Ludwig Tieck
Leben und Tod der heiligen Genoveva
Ludwig Tieck

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Wohnung der Zauberin.

Winfreda. An seinem Orte hängt der magische Spiegel,
Schon weht die Nacht herauf mit schwarzem Flügel,
Wolken ziehn und fliehn vor des Mondes Scheibe,
Auf Kirchhöfen stehn die Leichen mit blassem Leibe,
In unterird'schen Grüften ein wühlendes Regen,
In oberird'schen Lüften ein spielendes Bewegen,
Geister schauern hernieder,
Und gehn und kommen wieder
Auf der schwarzen Leiter der Nacht,
Und oben das böse Verhängniß lacht.
Nun brennt ihr bläulichten Flammen mit Zucken,
Nun klingt ihr Wände mit Pfeifen darein,
Ihr Farben macht verworrenen Schein,
Daß wir die zagende Seele berucken;
Der Mondschein
Guckt verstohlen zum Fenster herein
Und will beim Werke zugegen sein,
Die Lichter brennen,
Die Farben schimmern,
Die Sterne flimmern,
Die Wände klingen,
Die gemalten Vögel singen,
Die Geister wollen mir all' meine Freude gönnen.

Siegfried und Golo treten herein.

Siegfried. Heil diesem Hause, das mir Heil soll bringen!

Winfreda. Weh uns, wenn wir das Heil von außen suchen,
In unserm eignen Herzen muß es wohnen.
Herr Graf, ihr kommt und wißt nicht, was ihr sucht,
Ich bin zwar nicht von Gott dem Herrn entfremdet,
Doch ist es besser, ihr kehrt wieder um,
Noch habt ihr nicht gehört und nicht gesehn
Was euren ird'schen Sinn berücken möchte,
Drum wißt ihr, daß das Herz in euch nicht rein,
Daß euer Muth in euch nicht männlich stark,
Daß Ihrs erdulden könnt, so kehret um.

Siegfried. Nein, heil'ge Frau, denn so muß ich dich nennen,
Dein Wesen, die Gestalt, dies kühne Auge,
Die Frömmigkeit der Rede zeigt mir wohl,
Daß du kein irdisch Wesen, deren Bitten
Der Himmel sich, das Element bewegt.

Winfreda. Ich bin so sündig wie die andern Menschen,
Doch wurde mir seltsamer Weis' verliehn,
In innre Tiefe der Natur zu schaun.
Da seh ich, was getrennt, zusammenhängen,
Und was dem blöden Auge einig scheint,
In ferne Gränzen aus einander fliehn;
Wie Stern' im Abgrund die Metalle formen,
Wie Geister die Gewächse figuriren,
Wie sich Gedank' und Wille korporiren,
Wie Phantasie zum Kern der Dinge dringt,
Durch Einbildung Unmögliches gelingt,
Wie jeder Stein uns stumme Grüße beut,
Alle Dinge nur sind der Geisterwelt ein Kleid.

Siegfried. Ich höre und vernehme deinen Sinn,
Ich weiß nicht mehr, wo ich und was ich bin,
So dringen deine Worte, diese Klänge,
Wie unsichtbarer Kräfte Lobgesänge,
Die Lichter, die im blauen Scheine flammen,
Die Farben, diese Zirkel, all' zusammen.
Es macht, daß ich mich kaum besinnen kann
Was ich gewollt, ein Schauer faßt mich an.

Winfreda. Was kamst du her zu meiner armen Hütte?

Siegfried. Ich kam zu dir mit dieser frommen Bitte:
Laß mich im Bild mit eignen Augen sehn
Was in dem Haus, seit ich entfernt, geschehn,
Wie sich mein Weib, die ich geliebt, betragen,
Daß man sie nicht darf ohne Grund verklagen.

Winfreda. Schau auf den großen Spiegel, in den Kreisen
Wird jed' Geheimniß sich als offen weisen.

Siegfried. Was sind das für Figuren und für Schnörkel,
Für Linien und wunderbare Zirkel?

Winfreda.
    In des Kreises Kraft
    Wird gar viel geschafft,
    Wie Netze werden die Linien gestellt
    Der fernen Welt,
    Daß Umriß hier sich feste hält.
    Bald rinnen
    Da drinnen,
    Beginnen
    In luft'gen Geleisen
    Der Bilder Formen sich zu weisen.
    Unwiderstehlich faßt
    Die Linienkunst mit ihren Geberden
    Den wunderbaren Gast,
    Er muß ihr Freund und Gatte werden.

Siegfried. Was sollen diese vielen Farben bunt?
Du legst sie eckig bald und wieder rund.

Winfreda.
    Die Farben
    Sind Leben,
    Sie geben,
    Wenn Geister erstarben,
    Den himmlischen Dunst,
    Der Sonnen Gunst,
    Das ist die Kunst.
    In die Netze springen die Schlangen,
    Und regen sich drinne mit süßem Funkeln,
    So kriegen die Unsichtbaren Verlangen,
    Erheben sich sichtbar aus dem Dunkeln;
    Kommen vom Nichtsein
    Froh in den Lichtschein,
    Und regen in Grün und Roth die Glieder,
    Das Element umgiebt sie wieder..

