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15

InitialAber an einem Novembertage fiel ihm wie ein geschleuderter Pfeil ein Mann in das Haus. Ein gelber verwilderter Mann stand schräg vor ihm, er stieß, ohne den Hut abzunehmen, trotzig hervor: »Ich habe den Zacharia erschlagen!«

»Besoffene Bestie!« griff ihm Heinz Heide in den Arm und schüttelte ihn.

Der Mann machte sich mit einem Ruck frei. »Es ist oben zu sehn!« stieß er hervor, »ich habe ihn erstochen!« Seinetwegen könne er vors Gericht kommen! Deswegen sei er da!

Heinz Heide machte einen Schritt zurück und übergoß den Mann mit einem verächtlichen Lachen. »Ha!« lachte er.

Da geschah etwas Merkwürdiges. Die rechte Hand des Mannes, die den Hut hielt, ließ den Hut wie eine Schneeflocke fallen und ballte sich zur Faust. Die einzelnen braunen Finger faßten in der Faust eine unzüchtige Gurgel, man hörte die Gurgel krachen. Ein Keuchen fiel aus der Gurgel auf die geblähten Arme des Mannes. Der Mund aber, der sprechen wollte, blieb zwischen den auseinanderklaffenden Zahnreihen starr offen. Die Kiefer kauten an einem Wort, die Kehle preßte es in den Gaumen hinauf, der Hals schwoll wie der Leib einer Boa, die Schlagader wurde wie ein Feigenstamm am roten Hals, die schwarzen Haare schnauften in die Luft.

Heinz Heide wurde es unheimlich. »He!« schrie er.

Da bog sich der Mann, gerissen aus der Beklemmung der Wut, ihm entgegen, der Mund sprang aus der Sperre, eine heiße Flamme zischte daraus: »Er hat mein Weib verführt – –!«

Diese Geschichte brachte Heinz Heide in eine fieberhafte Aufregung. Der Mann war nach diesen Worten wie ein Verfolgter über die Treppen geflohen; aber er stellte sich wahrhaftig dem Gericht, eine Gerichtskommission kam auf die Elfwiesen, wo der Mord geschehen war. Heinz Heide ging mit der Gerichtskommission, der Vorarbeiter im Holzschlag zeigte die Blutlache, das Messer stak in der Erde. Der Leichnam Zacharias lag in einer Hütte, mit Tannenreisig zugedeckt.

Wo das Weib sei? fragt der Kommissär.

Das Weib sei davongelaufen, sagte der Vorarbeiter.

Ob der Mörder erst vor kurzem von der Untreue seines Weibes Wind bekommen habe?

Er habe ein gutes halbes Jahr lang nichts gemerkt, sagte der Vorarbeiter; obwohl sie sich gar nicht genierten. Außerdem hat man es ihm nahegelegt, zum Greifen nahe.

Ob er ihn meuchlings erstochen habe? fragte der Kommissär.

»Meuchlings?« Der Vorarbeiter reckte seine Brust heraus. »Er ist eines Augenblicks daraufgekommen – so ist es meistens! – und ging den Zacharia sofort an: Ist es wahr oder nicht? Dabei beißt der Zacharia an seinem Mund herum, wie eine Kerze wird er weiß – – da hat er das Messer schon drinnen!«

Es hieß später, man werde den Matteo freisprechen. Alle verteidigten ihn.

Heinz Heide konnte sich über die Sache nicht beruhigen, er peinigte sich mit ihr. Der Totschläger stand wie ein Ankläger vor ihm, er warf ihm vor: Du bist zu feig gewesen! Er habe mit parfümierten Schlingen und silbernen Fangeisen den Bösewicht erhascht; aber ihn schlankweg niederzuschießen, – dazu –

»Mein Weib war eine Bauerndirne!« warf ihm der Totschläger vor. Ein Held wurde der Totschläger.

