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Der Mann mit der schwarzen Krawatte hatte bei diesem Worte einen unwillkürlichen Riß in das Tafeltuch gemacht. Mit seinem Zeigefingernagel, der lang und scharf war. Er bemerkte aber den Riß sofort, es war ihm nun unangenehm, und er versuchte, durch feines Plätten mit dem Daumennagel den Riß auszugleichen. Dabei machte er ein sehr nachdenkliches Gesicht und paffte den Rauch von sich. Er hätte gern nach Heinz Heide hingeschielt, von dem das Zimmer keinen Atemzug mehr hörte, aber das wagte er nicht. So war seine Mühe darauf gerichtet, möglichst bewegungslos zu sein, denn dann begann vielleicht Heinz Heide von neuem und sagte noch einmal: es ist nämlich der reiche Terroni in Malaripa! Und da wäre es dann schon leichter gewesen, irgendwie zu antworten.
Aber als es gar zu lange dauerte, daß Heinz Heide still blieb, begann er doch zu sprechen. Vor allem danke er tausendmal für die liebevolle Sorgfalt, die er gewiß zu würdigen verstehe. »Ich weiß das zu schätzen.« Wenn er auch kein Freund von Worten sei, – »es stünde mir auch gar nicht an, den Dank da in besonderen Worten abzustatten,« aber er hoffe ihn zu beweisen! – Was aber den Vorschlag selber anlangt, so werde ihm der Bruder nicht übelnehmen, wenn er sich eine gewisse Überlegung vorbehalte. »Es sind sehr verlockende Umstände da! Erstens, daß der Mann dein Freund ist; es ist keineswegs gleichgültig, mit wem man zu tun hat.« Und zweitens, – es wäre so eine Art von Vertrauensstellung, woran ja immer etwas –
»Etwas außerordentlich Auszeichnendes liegt!« stimmte Heinz Heide plötzlich zu.
»Nicht wahr?« Jawohl, das fasse auch er so auf. Und drittens, das Klima; es sei doch keineswegs gleichgültig –
»Das sage ich auch; gewiß! Das Klima – –«
»Eben! Das alles zusammengenommen: sehr verlockende Umstände! Aber –« wenn der Bruder erlaube, – er erhob sich langsam. Langsam, bis er endlich auf seinen Beinen stand. Da hatte er aber auch schon einen Schritt ins Zimmer gemacht. – Er möchte darüber schlafen, sozusagen; er sei darauf nicht gefaßt gewesen, und so eine Sache –
»Selbstverständlich!« stand Heinz Heide auf. Freilich, so eine Sache müsse man sich vorzüglich überlegen; das könne er nur billigen. »Girolamo!« rief er.
»Ich bin dann vielleicht schon morgen in der Lage, eine bindende Antwort zu geben –«
»Jawohl! Übrigens – Girolamo!« rief Heinz Heide nochmals. Er spazierte in kurzen Schritten vor der Türe auf und ab; es scheine, der Alte habe doch zuviel vom Weine bekommen, – »Girolamo!«
Er riß nun die Türe auf. »Bitte,« sagte er höflich, und ließ den Gast voran. Der arme Alte, sagte er, es muß ihm eine schöne Mühe gewesen sein, noch die Lampen anzuzünden; denn auf den Treppen brannten die Lampen. Aber er sei von unendlicher Pflichttreue. »Er ist ein seltener Mann!«
»Girolamo!« rief er voll Unruhe durchs Haus, um ihn zu suchen, und der Gast folgte ihm. Denn es sei möglich, sagte er, es könnte ihm auch ein Unglück zugestoßen sein, bei so einem alten Manne könne man nichts wissen. Oder glaube der Bruder, blieb er nach dem Rundgang stehen, – der Verwalter fühle sich beleidiget? »Weil ich da gesagt habe: angenommen –?« Ob der Bruder glaube –?
Das glaube er nicht; »nein, keineswegs!« Der Mann mache keinen stupiden Eindruck. Es wird so sein, wie der Bruder sagte: der Wein!
»Hoffen wir! Hoffen wir!« trat Heinz Heide ins Gastzimmer und drehte sich besorgt nach allen Seiten um. Es fehle doch nichts? In diesem Falle möge der Bruder sagen, – »vielleicht noch eine Decke? Manche, sie sind es nicht gewohnt, frieren in der ersten Nacht.«
Er danke, beeilte sich der Mann; er friere nicht.
Dann wünsche er gute Nacht! sagte Heinz Heide und lächelte ein bißchen. Er wünsche, daß der Bruder im Vaterhause gut schlafe!
Nun streckte ihm der Mann die Hand hin. Aber er sah sie gar nicht, – »und ich wünsche gedeihliche Überlegung,« lächelte er und ging aus der Türe, »recht gedeihliche Überlegung!« –
Er klinkte die Türe zu und schritt in sein Zimmer. In der Mitte des Zimmers, auf einem Lederstuhl, nahm er Platz, vorher aber löschte er alle Lichter aus.
Und nun wartete er. Er hielt den Atem ein, er wagte sich zu keiner Bewegung; eine beißende Aufregung hatte ihn erfaßt, von den Zehen bis hinauf in den Scheitel raste und tanzte sein Blut, es redete, es lachte, es klatschte, es brodelte, er aber mußte es zwingen, still zu sein und zu lauschen.
Nach etwa einer Stunde stand er vorsichtig auf: unter dem Fenster hatte sich etwas geregt! Er schlich an die Türe und legte das Ohr an das Holz; ruhig, ruhig! sagte er sich! Und es war richtig: ein furchtsamer Schritt ging über den Saal. Nun kam er aus die Treppe. Die Treppe knarrte ein bißchen; darum ging er schon schneller. Und jetzt krächzte das Haustor.
Heinz Heide schlich ans Fenster und öffnete die Läden soweit, daß er durch einen Spalt auf den Platz vor dem Hause hinabsehen konnte. Er sah noch nichts, aber er wartete auf den Zehenspitzen, unbeweglich. Er hörte oft von der Seite des Verwalterhauses her unterdrücktes Lärmen und Sprechen, aber er sah nichts. Er wartete geduldig.
Es ging schon gegen Tagesanbruch, da hörte er eine bekannte Stimme. Er versuchte den Kopf genau an den Spalt zu legen; ruhig, ruhig! sagte er sich. Und es war richtig: es kam vom Verwalterhause ein Schritt gegen den Rasen her, und schnell darauf ein zweiter. Aus der Mauerecke eilten zwei Gestalten über den Rasen, sie flogen dem Wege zu. Und es war nur noch ein schneller Augenblick, und sie verschwammen im Morgengrau, im Nebel über dem abwärts fließenden Wege.
Da sprang Heinz Heide vom Fenster weg und jagte die Treppe hinab. Vor dem Haustor blieb er stehen. Es steckte der Schlüssel nach außen, das Tor war angelehnt. Er zog den Schlüssel ab, stieß ihn laut von innen ins Schloß, drehte ihn zweimal um und versuchte die Klinke. Das Tor war zu. Dann nahm er den Schlüssel in seine Hand, schob den eisernen Riegelbalken vor das Tor, und stieg langsam in sein Haus empor.