Siegfried. Was stellst du so die blauen Flammen
In wunderlichen Figuren zusammen?

Winfreda.
    Wie freier
    Das Feuer,
    Wie munter
    Und bunter
    In Formen mannichfach glimmt,
    In Farben tausendfach flimmt,
    So giebt es den wilden
    Gebilden
    Athem, Seele, die Natur:
    Vorher sind sie Formen pur.

Siegfried. Was muß so Singen, helles Pfeifen
Durch das weite Gemach denn schweifen?

Winfreda.
    Das muß sie anschrein
    Daß sie herzhaft sein,
    Daß aus den Wänden
    Aus Felsen und fernen Enden
    Sie in das klare Leben
    Sich fröhlich begeben;
    Sie sind in weiter Freie
    Und tragen inn'ge Scheue
    Sich zu fangen ein,
    In Formen, Farben, Lichten,
    Zu Körpern sich zu dichten,
    Da müssen's geängstigt sein
    Von tausend Seiten,
    Daß sie im Streiten
    Hervor uns schreiten,
    Und sichtbarlich
    Nachbarlich
    Sich gestalten
    Und kenntlich walten,
    Wie wir es schalten.

Siegfried. Sieh, alle Zirkel sich in einander rühren!

Winfreda.
    Das muß das Leben in sie führen,
    Aus tausend Massen sie figuriren;
    Nun klingt durch das Licht der Vogelgesang,
    Nun fühlen die Farben den schwangern Drang,
    Nun wird den Linien in sich selber bang,
    Und alles fühlt den magischen Zwang: –
    So wahr mein Blut
    Dir diente gut,
    So gewiß das Hirn
    Bedeutet Gestirn,
    So höre jezt wie das Herz dich sucht,
    Wie die Zunge innerlich Jenem flucht,
    Der sich ob Stern und Himmel erhebt
    Und dir in allen Reichen widerstrebt;
    So laß es gelingen
    Was wir vollbringen.

Siegfried. Mir graust, mein Haar richtet sich empor.

Winfreda. Erhebe dein Auge hinauf zum Spiegel.

Siegfried. Ich seh' ihn in sich gähren und Wellen schlagen,
Ich höre von innen Gewinsel klagen;
Ich seh' es drinne mit Lichtern tagen.

Winfreda. Aus dem Licht kam Luft und Meer,
Und die Erd' mit Steinen schwer,
Und der Thier' und Vögel Heer.

Siegfried. Die Formen sind zersprungen, weit hinab
Dehnt es sich innerlich aus, wie grüne Moose
Sprießt es hervor, und wächst als Wald auseinander.
Da seh' ich die Bäume, die wohlbekannten, des Gartens,
Da oben den Altan der Burg und unten die Laube,
Es wandeln Gestalten die Gänge hinauf, hinab,
Ich kenne sie alle, da springt und lärmt der Golo,
Der alte Wolf geht gar bedächtlich und sinnend,
Nun kommt, – es kommt, – ach Gott im Himmel!
Mein' Genoveva in all' ihrer Schönheit
Im schwarzen Kleide,
Mit goldnem Geschmeide,
Sie setzt sich nieder, beschaut das Gras,
Zu ihren Füßen wird grüner das;
Da kommt der Drago, bleibt vor ihr stehn
Und hält mit ihr ein freundliches Gespräch. –
Nun warlich, da ist nichts zu schelten.

Winfreda. Laßt die Zeiten nur weiter gehn,
Sollt ihr andre Dinge sehn.

Siegfried. Da sitzen sie nebeneinander
Und schauen sich keck in die Augen,
Sie streichelt ihm die Wange und das Haar. –
Ach Genoveva fühl', wie ich für dich erröthe!

Winfreda. Laßt die Zeiten nur weiter gehn,
So werden wohl andre Dinge geschehn.

Siegfried. Was seh' ich da? Sie hängt an seinem Halse?
Sie sinken in die dunkle Laube nieder? –
Er, – o ich kanns nicht dulden, mit der Faust
Will ich den Bösewicht erwürgen! – Wie? –
Der Spiegel fort? die Lichter aus? der Mondschein
Bei uns im einsamen Gemach? Wie ists?
Wo ist denn all die bunte Welt geblieben?

Winfreda. Ihr habt mit eurem Zorn das Werk gestört,
Zu nah kamt ihr mit irdischer Glut
Der zarten magischen Welt,
So hat sie sich in die Unsichtbarkeit gerettet.

Siegfried. Was will ich denn auch mehr? Mein Golo auf!
Ersteig' dein Pferd, und reite mir voran
So schnell du kannst, die Schändliche zu strafen,
Nicht lebend sei sie mehr, wenn ich dort bin!
Ich mag die Wohnung nicht betreten, wo
Sie ihren gift'gen Hauch, die Schlange, athmet.
        Golo ab.
Leb wohl, und Dank dir für das Undankbare,
Wovon du mich so innig überzeugt,
Daß wenn die Felsen und die Meereswellen
Dagegen predigten, ich ihnen dennoch
Nur taube und verstopfte Ohren böte. ab.



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