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1

InitialLorelock, der Arzt von Tannenfreygg, und Pius Vesper, der Lehrer von Tannenfreygg, stiegen in den Wald hinab. Sie traten eben aus dem Sonnenfleck, in dem die Häuser von Tannenfreygg glänzten, und wer zu dieser Zeit drüben auf den steilen Weiden unter Buchenfreygg saß, mußte ihre Schatten in die Fichten des Waldes niederkommen sehen.

Und wahrhaftig sah um diese Zeit auf den Weiden unter Buchenfreygg der Feldkönig auf einem Steinblock und schaute in den Himmel hinauf. Sonnabgewendet war sein Gesicht und blickte in den schönblauen Himmel, wie er über Tannenfreygg stand, denn dieser schönblaue Himmel gab jedem, der ihn ordentlich betrachtete, ein warmes Gefühl ein. Es ist etwas in mir, sagte er, was du so nennen magst oder so. Du, Severin, sagte er zum Feldkönig, nennst es deinen lieben Gott, und ich sage nichts dazu. Es mag recht sein! Jedenfalls betrachte ich gern dein bärtiges Gesicht, und wenn dir einmal Angst wird im Leben, – sagen wir, es fällt Regen und nimmt dir dein Nachtlager im Felde, oder sie gönnen dir dein unverdientes Brot nimmer, oder – kurzum, wenn du nicht mehr ein- und ausweißt: blicke auf zu mir, – du magst dich auf mich verlassen.

Zu Lorelock und Pius Vesper sprach der Himmel keineswegs so. Mit Lorelock stand er auf keinem Fuße, mit Pius Vesper immer in Streit. Auch dachten sie gerade nicht an ihn. Lorelock ging einen bedächtigen Schritt, und Pius Vesper einen hastigen. Darum mußte Pius Vesper plötzlich haltmachen, denn Lorelock war ein Stück hinter ihm stehen geblieben. Er stieß den Stab in die Erde und tat einen blauen Zug aus der Pfeife, und als nun Pius Vesper ungeduldig wurde, sagte er aus dem Grunde seiner erwartungslosen Seele: »Eigentlich, – eigentlich weiß ich nicht, wie das werden wird.«

Dann ging er ruhig weiter, und Pius Vesper, dem der Kopf voll von Zukunft steckte, sagte nichts dazu. Als sie aber unten im Tale ankamen, das Tannen- und Buchenfreygg schied wie die Tiefe eines Buches die zwei aufgeklappten Seiten, rannte Pius Vesper gen Buchenfreygg hin in den Wald und rief mit unwilliger Stimme: »Severin! Severin!« Denn weder er noch Lorelock hatten in ihrem Gange den Mann auf dem Steinblock erspäht.

Wer ruft mir? schrak der Feldkönig aus seinem Zwiegespräch mit dem Himmel auf und schaute ringsumher. Wer ruft mir? Als der Wald aber noch einmal rief: »Severin!«, ging ein lichtvolles Erraten über das bärtige Gesicht und er sprang auf. Aber das war nicht so einfach! Der Feldkönig hielt es stets gegenwärtig, daß die lieblichen Gedanken und Worte, die wie Tröstungen ihm zuflatterten, wenn er unter dem freien Himmel stand, von den Halmen, darauf er ruhte, vom Steine, daran er lehnte, und von der Erde, die ihn trug, kamen, und so oft er einen solchen Platz verließ, bedankte er sich darum beim Grase, bei der Rinde des Baumes, bei der Erdkrume und bei den kleinen Tierchen. Und so tat er auch jetzt.

Dann aber flog er den grünen Weidehang abwärts, sprang über den Bach am Waldsaum und schlüpfte in die Tannen wie ein Dachs.

Einmal leuchtete er darin noch auf. Dann war er eine Weile verschwunden, – und dann dröhnte es aus dem Walde. Nun war er auf dem Wege vor Lorelock und Pius Vesper.

»Herr Feldkönig, auf diesem Wege?« dröhnte Lorelocks Lachen, so daß ihm die Wangen zitterten und der Bauch wackelte.