»Ich suche den Mann in Malaripa auf!« hetzte Heinz Heide sein Blut. »Vor allen Leuten, auf der Straße, – er kommt mir entgegen, er ahnt nichts, ich bleibe vor ihm stehen! – Da – er beißt an seinem Munde, wie eine Kerze wird er weiß, – du Hund, du Hund, du Hund! – Da sitzt ihm das Messer schon drinnen!«

Aber, schüttelte der Zorn Heinz Heide, dazu ist es nun zu spät!

Andere Pläne! Er saß nachts vor seinem Schreibtisch, der Mond stand draußen, der bläuliche Reflex lag auf der Schreibtischplatte unter der Glasuhr. Er machte Pläne.

Sie taugten alle nichts. Ein jeder war Überlegung, List, Spiel. Die Tat müßte aus dem Blute springen wie der Blitz aus der Wolke!

Morgens war sein Stolz dahin. Er saß hilflos vor dem Tisch, er hörte schon Giusa im Hause umhergehen.

Er saß noch da, den Kopf in die Hand gestützt, als sie den Tee brachte. »Guten Morgen, gnädiger Herr,« flüsterte sie; er gab keine Antwort. Sie redete immer leise, sie zitterte auch stets, wenn sie bei ihm eintrat.

Sie stellte das Teebrett auf den Tisch, der Herr frühstückte in der letzten Zeit immer auf seinem Tische.

Was für Wetter sei?

Er hob das Gesicht von der Hand und betrachtete das Mädchen. Dabei lehnte er sich zurück.

Es sei klares Wetter.

Sie trippelte davon. »Wie spät ist es?« rief er ihr an die Türe nach, so daß sie sich noch einmal umdrehen mußte.

Als sie ging, hatte er eine stark herabhängende Unterlippe und seine Augen schimmerten lebendig.

Er rief an diesem Tage zwanzigmal nach Giusa. Er war aufgeräumt. Sie solle einen Lappen bringen, er wolle ihr zeigen, wie man die Schuhe eines Herren putzt.

»Steige auf das Fensterbrett!« befahl er; sie solle die Vorhänge ganz zurückziehen.

Es freute ihn, wenn sie ängstlich war und ein bißchen zitterte.

Er machte große Spaziergänge in diesen Tagen. Ja, sagte er, das war gut! Ein feiner Nebengedanke war es gewesen, daß er dem Verwalterweibe, so sehr es weinte, die Tochter nicht mitgegeben hatte. »Die Tochter behalte ich mir,« hatte er einfach gesagt.

Es waren graue Tage. Ganz stille Tage. Der Himmel war bleischwer, die Berge schwarzblau, nur die Ebene unten fahlgelb.

Er lief nun vormittags und nachmittags herum. Dabei sann er über etwas nach und das machte ihn gutgelaunt. Oft war er munter. »Prinzessin meines Hauses?!« sagte er zu Giusa, wenn er heimkam. – Ein Jäger war er, der einen Monat im Walde umhergeirrt war; kein einzig Wild lief ihm ins Rohr; sein Blut schlief ein in der Enttäuschung. Da, – am letzten Tag, – es klappert ein Flügelschlag, – die Büchse an die Wange! Das Blut ist wieder frisch!

Es mußte fein zu Werke gegangen werden!

Oft pfiff er vor sich hin: fein zu Werke gehen!

Da, in meinem Hause, in meiner Armnähe, eine Mitschuldige! pfiff er und ging in seinem Zimmer umher.

Fein vorbereiten!

Eines Nachts aber wollte er plötzlich nicht mehr warten; es wurde sonst auch dafür zu spät. Er klingelte.

Die Klingel lief auf Spinnenfüßen aus dem Zimmer, über den Flur, die Stiegen hinab in Giusas Kammer. Ganz unheimlich telegraphierte sie: der Herr ist ungeduldig!

Giusa hatte einen grauen Schal um die Schultern hängen, als sie kam, die Enden des Schales fielen über der Brust nieder, man sah das Hemd darunter. Was geschehen sei? fragte sie verstört, und ihr Kerzenlicht schaukelte.

Er könne nicht schlafen! »Ich kann nicht schlafen!«

Sie solle dableiben, bis er einschlafen würde!

