Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

8

InitialHa, es gibt etwas, dachte Heinz Heide, als er mit springenden Gedanken, die ihn bald hell machten wie einen Mutigen, bald finster wie einen Wahnsinnigen, wieder nach Buchenfreygg zurückschritt, – es gibt etwas, das mir verbietet, mit ihr zu fahren! Es wäre das einfachste von der Welt, – man steigt ein, fährt nach Malaripa, dort muß ein Hotel oder zumindest eine Herberge sein, – Tag und Nacht ist man in ihrer Nähe; das natürlichste wäre es, – aber da ist etwas: er!

Er war vielleicht Schmierendirektor, oder Oberkellner, oder ein herabgekommener Edelmann. Sie hatte ihn in Südfrankreich kennen gelernt, dort war sie Erzieherin gewesen. Sie heiratete ihn, sie zogen herum. Das Laster oder das Elend zieht so herum. Er hatte irgendwo ein Unternehmen, – plumps: es kracht. Fort, – man suchte etwas anderes. Genial war er, sagte Gioia, das mußte man ihm lassen. Er kam immer zu etwas Neuem, und dann immer wieder zu ihr zurück. Immer ohne Geld! Er bettelte: wie es einem so geht auf der Welt! – Und sie hatte Geld! Ihr Vater war Kunstmaler gewesen, ihre Mutter eine Französin. Sie konnte darum malen und übersetzen, – auch sticken! – kurz, sie verdiente. Woher, wie, – das war dem Vagabunden gleichgültig; er nahm ihr Geld, – er mußte spekulieren. »Es ist die Zeit der Erfindungen!« sagte er, man dürfe sein Hirn nicht verwesen lassen.

Heinz Heide drang oft in Gioia: »Scheidung!« Aber Gioia war da fest wie der Felsen Petri. Sie gebe zu, sein Leben entbinde sie jeder Verpflichtung, – »aber streng genommen –?« Ihre Eltern würden sich im Grabe umdrehen, sie waren sittenstrenge Leute gewesen und sahen diese Heirat nicht gerne. »Um so mehr –!«

Aber, – mußte man nicht geradezu ein Schwächling sein, um da nicht irgend etwas arrangieren zu können? Man ging zu einem vernünftigen Priester! Man sagte: die Dame ist skrupulant, die Verhältnisse sind aber so und so. – Überzeugen Sie die Dame, – schaffen Sie ihr die Ruhe des Gewissens!

Oder, – ja um des Himmels willen, was machte ein anderer? Das sind Hasenfüße, die vor einem Hindernis, einem Eheband, einem Gelübde stehen bleiben und glauben, nun gäbe es keinen Ausweg mehr. Hasenfüße, die ohnmächtig vor der Mauer brüllen und zetern und ihre Lebenskraft vergeuden, um die verdammte Mauer nur zu gewöhnen.

Er lachte etwas erleichtert im Schatten. Ein Gewitter, – bei Nacht, – es beschwert den Geist wie Morphium; man sieht alles schwarz. Bei Tage, – da, das Blut fließt lebendig, man übersieht nun wieder alle Menschen, und der geniale Einfall wird lebendig. Ein anderer, – einer mit festem Willen: ich setze es durch! – der fährt ganz einfach nach Malaripa! »Habe ich das Vergnügen, mit Herrn Terroni zu sprechen?« Man habe es. – Sofort zog man, gedankenlos, ein dickes Portefeuille und lächelte verbindlich. Man packte den Stier bei den Hörnern: Verehrter Herr, ich denke, es ist bequemer, Ihre Frau bleibt bei mir, – mit dem Kinde, selbstverständlich! – Sie haben keinerlei Lasten. Den Prozeß bezahle ich, und ansonsten –« hier machte man eine generöse Handbewegung.

