traute ihren Augen nicht.

»Bringe sofort den Hund hinaus!« niemals hatte die Mutter so ärgerlich und energisch mit Hänschen gesprochen.

»Es ist ja nur ein kindlicher Scherz,« begütigte die alte Frau Geheimrat, die wie der alte Fritz aussah.

Die andern Damen aber fanden den Scherz durchaus nicht kindlich, sondern geradezu unglaublich. Was man sich auch für Dinge über Wallenbergs »Zigeunerbub« berichtet hatte, das übertraf die schlimmsten Erwartungen.

Am liebsten wäre Hänschen mit Pitt zugleich verschwunden. Sie fühlte sich bei den süßsauren Mienen der Damen, die keinen Scherz verstanden, gar nicht wohl. Statt dessen mußte sie ihnen noch mit freundlichem Gesicht Kuchen anbieten. Viel lieber hätte sie selbst zugegriffen. Nein, was konnten die alles vertragen.

»Sie haben wohl noch Kuchen?« Hänschen ging mit der Schüssel an Frau Major vorüber, die allerdings noch einen gefüllten Teller vor sich stehen hatte und dafür bekannt war, in den Kaffees eine gute Klinge zu schlagen.

Die Damen lächelten verständnisinnig. Aber als Hänschen auch der alten Frau Geheimrat, die gerade zugreifen wollte, die Sandtorte mit den fürsorglichen Worten entzog: »Lieber nicht, Sie verderben sich sonst den Magen,« da fiel halblaut die Bezeichnung »enfant terrible«.

Mutter hatte zum Glück die gastfreundlichen Aussprüche ihrer Tochter im eifrigen Gespräch überhört. »Hänschen,« rief sie jetzt, »reiche doch mal Frau Oberstaatsanwalt die Pfannkuchen.«

»Die hat ja schon drei.« Hänschen kam nur sehr langsam der Aufforderung der Mutter nach, während Frau Oberstaatsanwalt ihrerseits mit geblähten Nasenflügeln dankte.

Sonst war Hänschen aber ein sehr aufmerksames Haustöchterchen. Vergaß eine der Damen mal Milch oder Zucker, die von Hand zu Hand wanderten, weiterzugeben, bekam sie ganz sicher von der Tochter des Hauses einen kleinen aufmunternden Rippenstoß: »Ach bitte, wollen Sie die Milch nicht weitergeben?«

Frau Regierungsrat Wallenberg saß wie auf Nadeln. Ach, hätte sie doch lieber darauf verzichtet, ihr Hänschen als liebenswürdiges Haustöchterchen zu präsentieren.

»Also, das ist das kleine Fräulein, das uns auf allen Vieren einen Besuch abgestattet hat und das mein Sohn beinahe als Einbrecher niedergeschossen hätte,« lachte Frau Baurat, Hänschen auf die Wange klopfend, als man sich von der Kaffeetafel erhob.

»Mein Hänschen erschossen?« Die unweit danebenstehende Mutter zitterte vor Aufregung. »Um Gottes willen, wie ist denn das möglich?«

»Ei, Sie brauchen sich deshalb wirklich nicht noch nachträglich Sorgen zu machen, liebe Frau Regierungsrat. Eine kleine Verwechslung. Fräulein Hänschen kroch nämlich auf allen Vieren durch unseren Garten, als sie uns Ihre Einladung in den Briefkasten werfen wollte. Mein Sohn hielt sie für einen Einbrecher und zog den Revolver – – –«

»Barmherziger – was hätte da für ein Unglück geschehen können!« Frau Wallenberg schlang schützend den Arm um ihr Hänschen. »Aber ich verstehe gar nicht – auf allen Vieren – in den Briefkasten – ja, Hänschen, hast du denn die Einladungen nicht persönlich übergeben?«

Das Töchterchen schüttelte verlegen den Kopf.

»Ich habe meine Einladungskarte sogar aus dem Mülleimer ziehen müssen,« sagte da Frau Oberstaatsanwalt, die Nase rümpfend.

Hänschens Mutter stand vor einem Rätsel. Aber sie hielt es doch für richtiger, der Sache vorläufig nicht weiter auf den Grund zu gehen. Sie machte Hänschen ein Zeichen, daß es jetzt Zeit für sie sei, sich zurückzuziehen. Hänschen aber hatte nur Augen für den übriggebliebenen Kuchen. Mutter mußte deutlicher werden.