»Ave, camporum rex, oder göttliche Offenbarung!« stürzte Pius Vesper auf den Ankömmling zu und drückte ihm die Schultern nieder, und dabei flog sein Rothaar spöttisch um des Feldkönigs Gesicht. Der aber lächelte und ließ sich drücken; in seinem Gesicht tauchte eine milde Seele auf und strahlte wie Sonnenschein: »Lacht über mich! dazu bin ich da!«

Sie setzten sich allesamt auf den Lärchentrog, in den ein fadensilbernes Brünnlein floß, und sahen der Sonne zu, wie sie aus dem Walde ging. Und redeten, ohne recht zu wissen was, bis Pius Vesper aufschoß und der Feldkönig ihm nachsprang: »Er kommt! er kommt!«

Sie liefen ein Stück abwärts, mit einem Ruck aber blieben sie stehn.

»Es ist der Esel vom Mattä!« johlte Lorelock. »Der Esel vom Mattä!«

Es war wahrhaftig ein Esel. Ein schwerbepackter Esel, neben dem ein Bursche ging.

»Verehrter Freund,« ging Lorelock dem Esel entgegen, »es lebe der Herrenstand!« Der Esel stand wie aus Blei unter einem Reiter. »Lieben Freunde,« belehrte Lorelock, »Ihr seht, er ist ein Esel! Denn wo er das nicht wäre und es verstünde, – er könnte unsere Gedanken von der Auflehnung wider die Gewalt besser vortragen als wir!«

»Ein Esel!« wandte er sich kräftig zum jungen Mattä, dem der Schweiß von der Stirn lief. »Mattä, erzähle du!« Wie es mit den Trauben stünde; ob die Dummköpfe Bittgänge machten und die Rekruten schon hin seien?

Aber der Bursche blieb stumm, er trat an den Lärchentrog und begann zu trinken. Er trank lange, und unterdessen klopfte der Feldkönig dem Esel die Fliegen von den Schenkeln.

»Säufer!« schrie Lorelock. Wolle er denn nichts erzählen? »Wenn ein Bauer aus der Stadt kommt, – Mattä!«

»Für wann hat er sich angesagt?« ging er nun entschlossen zum Wesentlichen über.

»Heute abend, hat es geheißen,« sagte jetzt der Mattä. »Der Wälsche ist in der Früh gekommen und hat Hühner bestellt.« Er habe alle Läden im Hause aufgemacht und die Berberitzin sah ihn Rosen abschneiden im Garten.

»Lieben Freunde, habt Ihr gehört? Rosen und Hühner? Wir werden uns einladen lassen!«

»Heimweg!« klatschte Lorelock seine Hand auf den Esel und tat einen energischen Schritt nach abwärts; und da folgten ihm die anderen. Aber plötzlich kehrte er wieder um. »Mattä!« rief er dem trabenden Manne nach, der dämmerig über den Waldweg stieg, – »und der andere?«

»Der ist hinunter. Am Montag zu Nacht.«

»Und unten, – gesehen?«

Das Haus sei versperrt gewesen.

Nun wurde es ernst. Die drei Freunde schritten zu Tal. So oft der Weg sich bog, strengten sie die Augen an und redeten nicht, sie erwarteten von Minute zu Minute, es tauche eine bekannte Gestalt vor ihnen auf. So gingen sie eine Viertelstunde, bis der Wald aufhörte und die Wiesen von St. Euseb dalagen. Es läutete gerade im Euseber Turm, als sie in die Wiesen traten.

Seinetwegen möge es nun Nacht werden, sagte Lorelock da, er lege sich nieder!

Pius Vesper blickte herum, es war da ein Stück Welt zu sehen: Im Osten glühten die Berge und im Westen schliefen sie blau ein. Langsam ließ auch er sich niedergleiten.

»Feldkönig!« rief Lorelock, dem einer im Lager fehlte.

Der besann sich aus seinem nach Morgen gewendeten Abendgebet und fiel breit in das Gras. So lagen sie alle drei.

Sie schwiegen eine lange Weile, denn die Abendglocke von Euseb war verklungen und die Dämmerung sank schnell herein. In der Stadt unten brannten die Lichter und die Gipfel des Waldes umhüllten ihre Zacken mit dem Dunkel.