Herr Terroni tat zuerst wie ein Kavalier im Theater, er rollte die Augen, er zog vielleicht einen Revolver aus der Tasche. Aber das bemerkte man nicht, man streute so nebenhin einiges von den schmutzigen Geschichten des Herrn Terroni ein, ganz nebenhin, – als ob diese schmutzigen Geschichten der Herr Meyer gemacht hätte. Wisse Herr Terroni vielleicht, ob Herr Meyer wegen des Gründungsschwindels in soundso schon verhaftet sei? Habe er nicht auch beim Totalisator in daundda Dummheiten gemacht? Wie unvorsichtig die Menschen seien!

Herr Terroni nun sagte darauf reserviert, er wisse davon nichts. Wie sollte er auch? Er sei Agent einer kleinen Zementfabrik, er lebe in ganz zurückgezogenen Verhältnissen. Er könne nur sagen, sein oberster Grundsatz sei: da gentiluomo! Überall, in allen Dingen – ein Vertrag! Ohne Vertrag nichts! Wer einen Vertrag verletzt –? »Also dreihundert Gulden monatlich?« – »Ei, etwa zu wenig? Vierhundert?« – Punktum! Vertrag! –

So würde es einer machen, der weiß, was er will! –

Heinz Heide fühlte sich freier, er war dieser angenehmen Betrachtung dankbar wie einer, der unter ständiger Angst einhergeht, ganz gebeugt, und dem nun jemand sagt: »Aber was fällt Ihnen ein?«

Doch war es nichts Dauerhaftes mit dieser Ruhe. – Ob er nicht wie ein Hund sei, der eine Spur wittert? Er geht in einem Walde, an der Leine seines Herrn. »Da gehst du!« sagt der Herr, »da!« – Er folgt. Aber plötzlich schnuppert er, er reißt an der Kette, er bellt auf, – krach, die Kette ist hin und er schießt in den Tann –. Ob er nicht sei wie ein solcher Hund?

Und, merkwürdig, geht da nicht etwas neben mir her? dachte er. Woher kommt es? Kommt es aus der Luft, aus dem Wald, aus der Erde? – Es zupfte ihn am Ärmel, er fuhr auf: was ist das? Es kroch ihm in die Beine, es stand wie ein Nebel vor ihm, er tappte: was ist das? Etwas Unheimliches war es, es konnte ihn plötzlich überfallen und erwürgen oder foltern und schlagen, und ihm zeigen, daß nun, in einem Augenblick, alles, was war, ganz anders geworden ist!

Ich will an der Leine gehen! lachte er. Ich will an den Herrn Terroni denken, den Schmierendirektor oder Oberkellner oder – ja, aber, wenn er von alledem nichts war?

Es riß ihn etwas am Kragen: warum er niemals daran gedacht habe, diesen Herrn Terroni wenigstens von der Ferne kennen zu lernen? – Nachdem dieser Herr nun schon einmal der Mann der Dame sei, und sie um keinen Preis von ihm lassen wollte? Es wäre doch der Mühe wert gewesen, diesen Herrn einmal von Angesicht zu Angesicht –!?

Es würgte ihn etwas. Nein, er lasse sich nun durch keine Gedanken in der Konzentration stören, – er habe sich vorgenommen zu denken, wie er mit Herrn Terroni verhandelte. Er kam überraschend nach Malaripa, er verhandelte mit Herrn Terroni, und sodann ging er in das Dachstübchen zu Gioia und dem Kinde. – Also das ist die kalte Kammer! rief er aus und sagte ihnen, sie könnten nun mitkommen, es sei alles in Ordnung, und ob sie kopuliert seien oder nicht, das ginge –

»Guten Abend, Johannes!«

Johannes zog erstaunt den Hut und ließ die Schaufel in die Erde bringen; er war mit Wegmachen im Hohlwege unter St. Euseb beschäftigt.

Brauche man den ganzen Tag zum Wegmachen von Buchenfreygg bis daher? blieb Heinz Heide vor ihm stehen. Es waren wieder freundlichere Gedanken da; man geht durch seinen Wald, begegnet einem von seinen Leuten, – »guten Abend«, sagt man.