Furchtsam ging sie zurück bis in die Tür. Die Arme spreizten sich aus, um den Schal größer zu machen, und die Kerze bewegte sich hin und her. Sie bitte, sich vorher ankleiden zu dürfen! flüsterte sie.

»Der ganze Winter kocht im Ofen!« Er blies ihr das Licht aus. Da bekomme sie wärmer, als sie wolle. Und ihm genüge es, wenn sie da in dem Fauteuil vor dem Ofen sitze, »da –!« zeigte er nach dem Fauteuil.

Darauf schleppte sie sich erschreckt über den Teppich nach dem Ofen hin.

»Setze dich!« sagte Heinz Heide.

Er setzte sich hinter seinen Schreibtisch. Auf diesem Tisch stand eine blauverhängte Lampe, die beschien einen Berg von aufeinandergeschichteten Büchern. Die Flächen zweier hoher Regale, eine ovale Silberplatte über Ebenholztruhen und das Fleisch einer kaltmarmornen Andromeda schlummerten im bläulichen Licht. Als Giusa sich setzte, stieg das Licht von den Wänden, Gewehrschäften und Schränken nieder bis in den Teppich, auf dem ihre nackten Füße zitterten, und goß sich in die rote Glut, die vom Kamin her über sie flammte.

»Wie alt bist du?« rückte er seinen Stuhl.

Er stellte noch vier, fünf solcher Fragen.

Als sie zu allem schwieg, stand er auf und kam auf sie zu, – ob sie wisse, was an einem Mädchen ihres Alters das Schönste sei?

Und als sie noch nicht antwortete, hockte er vor ihr auf dem Teppich nieder. Also das wisse sie nicht? lachte er.

Sie zitterte.

Nun entschloß er sich, er spannte die Finger wie Eisenkrallen um die nackten Fesseln des Mädchens; also sie wisse das nicht?

Blitzschnell sprang sie aus seiner Hand. Zuerst hatte nur das Hemd über den frierenden Knien gezittert, nun zitterte das ganze Mädchen, das da stand.

Sie sei ein dummes Mädchen! ging er auf seinen Platz zurück.

Er gebrauchte dann ein paar Redensarten. Lächerliche Dinge seien die Mädchen. Und alle verlogen! Haha!

Er kenne das! Sie spielen die Verschämten.

Er schlug ein Buch auf und tat, als wollte er lesen; er blätterte darin.

»Hoho!« fiel das Buch donnernd zu; so habe er's nicht gemeint! – griff er in den Leib des Mädchens, dem er an die Türe nachgesprungen war. Seine Augen waren wild jetzt, es genierte ihn keineswegs, daß der Schal von dem Mädchen glitt und dieses sich wand wie eine getretene Schlange.

Er hob es vor der Türe in die Luft, »hoho,« und ließ es dann niedergleiten; mitten auf den Teppich hin. Dort lag es dann, mit dem Gesicht auf dem Teppich.

»Das wäre gut!« rannte er herum im Zimmer. Ei, siehe, wie diese Mädchen sind! – Er lief wie ein Löwe, der einen halbnackten Körper vor sich sieht, der halbnackte Körper läßt ihn nicht in Ruhe.

»So ein Mädchen, – so ein –« stellte er sich vor den halbnackten Körper, er empfand nun ein bißchen Mitleid. Aber nur einen Augenblick später, da spielte er schon mit dem Körper, er wiegte ihn auf den Armen, – groß war er jetzt, und als der Körper anfing zu zucken, er verlor im Streite jede Scham, wurde er noch größer. »Haha« trug er ihn herum, »so ein Mädchen –«

Da schrie das Mädchen plötzlich auf. Es schrie, ein Schrei nach dem andern.

Er erschrak und blieb stehen. Er ließ das Mädchen nieder.

Das Mädchen sank klagend auf den Fauteuil, es hatte die Hände ins Gesicht geschlagen, als wären sie ins Gesicht gemeißelt. Es bebte fürchterlich am ganzen Körper.

Er aber lief von einer Ecke des Zimmers in die andere. Er war wieder vollkommen hilflos.

»Ich bin krank,« sagte er; er ging vor dem Mädchen auf und nieder.