»Bis die Speise gereicht wird, kannst du in dein Zimmer gehen, liebes Kind, du hast gewiß noch Schularbeiten zu machen.«

Das »liebe Kind« verschwand, nicht, ohne noch drei Stücke Kuchen mitgehen zu heißen. Es mußte doch für seine Anstrengungen belohnt werden.

Die Schularbeiten bestanden darin, daß Hänschen mit Kohle auf ihrem Reißbrett ein Konterfei der alten Frau Geheimrat hinwarf. Das heißt, eigentlich war es der alte Fritz mit Krückstock und Dreispitz, wie man ihn in Potsdam allenthalben auf den Bildern sah. Die Gesichtszüge aber hatte sie der Frau Geheimrat entlehnt. Befriedigt betrachtete sie ihr Werk, als Luise rief: »Hänschen, wa sollen de Speisen rumreichen, man 'n bisken dalli!«

Ach – solche Haustochter war wirklich geplagt. Hänschen nahm sich nicht mal Zeit, die durch die Kohle geschwärzten Hände zu waschen.

So appetitlich auch Frau Regierungsrat die Erdbeerspeise garniert hatte, Hänschens Hände, die sie darboten, waren nichts weniger als appetitlich. Frau Tierarzt griff sogar zu ihrer Lorgnette, um sie eingehend zu würdigen.

Ein ansehnlicher Rest Speise war noch in der Glasschüssel geblieben. Wenn sie noch einmal damit die Runde machte, wurde ihm sicher der Garaus bereitet. Frau Major nahm bestimmt noch einmal.

Hänschen entschloß sich, die Dame lieber nicht auf die Probe zu stellen. Sie zog sich mit der Schüssel ins Nebenzimmer zurück und begann munter draufloszulöffeln. Himmlisch schmeckte es! Zum Schluß, als die Schüssel leer gegessen war, machte sie es wie Pitt – mit flinkem Züngelchen leckte sie die Schale aus.

»Hahaha« – lautes Gelächter klang aus dem Nebenzimmer. Hänschen ließ sich dadurch nicht in ihrer Reinigungsarbeit stören. Sie ahnte ja nicht, daß der große Pfeilerspiegel in der Ecke ein Verräter war und den Damen da drinnen ihr Bild zeigte.

»Na, schmeckt's, Hänschen?« Ganz sicher wollte sich Frau Oberstaatsanwalt für den vierten Pfannkuchen, den sie nicht bekommen hatte, rächen, denn sie machte nicht nur ihre Nachbarinnen, sondern auch Frau Wallenberg auf die gründliche Arbeit ihres Töchterchens aufmerksam.

»Hänschen, schämst du dich denn gar nicht – – –!«

Hänschen ließ vor Schreck die Glasschale fallen.

Da lag sie, die schöne geschliffene Schale, in lauter Scherben.

Hänschen brach in Tränen aus. Frau Regierungsrat hätte es am liebsten ebenso gemacht. Aber sie mußte sich zusammennehmen; mit grenzenloser Überwindung lächeln und den Gästen versichern, daß das kleine Malheur wirklich gar nichts auf sich habe.

Hänschen aber verstand es ebenfalls, sich zu rächen.

»Soll ich meinem Agathchen einen Gruß von Hänschen Tunichtgut bestellen?« fragte Frau Oberstaatsanwalt scherzend, als man aufbrach.

»Der Schnattergans – bloß nicht – wir sind spinnefeind!« Laut und ungeniert rief Hänschen es zu Mutters Entsetzen.

Aber was machte Mutter erst für entsetzte Augen, als draußen im Korridor das Porträt der Frau Geheimrat prangte in der Uniform Friedrichs des Großen. Mit vier Reißnägeln war es an der Wand befestigt.

»Ah, eine kleine Künstlerin,« freundlich drohte das Original mit dem Krückstock. »Ihr Töchterchen hat unbedingt Talent, ich bin stolz auf den Vergleich.« Damit schnitt die liebenswürdige alte Dame der Mutter die verlegene Entschuldigung ab.

Hänschen Tunichtgut mußten am Abend die Ohren klingen. Es gab in Potsdam keine Honoratiorenfamilie, wo man nicht über sie zu Gericht saß und den Stab über das naseweise und unerzogene Mädchen brach.

Regierungsrat Wallenberg aber fand bei seiner Heimkehr seine Frau in Weinkrämpfen, trotzdem ihr jede der Damen versichert hatte, daß es »ganz reizend« gewesen.

An diesem Abend ward es bei Wallenbergs beschlossene Sache: Hänschen muß zu Ostern unbedingt in eine Pension!


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