Der Herr werde heute morgen wohl gesehen haben, »das Wetter hat den Weg fast gänzlich zerrissen!« verteidigte sich der Johannes. Die Dame sei schwindelig geworden, als sie über die Notbretter ging, und der Verwalter, der das Kind trug, schwankte geradezu!

Diese wenigen Worte von der Dame und dem Kinde verscheuchten alle freundlichen Gedanken, Heinz Heide mußte sich zwingen; ob der Johannes jahrein, jahraus Weg mache? Er könne sich erinnern, früher tat es ein anderer!

»Es ist Sache der Gemeinde,« sagte Johannes, der Weg sei Gemeindeweg, »das heißt, es besteht eine sogenannte Konkurrenz.« Der Doktor in Tannenfreygg sei Obmann.

So? der Doktor sei Obmann?

»Ja,« sagte Johannes in einer langsamen Umständlichkeit, denn er mußte achtgeben, die einstudierte Rolle ordentlich herauszubringen, – ja, der Doktor sei Obmann. Ein sehr eifriger Obmann! Heute früh, das Wetter war kaum verzogen, habe er nach der Laast geschickt, – Johannes, ließ er sagen, der Weg muß schnell gerichtet werden, die Dame und das Kind müssen gegen Mittag in die Stadt! – Übrigens, ob die Dame und das Kind gut hinabgekommen seien?

Trefflich sei man hinabgekommen, sagte Heinz Heide, schon um drei Uhr ging man über die Brücke.

»Eine feine Frau! Sackerlott! Und auch das Kind ist fein!« Man müsse sagen, der Herr Bruder habe einen feinen Geschmack. »Ich habe die Dame auf den ersten Blick wiedererkannt; jawohl, so ein Gesicht vergißt man nicht,« – wenn es auch hinter einem Schleier stecke.

Von wem er denn rede? fragte Heinz Heide langsam.

Von wem er rede? stützte sich der Johannes auf die Schaufel. Die Dame meine er, mit der der gnädige Herr heute in die Stadt ging. Die Dame sei doch die Frau des Herrn Wolf gewesen? –

Heinz Heide wuchs wie ein Schilf aus dem Moore. – Wie habe er da gesagt? »Die Dame – –?« Er griff nach dem Stabe. »Die Da – –?« Wahrhaftig, das sei, – »die Da – –!« – Aber wolle er vielleicht erzählen, wie er auf diesen Gedanken –?

Wie er auf diesen Gedanken gekommen sei? – Ja, habe er etwa nicht mit eigenen Augen die Dame und den Herrn Wolf auf dem Balkon gesehen, in Buchenfreygg oben, – »ein paar Tage, bevor der gnädige Herr kam?«

»Gesehen?« Seinen Bruder mit dieser Dame? Auf dem Balkon im Hause oben?

»Ihr seid betrunken gewesen, oder –«

Da müsse er bitten! war der Johannes beleidigt. Er wolle da nichts behaupten, was der gnädige Herr besser wissen müsse, aber – »ich sage, es war zwei oder drei Tage, bevor der gnädige Herr kam! – Um Jakobi war es, genau um Jakobi. Der Habermann ist nachts um elfe in die Stadt gefahren, auf den Markt ist er gefahren, – da hat er die Dame und den Herrn Wolf und den Verwalter, – beim steinernen Christus war es! –«

»Dann hat der Habermann einen Rausch gehabt!«

»Ja, aber am nächsten Tage? – Am Annentage?« So wahr er da stehe, es war am Annentage, »ich habe auf den Herrenäckern unter dem Hause Roggen geschnitten. Sackerlott! denke ich mir, warum sind die Fenster und die Altanen offen? – Ist vielleicht der gnädige Herr gekommen?«