Sie schwiegen, bis Pius Vesper sich nicht mehr halten konnte. Er erhob sich aus dem Grase, – er sähe es vor sich, als wäre es heute. Heute kämen ihm diese Gedanken, – »weiß Gott, ich trage dem Sohn nichts nach,« das sollten sie nicht glauben! Er trete ihm ohne jede Bitterkeit vor die Augen, gewiß. – »Aber, das war an einem Sonnabend, er und ich, wir saßen zusammen im Hause, und die gnädige Frau brachte uns eben Himbeersaft. Sie ist in das Zimmer gekommen, ich habe ihr ein Kompliment gemacht und ich sah, sie war unruhig, ihre Hand zitterte, als sie die Gläser hinstellte. Und im selben Augenblick kam ein Jemand in die Türe herein und schrie: »Der Pennenmacher stirbt!« – Gewiß, als ob es heute wäre, erinnere ich mich. Natürlich war es Gehirnschlag. Wenn einer plötzlich zusammensinkt und das Bewußtsein verliert und nimmer aufwacht, was sollte es sonst sein?«

Er sei dann hinübergelaufen in die Pennenmacherstube, und siehe da, vor dem Bett stand auch der alte Herr Heide. Ja, sagte er, denn der Mann im Bett hörte nichts, und dabei legte er seine Hand so auf die junge Pennenmacherin: ein trauriger Fall, sagte er.

»Und da, – ich weiß wahrhaftig nicht, warum, aber ich war noch ein Büblein, – da küßte ich dem Alten die Hand!«

»Ausgezeichnet, haha, haha!« johlte Lorelock. Aber sowohl Pius Vesper als der Feldkönig sprangen hier aus dem Grase, denn vom Weg unter ihnen scholl ein Schritt. Ein Stab mußte an einen Stein geschlagen haben. Als es aber schnell wieder stille wurde, legte sich Pius Vesper von neuem zurück und fuhr fort. Er wollte sagen: später, als er den Alten bis in die Nieren hinein kannte – »langsam verstand ich das mit der Pennenmacherin« – nahm er sich einmal den Sohn unter den Arm. »Du,« sagte ich, – »ich machte ihm begreiflich –«

»Daß der Gehirnschlag eine tödliche Krankheit und Freundschaft in solchem Falle Heroismus?« spottete Lorelock.

»Was kann der Sohn dafür?« wurde Pius Vesper blutrot. Nein! Aber er sagte damals dem Jungen die Wahrheit. Wie es stehe, und daß es seine Pflicht sei, langsam die Geschichten, – »die da vom Alten« – vergessen zu machen. »Das war eine starke Dosis. Aber der Junge war kein heuriger Hase; ja, sagte er, Pius, – es ist notwendig, daß einem jemand die Wahrheit sagt. Und ich müßte ihm das versprechen: so oft er von mir etwas zu hören bekomme –«

Es sang wieder irgendwo ein Stein auf dem Wege und der Feldkönig tanzte schon wie ein Festredner auf der dunkeln Wiese umher. Aber auch dieser Stein wurde ruhig.

»Und das wird gehalten! Weiß Gott, zum Faulenzen kommt er mir nicht zurück! Du, werde ich ihm die Augen öffnen, da sieh herum! Schaue herum! Das große Sündengift werde ich ihm aufdecken, denn das gärt in allen da oben und darum ducken sie sich wie die Hunde und wie die polnischen Juden. Ausgerissen! werde ich ihm sagen, – und hineingefahren! Je radikaler, desto besser, werde ich sagen, – je bruta –«

»Das geht dich nichts an, wird er sagen!« schrie Lorelock zornig. »Das wird er sagen! So ein Mann von Blut, der in der Welt herumgerochen hat und noch dazu weiß, warum er den Alten allein sterben ließ, – so ein Mann ist und bleibt ein Herr. Der läßt sich einen Pfifferling dreinreden, sage ich. Wenn man da etwas einwenden würde, – die Manier, leutselig nein zu sagen, die hat er natürlich; jeder Herr hat sie, und einer, der halbwelsch erzogen ist, schon gar! Er wird also höchstens freundlich lachen, – so, so, Sie meinen? wird er sagen, aber gleich danach kommt der moralische Fußtritt, – er läßt dich ganz einfach stehen!«

Übrigens sei es auch ganz gut möglich, daß er grob werde und sage: scheren Sie sich gefälligst zum Teufel. Ganz einfach: scheren Sie sich zum Teufel!