»Ich bin krank,« fuhr er sich in die Haare, und als das Mädchen nur mehr leise weinte, trat er vor sie hin: »Ich bin krank. Siehst du, ich bin krank!«

Es kam etwas Weiches über ihn, von dem Mädchen her, er wurde fast glücklich. Er bekam das Bedürfnis, das Mädchen um Verzeihung zu bitten, das Bedürfnis, dem Mädchen, das zum erstenmal das Böse gesehen, sein geplagtes Haupt in die Hände zu legen: Du bist unschuldig, du bist tugendhaft! wollte er sagen.

Verzeihe mir! wollte er bitten.

Das Mädchen saß vornübergebeugt da, die Haare waren ihm aus der Stirn geglitten. Diese schwarzen Haare strich er mit fast demütigen Händen aus der Stirne.

Seine Stimme wurde weich, er sprach fast knabenhafte Worte. Seine Bewegungen verloren alles Rohe, zart wurden sie, als das Mädchen sich beruhigte. Er wolle ihr ein Kleid geben, sagte er; er verstehe, sie friere entsetzlich.

Von der Truhe her, aus der er eifrig ein lilafarbenes Kleid hervorholte, eine ängstlich gehütete Erinnerung, sagte er, er habe auch Schuhe. Er sehe, sie friere an den Füßen, sagte er glücklich; wie glücklich war er, alle verloren geglaubten Kräfte erstanden wieder, es galt, ein armes Weib zu trösten. Seine Hände waren von überglücklicher Zartheit.

Ob sie noch Decken wolle? fragte er, als das Mädchen eingehüllt war. Dies Kleid stehe ihr schön, aber er habe noch Pelze und Mäntel, wenn sie –

Buchenklötze schob er in den Kamin. Er blies die Glut an; wie schön war es, für ein frierendes Kind Feuer zu machen!

Als er vom Kamin kam, fiel ihm ein: ich muß sie gleich fortschicken! Ja, das war notwendig!

Er beugte sich über das Mädchen. Da bewegte es sich zum erstenmal wieder. Das Kleid brach unter der Bewegung seine Falten.

»Gehe nun schlafen, Kind!« sagte er wie eine Mutter. Er werde sie hinabführen.

Jetzt lächelte sie. Er kniete vor dem Mädchen nieder und drückte sein Gesicht in das lilafarbene Kleid. »Verzeih mir!« bat er, »Mädchen –«

Das Mädchen lächelte jetzt. Er sprang auf. Oh, wie war es schön: das Mädchen lächelte!

Sie müsse nun schlafen gehen! hob er sie aus dem Fauteuil. Im lilafarbenen Kleid, wie sie so auf dem Teppich stand, war sie groß.

Gehorsam ging sie an seiner Hand der Tür zu. Schritt für Schritt, wie eine Kranke.

Vor der Tür aber blieb sie stehen und lächelte. Sie hob ein bißchen den linken Arm und sah über das fließende Kleid hinab. Sie ringelte sich darin, sie hob das Köpfchen und lächelte zu Heinz Heide hin.

»Du darfst es behalten!« sagte er und wollte ihre Hand weiterziehen.

Aber nun lachten ihn ihre Augen keck an. Sie blieb stehen, nahm ihre Hand aus seiner Hand und er hörte ein leises Kichern.

»Mädchen!« sagte er, ein bißchen ratlos, er hatte die Hand auf der Türklinke.

Nun lachte das Mädchen laut auf und kehrte um. Es setzte sich lustig in den Fauteuil vor dem Kamin.

Er stutzte. Er ließ die Türklinke aus der Hand schlappen.

Er ging taumelnd von der Tür in das Zimmer zurück. Auf der Kante des Diwans setzte er sich nieder und starrte Giusa an.

Auch da herüber flatterte ihr Lachen.

Er tat einen tiefen Atemzug. Dann stand er auf und streckte eine Hand aus. Aber das Mädchen lächelte noch immer.

»Ah,« sagte er nun mit steinernem Gesicht, »schöne Dame, – Prinzessin meines Hauses –?!«


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