»Natürlich war ich es! Ich war es!«

Johannes spreizte die Augen auf. Der gnädige Herr meine, er sei wohl blind? »Ich werde doch den Herrn Wolf vom gnädigen Herrn auseinander kennen? Er hat keinen Bart und ist einen Kopf kleiner –« das sei besser! »Und vom Herrenacker aus!« Könne man vom Herrenacker aus etwa nicht eine Dame erkennen, die auf dem Balkon steht und mit dem Herrn Wolf und dem Verwalter redet? »Eine halbe Stunde lang redeten sie, wichtig haben sie geredet, der Verwalter tat mit den Händen so in der Luft herum, er –«

»Fremde werden es gewesen sein!« lachte Heinz Heide zornig. Bekannte des Verwalters, denen er das Haus zeigte. – »Haha!« Es werden sie wohl noch andere als der Johannes gesehen haben, »oder gingen sie etwa nur nachts herum und in Tarnkappen?«

»Jawohl! Das stimmt!« hob der Johannes seine Hand von der Schaufel. Die Dame ging den ganzen Tag nicht aus dem Hause, – und schon in der nächsten Nacht, – »Nacht sage ich!« – begleitete sie der Verwalter hinunter. »Nur der Herr Bruder, der blieb wie gewöhnlich länger, – der ist – –«

»Und das Kind?« stieß Heinz Heide hervor.

»Kind?« – stutzte Johannes. »Kind? – Kind war keines dabei!« – Aber –

»Aha!« Also Kind war keines dabei! – »Johannes!« klopfte er ihm wild erregt auf die Schulter, – und da habe er sich nun zusammengereimt, – »freilich, mit bald siebzig Jahren, – da reimte er sich zusammen –«

»Ja, – aber!« Könne der gnädige Herr etwa leugnen, wurde der Johannes rot, – »daß das Kind auf ein Haar dem Herrn Bruder gleicht? – Sieht es ihm etwa nicht gleich wie ein Ei dem anderen?« –

Heinz Heide taumelte, der Stab mußte ihn stützen. Er tat einen kleinen Schritt, achtsam, langsam, – einen zweiten. Da stand er beim Johannes. Er machte den Mund mit einer schwierigen Bewegung auf, der Mund kippte ihm aber wieder zu.

Nun streckte er die Hand aus, die linke. Sie gehorchte, Sie klopfte dem Johannes auf die Schulter. Er sei ein Kapitalkerl! »Da kommt auf einmal einer von unserer Familie, – mein Gott, die Menschen verändern sich doch! – aber man erkennt ihn von einem Roggenacker aus, in der Nacht, beim Schein einer Laterne! –«

»Es kommt da –,« seine Stimme hatte ein bißchen Rührung, – es komme die Frau des Herrn Wolf, – aber man erkennt sie! – so, – man weiß nicht warum. Weil man an der Familie hängt, man interessiert sich für alle Mitglieder der Familie! »Das ist es!« Und das Kind! Findet man nicht gleich die Ähnlichkeit heraus? Man erkennt es einzig und allein nur wegen dieser Ähnlichkeit! – »Und wenn dann einer von uns sich den Spaß macht –« – er lächelte und der Johannes sank mit der Schaufel immer tiefer in die Erde, – »und sagt: Johannes, du bist ein Narr, ein Betrunkener, – und so weiter –« – lasse sich da der Johannes nicht den Kopf abreißen als Pfand für seine treuen Augen?

»Es ist das ein seltener Zug!« Diese Anhänglichkeit überrasche ihn; er müsse davon seinem Bruder und seiner – »Gute Nacht, Johannes!«

Er ging davon. Aufrecht, als merkte er, daß der Johannes ihm mit irren Augen nachschaute. Aber er merkte nichts davon, er ging, wie ihn die Beine trugen. Er sah gedankenlos in die Sonne, er sah mitten in sie hinein. Gedankenleer sah er in den Wald, der Wald war aus grünem toten Kristall.