»Ja, aber, –« stritt Pius Vesper gegen diese Meinung: »wenn er da sagen würde: Herr Doktor Lorelock, scheren Sie sich gefälligst zum –«

»Lehrer!« wurde Lorelock lebendig, »das ist ein neuer Gedanke! Wie werden wir ihn anreden? Lieben Freunde, hat das schon einer bedacht?«

»Ich meine –«

»Was meint er, camporum rex et tyrannus?« stemmte sich Lorelock in die Wiese. Und der Feldkönig, einen Halm im Munde, erhob sich wie ein lehrender Christus. »Ich meine so: seine Seele hat er nicht verloren! Das dürft ihr nicht glauben!« Er redete ängstlich, denn er fürchtete Lorelocks Spott und Pius Vespers Aufbegehren über alles. Gewiß, es sei möglich, daß er von Irrfahrten kommt, denn er sagte selbst immer, er wisse nicht, wer zuletzt die Gewalt über ihn haben werde. »Aber er ist ein Freund der Wahrheit; wen log er je an?« Und darum sei von dieser Seite nichts zu fürchten. Oder, habe er etwa seinen Vater züchtigen können, oder seinen Bruder schlagen? Und doch hat er geurteilt! »Er ist an diesen Bechern nicht vorübergegangen!«

Und was das andere betreffe, – wer könne sagen, daß er Buchenfreygg nicht über alles liebte? »Er war wie ein Baum in seinem Walde, wie ein Berg, der in seiner Aussicht stand.« An dieser Liebe sei nichts Falsches gewesen, und darum war sie gewiß nicht vergänglich. – Aber, freilich könnte es sein, daß er nicht gerade heiter wie ein Zwanzigjähriger rückkehrt; es könnte sein, er kommt müde. Er sah Gut und Böse niemals klar auseinander. Wenn er nun da das Feld verfehlte und zurückkommt, noch mitten im Gefecht, – »dann wird er uns suchen! Wer könnte besser um ihn sein als wir? – Ihr aber werft mit eurem Mißtrauen und eurer Raschheit Hecken und Dornen zwischen ihm und uns auf, anstatt daß ihr ihm den Weg bereiten würdet!«

»Das ist Feldkönigphilosophie! Rinnt einem wie Sand durch die Finger! Von mir weiß ein jeder, wer ich bin; ich hätte mich nicht nachts auf diese Wiese gelegt, wäre er mir Hekuba. Werde ihm also die Hand drücken, wie er's von mir gewohnt ist, ob er nun so tut oder so, – aber Hosianna dem König von Buchenfreygg schreie ich nicht!«

Da kenne er sich falsch, lächelte der Feldkönig. Lorelocks Gesicht werde wie ein Dolomit glühen, wenn er den Erwarteten plötzlich vor sich sieht. »Es führen geheime Wege von den Menschen zueinander!« lächelte er; er kenne einen, dessen Lied über Tannen- und Buchenfreygg ziehen wird, sobald der Angekommene zeigt, daß er uns wiedererkennt. »Wie der Wirbelwind der Jugend fliegt Lorelocks Lied –«

»Wer hat dich, du schöner Wald? werde ich singen,« schrie Lorelock zornig, »wenn er mich vor die welschen Kahlhiebe führt. Oder: Üb' immer Treu und Redlichkeit!, wenn wir den Friedhof besuchen; und: Der Gott, der Eisen wachsen läßt!, wenn wir ihm die Phalanx seiner ausgehungerten Bauern vorführen! Wie aufgezogen werde ich singen –«

»Bis ihm das Lied von der Internationale beim Munde heraushängt,« brauste Pius Vesper auf, »und der Ekel vor seinem verpesteten Geblüt zur Überzeugung wird!« Wild flog sein Rothaar; »und wenn wir ihm den Stall gezeigt haben, in den ihn sein Erbrecht hineinflucht, werden wir sagen: Herr!, werden wir sagen, nun kehre zu deiner Erde zurück, nachdem wir ihr Antlitz dir festlich enthüllt!«

Das verstand der Feldkönig falsch. Er sprang begeistert auf: »Gewiß, gewiß! So ist es recht! In unserer innerlichen Freude werden wir ihn empfangen wie die Pfeiler seines künftigen Lebens: Pius Vesper als der streitbare Geist, der den Sieg hofft; ich als der Glaube an Gott, und Lorelock als der Deutsche!«

»Hm, hm,« machte Lorelock, und Pius Vesper schnitt im Dunkeln eine Grimasse. Aber Lorelock hatte es anders gemeint. Er sprang wie ein Pfeil aus der Wiese.


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