Tann aber war doch wieder ein kleiner Gedanke da, nur soviel, um nicht gedankenleer weitergehen zu müssen. Und er dachte, in einer Art Selbstbelehrung, an alles, was nach menschlichen Begriffen unmöglich war. Es betäubte ihn das.

Daß nun, während er schritt, die Sonne plötzlich vom Westen nach Osten zöge, ist es nicht unmöglich? Daß der Himmel plötzlich schwarz, die Berge weiß, der Wald rot wurden, – wer lachte nicht über solche Unmöglichkeit? Daß die Bäume sich umkehren und vom Himmel in den Boden hineinwachsen, wer brüllt nicht vor Vergnügen über solche Unmöglichkeiten?

Aber – da geht ein Mann, er geht einen ebenen Weg, tausendmal schon ging er ihn; frohgemut geht er ihn: morgen werde ich Rebhühner jagen! – Ha! Springt nicht ein Räuber aus dem Busch? – Der Mann flieht, der Räuber ist schneller, der Mann schreit! – Er zappelt! Nun ist er tot!

Oder, – eine Jungfrau ist da, sie ist voller Tugend! Sie sitzt unter ihrer Tugend sicher wie eine Taube unterm Dach. Ha! – Ein Geier, – was sieht ein Geier nicht alles, sieht er durchs Dach? – ein Geier stürzt her, er zerreißt die Taube, die Unschuld ist dahin! –

Es schauderte ihn vor den Möglichkeiten, es lief ihm kalt über den Rücken. Gebeugt ging er über den Rasen dem Hause zu.

»Wann kommt der Vater?« stammelte Giusa, die vor dem Hause stand.

»Der Vater?« – Ach so! der sei verreist, – er sei gegangen, um Vieh und Wein einzukaufen. »In zwei, drei Tagen –«

Aber nun kam auch das Weib des Verwalters. Der Mann habe von einer Reise gar nichts gesagt, lamentierte sie, aber er nahm alle Schlüssel mit sich und auch größeres Geld. Sie befinde sich in schrecklicher Aufregung; – nun weinte sie.

»So?« sagte Heinz Heide, »so?« – Er kümmerte sich aber nicht weiter um sie, er trat ohne weiteres ins Haus.

Es war still im Hause. Nein, das Haus wußte nichts! Aber kaum knarrte Heinz Heides Schuh auf der Treppe, stürzten schon aus den Zimmern, aus den Winkeln, aus den Wendeltreppen Leute einher, Männer und Weiber; ihre Gesichter erkannte man nicht, sie trugen Schleier und Wackelbärte und redeten hastig, flüsternd, wispernd, so daß man das eine Wort verstand und das andere nicht. Sie strömten einen eigenen Duft aus, einer zeigte ein rotblondes Frauenhaar, einer schwang einen Beutel mit Geld, es waren dreimalhunderttausend Gulden, er sagte, er habe gespielt, oder sagte er, er habe verspielt, – er schrie. Und eine Frau kam –

Ob er seinen Fuß ruhig in sein Haus setzen dürfe? stampfte Heinz Heide. Ob er –? Aber das Geschnatter, das Ohrenblasen und Zischeln umringte ihn, ja, sagte es, so gehe es in allen Fällen: die Menschen wüßten nicht, wie blind sie seien! Und nun trat die Frau vor, sie trug ein krankes Kind. Weh, sagte sie, mein Kind stirbt! – Hui! sagte ein Mann, das Kind ist gesund, aber ich verstehe! Er ritzte das Bein des Kindes auf, er träufelte Gift hinein, – » nur pro forma!« sagte er, – und nun war das Kind krank. »Es verträgt nicht die Bergluft!«

Ob er seinen Fuß? – stampfte Heinz Heide donnernd in den Saal!

Und nun wurde es augenblicklich still. Niemand ringsum! Er stand allein da. Er ging unangefochten umher, er fragte einen Stuhl, ein Bild, eine Wand; das Bett, darin die Dame geschlafen hatte, den Spiegeltisch. Alle Dinge schwiegen. So war es recht!

Er ließ Licht machen, überall Licht. Er nahm an der Tafel im Grafenzimmer Platz, auf dem rotdamastenen Sofa. Er aß, Giusa bediente ihn. So war es recht, es stimmte alles! Er redete mit Giusa, sie antwortete. Es beruhigte ihn das.

Bei einem ganz gleichgiltigen Worte aber sprang er auf. Sie solle schlafen gehen!

»Das Licht zerreißt die Gedanken!« sagte er. Man will einer Frage auf den Grund blicken, ganz auf den Grund. Nichts da! Die Lichtstrahlen zerreißen die Frage, in tausend ungreifbaren Fäden flattert sie davon!

Wie am Tage! Auch am Tage ist es so. Eine Wolke erscheint, man will sie anschauen. Ein Vogel pfeift, man will ihm zuhören! Aber jeder Wille zerfließt im Sonnenlicht!

Er machte darum Nacht. Überall. Dann warf er sich ins Bett. So war es recht! Er rieb sich vor Vergnügen, voll Hinterlist die Hände. Von einem Pferdedieb, von einem Roggenschneider ließ man sich Flausen aufbinden? Vortrefflich! Kenne man etwa einen Bauern, der nicht das Delirium hat und an Geister glaubt? – Und ein Schleier! Ein Schleier ist ein gewöhnliches Ding. Millionen Damen tragen Schleier. – Millionen Männer sind bartlos! Haha!

Und kein Kind dabei! –

Er wollte schlafen.

Aber war nicht jedes Äderchen mit Luft gefüllt? War nicht der Körper federleicht, schwebten nicht die Augen wie Leuchtgaskugeln im Zimmer umher, – wollte der Körper nicht aufwärts fliegen?

Er sprang aus dem Bett. »Likör!« Wie ein Taglöhner mußte man berauscht sein, um zu schlafen!

Er trank, zweimal, dreimal; einen giftigen Likör; dann sank er nieder und schlief.

Nach einer Stunde aber erwachte er schreiend

–: alle Lichter anzünden! Alle Lichter!

Mit der brennenden Kerze rannte er im ganzen Hause herum, alle Lichter steckte er an und kam dann befriedigt zurück. Nun müsse er sich ankleiden!

Angekleidet schritt er ins Grafenzimmer, er setzte sich vor den Tisch. – Man müsse nur ruhig nachdenken! So müsse man denken: kommen gewöhnliche Menschen im Theater vor? Niemals! Nur das Außergewöhnliche steht auf der Bühne! – Aber habe jemand, dies zugegeben, etwas so, – habe man etwa jemals das auf dem Theater gesehen? Sophokles, Shakespeare, etzetera, etzetera, –

Er starrte plötzlich vor sich hin, die Stirne furchte sich ihm wie in fürchterlicher Anstrengung. Er ließ den Kopf tief sinken, – »mit einem Schlage hätte ich es!«

»Giusa!« rief er.

Aber, da Giusa nicht kam, riß er am Glockenzuge. Die Klingel sprang durch das ganze Haus.

»Ich werde sagen: bringe die Ananasmarmelade, von der mein Bruder und die Dame aßen, als sie hier waren, – ein paar Tage, bevor ich kam –!«

Entschlossen schellte er nochmals. Mitten im Zimmer wartete er, – »ich werde sagen: die Ananasmarmelade – –«

Da kam Giusa. Sie war notdürftig bekleidet. Was der gnädige Herr befehle? –

Er schaute sie fest an. Er wollte sagen –

Da verlor er den Mut. Er ging zuerst einen Schritt zurück, dann zwei; dann setzte er sich auf das Sofa nieder und ließ den Kopf auf die Brust sinken. »Ein Glas Wasser!« sagte er.


 << zurück weiter >>